BücherFrauen

Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Bloggerinnen schenken Lesefreude: Susan Hawthorne: Bibliodiversität

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Die Einleitung eines Buches stellt im Grunde genommen das entscheidende Herzstück dar. Sie allein kann den Leser oder die Leserin derart beeinflussen, es weiterzulesen oder das kreative Werk zur Seite zu legen. Hätte ich mich nicht dazu entschieden, die Rezension für dieses Buch zu verfassen – ich hätte es nach dem ersten Kapitel beiseitegelegt. Der Titel desselben klingt vielversprechend und der Leser erhofft sich, mehr über den Neologismus „Bibliodiversität“ zu erfahren. Stattdessen wird er mit recht undefiniten Erklärungen abgespeist, gefolgt von einer scheinbar zusammenhanglosen, diachronen Darstellung feministischer Verlegerinnen, Buchhandlungen und Bewegungen, deren Existenz durch die neu installierten globalen Großhandelskonzerne und die neue Technologisierungswelle bedroht sei. Das Fazit des ersten Kapitels: Für unabhängige Verlage sei es wichtig, das Urheberpersönlichkeitsrecht für ihre AutorInnen beizubehalten. Diese Entfernung vom Titel des Kapitels warf zahlreiche Fragen auf, die ich aber aufgrund der ohnehin verworrenen Darstellungsweise unbeantwortet hingenommen hätte.

Im folgenden Kapitel wird die Leserin jedoch zunächst mit den Informationen überrascht, die sie sich als Ergänzung zu manchen im ersten Kapitel angeschnittenen Themen erhofft hätte. Es wird ausführlicher erklärt, „wie Bibliodiversität Biodiversität widerspiegelt“. Die Vereinheitlichung des Verlegens durch Großhandelskonzerne wird im übertragenen Sinne verglichen mit dem menschlichen Usus, soziale Problembereiche zu homogenisieren. Rassismus, Armut und Frauenverachtung als Randbereiche, die sich nicht in das Bild der „homogenen Normalität“ integrieren lassen.
Indem nun unabhängige Verlage durch die Unterstützung der Bibliodiversität ebendiese Vorstellungen von „Normalität“ infrage stellen, setzen sie ein Zeichen für den Erhalt eines öko-sozialen Systems und geben Randgruppen eine Stimme.
Fazit: Homogenisiertes Verlegen ist das Gegenteil bibliodiversen Publizierens.

Diese Darstellung hatte nun doch wieder mein Interesse geweckt und ich war gespannt auf die Erläuterung des  Zusammenhangs zwischen dem Untertitel des Werks „Manifest für unabhängiges Publizieren“ und den folgenden Kapiteln.
Diese werden eingeleitet von einer sympathischen Biografie der Autorin, aus der der Ursprung ihrer Leidenschaft zum Agrarwesen ersichtlich wird und sich ebenfalls die metaphorische Nähe ihrer Beschreibungen der Biodiversität zur Bi(bli)odiversität erklärt.

Hawthorne vertritt die Ansicht, dass verschiedene Elemente zum Erhalt der Bibliodiversität bzw. gegen die vereinheitlichende Vorgehensweise der Großkonzerne beitragen könnten.
Als Basis konstatiert sie ein funktionierendes Ökosystem, das sie auf die Ebene der Gesellschaft stellt.
Wie das Ökosystem der Erde, in dem sich alle natürlichen Elemente bedingen und ohne einander nicht existieren können, so kann auch die Gesellschaftsstruktur – und im übertragenen Sinn die Verlage – nur funktionieren, wenn eine sich bedingende Vielfalt erhalten bleibt.

Im Folgenden erörtert sie jene Elemente ausführlich, die diesem Grundkonzept entgegenwirken: Gleichmacherei/Vereinnahmung, weibliche Unterdrückung, Diskriminierung (Rassismus), Aufbau von Monokulturen, vermeintliche Chancengleichheit  und (un-)freie Meinungsäußerung. Als potenzielle Gegenmaßnahmen fordert sie auf, sich für den Spracherhalt und die Förderung der literarischen Kultur starkzumachen, öko-soziale Diskriminierungen anzuerkennen, Monokulturen insgesamt abzulehnen und das ursprüngliche Basiskonzept der freien Meinungsäußerung zu verteidigen.

Nach dem Lesen des Klappentextes und des Vorwortes hatte ich mit einem fundierten, wissenschaftlich und objektiv ausgearbeiteten Manifest gerechnet. Stattdessen wurde ich überrascht durch eine emphatische Darstellung des Ist-Zustandes bibliodiversen Publizierens und seiner Ursachen.  Diese passionsvolle Überzeugungskraft überrollt den Leser zwar, doch am Ende scheiden sich trotzdem die Geister: Trete ich als VerlegerIn den Kampf gegen die Übermacht an und trage meinen Teil zum Erhalt der Bibliodiversität bei oder haben mich die ausführlichen Beschreibungen der Handelselemente meiner machtvollen Gegner endgültig eingeschüchtert?

Dieses Manifest regt zum Diskutieren an, stellt den Begriff der Normalität infrage und zwingt vor allem uns BücherFrauen, über unseren Platz in der Buchbranche nachzudenken und uns zu fragen, ob wir nur una mancha (spa. „ein Fleck“, aus: Don Quijote, S.1) im System hinterlassen wollen oder einen ganzen verdammten Teich. Für Revoluzzerinnen, solche, die es werden wollen und für alle BücherFrauen ein Muss.

In Klappentext und Vorwort könnt Ihr unter folgendem Link bereits reinschnuppern:

http://www.verbrecherverlag.de/files/Leseprobe%20Hawthorne_Bibliodiversit%C3%A4t.pdf

Ein Exemplar des Buches gewinnen – #bloggerschenkenlesefreude

Im Rahmen der Aktion Bloggerinnen schenken Lesefreude, an der wir uns mit unserem BücherFrauen-Blog beteiligen, habt ihr die Möglichkeit, dieses Buch zu gewinnen. Bitte kommentiert unter diesem Beitrag, warum gerade ihr Bibliodiversität gewinnen möchtet. Mit eurem Kommentar nehmt ihr dann an der Verlosung teil. Es kann bis zum 7. Mai kommentiert werden. Anschließend wird die Gewinnerin/der Gewinner ausgelost. Viel Glück!

 

Zur Autorin: Susan Hawthorne ist Dichterin, Autorin mehrerer preisgekrönter Bücher und Herausgeberin diverser Anthologien. Sie unterrichtet Schreiben an der James Cook University, Townsville. Mit Renate Klein betreibt sie seit 1991 den feministischen Verlag Spinifex Press in Melbourne. Bis 2014 war sie Sprecherin der englischsprachigen Sektion in der International Alliance of Independent Publishers, Paris. Ihr Buch »Bibliodiversität« ist in mehrere Sprachen übersetzt worden. Auf Deutsch erschien von ihr 1994 der Band »807 Fragen und Frauen« und im gleichen Jahr »Australien der Frauen«, herausgegeben gemeinsam mit Renate Klein.

 

Susan Hawthorne: Bibliodiversität. Manifest für unabhängiges Publizieren

Aus dem australischen Englisch übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Doris Hermanns

Verbrecher Verlag 2017

Paperback. 128 S.

ISBN: 9783957322388

Euro 15,00

 

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Autor: Jana Stahl

Jana Stahl ist freie Lektorin und Journalistin in Heidelberg. Parallel zur Textarbeit koordinierte sie von 2012 bis 2015 die Webaktivitäten der BücherFrauen, unter anderem auch in diesem Blog. Seit 2015 ist sie im Vorstand der BücherFrauen und seitdem inzwischen auch als #1teBFonTour unterwegs. Im Internet außerdem auch zu finden als Die Wortratgeberin.de. (Google+: Jana Stahl)

9 Kommentare

  1. Als studierte Försterin und Autorin bin ich natürlich besonders am Zusammenhang zwischen Biodiversität und Bibliodiversität interessiert. Ausserdem braucht die Buchbranche Frauen mit Engagement und Willenskraft und da zähle ich mich mal dazu.
    Danke für die spannenden Rezension. Ich bin tatsächlich gespannt!

  2. Seit Britta Jürgs Vortrag auf der JT in Berlin 2016 ein zu lesender Titel! Wenn mir das Losglpck ein Exemplar ins Buchregal zaubert, freu ich mich!

  3. Vielen Dank für die kritische Rezension, liebe Colette! Mich hat auch Britta Jürgs Impulsreferat in Berlin sehr neugierig auf das Buch gemacht – und die Auszüge, die ich bisher daraus gelesen habe, klingen sehr spannend! Da versuche ich gern mein Glück…

  4. Nachdem ich die Autorin Susan Hawthorne vor kurzem persönlich kennenlernen durfte und aufgrund der zahlreichen positiven Rezensionen ihres Manifests wäre es ganz wunderbar, das Buch nun auch zur eigenen Lektüre zu gewinnen.

  5. Danke für die Rezension und das daran erinnern, dass ich diesesmBuch schon lange lesen wollte. Warum? Als Bloggerin genieße ich das, was ich als Buchhändlerin vorher nicht konnte: Bestsellerlisten ignorieren. Mein Leserleben ist bunter und vielfältiger seit dem. Mit diesem Thema würde ich mich gerne mehr auseinandersetzen.

  6. Die Normalität von allen Seiten in Frage zu stellen ist ein mir innewohnendes Anliegen. Jede Facette an Hinterfragung ist immer eine Bereicherung. Ich würde mich über ein Exemplar sehr freuen 🙂

  7. Zugegeben. Ich hätte dieses Buch wohl nicht gekauft. Zum Einen, weil der Titel sich nicht nach “Liebe, Herz, Schmerz oder gar mittelalterlichen Inhalt anhört, ebenso wenig nach einem Buch, das ich mal “schnell verschlingen” will. Zum Anderen ich mir rein gar nichts unter “Bibliodiversität” vorstellen kann. Wieso sollte ich mich also nun dafür interessieren?
    Die Rezension machte mich neugierig.
    Ich lebe mit der Zeit. Zumindest versuche ich dies (ich habe ein Smartphone,ein Tablet…). Ich interessiere mich für Menschen und deren Kulturen, mische mich in Politik ein und gehe in der Folge auch gerne unbequeme Wege. Ich stolpere oft. Das Aufstehen macht häufig große Mühe, jedoch gerade diese Herausforderung ist es, die mich reizt. Jeden Tag aufs Neue.
    Das Buch sehe ich als neues Kapitel an-für mich. Neues Auzuprobieren, für Neues offen zu sein.
    Ich blicke mit Spannung auf dieses Buch, das sich hoffentlich bald zwischen meinen “netten” Büchern reihen möge.

  8. Ich möchte auch noch in den Lostopf; bin schon lange gespannt auf das Buch!

  9. Allen, die Kommentare hinterlassen haben, ganz herzlichen Dank für’s Mitmachen. Die Gewinnerin ist inzwischen ausgelost und benachrichtigt worden. Für alle anderen zum Trost: Das Buch gibt es auch im Buchhandel.

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