BücherFrauen

Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Familie von Thommy Weiss/pixelio.de

„Vorsicht Familie?“ – Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist machbar und wünschenswert

| 11 Kommentare

Schon bei meiner Mutter waren zwei der elementaren Aspekte des erwachsenen Lebens – die berufliche Entwicklung und die Familiengründung – zwei widerstreitende und dennoch zusammengehörende Aspekte ihres Lebensentwurfs. Sie hat in der Frauenbewegung und in antiautoritären Kinderladeninitiativen Ende der 1960er Jahre nach Antworten im ständigen Kampf um die Prioritäten rund um Familie und Beruf gesucht. An diesen Umständen hat sich nicht viel geändert; aktuell schreibt z. B. eine Mutter bei Edition F „Meine Kinder sind auch meine Schwachpunkte, sie könnten meine beruflichen Pläne jederzeit kippen.“ Noch immer haben Frauen – und inzwischen auch Männer – die eine berufliche Karriere verfolgen und den Wunsch haben, eine Familie zu gründen, mit den gleichen Fragen, Problemen und Widerständen zu tun.

Das Dilemma der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familien steht für viele Familien im Zentrum einer Entscheidung für bzw. gegen das eine oder das andere. Man sollte annehmen, dass nach jahrzehntelangem Gerede darüber, Lösungen parat sein sollten, die Müttern wie Vätern gleichermaßen die Möglichkeit bieten, ihren beruflichen Werdegang und ihre familiäre Planung gleichberechtigt zu verfolgen – mit gleichen Chancen für beide Geschlechter, für die Karriere und für die Kinder oder die zu pflegenden Familienangehörigen.

Es ist nicht nur die Politik gefordert, Bedingungen zu schaffen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern, noch ist es eine ausschließlich private Angelegenheit der Arbeitnehmerinnen, Lösungen zu finden. Dies liegt auch im Interesse und ist eine Aufgabe für Arbeitgeber und Unternehmen. Denn für viele Menschen ist die Möglichkeit, Familie und Arbeit miteinander zu verbinden, inzwischen ein wichtiges Kriterium bei der Arbeitsplatzwahl.

Das Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik weist in Studien nach, dass sich familienbewusste Personalpolitik positiv auf die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse von Unternehmen auswirkt. Sie beeinflusst nicht nur die Motivation der Beschäftigten positiv sondern führt auch zu geringeren Fehlzeiten und Krankheitsquoten. Familienfreundliche Strukturen in Unternehmen lohnen sich für alle. Für die Beschäftigten wird das Zusammenspiel ihrer beruflichen und privaten Lebenswelt wieder planbar, denn familienfreundliche Arbeitsbedingungen ermöglichen kalkulierbare Entwicklungsmöglichkeiten. Aber auch Unternehmen profitieren. Betriebliches Familienbewusstsein muss ein fester Bestandteil der strategischen Personal- und Unternehmenspolitik sein. Durch praktiziertes Familienbewusstsein sinken Kosten für die Überbrückung der Elternzeit und die Wiedereingliederung der Beschäftigten und es steigt die Zufriedenheit der Beschäftigten, was wiederum zu einer höheren Mitarbeiterbindung und Attraktivität für hochqualifizierte Jobsuchende, zu größere Produktivität und geringeren Krankenzeiten führt.

Familienfreundliche Arbeitsbedingungen in der Buchbranche

Logo: berufundfamilie der Hertie-Stiftung

Logo: berufundfamilie der Hertie-Stiftung

Ein Weg im Unternehmen eine Auseinandersetzung zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie fruchtbar zu führen sind Audit-Verfahren und Zertifizierungen, die betrieblichen Strukturen und Zielen Familienfreundlichkeit bescheinigen. Sie sind Ausdruck einer strategischen Entscheidung für eine zukunftsorientierte Personalplanung. Auf Vorschlag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels stellen die BücherFrauen in ihrem Whitepaper „Vorsicht Familie? die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist machbar und wünschenswert“ die Zertifizierung der Frankfurter Buchmesse Ausstellungs- und Messe GmbH beispielhaft als einen äußerst kommunikativen Prozess vor, der die Beschäftigten auf allen Ebenen einbezieht, in dem Mitarbeiter(innen)wünsche wie Unternehmensziele berücksichtigt werden und schließlich relativ schnell zu konkreten Ergebnissen führte. Die Zertifizierung durch die Hertie-Stiftung wird von externen, unabhängigen Experten begleitet, die die Zielformulierung, Planung und Entwicklungsschritte überprüfen. Unser Fallbeispiel zeigt, dass schon die Einführung von verlässlichen und grundsätzlichen familienfreundlichen Strukturen die Beschäftigten dadurch entlastet, dass ein Angebot für außerordentliche Betreuungsnotfälle von Kindern und ein Beratungsangebot bei Pflegefällen besteht. Darüber hinaus wurden Regelungen zu Arbeitszeiten und -orten (Gleitzeit, Home Office) sowie zur Arbeitsorganisation (besprechungsfreier Tag, Ampelkontenregelungen) getroffen, die viel Flexibilität in der individuellen Arbeitsgestaltung zulassen. Aber auch Aspekte wie Elternzeit bzw. die Wiedereingliederung nach der Elternzeit und die gesundheitliche Vorsorge waren und sind Themen der Zertifizierung der Frankfurter Buchmesse Ausstellungs- und Messe GmbH.

Frankfurter Buchmesse 2014

Besucher lesen in Messe-Wegweisern Bild: Frankfurter Buchmesse/Alexander Heimann.

Mit dem Whitepaper möchten wir die Diskussion über Arbeitsbedingungen in der Buchbranche vertiefen und Argumente dafür liefern, dass Familiengründung und Elternzeit keine Karrierebremsen für die Beschäftigten in der Branche sein müssen. Sicherlich wird mit der Zertifizierung der Buchmesse ein Unternehmen vorgestellt, das nicht unbedingt repräsentativ für die meisten Unternehmen in der Branche ist. Aber dennoch zeigt das Beispiel, dass es Lösungen geben kann, wenn man nur anfängt darüber nachzudenken und bereit ist, selbst Verantwortung dort zu übernehmen, wo die Politik noch zögert. Auch kleine Schritte sind Schritte, wenn sie nach vorne gerichtet sind. Uns geht es um Unternehmenskulturen und –werte, die sich nicht ausschließlich durch Betriebsergebnisse definieren lassen.

In diesem Blog soll ein Forum entstehen, in dem Fragen nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nach den Arbeitsbedingungen in der Buchbranche aber auch nach neuen Rollenmodellen diskutiert werden können. Beteiligen Sie sich, indem sie diesen und die folgenden Beiträge teilen, das Whitepaper verteilen und mit anderen darüber reden, hier Ihre Kommentare hinterlassen oder selbst einen Beitrag verfassen. Wir sind gespannt!

Zum Whitepaper “Vorsicht Familie?” der BücherFrauen (PDF)

Autor: Valeska Henze

Politikwissenschaftlerin & Übersetzerin mit den Arbeits- und Sprachschwerpunkten Nordeuropa und Ostseeregion. Autorin verschiedener politischer Analysen zu Schweden und Polen; außerdem Dozentin, Projekt- und Konferenzkoordinatorin sowie Webbeauftragte der Forschungsgruppe Nordeuropäische Politik und Vorsitzende der BücherFrauen (2011-2015): www.valeskahenze.de, www.for-n.de.

11 Kommentare

  1. “Mit der Einführung einer lebensphasenbewussten Personalführung leisten Unternehmen darüber hinaus auch einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag. Sie sind Vorbild für eine gendergerechte Gesellschaft, zeigen modellhaft, dass sich familienbewusste Unternehmenspolitik lohnt, und tragen ganz schnöde dazu bei, gesellschaftliche Kosten, die durch die ungleichen Karrierechancen von Frauen und Männern entstehen, zu senken.”
    Das ist einer meiner Lieblingsabsätze aus dem Whitepaper. Es ist mit 21 Seiten sehr umfangreich, weil Valeska toll verschiedene Aspekte und Chancen für alle Beteiligten erläutert. Aber es lohnt sich zu lesen!

  2. Pingback: Sessionsübersicht #bcrn15 - Barcamp Rhein-Neckar

  3. Pingback: Barcamp Rhein-Neckar 2015 oder: Wie ich mir einmal ein Barcamp vor die Haustür holte | Jana Stahl ­– Die Wort-Ratgeberin

  4. Ich bin jetzt erst dazu gekommen, das Whitepaper zu lesen – vielen Dank, Valeska, für diesen sehr informativen und beeindruckenden Bericht, der zeigt: Die Umsetzung familienfreundlicher Strukturen in Unternhemen ist machbar! Die Frankfurter Buchmesse Ausstellungs- und Messe GmbH geht hier mit gutem Beispiel voran. Was mir gut gefällt: der weit gefasste Familienbegriff , der sich nicht auf verwandtschaftliche Beziehungen beschränkt – und alle Lebensphasen einbezieht!
    Mich würden noch zwei Punkte interessieren:
    1) Wie klappt die Umsetzung der verschiedenen Maßnahmen in der Praxis? Gibt es dazu schon Rückmeldungen/Erfahrungsberichte von den MitarbeiterInnen?
    2) Was kostet die Einführung so eines Verfahren etwa (kurzfristige und langfristige Kosten)? Also für einen Betrieb mit ca. 100 MitarbeiterInnen? Und was für eine kleine Buchhandlung mit etwa 10 MitarbeiterInnen, die ein verkürztes Audit-Verfahren durchführen lassen wollen?

    • Liebe Gisa,
      am ersten Punkt Deiner Fragen arbeite ich und hoffe, bald einen weiteren Beitrag liefern zu können. Wer selbst Beispiele kennt, kann sich gerne bei mir melden. Ich bin sehr interessiert an Ideen, Modellen und Erfahrungenn zum Thema, auch aus anderen Branchen.
      Die berufundfamilie Service GmbH gibt ihre Preise auf der Website an: http://berufundfamilie.de/audit/preise.html. Wer sich über den genauen Inhalt des verkürzten Verfahrens informieren möchte, fragt am Besten direkt bei der berufundfamilie Service GmbH nach. Es gibt aber natürlich auch noch zahlreiche andere Zertifizierungsangebote. Ich glaube, wer sich für eine Zertifizierung interessiert, sollte sich auch die Angebote der anderen anschauen; möglicherweise passt ja ein anderes Verfahren viel besser zu einem Unternehmen. Ich habe einige Anbieter im Paper genannt, aber es gibt auch viele regionale und lokale Anbieter.
      Einen guten Einstieg ins Thema allgemein bietet die Website von “Erfolgsfaktor Familie” https://www.erfolgsfaktor-familie.de/, des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend.

    • Liebe Gisa,

      als Projektleiterin des Audits berufundfamilie bei der Frankfurter Buchmesse kann ich dir deine Fragen sehr gerne auf der Grundlage unserer Erfahrungen beantworten.
      Am einfachsten wäre das in einem Gespräch. Wollen wir uns treffen, oder magst du mich anrufen?

      Meine Erfahrungen und mein Wissen teile ich natürlich auch gerne mit anderen Interessentinnen.

      Herzliche Grüße
      Marita

  5. Eine Freundin von mir (selbst berufstätige Mutter) beschäftigt sich von einer anderen Seite mit dem gleichen Thema für ihre Masterarbeit. Dafür wertet sie eine von ihr selbst erstellte Umfrage zur Müttergesundheit aus.
    Wer mag kann 5 min investieren und an der Umfrage teilnehmen:

    http://www.soscisurvey.de/GesundheitberufstaetigerMuetter/

    ggf. muss der Link direkt ins Browserfenster kopiert werden.
    Wichtiges Thema, Danke!

  6. Pingback: Vorsicht Familie? – Über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie | Wir gestalten die Zukunft – Junge Verlagsmenschen

  7. Für viele Eltern ist es in der heutigen Zeit schon eine akrobatische Meisterleistung den Spagat zwischen Familie und Arbeit zu vollziehen aber es ist schwer zu verstehen wie man so was am besten leistet. Das Geheimnis dabei ist es einfach einen strikten Zeitplan zu erstellen um die Freizeit mit Familie und Freunden voll auszukosten und keine Minute dabei verschwenden.

    • Solch akrobatische Leistungen könnten aber von Unternehmen mit gezielten Hilfestellungen erleichtert werden. Es sollte eigentlich nicht alleine Sache des privaten Organisationsvermögens der Eltern sein, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, sondern genauso Aufgabe der Arbeitgeber sein, für Arbeitsbedingungen zu sorgen, die ihre Mitarbeiter von dem ständigen Spagat entlasten. Damit sie ausgeglichene Mitarbeiter*innen haben, die neben ihren beruflichen Aufgaben nicht auch ständig mit privaten Planungen und Pflegeleistungen beschäftigt sind.

  8. Pingback: Barcamp Rhein-Neckar: Alle Sessions und Themen bisher

Schreibe einen Kommentar zu Anne Antworten abbrechen

Pflichtfelder sind mit * markiert.