Nach einem großen Erfolg im letzten Jahr geht die Feministische Buchwoche in Serie und findet dieses Jahr vom 04.-12.Mai 2024 erneut statt. Mit der Buchwoche sollen Autorinnen sichtbarer gemacht werden, unser sechsköpfiges Organisationsteam, bestehend aus Doris Hermanns, Charlotte Fondraz, Britta Jürgs, Dr. Gerit Sonntag, Tarja Sohmer und Elena Mohr liefert dazu als Einstimmung entsprechende Literaturtipps. Teil I von II.
Buchtipp von Doris Hermanns:
Autorin, Übersetzerin, Redakteurin, BücherFrau aus Berlin und Mitglied der AG Feministische Buchwoche.
Sofi Oksanen – Putins Krieg gegen die Frauen
Aus dem Finnischen von Angela Plöger und Maximilian Murmann
Die finnische Autorin Sofi Oksanen ist bereits durch ihre Romane, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden, als herausragende Kennerin russischer und estnischer Geschichte bekannt. In diesem Essay beschäftigt sie sich jetzt nicht nur mit dem historischen Hintergrund Russlands und der Ukraine sondern auch der baltischen Staaten während der Besetzung durch die Sowjetunion. Sie macht deutlich, wie wenig wir die Geschichte der Sowjetunion und in Nachfolge Russlands als imperialistischen Staat mit all seiner Menschen- und Frauenfeindlichkeit bisher im Blick haben und uns an der einen, der offiziellen Geschichte, die dort erzählt wird und der jegliche historische Aufarbeitung fehlt, orientiert haben – weswegen der Überfall auf die Ukraine für die meisten so überraschend kam. Ausgehend von ihrer eigenen Familiengeschichte – ihre Mutter stammt aus Estland, ihr Vater ist Finne – beleuchtet sie, was der Größenwahn der UdSSR bzw. Russlands für andere Völker bedeutet hat. Dabei zeigt sie auf, wie sehr sexuelle Gewalt als akzeptabel gilt – sowohl in der Ukraine als auch in Russland, wo Frauenrechte abgebaut werden und wo Feministinnen inzwischen zu Terroristinnen erklärt werden, da sie „traditionelle Rollen“ in Frage stellen. Sehr detailliert macht sie deutlich, wie bereits lange vor dem Überfall Vorbereitungen getroffen wurden, beispielsweise sprachlich, indem Menschen anderer Völker ihr Menschsein abgesprochen und sie zu Tieren erklärt wurden. Eine großartige feministische Analyse, die nicht nur den Hintergrund es Ukraine-Kriegs erklärt, sondern auch die Brutalität Russlands inner- und außerhalb seiner Grenzen mehr als deutlich macht – in jeder Hinsicht.
Buchtipp von Charlotte Fondraz:
Charlotte Fondraz ist das Pseudonym der Autorin von feministischen Altertumsromanen. Vor der Schriftstellerei hat sie in Deutschland und in Frankreich Biologie und Anthropologie studiert und war als Offsetdruckerin, Paläopathologin und Übersetzerin tätig. Mitglied bei Amnesty International. https://www.charlotte-fondraz.com/
In der AG FemBuWo ist sie die Ansprechpartnerin.
Jutta Leskovar – Salzberggöttin
Mein Buchtipp zur Feministischen Buchwoche, „Salzberggöttin“ von Jutta Leskovar, spielt am Hallstattsee im heutigen Österreich vor 2600 Jahren. Der Ort ist bekannt durch sein Gräberfeld, das einer Periode der Eisenzeit (Hallstattzeit) den Namen gegeben hat. Mangels Schriftquellen sind Sozialstruktur, Religion und Wirtschaftsordnung der archäologischen Hallstattzeit nicht detailgenau rekonstruierbar. Doch vor allem für den Fundort Hallstatt spricht aus wissenschaftlicher Sicht wenig für eine strenge Hierarchie in der Gesellschaft oder für eine Männerherrschaft zulasten aller Frauen. Die Autorin Dr. Leskovar ist als Archäologin Fachfrau für die Rekonstruktion der Lebensumstände der damaligen Populationen. Mit dem Hintergrund ihres Romans bietet sie ganz bewusst eine Alternative zu den gängigen Interpretationen, die trotz mangelnder Grundlage noch immer sehr patriarchal ausgerichtet sind. Im Mittelpunkt von „Salzberggöttin“ stehen starke Frauen, die auch deshalb selbständig handeln können, weil sie in einer freien Gesellschaft agieren. Die Bergleute im Hochtal über dem See fördern auf technisch hohem Niveau Salz, doch sie verkaufen es nicht, sondern verteilen es. Die Tochter der Bergherrin ist mit ihrem von einer langen Reise heimkehrenden Bruder konfrontiert, der die Regeln der Göttin des Salzberges nicht mehr befolgen möchte. Dann geschieht auf dem Bergfest ein Unglück. Besonders beeindruckt hat mich bei diesem Roman die Ausarbeitung der Gesellschaftsordnung, die den Menschen und besonders auch den Frauen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht, insbesondere in Bezug auf ihren Körper und ihre Sexualität. Wie feministische Science Fiction zeigt auch dieser Roman, dass das Patriarchat keine naturgegebene Gesellschaftsordnung, sondern möglicherweise auf unsere geschichtlichen Epochen beschränkt ist. Wenn man sich für archäologische Funde interessiert, entdeckt man im Roman immer wieder Textstellen, die schön organisch eingebunden beschreiben, wie eine Fundsituation entstanden sein könnte (zum Beispiel ein Hortfund durch bei der Flucht zurückgelassene Habe oder die Ausstattung der Gräber). Die Story ist unterhaltsam und flüssig geschrieben und kommt glücklicherweise ohne hollywoodmäßiges Weltuntergangsszenario aus. Ich freue mich schon auf den zweiten Band „Salzbergerbin“, der voraussichtlich im Juli erscheinen wird.
Buchtipp von Britta Jürgs:
Verlegerin des AvivA Verlags, BücherFrau aus Berlin und Mitglied der AG Feministische Buchwoche.
Nicole Seifert – Einige Herren sagten etwas dazu.
Die Autorinnen der Gruppe 47.
Ich möchte das Buch „Einige Herren sagten etwas dazu“ von Nicole Seifert über die Autorinnen der Gruppe 47 empfehlen. Neugierig war ich auf dieses Buch nicht zuletzt deshalb, weil eine der von mir verlegten Autorinnen, Ruth Rehmann, darin vorkommt – mit ihr und Ingrid Bachér beginnt Seiferts Buch. Und mit der Tagung, die einige Herren als „Frauentagung“ bezeichneten, da weitaus mehr Autorinnen als sonst eingeladen waren: Auf die 40 anwesenden Männer kamen sage und schreibe vier Frauen. Ruth Rehmann las dort ein Kapitel aus ihrem ein Jahr später erschienenen Roman „Illusionen“. Natürlich habe ich mich sowieso sehr gefreut, dass und wie Nicole Seifert Ruth Rehmann und deren Roman „Illusionen“ würdigt. Aber auch darüber hinaus ist das Buch wirklich toll und wichtig. Als Literaturwissenschaftlerin und Verlegerin sogenannter „vergessener“ Autorinnen kenne ich mich zwar mit geschlechtsbedingten Abwertungen aus. Aber das Ausmaß derselben in der westdeutschen Nachkriegsliteratur und deren Überlieferung fand ich dennoch erschütternd. Das Großartige an „Einige Herren sagten etwas dazu“ ist, dass es trotz aller Wut über die blinden Flecken der Gruppe 47 – nicht nur den Autorinnen, sondern auch der deutschen Nazi-Vergangenheit gegenüber – Lust macht auf mehr: Mir hat es Lust gemacht, diejenigen Autorinnen zu entdecken, die ich bisher nicht oder kaum kannte, und andere mir bekannte wieder und neu zu lesen. Ilse Aichinger und Ingeborg Bachmann sind sicher allen ein Begriff. Aber wie sieht es aus mit Gisela Elsner, Barbara Frischmuth, Barbara König, Helga M. Novak oder Christa Reinig? Nicole Seiferts sehr gut lesbares Buch ist jedenfalls ein wunderbarer Ansporn zum Weiterlesen und eine Aufforderung, den Literaturkanon um spannende weibliche Stimmen zu erweitern.
10. April 2024 um 12:02
Das Buch von Sofie Oksanen habe ich gerade gelesen und überlegt, es vorzustellen. Auch ich habe feststellen können, wie wenig ich über die (historisch bedingte) Gedankenwelt der russischen Politik weiß und habe einiges gelernt, z.B. den Faschismusbegriff zu verstehen.
Streckenweise haben mich schlechte, ungenaue, z.T. auch m.E. nicht ganz korrekte Formulierungen gestört. Da das nicht im ganzen Buch so war, führe ich das darauf zurück, dass zwei Personen das Buch übersetzt haben.
Gut, dass Doris mir mit der Vorstellung zuvorgekommen ist … Vielen Dank!
10. April 2024 um 13:04
Vielen Dank, Adelheid! Ja, es gibt ein paar Stolperstellen, bei denen ich mich auch gefragt habe, woran das liegt. Aber das macht das Buch nicht weniger lesenswert, denn es beschreibt Vieles, das die heutige Weltlage erklärt; es geht ja nicht ausschließlich um Russland und die Ukraine.
10. April 2024 um 14:08
Liebe Frauen!
Wie wenig weiß manfrau über die eigene Gesellschaft? Die Vorgänge in Russland sollten uns warnen, insbesondere die Rolle einer Kirche, die nicht nach der christlichen Botschaft handelt und hierzulande
bewundert wird. Früher standen sich im Krieg die Schlachtreihen gegenüber, jetzt richtet sich der Krieg
gegen die Frauen und Kinder vor allem. Was ist mit dem hintergründigen Krieg gegen die Frauen?
Zur Darstellung von Kriminalität wird in den Nachrichten eine Frau verkleidet. Im “Kaukasischen Kreidekreis” darf ein Kind nicht zwei Mütter haben. Jetzt entscheidet das oberste Gericht, dass der
Beansprucher des Kindes aufgrund von Zeugung Recht bekommt gegenüber dem Mann, der das Kind
3 Jahre versorgt hat. So salomonisch ist man da.
12. April 2024 um 10:32
Zum Buch von Nicole Seifert.
Ein schöner Artikel bzw. auch tolle Fotos, die diese vergessenen Autorinnen greifbarer machen, kürzlich in der ZEIT erschienen, leider hinter dem Bezahlgitter: https://www.zeit.de/2024/10/gruppe-47-schriftsteller-frauen-literatur-geschichte
Beim Lesen schwant einer, wie eng der Sexismus der 50er und 60er Jahre in Deutschland noch in der Nazi-Ideologie verwurzelt war und wie wenig Aufarbeitung auch in vermeintlich fortschrittlichen Gruppierungen wie der Gruppe 47 tatsächlich stattgefunden hat.