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Berlin – Stadt der Frauen

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20 Biografien erzählen Geschichte. Die in der Ausstellung des Stadtmuseums Berlin vorgestellten Frauen warfen das Korsett gesellschaftlicher Zwänge ab und verfolgten ihre eigenen Wege zu Emanzipation und Bildung. Sie haben mit ihren Leben zugleich ein Stück Berliner (Emanzipations-)Geschichte geschrieben.

Korsett_452Die Ausstellung des Stadtmuseums Berlin eröffnet mit den 20 starken Berlinerinnen einen umfassenden Blick auf die Frauenbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts. Für Frauen war es wichtig, sich zu bilden, um sich so von dem gesellschaftlichen und politischen Zwang „der drei Ks“ aus Küche, Kindern und Kirche zu befreien. Eine größere Anzahl der vorgestellten Frauen waren Jüdinnen. Sie hatten einen doppelten Prozess der Emanzipation zu durchschreiten, als diskriminierte Frauen und als diskriminierte Jüdinnen. Noch heute streiten Frauen für die Lockerung und Entfernung einschnürender Korsette. Das Recht auf Arbeit, das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf Gleichberechtigung sind wesentliche Aspekte der Frauenbewegung heute.

1866, vor 150 Jahren im Modernisierungsumbruch Berlins hin zur Metropole, gründete Wilhelm Adolf Lette den „Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts“. Der Verein machte Ausbildungsangebote speziell für Frauen. Frauen hatten lange Zeit kein Recht, weiterführende Schulen zu besuchen oder ein Abitur abzulegen. Erst 1908 erfolgte in Preußen die Zulassung von Frauen an die Universitäten. Daher war ein gut qualifizierendes Bildungsangebot, das Frauen die Möglichkeit einräumte, ihr eigenes Geld zu verdienen, ein wichtiger Schritt der Emanzipation. Lange war es nicht selbstverständlich, dass Frauen einer Erwerbsarbeit nachgingen oder in der Politik tätig waren. Anna Schepeler-Lette (1829–1897), die Tochter von Wilhelm Adolf Lette, ebnete den Weg dorthin. Die Politikerin, Frauenrechtlerin und Schulgründerin kann als Rollenmodell für viele andere Frauen gelten. Nach dem Tod ihres Vaters 1872 benannte sie den Verein um. Er hieß nun „Lette-Verein“.

Diesen Berlinerinnen gelang es die „gläserne Decke“ zu durchbrechen

Mit mehr als 400 Exponaten, einschließlich vieler persönlicher Erinnerungsstücke, zeichnet die Ausstellung die Lebenswege der 20 Frauen nach. Viele standen den Leitgedanken Lettes nahe. Ihre Porträts in der Ausstellung sind besonders gelungen. Die zum Leben erweckte Büste von Anna Schepeler-Lette stellt den Besucherinnen ihren Werdegang persönlich vor.

Emilie Winkelmann (1875–1951), die erste Architektin Deutschlands. 1907 nimmt sie an dem großen Wettbewerb für den Theaterbau „Prachtsäle-Alt-Berlin“ teil und gewinnt diesen. Die Folge sind zahlreiche private Aufträge und die Errichtung des progressiven Studentenwohnheimes für Frauen „Victoria-Studienhaus“ (heute „Ottilie-von-Hansemann-Haus“) in der heutigen Otto-Suhr-Allee.

Fritzi Massary (1882–1969) ist ein Revue-Star am Theaterhimmel von Berlin, bis die antisemitische Propaganda sie 1932 aus Berlin vertreibt. Vertrieben wurden einige unserer beeindruckenden Frauen – so auch die Fotografin Gisèle Freund, die über London und Paris nach Südamerika floh.

Renée Sintenis (1888–1965) wurde 1934 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus der Akademie der Künste ausgeschlossen; dennoch konnte sie in der Reichskulturkammer bleiben, auch wenn Werke von ihr von den Nationalsozialisten aus öffentlichen Sammlungen entfernt wurden. Bis zur Zwangsauflösung des Deutschen Künstlerbundes 1936 blieb Renée Sintenis Mitglied im DKB.

Coruagiert & feminin

Dora Lux 4_452Das Porträt von Dora Lux (1882–1959) stellt einen Beitrag über akademische Frauenbildung, über Widerständigkeit gegen das NS-Regime und über Nachkriegspädagogik da. Die Ausstellung zeigt wenige Bilder dieser resoluten Frau. Das Schwarz-Weiß-Bild zeigt sie in einem Klassenraum zwischen 1953 und 1955 in Heidelberg an der Elisabeth-von-Thadden-Schule. Dort war sie Geschichtslehrerin. Als Jüdin hatte sie den Nationalsozialismus überlebt. Dora Lux wuchs in einer Familie jüdischer Abstammung auf, die zum Protestantismus übergetreten war. Sie war 1901 eine der ersten 50 Abiturientinnen in Deutschland. Sie studierte in München, wo Frauen schon an der Universität zugelassen waren. 1906 promovierte sie in Altphilologie und wurde 1909 eine der ersten Gymnasiallehrerinnen Deutschlands. 1915 heiratete sie den zwanzig Jahre älteren Heinrich Lux, der zwei Töchter in die Ehe mitbrachte. Sie verband Berufstätigkeit und Familie. 1933 wurde Dora Lux aus dem Schuldienst entlassen. In dieser Zeit schrieb sie Beiträge für die Zeitschrift „Ethische Kultur“, in denen sie sich für Pressefreiheit und andere Grundrechte einsetzte. 1935 meldete sich Dora Lux nicht zur Registrierung bei der polizeilichen Meldebehörde und entging so der Deportation. Sie schreibt: „Einen Staat, der sie kraft seiner Rassengesetze zur Jüdin machte, erklärte mit dem Ziel, sie in der Gesellschaft auszustoßen, wollte sie sich nicht selber ausliefern. Deshalb akzeptierte sie die Definition Jüdin, die ihr von den Machthabern zugeschrieben werden sollte, nicht.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt sie erstmals eine befristete Stelle, durch Vermittlung von Karl Jaspers, an der Heidelberger Universität. Ab 1947 unterrichtete sie an der Elisabeth-von-Thadden-Schule im Heidelberger Stadtteil Wieblingen. Beeindruckend ist die Menschlichkeit und Zivilcourage Dora Lux’, trotz eigener Gefährdung half sie anderen Juden.

Marie von Bunsen (1860–1941) war eine unangepasste, vollständig emanzipierte Malerin, Schriftstellerin, Salondame und Netzwerkerin. Seit der Jahrhundertwende empfing die Salonnière in ihrer Wohnung im Tiergartenviertel Gäste der Berliner Gesellschaft zu ihren „Sonntagsfrühstücken“.  Marie von Bunsen gründete den „Deutschen Lyceumklub“ in Berlin. das „who’s who“ der Jahrhundertwende traf sich hier. Vertreterinnen des Adels, der Finanzaristokratie wie Künstlerinnen und Frauenrechtlerinnen fanden sich ein. Hedwig Dohm, Helene Lange, Lou Andreas Salome, Richarda Huch, Julie Wolfthorn, Cornelie Richter, Ellen von Siemens oder Frau Geheimrat Arnold verkehrten hier.

Texte und Audioguides auf Deutsch und Englisch erzählen die Geschichten hinter den in Berlin verwurzelten oder mit Berlin verwobenen Biografien und somit auch die Geschichte der Stadt. Medienstationen vermitteln einen unmittelbaren Zugang. Szenische Darstellungen lassen Lebensstationen lebendig werden.

Die vorgestellten Frauen sind Rollenbilder, manches Mal auch Vorbilder für Frauen heute. Die Kuratorin Martina Weinland erzählt bei der Eröffnung der Ausstellung, wie schwierig es war, nur 20 Frauen auszuwählen, die stellvertretend für die letzten 150 Jahre Berlin-Geschichte stehen. Um eine stärkere Übersichtlichkeit zu erreichen, gruppierte frau die Porträts um vier Themen herum: die Politik, die Unternehmen, die Kreativität und Innovationen. Diese Aufteilung nach Themen begleitet auch jedes Ausstellungsstück als kleines Korsett-Piktogramm. Kurze Erläuterungen verdeutlichen den BesucherInnen die auf wesentliche Auseinandersetzungen um Restriktionen, die in den verschiedenen Zeitepochen für Frauen existierten.

20 außergewöhnliche Biografien

Unter den politischen Frauen finden sich: Katharina Heinroth, Zoologin und Direktorin des Berliner Zoos | Anni Mittelstädt, Vorsitzende des Klubs der Berliner Trümmerfrauen | Cornelie Richter, Salonnière | Louise Schroeder, Politikerin und Berliner Oberbürgermeisterin | Emilie Winkelmann, Architektin.

Unter den unternehmerischen Frauen findet frau: Elly Beinhorn, Fliegerin und Buchautorin |Marie von Bunsen, Schriftstellerin | Hedwig Dohm, Schriftstellerin und Frauenrechtlerin | Fritzi Massary, Sängerin und Schauspielerin | Anna Schepeler-Lette, Frauenrechtlerin und erste Leiterin des „Lette-Vereins“.

Die ausgestellten Kreativen-Porträts zeigen: Charlotte Berend-Corinth, Malerin, Muse und Modell | Eva Kemlein, Fotografin und Fotojournalistin | Käthe Kollwitz, Grafikerin, Malerin und Bildhauerin | Jeanne Mammen, Malerin und Zeichnerin | Renée Sintenis, Bildhauerin und Grafikerin.

Als Frauen mit bedeutenden innovativen Lebensgeschichten zeigt die Ausstellung: Gisèle Freund, Fotografin und Fotohistorikerin | Marie Kundt, Fotografin | Dora Lux, Pädagogin | Clara von Simson, Naturwissenschaftlerin | Mary Wigman, Tänzerin und Choreografin.

Die Ausstellung zeigt auf, dass Emanzipation für Frauen mehr bedeutet als gleiche Rechte. Die frühen Vorkämpferinnen sind wichtig für unser Selbstbewusstsein. Die Ausstellung stellt die historische Perspektive der Frauen und ihren Umgang mit ihren Herausforderungen vor. Spannende erhellende Schlaglichter.

Welche Frauenvorbilder haben euch geprägt?

Autor: Yvonne de Andrés

Yvonne de Andrés ist freiberufliche Senior Consultant in einer Unternehmensberatung. Sie ist eine der zwei Pressefrauen der Berliner BücherFrauen.

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