Naturwissenschaftliche Märchen – auch wenn es diesen Begriff nicht gibt, hier stimmt er genau. Die Erzählungen von Pippa Goldschmidt sind fast alle im Bereich der Naturwissenschaften angesiedelt, handeln von knallharten mathematischen Fakten und sind zugleich gesättigt von Märchenmotiven, vor allem Schneewittchen tritt in allerlei Verkleidungen immer wieder auf.
Der geniale Informatiker Alan Turing, dem wir hier in der schrecklichsten Zeit seines Lebens begegnen – 1952 wurde der homosexuelle Wissenschaftler zu chemischer Kastration verurteilt –, hat zum Beispiel einen Schneewittchen-Plattenspieler (den es wirklich gab), dessen gläserner Deckel ihn an Schneewittchens Sarg erinnert. Der spätere Atomphysiker Robert Oppenheimer versucht, seinen Doktorvater mit einer vergifteten Apfelhälfte zu ermorden (und einige Biografen behaupten, Turing habe mit einem vergifteten Apfel Selbstmord begangen). In Pippa Goldschmidts Erzählungen begegnen uns frühe Informatikerinnen, Frauen, die am Observatorium von Edinburgh Sternbahnen beschreiben und dann einen von Suffragetten verübten Bombenanschlag auf ihren Arbeitsplatz erleben, oder eine Astronomin, die, verärgert darüber, dass der Ruhm für ihre Entdeckung ihren Chefs zufällt, vor laufender Kamera erklärt, sich leider ein bisschen verrechnet zu haben, der auf die Erde zueilende Komet werde diese wohl doch mit voller Wucht treffen.
Es geht aber nicht nur naturwissenschaftlich zu, wir erleben Bertolt Brecht und Charles Laughton bei der Arbeit am Leben des Galilei und Brecht dann allein vor dem McCarthy-Tribunal, und wir erfahren von Brechts Bewunderung für Laughtons Ehefrau, die grandiose Schauspielerin Elsa Lanchester. Gleich mehrmals steigt jemand in einen Fahrstuhl ein und nennt eine Zahl, der sich nicht so einfach ein Stockwerk zuordnen lässt – doch wo hält ein Fahrstuhl, dem „Pi“ als Ziel genannt wird, und wo, wenn der Fahrstuhlführer in Wirklichkeit ein seit Jahrzehnten verstorbenes Baby ist?
In einer Geschichte scheinen zwei Sonnen am Himmel zu stehen – bei Jack London waren es drei, aber auch er hat in diesem Buch seine Spuren hinterlassen: Eine Geschichte, die im ewigen Eis spielt, hätte auch aus seiner Feder stammen können, wenn er heute lebte und heutige Technologie erwähnte – und das ist ein hohes Lob. Wir finden noch andere Einflüsse, klassische Science-Fiction ebenso wie Steampunk und natürlich Grimms Märchen, nicht nur durch das allgegenwärtige Schneewittchen-Motiv.
Wir treffen weitere historische Persönlichkeiten, aber auch überaus interessante ausgedachte, wie die Studentin, die ihren Professor in dessen Arbeitszimmer in der Universität verführt, schließlich soll sie ihm ein selbst erdachtes Experiment vorschlagen. Die Studentin, der ihre Experimente nicht so gut bekommen, wie es wünschenswert gewesen wäre – ein Schicksal, das sie mit vielen der hier vorgestellten wissenschaftlich arbeitenden Personen teilt, ob die nun historisch nachweisbar sind oder nicht –, tritt in der ersten Geschichte auf, „Einführung in die Relativitätstheorie“, und diese Geschichte ist so komisch und zugleich knapp und lakonisch formuliert, dass die Leserin sofort gefesselt ist und das Buch nicht mehr aus der Hand legen mag.
Unvergesslich ist am Ende die Frau, die ihrem Mann Gerichte aus den Tieren vorsetzt, über die er gerade forscht, und seien es Mäuse oder Fliegen. Und die Frau des Flohzirkusdirektors, dessen gesamte Menagerie im Fell einer Maus Platz hat – doch die Gattin nimmt sich einen Liebhaber, einen Falkner, der ihr ein viel angenehmeres Leben bieten kann, „weil man mit der Falknerei mehr Geld verdient als mit einem Flohzirkus“. Nicht alle Geschichten finden ein so gutes Ende, aber alle sind gleichermaßen spannend und unvergesslich.
Zur Autorin:
Pippa Goldschmidt wuchs in London auf und lebt heute in Edinburgh. Sie ist Absolventin des renommierten Masters-Kurses der University of Glasgow in Creative Writing. Die promovierte Astrophysikerin arbeitete mehrere Jahre als Astronomin am Imperial College, anschließend im öffentlichen Dienst, u. a. in der Weltraumbehörde.
2012 gewann sie den angesehenen Scottish Book Trust/Creative Scotland New Writers Award. Von 2008 bis 2012 war sie Writer-in-residence am ESRC Genomics Policy and Research Forum der University of Edinburgh. Ihr erster Roman The Falling Sky erreichte den zweiten Platz beim Dundee International Book Prize.
Ein Exemplar dieses Buches gewinnen – Bloggerinnen schenken Lesefreude
Im Rahmen der Aktion Bloggerinnen schenken Lesefreude habt ihr die Möglichkeit, dieses Buch zu gewinnen. Bitte kommentiert unter diesem Beitrag, warum gerade ihr Von der Notwendigkeit, den Weltraum zu ordnen gewinnen möchtet. Mit eurem Kommentar nehmt ihr dann an der Verlosung teil. Es kann bis zum 4. Mai kommentiert werden. Anschließend wird die Gewinnerin/der Gewinner ausgelost. Viel Glück!
Pippa Goldschmidt: Von der Notwendigkeit, den Weltraum zu ordnen
Storys
Aus dem Englischen übersetzt von Zoë Beck
Culturbooks 2018
Hardcover, 223 Seiten
ISBN 978-3-95988-098-5
Euro 20,-
23. April 2018 um 10:08
Das wäre toll, wenn ich das Buch für Clärchen gewinnen würde. Ein an allen Zahlen und Nummern interessiertes 8jähriges Mädchen.
23. April 2018 um 17:23
Vielen lieben Dank für diese äußerst neugierig machende Rezension. Das Buch möchte ich unbedingt gewinnen, weil ich es schon immer interessant und lustig fand, dass es auf Webseiten Krümelpfade gibt (Hänsel und Gretel) und der alte Dänenkönig Harald Blauzahn der Namensgeber für die Bluetooth-Technik ist.
23. April 2018 um 20:16
Abgedreht, völlig abgedreht!
Damit das jetzt schon mal klar ist:
Ich räume im Weltraum nicht auf!
Das Buch möchte ich dennoch lesen!
LG Tina
24. April 2018 um 00:59
Ich habe schon viel Gutes über dieses Buch gehört und würde es wahnsinnig gern lesen, umso mehr, da ich die Lesung letztens leider verpasst habe. Vielleicht ist mir die Glücksfee ja hold …
Liebe Grüße
Kerstin
24. April 2018 um 09:29
Die beschriebene Mischung an Geschichten von Pippa Goldschmidt würde ich mir gerne antun. Scheint ein lupenreines Lesevergnügen zu werden!
24. April 2018 um 10:20
Vielen Dank, das klingt sehr spannend. Ich möchte das Buch gewinnen, weil mir beim Lesen der Rezension spontan gleich mehrere Menschen eingefallen sind, denen ich damit vermutlich eine Freude machen kann, nachdem ich es selbst gelesen habe.
24. April 2018 um 10:54
ich habe die Geschichten schon auf englisch gelesen und will jetzt wissen, ob sie auf deutsch genausogut sind!
24. April 2018 um 11:35
Ich bin ein Fan von SiFi sowie von Zoë Beck und von Culturbooks, deswegen würde ich dieses Buch gern gewinnen. 🙂
25. April 2018 um 10:09
Den Weltraum ordnen und dann mit einer pinken Zuckerwatte abheben…
26. April 2018 um 10:04
Tolles Buch! Habe es gelesen und würde es, im Falle eines Gewinns, an eine tolle Frau weiterverschenken.
28. April 2018 um 09:40
Das Buch klingt faszinierend und spannend.
Vor allem interessiert mich, wie Schneewittchen im Weltraum klarkommt und wer die aufgeräumten sieben Zwerge sind
😉
28. April 2018 um 12:52
Wissenschaft und Märchen werden verwoben in spannende Geschichten? Ich bin überaus neugierig geworden! 🙂