Liebste Bibliophilin, teure Freundin,
da Du ja immer alles ganz genau wissen willst, hier meine Eindrücke vom Buchkunst-Jubiläum in Hamburg. Das hast Du nun von Deiner Fragerei!
[dropcap]Z[/dropcap]um zehnten Mal hat das Museum der Arbeit an diesem Januar-Wochenende seine Tore geöffnet und herein spazierten – wir alle haben gejubelt, denn es war ein neuer Rekord für uns – über 2.400 Besucher. Ist das nicht großartig?!
Den ganzen Freitag über hatten 50 Buchkünstlerinnen und -künstler die Stände bezogen und ihre Pretiosen liebevollst ausgebreitet: Handpressendrucke, Mappenwerke, Künstlerbücher, Buchobjekte, Einblattdrucke.
[dropcap]A[/dropcap]ls Museumsdirektorin Rita Müller dann am Abend Aussteller wie geladene Gäste begrüßte, herrschte eine verheißungsvolle Aufgeregtheit. Wie beim Auftakt eines Klassentreffens. Mit überzeugender Verve lobte Ernst Fischer, seines Zeichens Buchwissenschaftler aus Wien, das Spiel mit Form, Farbe und Material. Und in dem einen Punkt hatte er vollkommen recht, finde ich, als er sagte, dass in den Feuilletons noch nie so viel über den Wert des Buches geschrieben und debattiert wurde wie während unserer hübschen digitalen Revolution.
Es ist zu schade, dass Du die Bartkowiaks nicht kennst. Ohne sie gäbe es diese Messe nämlich gar nicht. 1988 haben Stefan Bartkowiak und seine Familie das Forum Book Art gegründet. Um der zeitgenössischen Buchkunst mehr Öffentlichkeit zu verschaffen, sind sie jahrelang auf Tour gewesen und haben Ausstellungen über Ausstellungen organisiert. Wie sie dabei noch ihre Tochter großgezogen haben, sei ihr heute schleierhaft, hat Wibke, Stefans Frau und darüber hinaus Kopf, Geist und Seele der Hamburger Buchkunst-Szene, mir neulich lachend gestanden. Na ja, als 1997 das Museum der Arbeit eröffnet wurde, war jedenfalls der ideale Rahmen gefunden. Seit 2013 findet die Messe aufgrund des großen Zuspruchs jährlich statt. Mehr als 200 Künstlerinnen und Künstler aus England, Frankreich, Holland, Irland, Italien, Österreich, Polen, Russland, Schweiz, Spanien und den USA haben im Lauf der Zeit hier ausgestellt.
Über 2.400 Besucher also dieses Mal. Dabei ist es berührend zu beobachten, wie die meisten von ihnen zögerlich eintreten, erst scheu von Stand zu Stand gehen, näher treten, um kurz darauf ausgiebig und angeregt mit den Ausstellern zu schwatzen. Oder einfach dazustehen und tief versunken in den Werken zu blättern. Natürlich mit Handschuhen, da gelten hier bucheiserne Regeln. Zu sehen, wie sie über die Einbände streichen, an den Seiten riechen, oder – am allerschönsten – wie sie offenkundig mit sich ringen, ob sie sich einen Kauf gestatten sollen.
[dropcap]M[/dropcap]eine Wenigkeit hatte wohlweislich nur ein paar Piepen eingesteckt, denn die Versuchung ist immer allzu groß. Zugestanden habe ich mir aber ein schmales Bändchen mit Kindheitserinnerungen von Peggy Parnass mit Farbholzschnitten der brasilianischen Künstlerin Tita do Rêgo Silva. Allerdings in der Offsetdruck-Variante. Die limitierte großformatige Ausgabe mit den Original-Holzschnitten ist 2012 erschienen. Immer wieder bin ich um sie herumgeschlichen und hätte sie beinah gekauft – doch dann war sie ratzfatz vergriffen. Und so habe ich mit diesem kleinen Bändchen auch eine Portion Bedauern miterworben, eine leise Reue, etwas nicht rechtzeitig genug getan zu haben. Verstehst Du, was ich meine? In einer Welt, in der alles immer verfügbar, weil nur einen Klick entfernt ist, lehren uns diese Werke etwas von der Faszination des Nicht-Erreichbaren. Gerade in ihrer Limitierung liegt eben ihre Kostbarkeit.
Wer seinen mitgebrachten kleinen Menschen zeigen wollte, wie das Buch in den Anfängen gedruckt oder wie Papier geschöpft wurde, der konnte das an den historischen Setz- und Buchdruckmaschinen der Museumswerkstatt tun. Oder mit Meister Follmer in die Bütte gucken, einem Papiermacher in fünfter Generation, der eine Papiermühle in Franken betreibt. An den Vitrinen mit der Ausstellung zu Pop-up-Büchern und Papierschnitten haben sich dann nicht nur die Kleinen ihre Nasen plattgedrückt. Gerade viele ältere Menschen haben Bücher entdeckt, die sie aus ihrer Kindheit kannten.
[dropcap]B[/dropcap]uchkünstler sind schon eine ganz eigene Spezies, weißt Du. Wunderbare und schrecklich nette Individualisten, die manchmal jahrelang an einem Werk herumtüfteln. Merkantile Überlegungen sind den meisten vollkommen fremd, aber genau das macht sie so liebenswert. Welchen Preis soll man auch für ein Werk wie Ingrid Schades Gestaltung von Voltaires „Candide“ berechnen, das ich im vergangenen Jahr gesehen habe und in dem sie den Text auf 120 Seiten mit einer eigens entworfenen Schrift per Hand geschrieben und auf jeder Seite mit einer Federzeichnung illustriert hat??! Drei Exemplare gibt es davon, zwei in weißes Leder gebunden mit knallrotem Vorsatzpapier. Bei solchen Werken geht es vor allem darum, in öffentliche Sammlungen aufgenommen zu werden.
Ich selbst war nicht dabei, kenne aber herrliche Geschichten von Künstlern, die einem Kunden, wenn er ihnen nicht gefiel, ein Buch gar nicht verkauft oder es ihm umgekehrt viel günstiger überlassen haben, wenn sie glaubten, dass es bei ihm gut aufgehoben sei. Hast Du einmal etwas erworben, dann bist Du in ihrer Kartei, wirst gehegt und gepflegt und bekommst von vielen eine Jahresgabe zugesandt. Wünsch Dir das mal bei Thalia! Viele von ihnen sind Gestalter, Illustrator, Schriftsetzer, manchmal auch noch Buchbinder, Verleger und Buchhändler in einer Person. Unglaublich, nicht?! Und zumindest auf den Messen sind es quietschfidele und äußerst gesellige Zeitgenossen. Vielleicht kein Wunder, wenn man große Teile des Jahres allein in seinem Atelier vor sich hin werkelt.
[dropcap]W[/dropcap]enn Du wieder mal in Hamburg bist, große Freundin, dann musst Du unbedingt zu einem der Buchdruckkunst-Vereinstreffen mitkommen. Hinter der sachlichen Bezeichnung Info-Abende verbergen sich nämlich unglaublich schöne Stunden in einer alten Jugendstilvilla an der Alster. Jedes Mal wird ein Buchkünstler, Kalligraf, Schriftgestalter oder was auch immer eingeladen, um seine Arbeiten vorzustellen. Unter fröhlichem Gelächter, bei Wein und Verpflegung wird dann neugierig den Erläuterungen gelauscht und alles genauestens begutachtet. Gegen Ende des Abends kann es passieren, dass Dich eine Hundenase ganz sacht unterm Tisch anstupst, wenn es nämlich Vereinshündin Jazz zu langweilig geworden ist und sie gekrault werden möchte. Es ist die über Jahre gewachsene Gemeinschaft, die diesen Verein ausmacht. Und auch wenn die meisten Mitglieder nicht mehr die Jüngsten sind, haben sie weitaus mehr Pepp als diverse Youngster, die wir beide so kennen.
Liebste Bibliophilin, was liest Du gerade? Und woran schreibst Du? Komm bald wieder, ja, nicht erst im Sommer?! Obwohl wir uns dann mal wieder lustig am Elbstrand betrinken könnten. In jedem Fall auf bald!
Für heute grüßt Dich herzlich
Deine Assia
22. Januar 2015 um 15:40
Liebe Assia,
wann findet denn der nächste Info-Abend an der Alster statt? Aus der Website des Vereins ist der Termin leider nicht zu entnehmen.
Herzlichst
Evy
P.S.: Ich habe einstmals Wibke für die BücherFrauen begeistert, als Bartkowiaks forum book art in Lüneburg eine Ausstellung im Heinrich-Heine-Haus hatte.
22. Januar 2015 um 17:43
Liebe Evy,
auf der Website stehen noch keine neuen Termine, da ein paar noch offen sind. Sobald ich Näheres weiß, gebe ich Dir Bescheid.
Herzlich
A.
22. Januar 2015 um 18:27
Prima, danke 🙂
22. Januar 2015 um 16:20
…. scheint fast, an den BücherFrauen kommt keine vorbei ;-)). Danke Evy, für die Ergänzung. Ich erinnerte mich nämlich auch heute morgen beim Lesen des Artikels, dass ich Wibke bei Jahrestagungen in Hamburg auf alle Fälle schon getroffen habe.
23. Januar 2015 um 09:43
Wie wunderbar, dass wir in unserem Netzwerk wirklich an jeder Ecke der Branche eine Mitfrau haben, die auch noch bereit ist, über ihr spezielles Tätigkeitsfeld so anschaulich zu berichten. Man bekommt beim Lesen große Lust, die nächste Buchkunst-Ausstellung zu besuchen. Vielen Dank für diesen schönen „Brief“, liebe Astrid.
23. Januar 2015 um 17:55
Sehr gern, liebe Eva!