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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Buchhandel in Bewegung – Kleine Berliner Sortimente und der Shift ins Internet (Teil 1)

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Vor einem Jahr schrieb ich für das Bücherfrauen-Magazin einen Artikel über unabhängige Berliner Buchhandlungen. Die Buchhandelsstrukturen veränderten sich schon zusehends, doch die Situation in der Branche ließ sich angesichts kurzfristig steigender Umsätze im Sortimentsbuchhandel noch einigermaßen neutral darstellen. Die Branchenlage verändert sich jedoch immer rapider: Unabhängige kleine Buchhandlungen müssen umdenken, wenn sie überleben wollen. In meinem Beitrag in zwei Teilen beschreibe ich den Stand der Dinge und porträtiere sechs Indie-Buchhandlungen mit Potential, die trotz der schwierigen Marktsituation bestehen und selbstreflexiv in die Zukunft starten.

Die Digitalisierung schreitet voran

Das Print-Geschäft verlagert sich zunehmend ins Digitale. Die Produktion von E-Books weitet sich aus, kleine E-Book-Verlage sprießen in der Buchhandelslandschaft – nicht als Mauerblümchen, sondern als bunte Akzente und Zeichen der Zeit in einer sich wandelnden Branche. Zudem werden AutorInnen immer selbstbestimmter und entdecken immer mehr die Möglichkeiten des Selfpublishing für sich. Es entsteht Literatur, die nur noch digital vertrieben wird. Der Markt könnte sich öffnen und neue, digital affine Zielgruppen erschließen. Vor allem aber verkrümelt sich ein immer größerer Anteil des „Buchkuchens“ in Ecken, die dem stationären Buchhandel gar nicht mehr zugänglich sind: Verlage vertreiben ihre Produkte vermehrt direkt und unvermittelt übers Internet …

… und trotzdem: Buchhandlung Anakoluth (Prenzlauer Berg)

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Christiane Hahn
©Ursula Weisgerber

Christiane Hahn. Die Achtsame mit puristischem Geschmack. Offen und neugierig auf die Leser zuzugehen, bei der Auswahl der Bücher individuell und klar zu sein – das scheint Christiane Hahn, Inhaberin der Buchhandlung Anakoluth, wichtig. Sie sucht den echten Austausch mit ihrer Kundschaft. Bei ihr gibt es keine „Empfehlungsalgorithmen, sondern wahrhafte Kommunikation“. Täglich schlüpft sie in „verschiedenste soziale und kulturpolitische Rollen“, versucht aber trotzdem, immer „bei sich zu bleiben“. Nachhaltigkeit ist für sie von größter Bedeutung und buy local eine Initiative zu achtsamerem und bewussterem Konsumieren. Dies sei für die meisten ihrer Kunden und Kundinnen ohnehin identitätsbildend. Bei ihr ist jeden Tag Indiebookday: In wenigen anderen Buchhandlungen der Stadt findet man eine so reiche Anzahl von Titeln aus kleinen unabhängigen Verlagen. Ihr Publikum schätzt und erwartet in ihrem Sortiment das besonders ausgestattete Buch. Durch die neu entfachte Diskussion ums Lesen, das „wann, wo, wie, womit“, wie sie es nennt, würden möglicherweise wieder mehr Menschen auf das Medium aufmerksam, Schönes suchen und entdecken. Die studierte Kunstpädagogin liebt das Minimalistische und setzt das Buch entsprechend in Szene: „Präsentation pur“ ist ihr Credo.

Buchhandlung Anakoluth

Buchhandlung Anakoluth
©Ursula Weisgerber

Verändertes Leseverhalten und Werbekampagnen

Außerdem ändert sich das LeserInnenverhalten: Mit einem immer mehr ins Netz verlagerten Leben nimmt auch das Kaufen und Konsumieren von Inhalten dort zu. Vieles kann im Internet im Übrigen kostenlos oder für ein geringes Entgelt gelesen werden. Gemeinfreie Klassiker sind problemlos herunterzuladen, die Preise von E-Books werden sinken und das Schmökern in Blogs, online frei zugänglichen Zeitungsartikeln, auf Websites etc. dürfte die Leselust auch „klassisch sozialisierter“ LeserInnen zu einem großen Teil befriedigen, sodass der Bedarf an „analoger Literatur“ dadurch abnehmen könnte. Zwar haben es unabhängige Social-Reading-Plattformen noch schwer – Readmill wird in wenigen Monaten leider ihre Existenz einstellen und Sobooks muss sich erst noch „beweisen“; doch konzerngesteuerte Plattformen wie Goodreads (Amazon) oder Lovelybooks (Holtzbrinck) florieren, und eine wachsende Community findet es toll, öffentlich mit anderen Lesenden über Literatur zu kommunizieren.

Der unabhängige Buchhandel sieht sich vor die Aufgabe gestellt, diesen Herausforderungen zu begegnen. Die Kampagnen Vorsicht Buch des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und buy local zielen darauf, das Medium Buch zu promoten, bzw. den kleinen Einzelhändler zu unterstützen. Besonders die Buy-Local-Initiative animiert viele kleine Sortimente zu Aktionen, die das Aussterben des „gemütlichen Buchladens von nebenan“ verhindern und Kooperationen zwischen den inhabergeführten Einzelhändlern einer Region fördern sollen. Während diese Maßnahmen im letzten Jahr viel Nachhall fanden, scheint mir die Wirkung jedoch bereits wieder etwas zu verpuffen …

… und trotzdem: Buchlokal (Pankow)

Friederike Zöllner

Friederike Zöllner
©Ursula Weisgerber

Friederike Zöllner. Die Genießerin mit Herz für Kinder. In ihrem noch jungen Buchlokal, gegründet im Herbst 2011, beherbergt Friederike Zöllner nicht nur anspruchsvolle und die Sinne ansprechende Bücher. Sondern auch: Buchstabenmöbel, ein umfunktioniertes „bebüchertes“ Klavier, runde Kaffeehaustischchen, die es „so sonst nirgends mehr gibt“, praktisch-portable Bücherregale und – Kinder. Auf Innenarchitektur legt die „echte Berlinerin“ wert. Funktional, innovativ und schön anzusehen sind die auf Rollen verschiebbaren Regale mit Buchstabenfront. Rückt man die fünf Bücherregale im großzügig bemessenen Kinderbuchbereich zusammen, bilden sie das Wort „LESEN“. Schiebt man sie auseinander, wird die Bühne frei für das „Bilderbuchkino“:  Wöchentlich beamt Gabriele Meyer, die im Buchlokal das Kinderbuch „managt“, Kinder aus Berliner Kitas in Bilderbuchwelten, indem sie auserlesene Bücher für jüngste Leser auf eine Leinwand projiziert. Die Kids nehmen dann gern weiße Luftballons mit dem Slogan der Buchhandlung „Bücher entdecken, Bücher genießen“ mit auf den Nachhauseweg und locken damit andere Kinder und deren Eltern in den Laden. Die Bindung zum lokalen Umfeld ist für die ehemalige Vertrieblerin Friederike Zöllner (Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf) entscheidend. So weitet sie ihr Buchcafé im Sommer auf den Bürgersteig aus, hofft in Zukunft auf noch mehr spannende Lokalitäten in der Ossietzkystraße und lädt Berlin monatlich ein zu Lesungen in die gemütliche Nummer 10.

Buchlokal (Pankow)

Buchlokal (Pankow)
©Ursula Weisgerber

E-Commerce immer wichtiger im Buchhandel

Der E-Commerce erlangt immer mehr Bedeutung – Amazon kontrollierte Anfang 2013 rund 20 Prozent des deutschen Buchmarktes, aktuellere  Zahlen für den deutschen Markt hat das Unternehmen meines Wissens noch nicht preisgegeben. Im Serviceangebot (print und digital) scheint der Online-Riese quantitativ wie qualitativ noch unschlagbar. Mit dem ausgeklügelten E-Book-System rund um den Kindle können kleine Buchhandlungen kaum mithalten. Die E-Book-Verkäufe bei den unabhängigen BuchhändlerInnen sind verschwindend gering. Selbst große Buchhandelsketten müssen ums Überleben kämpfen und kontern etwa mit der Tolino-Allianz rund um den eigenen Reader, anscheinend fürs Erste erfolgreich. Im Übrigen versuchen sich Thalia & Co. seit einiger Zeit mit dem Downsizen von Filialen und Filialflächen auf gesunde Füße zu stellen.

Die Konkurrenz aus dem Internet nimmt zu und arbeitet an einem verbesserten, individuellen Service, der die USPs der Buchhandlungen vor Ort „gefährdet“: Bei Versandbuchhändlern wie Minimore und Kohlibri wird KundInnen ein erlesenes Sortiment angeboten. In deren Onlineshops rücken vermehrt Indie-Verlage bzw. Special Interests in den Mittelpunkt und sowohl Präsentation als auch Einkaufsvorgang werden stetig optimiert. Mit der Plattform LOG.OS ist eine Art cloud-basierte, universale Bibliothek für E-Books in Planung, auf der E-Books gesammelt, gelesen, kommentiert, vermarktet und vertrieben werden können …

… und trotzdem: Buchhandlung Thomas Gralla (Lichterfelde)

Thomas Gralla

Thomas Gralla
©Ursula Weisgerber

Der Vielleser mit Büchern zum Anfassen. Man kann ihm nicht widerstehen, dem Herrn Gralla. Kaum betreten Leser oder Leserin seinen Kosmos, werden sie hineingesogen und finden erst wieder nach einer perfekten Beratung, mindestens einem haptischen Glücksgriff und einem guten Kaffee aus dem Laden. Thomas Gralla ist Kult: Regelmäßig veranstaltet er das Event „Verlage zum Anfassen“. Dazu bittet er einen Verlag mit inhaltlich, optisch und haptisch ansprechendem Programm, der sich und seine AutorenInnen vorstellt, in die Buchhandlung. Die „schöne Bücherwand“, ein extra dafür geschaffenes Regal, bietet den Büchern des jeweiligen Verlags lange nach der Veranstaltung  noch einen passenden Rahmen. Für das junge Publikum gibt es eine Kooperation mit der Berliner Literatur Initiative, welche Lesezirkel veranstaltet und so die Lesekompetenz  fördert. Wie Christiane Hahn und Friederike Zöllner kommuniziert der Buchhändler mit dem „nordischen Charme“ leidenschaftlich mit seinem Publikum auf Facebook. Drei- bis vierhundert Kontakte erreiche er so in der Woche, jede Buchvorstellung ziehe Bestellungen nach sich. Eher spontan plant er weitere Online-Aktivitäten: Im Moment dreht er Videorezensionen, Blog und Onlineshop sind für ihn eine Option in der Zukunft. Apropos: Auf die Frage, was seine Vision des Buchhandels der Zukunft sei, antwortet er, mit einem Augenzwinkern: „In 30 Jahren wird es Buchhandlungen nur noch als verstreute Inseln geben, zu denen das noch lesebegierige Publikum wallfahren wird, um an „Stoff“ zu kommen. Ein literarischer Schwarzmarkt, sozusagen.“

Buchhandlung Thomas Gralla

Buchhandlung Thomas Gralla
©Ursula Weisgerber

Ein erstes Fazit: Kleine unabhängige Sortimente gibt es im Buchhandel nach wie vor. Um ihre Existenz weiterhin sicherzustellen, scheint es nur ein Rezept zu geben: sich an den digitalen SpezialistInnen zu orientieren. Einerseits empfiehlt es sich für Sortimente, sich für die Zukunft fit zu machen und auf deren Zug aufspringen bzw. aus deren Praxis zu lernen. Zugleich jedoch gilt es, sich von ihnen abzugrenzen sowie eigene Vorzüge herauszustreichen … dazu bald mehr.

Hier zunächst ein Break, um keine Ermüdungserscheinungen aufgrund eines zu langen Blogartikels zu riskieren. Weitere Ausführungen, noch mehr Berliner Buchhandlungen (Ocelot, Kohlibri, Almut Winter) und ein Fazit in einem zweiten Teil am nächsten Samstag, den 12. April.

Autor: Katja Marczinske

Katja Marczinske studierte Komparatistik, Germanistik und Theaterwissenschaft. Nach Stationen im Buchhandel und Lektorat war sie zuletzt bei Suhrkamp und Elsengold für Vertrieb und Marketing zuständig. Zurzeit macht sie eine Fortbildung Im Bereich Online-Marketing. Im Presse-Team der Berliner BücherFrauen ist sie die Social Media Expertin.

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