BücherFrauen

Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Bäm!

Das Buch im virtuellen Raum – Neue E-Book-Plattformen

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Was Mittwochnacht im Grünen Salon der Volksbühne Berlin geschah. Für alle, die’s noch mal wissen wollen und alle, die’s schon immer wissen wollten. Wechsel zum historischen Präsens, um die Spannung zu steigern: Eine eingeschworene Gemeinde aus BücherFrauen und ARTwertigen versammelt sich um den Ring der E-Book-Plattformen. Worum es geht: Drei Plattformen kämpfen sozusagen um Aufnahme in die League of LegendsSkoobe, Sobooks und LOG.OS. Sie alle behaupten, die Lösung zu haben. Oder die Lösung haben zu werden. Oder die Lösung haben werden zu wollen. Die Lösung für das Buch im Netz. Das Buch im virtuellen Raum.

Marlies Michaelis, selbst Inhaberin eines E-Book Verlags und Regionalsprecherin der Berliner BücherFrauen, moderiert den Abend. Gelassen bounct Johannes Finke, Content Director (Programmchef) bei Sobooks, in Sneakers auf die Bühne und fläzt sich gelassen in die bereitgestellten Polster. Katja Splichal von LOG.OS steht ihm in puncto Coolness in nichts nach: Sie weiß sich ähnlich gediegen auf dem Sessel zu drapieren, im Laufe des Abends schummelt sich ein Bein relaxt über die Lehne. Währenddessen setzt sich ihre Mitstreiterin Katharina Herbst schon mal achtsam in Positur, immerhin hat sie eine Mission zu erfüllen. Völlig unaufgeregt kommt Veronika von Bredow daher – sie hat nichts zu verlieren, ist Skoobe doch das einzige Unternehmen, das sich schon zwei Jahre lang auf dem Markt beweisen konnte.

Podium zu neuen E-Book-Plattformen

Podium mit Johannes Finke, Veronika von Bredow, Marlies Michaelis, Katharina Herbst, Katja Splichal

Let the Battle begin!

Beim Wortspiel steht es 1:1:1. Alle haben sich da namenstechnisch mal was einfallen lassen und zwar englisch, praktisch, gut – also international- und netzkompatibel, flüssig wegzubuchstabieren, originell. Skoobe lässt sich auch rückwärts lesen und dann weiß auch jede/r, wie’s ausgesprochen wird … Eins, zwei, drei, na? … und … Bäm! LOG.OS punktet mit einer doppelten Kombination aus Log=Wort und OS=Operating System: „Am Anfang war das Wort. Jetzt kommt das Betriebssystem.“ Double-Bäm!! Aber es konnte auch zehn Jahre dran gebastelt werden. Mhm. Sobooks ist eine Abkürzung und steht für „Social Books“. Auch hübsch.

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Sobooks: „Der Buchclub des 21. Jahrhunderts!“

Auftritt: Johannes Finke. Schon nach wenigen Minuten macht sich im wahrsten Sinne des Wortes Lampenfieber bei ihm breit. Im Schweiße seines Angesichts kämpft er sich durch die Folien der Sobooks-Präsentation. Kein Wunder! Steht er doch direkt unterm Spot – Johannes lässt sich aber nicht so schnell ausknocken. Zu Sobooks: Die Plattform will nichts weniger als das digitale Buch neu erfinden. Eine Art neues Format soll zukünftig direkt im Browser gelesen werden können, ohne dass dazu ein Reader notwendig wäre. Strike! Wie das (hardcore-)technisch funktionieren soll, kann allerdings an diesem Abend nicht erklärt werden. Punkteabzug.

Im Mittelpunkt steht selbstverständlich, der Name ist Programm, die Möglichkeit des Social Reading: Marginal rechts darf der Leser fleißig direkt kommentieren. Oder das Kommentierte kommentieren. Im Text selbst soll es Buttons geben, über die Diskussionen gestartet werden können. Kommentare werden von Experten moderiert bzw. redaktionell betreut. Quellenangaben direkt mit den entsprechenden Textpassagen im Originaltitel verlinkt. Textstellen können gehighlightet werden. Geliebte, gehasste oder wie auch immer gefühlte Passagen können ausschnitts- oder seitenweise über die Social-Media-Kanäle geteilt oder empfohlen werden. Die ersten zehn Seiten der Titel sind kostenfrei lesbar, zum Weiterlesen muss das Buch bezahlt werden. Auch gemeinfreie Bücher sollen erhältlich sein. Fazit: Die LeserInnen wissen in Zukunft: Sie sind beim Lesen nicht social-media-seelen-allein. Sie werden wissen, was sie lesen sollen, wo sie über das Gelesene diskutieren können und was ihre FreundInnen dazu zu sagen haben. Und siehe da, im Publikum geht das Konzept schon auf:

https://twitter.com/mmepassepartout/status/509769138261458944

Skoobe verändert das Leseverhalten!

Sachlich und kompetent präsentiert Veronika von Bredow die Münchener E-Book-Plattform Skoobe. Während uns Katja Splichal später durch eine Bleiwüste geahnten LOG.OS-Ausmaßes zerren wird, jagt uns PR-Managerin Veronika durch einen Zahlendschungel. Ächz. Das Unternehmen wurde vor vier Jahren gegründet und vor zwei Jahren gelauncht. Das 17-köpfige Team betreibt hauptsächlich eine „Bastelei um die [Lese-]Apps herum.“ Das Besondere an Skoobe: Schon lange vor Amazon (Unlimited) boten sie nach dem „All-you-can-eat-Prinzip“ eine Flatrate für E-Books an. Whop! Es gibt drei Tarife ab 9,99 € im Monat, die unter anderem bestimmen, auf wie vielen Endgeräten (mindestens zwei) die Bücher gelesen werden dürfen und zwar mehrere parallel. Die E-Books sind in über 300 Unterkategorien geordnet. Punkteverdächtig! Inzwischen sind 60.000 Titel lieferbar, hauptsächlich auf Deutsch, aber auch zunehmend in anderen Sprachen wie Englisch oder Spanisch. Mit dem Riesenangebot von Amazon ist natürlich nicht zu konkurrieren (600.000 Titel). Dementsprechend entscheidet die Qualität der Auswahl über Erfolg oder Misserfolg – Skoobe meint, da gut aufgestellt zu sein, zumal das Unternehmen auch regelmäßig einige Bestseller zu bieten hat. Aber wird es auch in die League of Legends aufsteigen können? Ein Anfang ist definitiv gemacht.

Interessanterweise scheint die Flatrate das Leseverhalten zu beeinflussen. Noch ein bisschen Zahlengewusel: Nach Nutzerangaben verbringen 64% mehr Zeit mit Lesen und 40% schauen weniger fern. Dank Flatrate werden auch öfters Titel gefunden und gelesen, die nicht auf der Leseliste der User standen. 85% empfehlen Skoobe-Books weiter, 25% kaufen die Bücher später als gedrucktes Buch! 34% verschenken die gekauften E-Books in der Printversion. Katja Splichal outet sich als Skoobe-Nutzerin und battelt erstaunlich fair, indem sie das alles bestätigt. Mit Johannes Finke streitet sie dann doch noch ein wenig über technische Details – wäre ja sonst langweilig.

https://twitter.com/LOG_OSinfo/status/509779281086803968

„Ist LOG.OS eine Religion?“

Zunächst mal ist LOG.OS ein ernsthaftes und ernstzunehmendes komplexes Modell einer E-Book-Plattform, die in bewusstem Gegensatz zu Amazon gemeinnützig sein soll. Das wird an diesem Abend jedoch so oft in den Ring geworfen, auch von der Sobooks-Seite aus, dass es aus dem Publikum Protest gibt:

https://twitter.com/anna_basener/status/509781620224970752

LOG.OS will eine Benutzeroberfläche für alle branchenrelevanten TeilnehmerInnen bieten, wie Katharina Herbst es schildert: für Leser, Autoren, Verlage, Buchhändler. Es wird soziale Plattform, Publishingplattform und Vermarktungsplattform, Marktplatz für Bücher und Universalbibliothek zugleich sein. Wer Genaueres über das Modell erfahren möchte, lese dies zum Beispiel in meinem früheren LOG.OS-Artikel nach. Nochmals zurück zum Gemeinnützigen, damit ein bisschen Blei ins Spiel kommt, denn das Ganze sei ja kein „Lauf durchs Kornfeld!“, wie Katja Splichal meint. Verwirrte Gesichter. Ob sie meine, „das Ganze sei kein Sonntagsspaziergang?“ Katja: „Hab ich doch gesagt, oder?“ Das Publikum fühlt sich bestens unterhalten. Weiter durch die Wüste also: Das Geld, welches über den Verkauf von E-Books eingenommen wird, der über eine GmbH laufen soll, wird ins Projekt reinvestiert. Grundlage des Modells ist eine Stiftung, die zum Gemeinwohl aller Seiten agieren soll. Zusätzlich wird es eine KG geben, von der Anteile erworben werden können und die der Frontend-Entwicklung/ wirtschaftlichen Auswertung dienen wird.

Katja Splichal geht jetzt in die Vollen und spricht von Verlusten, denen durch dieses Modell aus dem Weg gegangen werden soll: Im Kontrast zur Amazon-Praxis soll ein Verlust der wirtschaftlichen Grundlage vermieden werden, es soll kein Druck auf Verlage ausgeübt werden. Man will stets kooperieren. Auch dem Verlust der Kundenbeziehung (bei Amazon gibt es wenig Transparenz, Daten werden zurückbehalten) und der technischen Selbstbestimmung soll entgegengewirkt werden. Datensouveränität und Persönlichkeitsrechte werden großgeschrieben: LOG.OS will, anders als Amazon, kein proprietäres System sein, sondern alle Formate sollen auf allen Endgeräten gelesen werden können. Zurzeit gehen LeserInnen-Kommentare verloren, wenn ein E-Book gelöscht wird. LOG.OS möchte das ändern.

In dieser Wüste gönnt Katja uns eine Halluzination: Sie befiehlt uns, die Augen zuzumachen, uns in die Pubertät zurückzuversetzen und gaukelt uns ein tolles Briefmarkenalbum vor, in dem wir all unsere Briefmarkenschätze sammeln. Doch eines Tages stellt sich heraus: Das Album ist schadstoffverseucht! Enthält Nickel oder was auch immer. Das geliebte Buch wird uns weggenommen und mit ihm der Inhalt, die Briefmarken. Alles perdu. So sieht’s auch mit dem Content der E-Books aus, wenn wir Pech haben. Sollte es aber nicht.

Michael Dreusicke stellt Fragen.

Michael Dreusicke und Frank Maleu

So, Augen wieder auf! Denn hier kommt Herr Dreusicke des Weges, der in der Branche bekannt dafür ist, gern mal von Publikumsseite her ein kleines Battle anzuzetteln. Herzkönigin Katja erkennt seine Absichten sofort, und obwohl sie sowas befiehlt wie: „Kopf ab!“ Stellt Herr Dreusicke unbeirrt seine Frage, kurz gefasst: „Ist LOG.OS eine Religion?“ Jetzt schreitet Katharina Herbst missionarisch ein: Na, das sei doch gar keine so schlechte Idee, meint sie mit trockenem Humor: Vielleicht solle sie mal die Formulare zücken, mit denen man bei LOG.OS Mitglied werden könne – Mitglied einer Glaubensgemeinde, quasi Jünger …

Noch einen letzten Punkt können die Plattformen mit einer weiteren Publikumsfrage holen: „Wie geht ihr mit Selfpublishern um?“ Das Amazon Bashing sei doch abgedroschen und der Online-Anbieter gewähre mit 70% Umsatzanteilen für AutorInnen traumhafte Konditionen. Alle drei Plattformen wollen Selfpublisher in ihre Systeme einbeziehen, setzen ihre Schwerpunkte aber zunächst woanders. Während Selfpublisher ihre Werke bei Skoobe über BoD oder Epubli anbieten können, womit AutorInnenverträge nicht in ihren Verantwortungsbereich fallen, sehen Sobooks und LOG.OS die Umsatzverteilung zukünftig jeweils bei 50/50 für Plattform und AutorInnen.

Ich würde beinahe sagen, das Battle geht unentschieden aus. Jedes der drei Konzepte klingt spannend, alle haben fair gekämpft. Niemand ist k.o. gegangen, alle konnten noch munter aus dem Ring tänzeln. Jede der drei Plattformen hat das Zeug in die League of Legends aufzusteigen … Oder ist jemand anderer Meinung?

 

Alle Fotos in diesem Beitrag: © Wolfgang Barnick (ARTwert).

 

 

 

Autor: Katja Marczinske

Katja Marczinske studierte Komparatistik, Germanistik und Theaterwissenschaft. Nach Stationen im Buchhandel und Lektorat war sie zuletzt bei Suhrkamp und Elsengold für Vertrieb und Marketing zuständig. Zurzeit macht sie eine Fortbildung Im Bereich Online-Marketing. Im Presse-Team der Berliner BücherFrauen ist sie die Social Media Expertin.

Ein Kommentar

  1. Da E-Books technisch gesehen nichts weiter als gezippte Webseiten sind, können sämtliche Plattformen inkl. Sobooks ihre Titel problemlos im Browser eines beliebigen Endgerätes zur Anzeige bringen, kein Reader zwingend erforderlich (der intern ja auch nur einen angepassten Browser laufen hat). Neben Amazon könnte man genausogut auch die Tolino-Allianz bashen, die ist nicht weniger fies. Die Verteilung von 50/50 zwischen Plattform und Self-Publisher (oder sonstwem) ist natürlich Quatsch, so etwas wie 95% für den Autor macht da schon viel mehr Sinn, 5% für ein bisschen Hosting und Technik geht an die Plattform. Dienstleistungen werden als Auftragsarbeit veranschlagt, Investment per Crowdfunding oder Subskription risikobereinigt. Das Ziel muss ein neuartiger, ganzheitlich digital gedachter Literaturbetrieb sein, nicht eine etwas aufgehübschte Amazon-Nachahmung.

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