Der Countdown läuft: Am Welttag des Buches (23. April 2018)
geht das Buchorchester* online!
Vom Manuskript bis zum fertigen Buch im Schaufenster ist es ein langer, oft unsichtbarer Weg, an dem über zwei dutzend Menschen beteiligt sind. 27 Bücherschaffende und Literaturvermittlerinnen berichten im Onlineprojekt der Bücherfrauen, dem “Buchorchester”, was sie jeweils zur Entstehung und dem Erfolg eines Buches beitragen – von der Agentin bis zur Herstellerin, von der Verlegerin bis zur Literaturhausleiterin. Warum ohne sie ein Leben mit Büchern nicht möglich wäre, beschreibt Nina George:
Eine Autorin sei wie ein toter Elch, konstatierte die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood einmal; es ernährten sich mindestens noch zwei Dutzend weitere Lebensformen von ihr.
Das ist ein durchaus erhabener Gedanke. Ja, ich bin ein produktiver, Arbeit gebender … nun ja. Struppiger Kadaver. Denken wir uns kurz das mit dem Kadaver weg, und denken lieber an die Autoren und Autorinnen, deren Werke im traditionellen Buchmarkt erscheinen, der rund 9,19 Milliarden Euro (im Jahr 2017) erwirtschaftet, und in dem knapp 50.000 festangestellte Beschäftigte wirken – plus zahllose Freelancerinnen, die ebenso für Verlage wie für Selfpublisherinnen arbeiten, lektorieren, übersetzen, Cover gestalten, setzen, korrigieren.
Ohne Bücher wäre die Menschheit komplett hinüber
Ohne uns Autorinnen und Autoren gäbe es weder diese Arbeitsplätze, noch Verlage oder digitale Mega-Distributoren, weder Übersetzerinnen noch den stationären Buchhandel, keine Kinofilme, Actionfiguren, Feuilletonkritiker, keine Bibliotheken, Cosplayschneider oder andere von geistiger Arbeit profitierende Industrie- und Medienzweige von legal bis illegal. Es gäbe keinen Trost, keine Aufklärung, keine Verzauberung, keine Diskurse, keine Leserunden, keine Redenschreiber, die jeden Vortrag eines Politikers statt mit heißer Luft mit kühlem Esprit versorgen, keine spontan ineinander verliebten Menschen, die dieselben Bücher mögen; im Prinzip wäre die Menschheit also komplett hinüber. Soweit die Ego-Schmeichelei: Wir sind die Quelle einer potenten Kreativwirtschaft, und gleichermaßen emotionale Tankstelle, Trösterinnen, Mutmacherinnen, Verführerinnen, Denkerinnen, Widerspruchsbeauftragte, Unterhalterinnen, wir schaffen kulturelle Identität, gesellschaftliche Narrativa, wir besorgen Toleranz und beleuchten die Gegenwart genauso wie die Fantasie, wie machen schmatzige Freizeitverschönerung und Klolektüre. Wir investieren Zeit, Haltungsschäden, Risiko, Leidenschaft, viele Jahre Erfahrung und unser ganzes Sein in diese seltsame Aufgabe, zu schreiben.
So, Tusch! Und jetzt bitte genug der Selbstbeweihräucherung und zurück zur Rückseite dieser Wahrheit.
So toll sind wir nämlich auch wieder nicht.
Ein Text ist nicht fertig, nur weil er fertig ist
Wahr ist genauso, dass wir sie brauchen. Sie. Die Unsichtbaren. Die erst anfangen zu arbeiten, wenn wir fertig sind. Um aus dem, was wir geschrieben haben, wirklich ein Buch zu machen. Das im Kopf und im Herz einer Leserin ankommt und etwas anrichtet. Wir brauchen sie, die Profis der Buchbranche, für diesen langen Weg aus unserem Kopf in fremde Köpfe.
Die Lektorinnen verbringen, zumindest bei meinen Romanen, zwischen sechs Wochen und drei Monaten mit dem Text, wir arbeiten Zug um Zug und gehen an alles ran: Dramaturgie, Dichte, Tempo, Psychogramm der Figuren, Wortrhythmus und Bilder. Ich bin es als Journalistin gewohnt, dass ein Text noch lange nicht fertig ist, nur weil er fertig ist und meine Wörter nicht das letzte Wort; meine Lektorin ist mir im besten Fall Schutzschirm, künstlerische Gesprächspartnerin, Advocatus Diaboli und macht aus etwas Gutem etwas deutlich Besseres. Beim „Lavendelzimmer“ lag die Summe an einzelnen Überarbeitungs- oder Veränderungsschritten, vom Einsetzen des fehlenden Kommas bis zum Tausch eines gesamtes Aktes, bei 3200 Einzelarbeiten. Und, ja, ich bin der festen Überzeugung, ohne Andrea Müllers Interventionen und Anregungen wäre das Buch nicht dieses geworden, und noch weniger ein New-York-Times-Bestseller.
Mit der Kommadose gestreut?
Die Korrektorinnen filtern immer noch im Schnitt 12 Fehler pro Seite raus, überprüfen beschriebene Orte (unsere Bagnol-Korrektorin besorgte sich Stadtpläne von Marseille, und stellte eine Zeitlinie auf um zu überprüfen, ob wir das Timing von Mord und Totschlag korrekt eingehalten hatten. Hatten wir natürlich nicht), Fach-Bezeichnungen, kontrollieren Anschlüsse, Logik, bei Sachbüchern alle behaupteten Fakten und natürlich Grammatik und Rechtschreibung, etwas, was die wenigsten Autorinnen beherrschen. Und natürlich wird ihre Arbeit vollkommen unterschätzt – weil niemand die Patzer, Wortwiederholungen, Füllwörter und mit der Kommadose verstreuten Häkchen mehr sieht, die sie ausgeputzt haben.
Die Setzerinnen oder Grafikerinnen setzen den Text, bestimmen mit der Herstellerin zusammen passend zum Sound der Story Typo (keine Schnörkel beim Krimi!), Kapitelüberschriften, Pagina, eliminieren Schusterjungen und Hurenkinder, und sorgen dafür, dass das Auge holperfrei über die Seiten liest und Cliffhanger am Seitenende stehen. Auch diese Arbeit ist vor allem dann gut, wenn sie nicht auffällt. Leider schreiben die wenigsten Autorinnen von vornherein passend zum Seitenumbruch, und da beginnt die bleisilberne Magie der Setzerinnen, mit Zeilendurchschuss (der Text muss atmen!), Buchstaben-Abstand (je enger, desto „unwichtiger“ erscheint das Gesagte) und Schriftgröße (bitte kein Augenstreu, dann verärgert das Gelesene!) dafür zu sorgen, dass der Text, ohne dass wir es registrieren, warum, seine gesamte Kraft und Schönheit entfalten kann.
Der Blechkuchen-Effekt
Herstellerinnen wählen schließlich in Absprache mit Marketing und Vertrieb das Papier und Format, Einband und Gewicht. Je schwerer das Papier, desto ernster wird ein Buch genommen. Fragen Sie mich nicht warum, vielleicht der Blechkuchen-Effekt: Schwer und duftend gleich großartig (Wobei ich finde, nur die wenigsten Bücher riechen süß, aber, gut, ich bin keine Seitenschnüfflerin, habe aber für diese Usance Verständnis.)
Vertreterinnen schauen höchstkritisch auf die Gesamtkomposition und können schon mal den Titel, das Outfit und den Klappentext völlig zerpflücken. Aber meist kommt hinterher etwas dabei heraus, was dem Buch gerechter wird. Die Verlegerinnen schießen Geld vor und bezahlen den gesamten Veredelungsapparat; jeder 2. Vorschuss in Deutschlands Verlagen spielt sich übrigens nicht wieder ein. Dafür finanzieren die 5-10 Prozent Bestseller die Nischentitel und Debütantinnen gleich mit. Die Covergestalterinnen geben dem Werk ein Gesicht, die Pressefrau legt die ein bis tausend gute Wörter bei Kritikerinnen ein. Das Marketing und der Vertrieb wissen genau um die alte, böse Wunde der Branche: es reicht nicht, ein gutes Buch im Programm zu haben, man muss es der Welt auch klar machen, dass es da ist! Und das meist auch nur mit einem kleinen Etat.
Und danach? Danach ist ein Buch immer noch nicht in der Welt. Literaturvermittlerinnen, ob Buchhändlerin, Kritikerin, Social-Media-Expertin, Bibliothekarin, Veranstalterin oder Vertreterin sind jene essentiellen Kupplerinnen, die den ersten und engsten Kontakt zwischen mir und der zukünftigen Leserin herstellen.
Die Arbeit der Büchermacherinnen ist dann gut, wenn sie nicht bemerkt wird
In Summe sind es zehn bis siebenundzwanzig Menschen, die aus einem Text ein Buch, ein Werk machen.
Und dann kommen so Leute an, und vertreiben illegal e-Books oder finden es cool, nichts oder wenig für Lektüre zu zahlen. Oder beschweren sich über die Buchpreise. Oder schlagen Gesetze vor, die vom Alltag der Buchbranche so weit entfernt sind wie ein Sambakurs vom toten Elch.
Ich hege inzwischen die Vermutung: Weil sie nicht wissen, was wir tun. Wie auch. Ich bekomme die Sternchen, Lobhudeleien oder Verisse ab, mein Name steht auf dem Cover, doch ich bin, in meinem persönlichen Selbstverständnis und nach 25 Jahren im Publikationsgewerbe tätig, trotzdem nur ein Teil des Gesamtwerkes. Wichtig, ja, klar, siehe oben, hurra. Aber eben nicht allein. Die schöne Kunst des Büchermachens liegt im Verborgenen, mehr noch: Die Arbeit der Büchermacherinnen ist dann erst gut, wenn sie nicht bemerkt wird. Je leichter, runder, fehlerfreier, augenfreundlicher und spannender ein Text zu lesen ist, je klarer, wohlgefälliger, passender ein Cover, je haptisch angenehmer, nahezu diskret sich das fertige Druckwerk anfühlt – umso mehr Arbeit haben viele unterschiedliche Menschen in dieses Werk investiert.
Wer e-Books illegal lädt, beklaut mehr Menschen als nur die Autorin
Wenn wir dann noch über Verkaufspreise von Büchern sprechen, über Urheberrechte oder Flatrates, über das heikle Thema Verlegerbeteiligung, über das Buchhandelssterben oder den Monopolisten Amazon, der munter seine Dumpingpreispolitik voran treibt: Dann sollten wir auch über die unsichtbaren Leistungen jener Menschen der Branche sprechen, die es erst ermöglichen, dass es lesbare, verständliche, spannende, verkaufbare Bücher gibt. Ob im traditionellen, oder im Indie-Bereich. Die Profis, die einen Text besser machen, in Form, zum Leuchten und in die Läden bringen: sie sind das Rückgrat der gesamten Buchbranche, und ohne ihre professionellen Leistungen wäre ein Leben mit Büchern nicht so möglich, wie wir es heute so zwanglos, vielfältig und inhaltlich unabhängig genießen. Sie sind es, deren Existenz genauso beeinträchtigt wird, wenn über Urheberrechtsschranken wie erzwungenes E-Lending zum kleinsten Preis debattiert wird, wenn es keine Betreibervergütung gibt, wie derzeit nach in Krafttreten der sogenannten “Bildungsschranke”, und damit keinerlei Vergütung für digitales Vervielfältigen an Schulen und Hochschulen gezahlt wird; wenn e-books und Hörbücher weiter illegal vertrieben werden oder in Flatrates verheizt.
Achtung, Metapherbombe!
Büchermachen ist kein Hobby. Es ist das Zusammenspiel verschiedenster handwerklicher, präziser Kräfte. Oder, um endlich mal in einem Bild jenseits des struppigen Elches zu sprechen: Erst ein ganzes Buchorchester trägt die Melodie der ersten Geige. Um am Ende der Leserin etwas zu schenken, was unbezahlbar ist, unbeschreibbar: Die Resonanz von Gedankenmusik, nur hörbar für sie selbst.
(Spätestens jetzt hätte meine Lektorin einen Kringel dran gemacht und höflich gefragt, ob wir die Metapherbombendosis doch bitte deutlich verringern könnten.)
Am 23.4.2018, zum Welttag des Buches, stellen die Bücherfrauen diese Büchermacherinnen hinter den Kulissen vor. Klicken Sie rein, und lesen, wie Verlegerinnen Renate Herre und Zoe Beck kalkulieren, nach welchen Kriterien Buchhändlerin Martina Bergmann einkauft, wie Agentin Saskia von Hoegen Manuskripte bewertet, wie Künstlerhausdirektorin Nora-Eugenie Gomringer Kreativität fördert oder Kritikerin Kirsten Reimers arbeitet; erfahren vom Alltag von Vertreterin Delia Peters und Covergestalterin Claudia Toman, der Kunst des Verhandelns von Lizenzfrau Julia Balogh und der Kunst des Autorencoachings von Mascha Vassena, lesen, wie Lektorinnen wie Susanne Zeye oder Ursula Tanneberger mit Fakt und Fiktionen umgehen – und wer darüber hinaus noch an einem Text arbeitet, um daraus ein Stück Freiheit mit Flügeln aus Papier zu machen.
Ab 23. April online unter http://www.buchorchester.de
Die Orchesterindentantinnen:
* Das Bücherfrauen-Projekt „Das Buchorchester“ wurde konzipiert und koordiniert von den Bücherfrauen Katja Czerwinski, Meiken Endruweit (Illustrationen), Nina George, Saskia von Hoegen, Brigitte Krämer (Webdesign und Programmierung), Juliane Krüger, Ursula Tanneberger (Lektorat) und Susanne Zeyse (Lektorat).