An einem sonnigen herbstlichen Sonntagmorgen, Berlin war noch tief verschlafen, der Verkehr fast erlahmt und das Leben pulsierte nicht wie zu anderen Tagesstunden, machte ich mich auf dem Weg zum Museum Neukölln im Gutshof Britz. Dieser Ort ist, kurz gesagt, ein kleines Juwel. Auf dem Gutshof, neben dem Museum Neukölln, befinden sich eine Reihe kultureller und kulinarischer Einrichtungen. Jeden Sommer gibt es hier ein umfangreiches Konzertprogramm. An diesem Sonntag bin ich auf dem Weg zu Prof. Dr. Aleida Assmann, die aus dem fernen Konstanz anreiste, um ihrem Vortrag „Lesen als Erfahrung“ zu halten.
In der Ausstellung, die den Namen „Die Magie des Lesens“ trägt, treffe ich weitere BücherFrauen aus der Städtegruppe Berlin: Sandra und Gudrun. Mit großem “Hallo” werden wir alle von Christa Emde begrüßt. Christa ist für mich eine der BücherFrauen der ersten Stunde. Sie, eine Buchhändlerin und Autorin, ist immer engagiert in Sachen Kultur, Bücher und Stadtspaziergänge. Im Bezirk Britz gibt es kaum eine Kulturveranstaltung ohne sie. So stellt sich dann auch heraus, dass sie in der von Museumsleiter Dr. Udo Gößwald kuratierten Ausstellung „Die Magie des Lesens“ eine Vitrine gestaltet hat.
Eine Welt voller Bücher
Christa ist eine der 24 Neuköllner*innen, die bereit waren, ihre Lieblingsbücher im Museum auszustellen und sie mit ihren ganz persönlichen biografischen Erinnerungen und Leseerfahrungen zu verknüpfen. Die Vitrine von Christa E. ist sehr vielfältig bestückt. Sie bittet uns heran, um uns die Geschichten näher zu bringen, dabei gerät Sie ins Schwärmen. Zu ihrem zweiten Geburtstag schenkte ihr die Großmutter ein ganz persönlich für sie handgemaltes Kinderbuch. In Christas Worten spürt man die Freude des Kindes über dieses Geschenk. Ähnlich ist es auch mit weiteren Büchern im Schaukasten. Das Buch von Vern Sneider z. B. , „Die Geishas des Captain Fisby“, hat sie als Jugendliche von ihrer Mutter erhalten. In dem Roman versucht Captain Fisby, nach dem Zweiten Weltkrieg, während der Besatzungszeit, Japanern amerikanische Kultur beizubringen. Seine Selbstgefälligkeit wird karikiert. Sein Versuch misslingt komplett. Christa nimmt dieses Buch heute noch gerne in die Hand. Sie hat es bereits unzählige Male gelesen. Der geschilderte Konflikt von Selbst- und Fremdwahrnehmung regt sie immer wieder zum Nachdenken an.
Der schöne goldfarbene Saffianledereinband von Goethes „Faust“ gehört genauso zu Christas Lieblingsbüchern wie „Die Königin Luise – In 50 Bildern für Jung und Alt“ von Carl Röchling und Richard Knötel. Das ist ein Dokument aus einer Zeit, als es noch keine Fotos gab und deshalb Zeichnungen die Prominenten den Leser*innen nahe brachten. Die Zeichnungen sind sehr detailgenau. Natürlich wird die damalige “Königin der Herzen”, Königin Luise von Preußen, sehr positiv dargestellt. Im Glaskasten befindet sich auch noch „Der Turm“ von Uwe Tellkamp. Alle Bücher von Christa besitzen eine Gemeinsamkeit: sie beschäftigen sich intensiv mit gesellschaftlichen Umbrüchen.
Lesen ist ein großes Wunder
Die in der Schau ausgestellten 90 Lieblingsbücher erzählen ganz unterschiedliche Geschichten. Sie stehen in einem Dialog mit ihren Leihgeber*innen. Biografische Leseerfahrungen, kulturelle Hintergründe und persönliche Geschichten vermitteln uns viel über die Bücher aber auch ihre Leser*innen. Damit diese Geschichten von allen Besucher*innenerlebt werden können, auch von solchen, die nicht das Glück haben, wie wir, eine der Leihgeberinnen in der Ausstellung zu treffen, bietet das Museum an, diese Leseerfahrungsgeschichten mit der Hilfe eines Tabletts nachzuhören. Das Spektrum der ausgestellten Bücher ist breit gefächert und bietet ein interessantes und abwechslungsreiches Bild der Lesekultur der Neuköllner Bevölkerung.
Lesen ist ein kostbares Gut
Als Prof. Dr. Aleida Assmann ihren Vortrag beginnt, vertieft sie sich in die Frage, was eigentlich die Magie eines Buches ausmacht. Sie sagt: “Das Buch ist demnach auch ein Spiegel, in dem man sich immer wiederfindet und letztlich nur sich selbst findet. Aber dieses Selbst, das einen bei der Lektüre leitet und dem man dabei begegnet, ist jedes Mal ein anderes. Das ist auch der Grund, warum man (gute) Bücher mehrmals lesen kann.”
Den Besuch der Ausstellung, sie ist bis zum 30. Dezember 2016 geöffnet, kann ich nur wärmstens empfehlen.
Museum Neukölln, Alt-Britz 81, Berlin-Neukölln
Öffnungszeiten: Di. – So. 10 – 18 Uhr Ausstellungsende: 30. Dezember