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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Drei Autorinnen – drei Bücher: Andrea Krug

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Wo in vielen Zeitungen derzeit Sommerleselisten abgedruckt werden, auf denen – wenn überhaupt – höchstens ein Buch einer Autorin vorkommt, stehen sie hier wieder an erster Stelle. Diesen Monat gibt es eine Auswahl von einer BücherFrau der ersten Stunde und früheren Städtesprecherin in Berlin, der Verlegerin Andrea Krug.

 

Andrea KrugAndrea Krug, Vielleserin von Print (daheim) und digital (unterwegs), seit einiger Zeit auch Hörbücher genießend, macht zusammen mit Dagmar Schadenberg seit 1993 Bücher für lesbische Leserinnen. Motto des Berliner Verlags Krug & Schadenberg ist »Frauen im Sinn« – und dabei bleibt’s.

 

 

 

Drei Autorinnen:

Emily Brontë (1818–1848),

aufgewachsen in der wilden Landschaft Yorkshires im Norden Englands, deren Schwestern Anne und vor allem Jane ebenfalls erfolgreiche Autorinnen waren. Alle drei veröffentlichten unter männlichem Pseudonym – anders ging es nicht zu jener Zeit, in der Frauen öffentlich nichts zu sagen hatten, und schon gar nicht mit einem solch fulminanten Roman, wie Emily Brontë ihn mit Wuthering Heights, zu deutsch Sturmhöhe, geschrieben hatte. Emily Brontë verbrachte die meiste Zeit ihres ach so kurzen Lebens im einsam gelegenen Pfarrhaus ihres Vaters in Haworth. Die drei Schwestern und ihr Bruder Branwell – er hat das Porträt auf einer meiner Ausgaben von Wuthering Heights gemalt – nutzen die elterliche Bibliothek ausgiebig und schafften sich eine Fantasiewelt voller bunter Figuren und aufregender Abenteuer. Und durchstreiften die wilde, düstere Moorlandschaft, die Emily Brontë in Wuthering Heights so eindrucksvoll nachzeichnet. In dieser Landschaft spielt sich die tragische Liebesgeschichte um Catherine und Heathcliff ab, ein so leidenschaftliches wie (schauer-)romantisches Werk, hochdramatisch, ein Roman, der sich über literarische Konventionen hinwegsetzt und bis heute ein Meilenstein der Literatur ist. Ich habe dieses grandiose Buch zu verschiedenen Zeiten meines Lebens gelesen, entdecke stets Neues darin und bin gerade dabei, es mir im Original (von Janet McTeer und David Timson) vorlesen zu lassen – ein Hochgenuss.

 

Tana French,

1973 zwar nicht in Irland geboren, erfüllt dennoch aufs Feinste das Klischee, das wir mit Irinnen und Iren häufig verbinden: Sie verfügt zweifelsohne über the gift of the gap, ist also mit der Gabe des Wortes gesegnet. Gewöhnlich, im letzten Drittel eines jeden Buches zumeist, wünsche ich mir, sie würde auf ihre Lektorin (Lektor mitgemeint) hören und ihre Erzähllust ein wenig bezähmen – sie schreibt intelligente, hochspannende Kriminalromane, die durch Straffung noch gewännen. Doch ungeachtet dessen schreibt sie bezwingend, und so erwarte ich seit ihrem ersten Bestseller Grabesgrün voller Ungeduld jedes weitere Buch von ihr. Angesiedelt sind ihre bislang sechs Romane in Dublin (und Umgebung), wo die Autorin seit 1990 auch lebt, und French rückt – anders als viele Erfolgsautorinnen – jedes Mal neue ErmittlerInnen aus der Dubliner Mordkommission ins Zentrum, die selbstredend auch ihr eigenes Psychogramm in den zu lösenden Fall miteinbringen. Die komplexen Werke zeichnen sich nicht allein durch fesselnde Plots, eine dichte, oft beklemmende Atmosphäre und psychologische Raffinesse aus, sondern außerdem durch eine oft poetische Sprache und eine gute Portion (Wort-)Witz – zweifellos eine Herausforderung für die ÜbersetzerInnen. Das alles macht die Lektüre von Tana Frenchs Romanen, sei es im Original, sei es in der deutschen Übersetzung, immer wieder zu einem besonderen Vergnügen für mich. Pageturner mit hohem Suchtpotenzial. Wunderbar.

 

Leslie Feinberg (1949–2014)

überschreitet diese Rubrik. Die US-amerikanische AutorIn und Aktivist/in verstand sich als Transgender und war der erste Mensch, der mir dieses Thema nahegebracht hat – auch im Alltagsleben: Welche der beiden Toiletten benutzt ein/e Transgender? Aus der Damentoilette in der Berliner Akademie der Künste wurde Leslie Feinberg vor ihrer Lesung mit groben Worten hinausgewiesen. Sie konnte sich nur falsch entscheiden. Doch auch ein Transgender-Mensch in Anzug und Krawatte kann einen Körper haben, der vor einem Auftritt unverhofft zu bluten beginnt und auf seine biologische Weiblichkeit verweist.

Bevor ich Leslie Feinberg begegnete, las ich ihren Roman Stone Butch Blues. Ich war tief berührt. Meiner Verlagskollegin ging es ebenso, und uns war klar:  Wir müssen dieses Buch auf Deutsch herausbringen. Ein Mammutprojekt für einen kleinen Verlag. Heute steht das Buch in fast jedem LGBT*-Bücherregal. Ein Klassiker, der von der Suche nach einer Identität jenseits starrer Geschlechterkategorien im Spannungsfeld der Butch-Femme-Kultur der Sechzigerjahre erzählt, von Stonewall, Gewerkschaftskämpfen und der neuen Frauenbewegung, und der damit Geschichte lebendig macht. Feinberg selbst hat sich als „anti-racist white, working-class, secular Jewish, transgender, lesbian, female, revolutionary communist“ bezeichnet – das lässt sich in ihren zahlreichen Artikeln und Blog-Beiträgen nachverfolgen –, mir wird sie jedoch vor allem als charismatischer Mensch, als engagierte VisionärIn mit großer Herzenswärme und als mutige KämpferIn für eine nicht nur in Sachen Gender gerechtere Welt in Erinnerung bleiben.

 

3 Bücher:

Amy Waldman: Der amerikanische Architekt

Dieses faszinierende Buch habe ich mir, einfach mal die angestrengten Augen schonend, vorlesen lassen, und zwar von Ulrich Noethen, der das hervorragend macht. Schauplatz ist Manhattan, drei Jahre nach 9/11. Ein Architektur-Wettbewerb wurde ausgeschrieben, zahlreiche Bewerbungen sind eingegangen, und nun soll eine Jury den besten Entwurf für eine Gedenkstätte am Ground Zero auswählen. Nach langwierigen Beratungen und heftigen Debatten um das richtige Konzept einigt man sich schließlich auf eine Gartenanlage, und an dieser Stelle setzt der Roman ein. Der Umschlag mit dem Namen des bis dahin anonymen Gewinners wird geöffnet. Ein Schock: Der Architekt heißt Mohammad Khan. Er ist Amerikaner. Er ist Muslim. Eine hitzige Auseinandersetzung innerhalb der Jury und bald auch in der Politik, den Medien und schließlich auch in der amerikanischen Bevölkerung beginnt: Befürworter und Gegner des geplanten Gartens streiten um die Person des Architekten und die Bedeutung seines Entwurfs. Empörung macht sich Luft, Ängste erwachen und werden geschürt, Fantasievorstellungen schießen ins Kraut, Vorurteile und Ressentiments werden genährt, Intrigen gesponnen, politische Süppchen gekocht. Amy Waldman hat diese vielstimmige kontroverse und nachdenklich stimmende Debatte fesselnd in Szene gesetzt.

Alicia Gaspar de Alba: Sor Juanas zweiter Traum

Sor Juanas zweiter Traum ist eine fiktive Biografie, ein historischer Roman um Juana Inés de la Cruz (1648–1695), die Sappho Mexikos, der viele Hundert Seiten umfasst und damit ein andauerndes Lesevergnügen bietet. Eine Protagonistin, die sich dem vorgezeichneten Weg – Heirat, Mutterschaft – auf die einzige damals mögliche Weise verweigert und ins Kloster geht. Dort kann sie ihren Neigungen frönen: lesen, sich bilden, naturkundliche Studien betreiben. Die Gelehrten ihrer Zeit unterziehen sie einer Wissensprüfung. Sie brilliert. Sie ist hochbegabt. Und beileibe nicht immer sympathisch – sie ist zu mancher Gemeinheit fähig, vielleicht notgedrungen. Also keineswegs eine Heilige, ganz und gar nicht. Und weltlichen Gefühlen und Gelüsten nicht abgeneigt: Sie verehrt und liebt die neu-spanische Vizekönigin. Sie ist eine frühe Feministin: Sie beharrt darauf, auch als Frau ihren Geist kultivieren und schreiben zu dürfen, also die Gaben Gottes zu nutzen, und sie hat großen Erfolg als Autorin – als Verfasserin religiöser wie weltlicher Texte. Doch das ist ihren Glaubensschwestern wie den Kirchenvätern ein Dorn im Auge. Missgunst wird gesät, Intrigen werden gesponnen – man muss sie Demut lehren und letztlich zerstören. Alicia Gaspar de Alba, ehemals Professorin für Chicana/Chicano-Studies, hat mir mit diesem Epos einen Schatz beschert und mir das goldene Zeitalter Mexikos nahegebracht.

 

Mirjam Pressler: Rosengift

Mirjam Pressler (geboren 1940 in Darmstadt), die viele als Autorin von Kinder- und Jugendbüchern und als vielfach ausgezeichnete Übersetzerin u. a. aus dem Hebräischen kennen, hat mit diesem 2004 erschienenen Buch einen nachwirkenden Psychothriller geschrieben, den ich schon vor Jahren zu meiner Freude entdeckt habe. Der Plot ist schnell umrissen: Elisabeth Brandner, alleinlebende Autorin von Kriminalromanen,  nimmt eine Jugendliche in einer Notsituation bei sich auf. Jene Annabella nistet sich unverfroren bei ihr ein, und damit gerät Elisabeths säuberlich geordnete Welt langsam, aber sicher aus dem Lot. Auf den ersten Blick erscheint Elisabeths Verhalten skurril, ja verrückt, doch die allmählich auftauchenden Erinnerungen an ihre eigene Kindheit und Jugend lassen eine gewisse zwangsläufige Logik in ihrem Verhalten erkennen. Das liest sich spannend, einschließlich der Versatzstücke aus dem Roman im Roman, der um eine Rosenzüchterin kreist – und erzeugt zunehmende Beklemmung, während die Situation eskaliert und auf ein dramatisches Ende zusteuert … Ein feiner psychologisch schlüssiger Roman, dessen wiederholte Lektüre mir genüssliche Leseabende verschafft hat.

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

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