Der Frühling ist ausgebrochen! Also ein Buch nehmen und nach draußen gehen! Für diejenigen, die noch eine Empfehlung brauchten, stellt Anke Strunz, die amtierende Technik-Koordinatorin Web der BücherFrauen, ihre Auswahl vor.
Anke Strunz ist freie Online-Redakteurin, übersetzt aus dem Dänischen und bloggt auf ihrer Website ankestrunz.de über skandinavische Literatur. Sie betreut Websites – von der Content-Erstellung bis zur Bildbearbeitung und Konzeption.
Nach ihrer Ausbildung zur Buchhändlerin in Rüsselsheim hat sie Skandinavistik und Germanistik in Hamburg und Roskilde studiert, anschließend elf Jahre im Vertrieb belletristischer Verlage gearbeitet und währenddessen mehrere Online-Seminare der BücherFrauen-Akademie absolviert. 2013 hat sie den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt.
„Im letzten Jahr habe ich mich von mehreren Umzugskisten Bücher getrennt – aus Platzmangel. Die Werke der folgenden Autorinnen hingegen werden immer einen Platz in meinem Bücherregal finden – auch wenn es nur aus einem Brett bestünde. Sie sind mir schlicht ans Herz gewachsen und Teil meiner Lesebiografie.“
Drei Autorinnen
Karen Blixen (1885–1962)
Mit Karen Blixen bin ich zum ersten Mal durch die Verfilmung von Babettes Fest in Berührung gekommen. Wir waren damals (1987) mit der Schule im Kino, und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mich die stille Stärke und Beharrlichkeit der Hauptfigur fasziniert hat. Die schon fast krimihafte Spannung und das überraschende Ende haben ebenfalls dazu beigetragen, dass mir der Film unauslöschlich im Gedächtnis geblieben ist.
Welch große Autorin die Geschichte erdacht hatte, wurde mir allerdings erst während meines Skandinavistik-Studiums bewusst. Bis heute verblüfft mich, wie zeitlos gerade diese Erzählung ist.
Die berühmte Chefköchin Babette muss während der blutigen Aufstände 1870/71 aus Frankreich fliehen. Ein Bewunderer ihrer Kochkunst verschafft ihr in Norwegen bei zwei alten Pastorentöchtern eine Stelle als Hauswirtschafterin. Keiner der heillos zerstrittenen Dorfbewohner erfährt jedoch, wer bei den beiden alten Damen fortan den Klippfisch zubereitet und das Bierbrot backt – bis Babette eines Tages in der Lotterie gewinnt und ein Festmahl ganz nach ihrer Art des Hauses ausrichtet. Was dann mit der Dorfgemeinschaft geschieht, ist nicht nur ganz großes Kino, sondern große Literatur.
Auch Karen Blixens mehr oder weniger autobiografisches Buch Jenseits von Afrika hat mich sehr beschäftigt. Sie erzählt hier von ihrer Zeit als Kaffeefarmerin am Fuße der Ngong-Berge, von ihrer großen Liebe zu Kenia und seinen Menschen und der schlussendlichen Vertreibung aus dem Paradies. Das Buch liest sich, als säße man mit der Autorin abends am Lagerfeuer und lauschte ihren wehmütigen Erzählungen aus vergangenen Zeiten, während sich die Schatten ringsum in Löwen, Gnus und Schirmakazien verwandeln.
Tatsächlich war Karen Blixen in der mündlichen Erzähltradition sehr verhaftet, und es gibt herrliche Filmaufnahmen, wie sie in einem Lehnstuhl sitzt und mit rauer Stimme eine Geschichte erzählt, als läse sie von einem unsichtbaren Blatt ab.
Meine dänische Taschenbuchausgabe von Jenseits von Afrika (Den afrikanske Farm) habe ich übrigens im Karen-Blixen-Museum in Rungstedlund gekauft, also dort wo Karen Blixen geboren wurde und nach ihrer Rückkehr aus Afrika gelebt hat. Als ich vor Jahren die Gelegenheit hatte, die Farm in Kenia zu besuchen, habe ich das Buch auch dorthin mitgenommen. Seitdem haftet etwas afrikanische Erde an seinen Seiten.
Susan Cooper (geb. 1935)
Wintersonnenwende von Susan Cooper ist wohl das Buch, das ich in meinem Leben am häufigsten gelesen habe. Wie oft, vermag ich nicht zu sagen. Zu Anfang habe ich es mir immer wieder in der Stadtbücherei ausgeliehen. 1985 bekam ich dann die gesamte Fantasy-Saga in fünf Bänden zum Geburtstag geschenkt. Ich vermute, dass ich in den darauffolgenden Tagen wenig anderes getan habe als lesen. 2000 habe ich mir dann noch die gebundene Neuausgabe zugelegt, da sich meine Taschenbuchausgabe leider in keinem guten Zustand befindet und nur noch mit Samthandschuhen angefasst werden darf.
Susan Cooper, geboren 1935 in Buckinghamshire, hat als Kind die Schrecken des Krieges unmittelbar miterlebt. Am Ende ihrer Straße befand sich ein Posten der Flugabwehr, weshalb sie und ihre Familie das Haus nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr verlassen durften. Während der Angriffe deutscher Flieger saß die Familie in einem Bunker und die Mutter las den Kindern trotz des Höllenlärms bei Kerzenlicht vor. Aus dieser Zeit stammt ihr zentrales Motiv vom Kampf des Lichtes gegen die Finsternis.
Später hat Susan Cooper in Oxford studiert, und zwar zu der Zeit als J. R. R. Tolkien und C. S. Lewis dort ihre Studierenden lehrten an Drachen zu glauben, wie ein Freund Susan Coopers es einmal formulierte. Persönlich hat Susan Cooper allerdings keinen von beiden gekannt.
Wintersonnenwende beginnt mit Will Stantons elftem Geburtstag kurz vor Weihnachten. An diesem Tag wird Will, ohne es zu wissen, als letzter in den Kreis der Alten aufgenommen, die seit Urzeiten das Licht gegen die Finsternis verteidigen. Während Will noch ganz damit beschäftigt ist, sich als jüngstes von elf Geschwistern im alltäglichen Familienchaos zu behaupten, passieren die ersten merkwürdigen Dinge: Seine Kaninchen wollen sich nicht mehr streicheln lassen, ein Wanderer wird von einem Schwarm Krähen angegriffen, und der Dorfschmied schenkt ihm ein Zeichen aus Eisen.
Tatsächlich ist dieses Zeichen in Form eines Sonnenrades das erste von sechs, die Will finden und vereinen muss, damit der Jäger Herne und die Wilde Jagd die Finsternis zur Wintersonnenwende ein weiteres Mal besiegen können. Der weise Merrimen hilft ihm, den Finten des Schwarzen Reiters zu entgehen und letztendlich den Wettlauf gegen die Zeit zu gewinnen.
Eben jener Merrimen spielt auch in den anderen Bänden der Saga eine Rolle und ist eines der verbindenden Elemente, denn jeder Band ist eine in sich abgeschlossen Geschichte.
Wintersonnenwende von Susan Cooper gilt als Klassiker der fantastischen Jugendliteratur. Die ersten drei Bände wurden von Annemarie Böll übersetzt, Band vier und fünf von Karin Polz.
Sara Lövestam (geb. 1980)
Sara Lövestam ist im Gegensatz zu den beiden ersten Autorinnen eine Entdeckung aus jüngerer Zeit. 2015 stellte die freie Lektorin und Übersetzerin Sibylle Klöcker bei der Buchweihnacht der Hamburger BücherFrauen Herz aus Jazz so begeistert vor, dass ich mir das Buch umgehend gekauft habe – zumal ich immer auf der Suche nach interessanten Titeln für meinen Blog über skandinavische Literatur bin.
In Herz aus Jazz erzählt Sara Lövestam, wie beglückend, aber auch ausgrenzend Musik sein kann. Steffi wird in der Schule gemobbt. Dass sie Bass spielt und auf Jazz steht, macht sie in den Augen ihrer Mitschüler erst recht zum Sonderling. Auch der betagte Alvar kennt die verächtlichen Blicke. Nicht jeder war damals, in den „Swinging Forties“, jazzbegeistert. „Swingheini“ haben sie ihn genannt. Aber was schert einen schon die Meinung der anderen, wenn man Abend für Abend mit seinem Bass den Tanzsaal zum Kochen bringt? Durch einen Zufall wird Alvar Steffis Mentor. Er lehrt sie hinter die Fassaden der Menschen zu sehen und selbstbewusster zu werden. Dank seiner Unterstützung traut Steffi sich am Ende ihren Traum von einer musikalischen Ausbildung wahr zu machen.
Genauso herzerwärmend und empathisch sind Sara Lövestams Bücher Die Wahrheit hinter der Lüge und Wie ein Himmel voller Seehunde. Das erste ist ein Kriminalroman und handelt von einem untergetauchten Flüchtling, der sich als Privatdetektiv verdingt, um ein verschwundenes Mädchen zu suchen, das vielleicht nur in der Fantasie seiner Mutter existiert.
Das zweite ist eine Liebesgeschichte zwischen zwei sehr unterschiedlichen Mädchen, die einen unvergleichlichen Schärensommer erleben – bis Alltag und Klassenunterschiede sie einholen und ihre Gefühle auf eine harte Probe stellen.
Sara Lövestams große Kunst ist es, völlig vorurteilsfrei von Menschen zu erzählen, die anders sind, anecken, die durch gesellschaftliche Raster fallen und deshalb gar keine andere Wahl haben, als eine gehörige Portion Mut und Sturheit an den Tag zu legen. Ganz besonders gefällt mir auch, dass sich die Bücher nicht in eine Schublade stecken lassen und jede Geschichte wieder neu und überraschend ist.
Alle drei Bände wurden von Stephanie Elisabeth Baur übersetzt.
Drei Bücher
Charlotte Brontë: Jane Eyre
Auch ich hatte eine Phase, in der ich alles verschlang, was mir von den Brontë-Schwestern und Jane Austen in die Hände fiel. Leider währte diese Phase nur kurz – mangels Nachschubs.
Jane Eyre von Charlotte Brontë ist seitdem eines meiner Lieblingsbücher. Zum einen, weil ich die entschiedene und pragmatische Jane schon immer mochte, zum anderen, weil ich ein Faible für Schauriges habe. Und die Beschreibung der Ereignisse auf Thornfield Hall lassen einem wirklich die Haare zu Berge stehen.
Thornfield Hall ist das Anwesen des finsteren Mr Rochester, der Jane als Gouvernante für seine Tochter einstellt. Aus dem Turm des Schlosses sind immer wieder furchterregende Geräusche zu hören und eines Nachts gehen die Bettvorhänge des Hausherrn in Flammen auf. All das verhindert nicht, dass sich Jane und Rochester ineinander verlieben. Am Tag ihrer geplanten Heirat offenbart sich allerdings mit einem Paukenschlag, welch düsteres Geheimnis die Mauern von Thornfield Hall verbergen. Jane flieht und beginnt ein neues Leben, ohne Rochester vergessen zu können.
Meine Ausgabe wurde von Andrea Ott übersetzt und enthält ein Nachwort von Elfi Bettinger, das mir die Augen für ein paar sehr interessante Aspekte des Romans geöffnet hat – zum Beispiel dafür, dass Charlotte Brontë die Geschichte erst dann zu einem glücklichen Ende bringt, als sich Jane und Rochester finanziell auf Augenhöhe befinden.
Anne Rice: Der Fürst der Finsternis
Was wäre wenn … man ewig leben und von vergangenen Jahrhunderten erzählen könnte? Wenn man mehrere Leben hintereinander leben könnte, sich immer wieder neu erfinden müsste, um keine Aufmerksamkeit zu erregen? Wenn man alle Zeit der Welt hätte, um unermessliche Reichtümer anzuhäufen? Wenn man nie wieder die Sonne sehen dürfte? Wenn man in einer Endlosschleife Abschied von geliebten Menschen nehmen müsste, ohne selbst gehen zu können? Literatur eignet sich hervorragend für solche Gedankenspiele, die Imagination von Lebensläufen unter anderen Vorzeichen.
Anne Rice hat diese Möglichkeit auf recht blutrünstige Weise genutzt und den Vampir Lestat erschaffen. Lestat ist grausam, aber kein Monster, er hat Moral und Humor. Er ist gebildet und reflektiert die Entwicklung von Sprache, Mode und Musik über die Jahrhunderte hinweg. Schließlich ernährt sich Lestat bereits seit 1780 ausschließlich von Blut. Natürlich wird in dem Roman auch munter gemeuchelt, Feindschaften werden gepflegt und Intrigen geschmiedet. Er spielt übrigens in dem herrlich morbiden New Orleans mit seinen dekadenten Villen und verfallenen Friedhöfen. Ein hervorragendes Jagdrevier für einen Vampir, dessen bevorzugte Opfer reuelose Mörder sind.
Anne Rice hat in einem Interview gesagt, sie würde sich wünschen, dass die Leute eselsohrige Bände ihrer Bücher in den Taschen tragen. Nun, in meinem Fall steht ein zerlesenes Exemplar von 1990 im Regal. Ich hoffe, sie lässt das gelten.
Übersetzt wurde Der Fürst der Finsternis von Michael Schulte und Charlotte Franke.
Bea Uusma: Die Expedition. Eine Liebesgeschichte: Wie ich das Rätsel einer Polartragödie löste
Es gibt Frauen, die davon besessen sind, ein bestimmtes Rätsel zu lösen, die Unmengen an Zeit und Geld investieren, um einem Mörder auf die Spur zu kommen, ein Schicksal zu klären oder eine Formel zu finden. Diese Frauen folgen hartnäckig jeder Spur, arbeiten sehr akribisch und beweisen in der Regel ein bewundernswertes Durchhaltevermögen. Bea Uusma ist eindeutig so eine Frau.
Als ich 2013 in einer Buchhandlung in Stockholm herumstöberte, fiel mir die illustrierte Ausgabe ihres Buches sofort ins Auge. Die Kombination aus alten Fotografien der Andrée-Expedition mit aktuellen Aufnahmen aus der Nordpolregion, samt statistischen Auswertungen und einer „Tatort“-Skizze, haben mich unmittelbar angesprochen und mir tatsächlich eine ungeheuer spannende Lektüre beschert.
1897 versuchten Solomon August Andrée, Nils Strindberg und Knut Frænkel den Nordpol in einem Heißluftballon zu überqueren. Sie scheiterten kläglich und strandeten auf einer kleinen Insel. Hier starben sie kurze Zeit später, obwohl sie genügend Nahrung, Kleidung und Munition für eine Überwinterung bei sich hatten. Ihre Todesursachen sind bis heute ungeklärt, und genau dieses Rätsel hat Bea Uusma, wie so viele andere vor ihr, zu lösen versucht. Dafür hat sie Medizin studiert, ist trotz ihrer Abneigung gegen Kälte mehrfach in die Region gereist und hat tagelang in diversen Archiven gegraben. Den endgültigen Beweis hat auch sie nicht gefunden, aber etwas, das ihre Theorie untermauert und sehr wahrscheinlich macht.
Übersetzt hat die deutsche Ausgabe Susanne Dahmann.
Copyright der Fotos: Anke Strunz
22. April 2018 um 15:48
Danke für die schönen Empfehlungen, Anke!
23. April 2018 um 16:26
Herzliche gern, Silke.