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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Drei Autorinnen – drei Bücher: Annett Kreil

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Auch in diesem Jahr geht es weiter mit der Vorstellung von Autorinnen und ihren Werken. Den Anfang macht die freie Lektorin und Schreibcoach Annett Kreil, die sich vor allem mit schreibenden Müttern beschäftig – aber die Bücher sind selbstverständlich auch für Nicht-Mütter sehr lesenswert.

© privat

Annett Kreil ist freie Lektorin und Schreibcoach und ganz neu bei den Bücherfrauen. Seit 2017 schreibt sie Rezensionen auf ihrem Buchblog Buch & Schöpfer und ist ehrenamtliche Patin für einen öffentlichen Bücherschrank in Großhadern. Sie lebt mit ihrer Tochter in München.

Unter der Rubrik „Drei Autorinnen“ möchte ich heute drei schreibende Mütter vorstellen. Inspiriert dazu hat mich vor allem der Sammelband von Barbara Rieger Mutter werden. Mutter sein. Unter „Drei Bücher“ kommen viele Autorinnen zu Wort, die in ihren Essays den Konflikt zwischen der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Alltag sowie dem Schreiben thematisieren. Im letzten Jahr sind mir hauptsächlich zwei deutsche Autorinnen begegnet, die diese Kontroverse in ihren Sachbüchern erörtern und teilweise biografisch festhalten. In Romanform gelingt es Leïla Slimani, durch ihre Protagonistinnen den Zwiespalt zu beschreiben zwischen Mutterrolle und Autophilie.

Doch geht es nicht nur um die Vereinbarkeit der vielfältigen Frauenrollen, sondern auch die Gegenüberstellung von weiblicher und männlicher Literatur. Wer hat die besseren Voraussetzungen, Worte zu Papier zu bringen, die sichtbarer wahrgenommen wird?

Drei Autorinnen

Caroline Rosales (geb. 1982)

Ich entdeckte die Autorin zum ersten Mal bei meiner Recherche nach Ratgebern zum Thema Wechselmodell in der Kindererziehung. Ihr Buch Single Mom ist eine Mischung aus Sachbuch und Biografie. Sie schreibt aus ihrer Sicht einer alleinerziehenden Mutter über Mutterbashing, Missgunst und Sorgen, die weit über das Finanzielle hinausgehen.

„Das ist der Lebensentwurf der anderen, das hier ist meiner.“

Aus: Single Mom

Angezogen von ihrem offenen und authentischen Schreibstil verfolgte ich die Berliner Journalistin über ihre Kolumnen und Social-Media-Kanäle. In all ihren Auftritten bei Lesungen, Preisverleihungen und Talkrunden geht es um die Themen Frausein, Alltagssexismus und missbräuchliche Gesellschaftsstrukturen. In ihrem zweiten Buch Sexuell verfügbar beschreibt sie autobiografisch das Aufwachsen in einer patriarchalisch-sexistischen Gesellschaft. Mit viel Wut geschrieben und wie eine Mustervorlage zur Entstehung von typischen Geschlechterrollen.

Ihr drittes Buch, der aktuell erschienene Roman Das Leben keiner Frau, erzählt von einer Frau Anfang 50, die am Wendepunkt ihres Lebens steht. Die Autorin porträtiert ihre Protagonistin Mel so zynisch und brutal ehrlich, dass die Figur mit all ihrer Verwundbarkeit doch stark und authentisch ist. Der Lifestyle in einer Großstadt trägt zu den kruden Charakteren bei. Welten, die sich jemand außerhalb dieser Szenerie kaum vorstellen kann. In der Kritik gehen die Meinungen dieses Romans weit auseinander.

Ich lese Rosales deshalb so gern, da sie eine Welt aufzeigt, die scheinbar abseits der Norm liegt und doch so viele von uns trifft. Nur selten redet jemand darüber. Weder die chaotische Alleinerziehende, die betrogene Ehefrau oder die gereifte, einsame Frau in ihrer Midlife-Crisis. Es sind die Brüche und die unschönen Spiegelungen in jeder von uns. Ehrlich und schonungslos.

„Keine Geliebte, keine Ehefrau, keine Freundin. Ich bin als gar keine Frau gut. Mein Leben ist das Leben keiner Frau.“ Aus: Das Leben keiner Frau

 

Mareice Kaiser (geb. 1981)

Die Autorin ist ebenso Berliner Journalistin und Kolumnistin. Sie ist Chefredakteurin des Online-Magazins EDITION F und schreibt über Inklusion, Familie und Politik. Auf ihrem Blog Kaiserinnenreich berichtete sie seit 2014 über ihr Leben als Mutter zweier Kinder. Mareice Kaiser hat zwei Töchter. Eine mit und eine ohne Behinderung. Die ältere Tochter, auf dem Blog Kaiserin 1 genannt, starb im Alter von vier Jahren aufgrund eines Chromosomenfehlers.

In ihrem ersten Sachbuch Alles inklusive beschreibt sie den Alltag einer Mutter, die mehr sein will als die Pflegekraft ihres behinderten Kindes. Es geht um das Thema Inklusion und ihre Hürden in dieser Gesellschaft und der Bürokratie sowie die Vereinbarkeit zwischen Job und Familie und immer wieder die unerschütterliche Liebe zu ihrem Kind.

„Wie soll sich was verändern, wenn niemand kämpft?“ Aus: Alles inklusive

Ihr Buch Das Unwohlsein der modernen Mutter ist ein hervorragendes Beispiel der auferlegten Rollenbilder als Mutter und der Spagat zwischen Berufstätigkeit und Kreativität. Die Autorin macht bewusst darauf aufmerksam, dass wir meilenweit davon entfernt sind, selbstbewusst, eigenständig und solidarisch zu sein. Als Journalistin und Autorin schafft sie sich bewusst Freiraum, um eben nicht nur die Mutterrolle zu erfüllen, sondern um sich selbst als Frau und Künstlerin nicht zu vergessen. Zum einen, weil es ihr Broterwerb ist, zum anderen für ihre Kreativität. Es erinnert an Virginia Woolfs Essay Ein Zimmer für sich allein. Das, was Frauen ebenso zusteht, um am Arbeitsleben teilhaben zu können, zu schreiben, sich auszuruhen und sich zu finden. Fernab von allen Rollen. Nur als man selbst.

 

Leïla Slimani (geb. 1981)

„Muttersein heißt, du tust Gutes und Schlechtes, du machst manche Dinge falsch und manche genau richtig. Das will ich mit meinen Figuren ausdrücken. Die Tabus finde ich sehr interessant.“

Die weltweit bekannte Autorin bringt die Konflikte mit dem Muttersein aus der persönlichen und gesellschaftlichen Perspektive vor allem in ihren Romanen Dann schlaf auch du und All das zu verlieren zur Sprache.

Beide Romane, die ich von Leïla Slimani gelesen habe, kann ich ausnahmslos empfehlen. Die Autorin ist zu Recht eine der gefragtesten in Frankreich und ebenso weltweit. Spannende Charaktere und aufregend erzählt. Sie schreckt vor keinem Thema oder Stigma zurück: erweiterter Selbstmord, Sexbesessenheit, Depression, Borderlinestörung und das negative Erleben der Mutterrolle. In diesen beiden Werken setzt sie sich hauptsächlich mit weiblichen Rollen auseinander, die als psychologisch auffällig bis grenzwertig beschrieben werden. Getrieben durch übersteigerte Sinnsuche und starke Ambivalenzen gibt Slimani durch ihre Protagonistinnen erschreckende und faszinierende Einblicke in düstere Seelen.

Der grandiose Erzählstil der Autorin sowie die sehr gelungenen Übersetzungen von Amelie Thoma überzeugen auf ganzer Linie.

Der aktuelle Gesellschaftsroman Das Land der Anderen erzählt von verschiedenen Frauengenerationen innerhalb einer Familie. Alltagsrassismus, unkonventionelle Liebe und wieder die Vereinbarkeit zwischen persönlichem Freiheitsdrang und Kindererziehung. Auch dieser Roman wurde großartig übersetzt von Amelie Thoma.

 

Drei Bücher

Barbara Rieger (Hg.): Mutter werden. Mutter sein. Autorinnen über die ärgste Sache der Welt

Dieser Sammelband war mein persönlicher Denkanstoß zu diesem Blogbeitrag.

„Muttersein und schreiben, das heißt immer an einer Stelle wund zu sein.“ Nava Ebrahimi

Hauptsächlich österreichische Schriftstellerinnen kommen in dem Sammelband zu Wort und schreiben in biografischen und ebenso erdachten 15 Geschichten über die „ärgste Sache der Welt“. Der Balanceakt zwischen zwei Welten: die kreative und die sich kümmernde. Was von beiden nimmt am meisten Platz ein und wie schaffen diese Autorinnen diesen Spagat?

„Je besser das Verhältnis zu den kleinen Kindern, umso schlechter die Literatur.“ Lydia Mischkulnig

Autorinnen in diesem Buch sind: Helena Adler, Lene Albrecht, Katja Bohnen, Teresa Bücker, Nava Ebrahimi, Andrea Grill, Sandra Gugić, Franziska Hauser, Simone Hirth, Gertraud Klemm, Elena Messner, Lydia Mischkulnig, Barbara Peveling, Barbara Rieger (Herausgeberin) und Verena Stauffer.

Ein weiteres tolles Buch, welches ähnliche Absichten hatte, war der 2020 vom Kein & Aber Verlag herausgebrachte Band:

 

Ilka Piepgras (Hg.): Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben

Dreiundzwanzig intime Einblicke in das Autorinnenleben sowie erfundene Geschichten, die genauso gut hätten wahr sein können. Wieder geht es darum, die Unterschiede aufzuzeigen, wie die Arbeit männlicher und weiblicher Autoren rezipiert wird. Einige Autorinnen kratzen das Thema nur kurz an, doch die meisten Texte treffen mitten in den Alltag und dessen Herausforderungen, um Schreiben zu können.

„Ich weiß, dass das literarische Schaffen eine derartige Konzentration aller Energien verlangt, aller Gefühle, die wir haben, dass es sicher mit der Mutterschaft kollidiert …“ Elena Ferrante – Korrespondenz mit Sheila Heti.

Was schaffen also Männer, was Frauen – egal ob mit Kindern oder nicht – scheinbar nur schlecht schaffen? Und wenn, mit welchem Gewissen?

Das rigorose Abschotten. Zeit am Stück.

Sich diese Zeit nehmen zu dürfen. Ein Zimmer für sich allein. Virginia Woolf ist unsere Vorreiterin. Sie trifft mit dieser Forderung den Kern der Sache, der heutzutage noch schwieriger zu erreichen ist, doch unter ganz anderen Bedingungen als damals.

In Kathryn Chetkovichs Essay Neid kommt die Konkurrenz zwischen beiden Geschlechtern in Form einer Schriftstellerehe authentisch zur Sprache. „Wo wir hinkamen, war ich seine Frau. Nie war er mein Mann. Das habe ich gehasst.“

„Von den vielen guten Gründen, trotz widriger Umstände zu schreiben, erzählt dieses Buch. Es bricht das klischeehafte Bild der zeitgenössischen Schriftstellerinnen und zeigt ihre Kunst als das, was sie tatsächlich ist: harte Arbeit.“ Ilka Piepgras: Wie alles begann

Weitere Autorinnen in diesem Sammelband sind: Anne Tyler, Eva Menasse, Elif Shafak, Mariana Leky, Siri Hustvedt, Joan Didion, Antonia Baum, Kathryn Chetkovich, Teréza Nora, Elfriede Jelinek, Katharina Hagena, Deborah Levy, Nicole Krauss, Zadie Smith, Leïla Slimani, Hilary Mantel, Elke Schmitter, Sibylle Berg, Olivia Sudjic, Elizabeth Strout, Jennifer Egan, Meg Wolitzer, Sheila Heti mit einer Korrespondenz mit Elena Ferrante.

Übersetzt wurden die Essays von: Sophie Zeitz, Uli Aumüller, Barbara Schaden, Tanja Handels, Anna-Christin Kramer, Julia Brandestini

 

Cristina De Stefano: Skandalös – Das Leben freier Frauen

Frauen, die bereits großartige Literatur geschrieben haben, ob nun mit Kindern oder nicht, und andere Künstlerinnen hat die italienische Autorin Cristina De Stefano in ihrem Sammelband Skandalös – Das Leben freier Frauen zusammen porträtiert. Übersetzt wurde das Buch von Franziska Kristen.

Stefano stellt die ‚bösen Mädchen‘ ihrer Zeit mit viel Liebe und Bewunderung vor, ohne moralisch oder diffamierend zu wirken. Alle sind getrieben von der Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit. Unbeugsam, kreativ und das Leben mit all seinen Facetten herausfordernd treten sie der Welt entgegen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, was Sitte und Moral von ihnen denkt.

Die Autorin hat großartige Frauenfiguren für diese Sammlung ausgesucht. Ihre Vorstellungen und Essays laden dazu ein, mehr über die vielfältigen Künstlerinnen zu recherchieren und hat mich dazu gebracht, meine Bibliothek zu erweitern. Viele Romane oder Textstellen lesen sich mit diesen wertvollen Hintergrundinformationen exklusiver und intimer.

Ein tolles Buch über tolle Frauen !

Mit Porträts von: Tallulah Bankhead, Louise Bourgeois, Pearl S. Buck, Lydia Cabrera, Claude Cahun, Marguerite Duras, Elsa von Freytag-Loringhoven, Tove Jansson, Toto Koopman, Else Lasker-Schüler, Clarice Lispector, Mina Loy, Grace Metalious, Nahui Olin, Jean Rhys, Niki de Saint Phalle, Albertine Sarrazin, Annemarie Schwarzenbach, Nina Simone, Violet Trefusis.

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

2 Kommentare

  1. Hallo, dieser Beitrag hat mir ausgesprochen gut gefallen! Vielen Dank für die vielen wunderbaren AutorInnen- und Lektüre-Tipps!
    Grüße, B. M.

  2. Herzlich gerne und auch ganz lieben Dank!
    Viele Grüße aus München,
    Annett

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