BücherFrauen

Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Drei Autorinnen – drei Bücher: Barbara Fischer

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Die Autorin Barbara Fischer stellt uns in diesem Monat nicht nur Autorinnen aus Afrika und Deutschland vor, sondern wirft auch einen Blick zurück in die Geschichte: So stellt sie die erste Schriftstellerin überhaupt vor, deren Werk erhalten geblieben ist, und die erste französische Schriftstellerin, die von ihrem Werk leben konnte.

Foto: Horst Krauth

Barbara Fischer hat sich der feministischen Fantasy verschrieben. Schon in ihrer Kindheit las sie alles weg, was Buchstaben hatte und ihr unter die Finger kam. Vorzugsweise baltische Märchen, tscherkessische Erzählungen und schnell auch die russischen Klassiker. Ihr künstlerischer Werdegang begann in der späten DDR. Sie schrieb Kurzgeschichten, Pamphlete, Fragmente und Flugblätter. In Köln studierte sie alles, was eine Germanistin wissen musste über deutsche Literaturepochen, was eine Ethnologin interessierte über Stämme und Abstammungslinien und was für eine Malaiologin wichtig war in der indonesischen Geschichte und Literatur. Sie suchte und fand die zahlreichen Fußstapfen großer Frauen, aber vor allem Mythologien taten es ihr an. Als geistige Mentorin betrachtet sie bis heute Christine de Pizan und arbeitete mit deren Konzept der „Antiphrase“: Sie entfernte die Hinterlassenschaften der patriarchalen Überlieferungstraditionen und fand im Ursprung der Geschichte die großartigsten Frauen. Ihr erster Fantasyroman hieß Liliths Weltenchronik und wurde 2014 im Verlag auf der Warft, Münster veröffentlicht. Im Jahr 2019 wurde die überarbeitete Version Lilith als erster Teil der Baumweltensaga im Berliner Verlag periplaneta veröffentlicht. In den Lockdown-Frühjahren 2020 und 2021 erschienen Teil zwei und drei, Freyja und Frigg, ebenfalls bei periplaneta: www.baumweltensaga.de.

Barbara Fischer ist Mitglied im Haus der Frauengeschichte Bonn, im Allerweltshaus Köln und seit 2020 bei den Bücherfrauen.

 

Drei Autorinnen

Enheduanna

Disk of Enheduanna

Eine meiner ganz großen Freuden ist es, wenn ich beim Stöbern in der Vergangenheit unerwartet auf einen Diamanten stoße. Heute und hier werde ich über einen solchen Fund berichten. Im Zuge von Recherchen unterhielt ich mich mit einem irakischen Wissenschaftler, der mir den Namen der Urahnin aller Schriftstellerinnen nannte: Enheduanna. Ich hatte nie zuvor von ihr gehört und begann zu recherchieren. Ich stieß auf eine Londoner Enheduanna Society und auf eine engagierte Forscherin, der ich es verdanke, heute mehr über den historischen Fußabdruck einer großen Dichterin zu wissen, die vor mehr als viertausend Jahren in Sumer in Keilschrift schrieb.

Wie schon oft beklagt und leider doch gewohnt, existiert diese erste und großartige Schriftstellerin noch immer außerhalb der Brennweite der Lupe, die Männer gerne auf das männliche Schaffen richten und uns mit der damit einhergehenden Vergrößerung und Wiederholung ein Geschichts- und Kulturbild malen, wie Mann es gerne hätte.

Enheduanna war die erste Frau (sogar der erste Mensch?), von der es bis heute überlieferte Zeugnisse gibt. Sie lebte circa 2285–2250 v. u. Z. in Ur, der Wiege aller Kultur und Schriftsprache, wie es so schön heißt, obwohl auch das gerade neu verhandelt wird. Unbestritten dagegen ist, dass sich in der südlichen Landschaft des mesopotamischen Schwemmlandes, das sich bis zum Persischen Golf erstreckt, ein entscheidender Schritt vollzog und sich in der Menschheitsgeschichte erstmals und bis heute dokumentiert eine Hochkultur entwickelte, die die Keilschrift erfand. Mit dabei war Enheduanna: Hohepriesterin, Astronomin, Gottheit und Schriftstellerin in einer Person. In heutigen Wortschatz übersetzt, war ihre gesellschaftliche Rolle in der damaligen Gesellschaft: Päpstin, Gelehrte, Dichterin.

Keilschriften zu entziffern, ist ein mühsames Geschäft, aber die Göttinger Altorientalistin Annette Zgoll schreckt davor nicht zurück. Sie sieht in Enheduannas Werk durchaus ein Zeugnis für weibliches Schreiben. Auch wenn sich uns aus heutiger Sicht die Frage stellt: Schrieb Enheduanna religiöse Texte oder war das schon Literatur? So ist die Antwort auf die Frage aus Annette Zgolls Sicht eindeutig. Enheduannas rhythmische, eindringliche Bildersprache ist ein Beispiel für die Kultur jener Zeit, die eine Kultur des Wortes war. Im Gegensatz zu unserer heutigen Kultur der Zahl, des Zählens, Messens, Wiegens. Zgoll sagt, dass für die Sumerer damals das Wort der eigentliche Schlüssel zur Welterfahrung gewesen sei.

Ich schließe mit einer Übersetzung der Altorientalistin aus dem Werk Enheduannas: „In meinem Schicksal bestimmenden Teil des Tempels war ich zu dir, oh Göttin, eingetreten, ich, die Hohepriesterin, ich, En-hedu-anna. Während ich den Korb für das Ritual trug, während ich gerade den Festjubel angestimmt hatte, da hat man die Totenopfergaben aufgestellt, als hätte ich aufgehört zu leben. Dem Licht kam ich nahe, da wurde das Licht mir sengend heiß. Dem Schatten kam ich nahe, nachdem auch der Schatten mir durch Sturmeswüten verhüllt wurde, da wurde mein süß klingender Mund ekelerregend. Alles, womit ich sonst Freude bewirke, wurde mir zu Staub.“

 

Christine de Pizan (geb. 1364–nach 1429)

© Britta Jürgs

Christine de Pizan begegnete mir beim ersten Besuch im Haus der Frauengeschichte in Bonn im Jahr 2012 – quasi im Großformat, denn dort wurden sie und ihr Werk in einer eigenen Ecke geehrt. Seit Jahren schmückt das schönste aller Zitate aus dem Buch der Frauen meine Websites:

„Lass uns, ohne noch mehr Zeit zu verlieren, hinaus aufs Feld der Literatur gehen: dort soll die Frauenstadt auf einem fetten und fruchtbaren Boden errichtet werden, dort, wo alle Früchte wachsen, sanfte Flüsse fließen und die Erde überreich ist an guten Dingen jeglicher Art.“

Geboren wurde Christine de Pizan im Jahr 1364 in Italien. Durch den Beruf des Vaters zog die Familie nach Frankreich. Paris wurde ihr schon in jungen Jahren zur Heimat. Der historisch-politische Kontext ihres Lebens ist der 100-jährige Krieg, in dem sich Frankreich und England befanden, sowie ein innerfranzösischer Bürgerkrieg. Eine ausgezeichnete Ausbildung und frühe Eheschließung mit 15 Jahren schützten sie nicht vor schweren Schicksalsschlägen oder der üblichen misogynen Diskriminierung. Ihre Ausbildung ermöglichte ihr, sich und ihre Familie durch ihre schriftstellerische Tätigkeit zu ernähren. Christine de Pizans Lebenswerk ist ebenso reichhaltig und vielseitig wie gebildet und empathisch. Sie schrieb sehr persönliche Balladen. Vor allem aber feministische, universalgelehrte und politisch-pazifistische Werke.

© Doris Hermanns

Das Buch von der Stadt der Frauen (aus dem Mittelfranzösischen ins Deutsche übersetzt von Margarete Zimmermann) erlangte dank der Arbeit vieler Wissenschaftlerinnen große Verbreitung und Bekanntheit. Ein brillantes feministisches Werk, das nur so strotzt von geistiger Gewandtheit und Humor.

In ihrem umfangreichen Werk Le Livre de la Mutacion de Fortune gibt sie sich nicht nur als Universalgelehrte zu erkennen, sondern verfolgt die Fußspuren mythologischer Frauengestalten, wie den Amazonen, die sie besonders lobend und ausführlich erwähnt.

Ist ihr – zur damaligen Zeit einmaliger – feministischer Standpunkt allein schon eine politische Äußerung, so positionierte sie sich in zahlreichen Schriften über politische Analysen und Ratschläge hinaus als Kämpferin für den Frieden und als Pazifistin. Im Jahr 1410 verfasste sie, mitten im französischen Bruderkrieg, die Lamentations sur les Maux de la Guerre Civile, in der sie die Herrschenden beschwört, endlich Frieden zu halten. Ihr Le Livre de Paix entstand in zwei Teilen unter dem Eindruck des immer wieder aufflammenden Bürgerkrieges in den Jahren 1412 und 1413. Diese innere Zerrissenheit Frankreichs führte dann auch zu der damals größten politischen Katastrophe, der Niederlage bei Azincourt gegen das englische Heer im Jahr 1415.

Christine de Pizan veröffentlichte 1414 eine ihrer letzten Schriften. Ob das um diese Zeit am Horizont immer deutlicher erscheinende Monster der Inquisition dafür mitverantwortlich war oder Verzagtheit angesichts der Fruchtlosigkeit allen Tuns, diesen Krieg einzudämmen – er dauerte noch bis 1453 –, lässt sich nur spekulieren. Auf dem Konstanzer Konzil von 1414–18 jedenfalls sagte die katholische Kirche der Ketzerei explizit den Kampf an.

Im Jahr 1429 widmete Christine de Pizan ihr letztes Gedicht begeistert dem Wirken der neu auftretenden Jeanne d’Arc. Aber deren Hinrichtung 1431 hat sie definitiv nicht mehr erlebt. Christine de Pizan starb 1429 oder 1430 nach Jahren der Zurückgezogenheit in einem Kloster.

(DH: Anmerkung: Nach Christine de Pizan ist der neue Literaturpreis der BücherFrauen benannt worden: die Christine. Mehr Infos dazu hier.)

 

Susan Kiguli (geb. 1969)

In Köln lebende Kulturinteressierte haben das Glück, Veranstaltungen der Literaturreihe Stimmen Afrikas besuchen zu können, die einen unmittelbaren und lebendigen Austausch mit Literatur, Menschen und Autor:innen bedeutet. Auf der Website steht sinngemäß: Es ist vor allem die Bandbreite der Themen und Ausdrucksformen der Literaturen sowie die Begegnung mit außergewöhnlichen Persönlichkeiten, die jede Lesung zu einem besonderen Erlebnis werden lassen.

Ein solch besonderes Erlebnis war die Begegnung mit Susan Kiguli anlässlich des Literaturfestivals zum zehnjährigen Bestehen der Reihe mit dem treffenden Namen Crossing Borders. In der Eröffnungsveranstaltung las Susan Kiguli in einer ausdrucksstarken Performance das eigens für dieses Festival geschriebenes Gedicht OLULIMI OLWANGE N’OLULWO in ihrer Muttersprache Luganda. Die deutsche Übersetzung des Titels ist „Meine Sprache und deine Sprache“. Ein Thema, das während des Festivals heiß diskutiert wurde, angesichts der Tatsache, dass es einst als selbstverständlich galt, Kinder auf dem afrikanischen Kontinent in ihrer Muttersprache aufwachsen zu lassen, sobald sie aber in die Schule kamen, ohne Vorbereitung oder zusätzlichen Sprachunterricht in der Sprache des jeweiligen ehemaligen Koloniallandes zu unterrichten. Muttersprache kann keine Bildung, sondern nur die Sprache der Kolonialisten?

Susan Kiguli ist eine der führenden Intellektuellen der zeitgenössischen ostafrikanischen Poesie. Sie ist Mitbegründerin von FEMRITE, der Uganda Women Writers’ Association. Und sie ist Wissenschaftlerin, die über mündliche Poesie und Performance arbeitet.

Die Vielfalt ihres lyrischen Werkes und die Eindringlichkeit ihrer Stimme kann man erleben in dem auf Deutsch erschienen Gedichtband Zuhause treibt in der Ferne (Übersetzung: Brigitte Olischinski). Ich finde, allein der Titel ist ein Gedicht. In dem Buch setzt sie sich mit Gegenwartsthemen wie Migration auseinander, aber auch mit ihrer Reise nach Sylt. Vor allem aber stemmt sie sich mit lyrischer Stimme und als Mahnerin gegen das Vergessen, wie in ihrem Gedicht „Mütter singen ein Schlaflied, in dem sie das Grauen des Völkermordes von Ruanda thematisiert, oder dem Gedicht „Idi Amin ist tot.

Susan Kiguli ist eine wirklich beeindruckende Persönlichkeit, deren lyrische Stimme weithin schallen und gehört werden möge.

 

Drei Bücher

Iris Welker-Sturm: aus der stimmhaft. Über Luise Büchner – Georg Büchners umtriebige Schwester

Meine Lieblingspassage in Iris Welker-Sturms Biografieroman über Luise Büchner ist im Kapitel „Stimmung – über Schriftstellerei von Frauen“. Luise Büchner erinnert sich an die Märchen, die ihr ihre Großmutter erzählt hatte. Sie kann sich nicht erklären, warum diese Märchen so anders waren, als die der Gebrüder Grimm. Und auch so ganz anders als die der damals bekannten Darmstädter Verlegerfamilie Plönnies herausgegebenen Volkssagen und Märchen. Deren Märchen waren fast ausschließlich Soldatenmärchen mit kriegerischen Männern und sehr gewalttätig. Die Frauen entsprechen dem (noch heute) verbreiteten traurigen Klischee, dass sie sich nur für ihr Aussehen und Kleidung interessieren. Klugheit bei Frauen ist in diesem Rahmen negativ konnotiert und wird gleichgesetzt damit, dass Frauen listig seien, verschlagen und auf ihren Vorteil achteten. Luises Vergleich mit dem französischen Märchensammler Charles Perrault, bei dem die Gebrüder Grimm ausgiebig gewildert haben, und dem wir unsere bekanntesten Märchen verdanken, fällt für die deutschen Forscher nicht schmeichelhaft aus. Denn Luise Büchners Großmutter erzählte ihr vor allem die Feenmärchen, die bei den Gebrüdern Grimm als zu weiblich ausschweifend in Ungnade gefallen waren.

Die erfolgreiche Schriftstellerin Luise von Plönnies, Spross dieser Verlegerfamilie, tritt in diesem Kapitel als Gegenentwurf zu der allein im Schatten ihres Bruders Georgs wahrgenommenen Luise Büchner. Die ganze Familie Plönnies unterwarf sich dem patriarchalen Überlieferungsmodus und erntete damit Anerkennung. Luise von Plönnies führte erfolgreich einen literarischen Salon in Darmstadt und ihre Schriften verkauften sich. Ironie oder Konsequenz dieser Geschichte: auch Luise von Plönnies wurde Opfer genau dieses Modus, den sie reproduzierte und damit am Leben hielt. Denn wer kennt sie noch heute?

Die Autorin Iris Welker-Sturm hat viele exemplarische Passagen dieser Art geschrieben. Luises Büchners Leben als Konsequenz eines damals schwer einzufriedenden Patriarchats. Ein Leben bestehend aus den Eckpunkten der Verweigerung von Bildung für Frauen, der Verweigerung beruflicher Möglichkeiten, als Luise Büchner dann doch allen Anfeindungen zum Trotz den Beruf der Schriftstellerin ergreift, der Verweigerung der Anerkennung. Sie wird nur wahrgenommen als Botin für die politischen Schriften ihres Bruders. Obwohl nicht mehr wirklich umstritten ist, dass Luise Büchner erheblichen Anteil an der Fertigstellung des Lenz ihres früh verstorbenen Bruder Georg hat.

Vor diesem Hintergrund könnten viele der in den einzelnen Kapiteln angeschnittenen Themen detailliert aufgefächert werden. Die brisanten und für die Entwicklung der Demokratie bedeutsame Zeit des Vormärz wird von Iris Welker-Sturm in vielen Details erzählt, immer vor dem Hintergrund eines Lebens, in dem Frauen Bildung und Anerkennung verweigert wurde, nur aus dem Grund weil sie Frauen waren. Gleichzeitig beschreibt sie den Mut der Vielen, die sich trotzdem nahmen, was man ihnen nicht geben wollte. Eine gelungene und detailliert recherchierte Zeitreise zu einer Frau, die so viel mehr war und ist, als ihr bislang zugestanden wurde.

 

Ayu Utami: Saman

Als im Jahr 2015 Indonesien das Gastland auf der Frankfurter Buchmesse war, stieß ich auf das Buch Saman der international bekannten Schriftstellerin Ayu Utami. Sie gehört zum Jahrgang 1968, ist also im Jahr der Machtergreifung von General Suharto geboren. Und schon sind wir mittendrin im historischen Rahmen ihres preisgekrönten Buches Saman, das bereits 1998 in Indonesien veröffentlicht wurde, wenige Wochen vor der Abdankung des Generals. Im Jahr 2007 wurde es von Peter Sternagel übersetzt und kam auch in die deutschen Buchläden.

Namensgeber des Romans ist Saman, ein katholische Geistlicher, der im Verlauf der Erzählung vom Gottesdiener zum Widerstandskämpfer gegen die Ungerechtigkeiten eines politischen Systems wird, das alle Verfehlungen der Reichen und Mächtigen nicht nur schützt, sondern sie geradezu dazu auffordert, Gesetze und Menschenrechte zu brechen, um weiter im Klub der Großen mitspielen zu können.

Auf verschiedenen Ebenen beleuchtet Ayu Utami das Leben ihrer Figuren aus, sodass sie und ihre Schicksale glaubhaft und plastisch wirken. Sie setzt die drastische, indonesische Wirklichkeit armer Plantagenbauer, die sich gegen multinationale Konzerne wehren müssen, gegen Detailaufnahmen aus dem Leben einer New Yorker Kunststipendiatin und ihrer indonesischen Freundinnen.

Utami beschreibt die Grausamkeiten gegen die Landbevölkerung, die sich mehr schlecht als recht nur selbst schützen können, wenn fernab in den Schaltzentralen der Macht anonymisiert Befehle erteilt werden, aufgrund derer Menschen wie Schachfiguren auf einem Brett nach Bedarf hin und her verschoben werden sollen. Und beschreibt, was passiert, wenn sie das nicht hinnehmen und wie solche Lebensumstände die Menschen verändern.

Um das Bild von der Lebenswirklichkeit in Indonesien abzurunden, darf der Konflikt mit der Kolonialmacht Niederlande nicht fehlen. Die Kolonialisten forderten immer eine Anpassungsbereitschaft von der Bevölkerung, zu der sie selbst nie bereit waren. Das fängt schon bei den Namen an und hört bei den patriarchalen Verhältnissen nicht auf.

Ihr manchmal nur in Nebensätzen beschworener Feminismus ist authentisch und fängt die verschiedenen Wirklichkeiten und Lebenswelten von Indonesien und New York sowie einer Christin und Muslima ein. Aus westlicher Sicht könnte diese Geschichte als züchtig gelten, ganz im Sinne der muslimischen Mehrheit in Indonesien. Aus indonesischer Sicht gilt sie als aufmüpfig und sehr mutig. Aus beiden Sichten heraus ergibt sich ein tiefgründiges Bild über die Beziehung zweier Menschen. Wer Kitsch mag, muss woanders suchen. Auch wenn die Beziehungen der Freundinnen in New York und Indonesien beschrieben werden, sollte sich bitte niemand an eine der diversen US-amerikanischen Frauenserien erinnert fühlen, denn gerade auch der Erzählstrang, der sich rund um die Frauen flechtet, wird getragen von Utamis bildreicher Sprache und politisch-feministischen sowie manchmal einfach ulkigen Reflexionen, die aus einem clash of cultures, aus Differenzen zwischen Christentum und Islam oder Patriarchat und Feminismus entstehen. Sie sind immer auch politische Stellungnahmen.

Utamis Sprache ist ungemein bildhaft, mit viel Liebe zum Detail und humorvoll. Eine ausgezeichnete Art, sich dem Land Indonesien, seiner Geschichte und Literatur zu nähern.

 

Gcina Mhlophe: Love Child

Als Gcina Mhlophe 1981 ihr feministisches Gedicht „Sag Nein!“ schrieb, war Nelson Mandela schon 19 Jahre in Haft und sollte es noch weitere neun Jahre bleiben. Dieses Gedicht ist eines von vielen Neins, mit dem Gcina Mhlophe auf die Apartheidpolitik ihrer Heimat reagiert.

Sie ist eine der Frauen, die ihre Worte als Waffe benutzten, um sich den Weg aus der Apartheid zu erkämpfen. Sie ist eine wichtige Stimme heraus aus dem Sumpf von Rassismus und Diskriminierung. Sie ist die bekannteste südafrikanische Geschichtenerzählerin, aber auch Schauspielerin, Performerin und Dramatikerin. Ihre vielfältigen Begabungen und die Energie, mit der sie Anliegen herüberbringt, kann man in ihren Performances erleben, wenn sie ihre Geschichten erzählt, tanzt und singt.

Der Band Love Child (übersetzt von Susanna Köhler und Uta Goridis) stellt eine Fundgrube ihrer ganzen Schaffensvielfalt dar: poetische, politische, lyrische, autobiografische, vor allem mitreißende Gedichte und Geschichten.

Sie vermittelt mit ihren Texten Identitätsbewusstsein und verknüpft Gegenwart und Vergangenheit, so wie sie es erlebt hat als Kind, wenn ihre Großmutter Geschichten und Märchen erzählte. Die Bedeutung, die dieser Arbeit zugemessen werden muss, kann man nur erfassen, indem man die Gründlichkeit bedenkt, mit der die weißen Machthaber über Jahrhunderte Geschichtsbewusstsein und Identität der Völker Afrikas ausgerottet haben. Der Kampf um die eigene Identität ist Gcina Mhlophes Anliegen vor allen anderen, um mit der eigenen Geschichte auch die eigene Würde wiederzufinden.

Eigenes Erleben hat bei ihr immer eine politische Dimension und ihr Erzählen ist ohne den Hintergrund des Kampfes gegen die Apartheid nicht zu verstehen.

Ihr zutiefst humanistische Anliegen fasst sie in einem wunderschönen Zitat zusammen: „Mit den Geschichten ist es wie mit der Erde. Sie sind dazu da, dass wir sie miteinander teilen.“

 

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

Ein Kommentar

  1. Vielen herzlichen Dank für diese spannenden und lehrreichen Ausführungen vom Wirken über Jahrtausende hinweg von weit über die Erde verstreuten schreibenden Frauen 😉

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