BücherFrauen

Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Drei Autorinnen – drei Bücher: Emilia Gagalski

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Es ist warm – an den meisten Tagen zu warm, um viel zu tun. Und da bietet es sich an, ein Buch zu nehmen und einen kühlen Platz aufzusuchen. Wer noch Lesetipps braucht: Heute stellt uns die Übersetzerin Emilia Gagalski, die seit diesem Jahr  Regionalsprecherin der BücherFrauen-Gruppe Köln/Bonn-Rhein/Ruhr ist, ihre Auswahl vor.

Emilia Gagalski (1988) kommt ursprünglich aus Polen und besaß schon immer eine große Leidenschaft für Sprachen. So kam es, dass sie nach ihrem Abitur ein Bachelorstudium der Anglistik/Amerikanistik und Romanistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität in Bonn absolvierte. 2010 wurde sie für ihre Bachelorarbeit mit dem Preis „Rey de España“ ausgezeichnet. Darauf folgte ihr Masterstudium des Literaturübersetzens an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit 2015 arbeitet sie als freiberufliche Literaturübersetzerin aus dem Englischen und Spanischen. Bereits in ihrem Studium galt ihr Interesse allem, was mit Literatur von und über Frauen zu tun hat und so liegt ihr Schwerpunkt beim Übersetzen noch immer auf Themen wie Feminismus, Gender und Diskriminierung aus weiblicher Sicht. Außerdem arbeitet sie noch als Dozentin für Deutsch in Integrationskursen. Seit diesem Jahr ist sie Regionalsprecherin der Bücherfrauen-Gruppe Köln/Bonn-Rhein/Ruhr.

 

3 Autorinnen

Lucy Maud Montgomery (1874–1942)

Mit dem Kinderbuch Anne auf Green Gables über eine rothaarige Waise wurde die kanadische Schriftstellerin Lucy Maud Montgomery Anfang des neunzehnten Jahrhunderts berühmt. Die fast zehn Bände umfassende Reihe wurde nicht nur in etliche Sprachen übersetzt, sondern auch mehrfach in Filmen und Serien ausgestrahlt. Wer kennt nicht die Figur der sympathischen und rebellischen Anne, die um ihre Träume kämpft und schließlich das Leben lebt, das sie sich erträumt hatte? Für mich war und ist diese Figur etwas ganz Besonderes, eine Art Vorbild, denn sie traut sich, ihre Meinung zu äußern und läßt sich von niemandem den Mut nehmen, genau das zu tun, was sie liebt, nämlich das Schreiben. Anne hat es bei Gott nicht leicht in ihrem Leben, wächst ohne Eltern auf und muss sich in einer patriarchalen Welt durchkämpfen. Doch nichts davon lässt sie jemals an sich und ihren Fähigkeiten zweifeln. Es lassen sich einige Parallelen zum Leben von Lucy Maud Montgomery erkennen, die selbst auch ohne Eltern aufwachsen musste und bereits als junges Mädchen anfing zu schreiben. Nicht nur Gedichte und Essays verfasste sie schon in jungen Jahren, auch Tagebücher und Kurzgeschichten finden sich in ihrem Lebenswerk. Obwohl sie großen Erfolg durch ihre Anne-Reihe zu verzeichnen hatte, musste sie immer wieder um ihre Urheber- und Filmrechte kämpfen und klagen. Sie ist für mich eine Vorreiterin der Frauenbewegung, und diese Rolle verkörpern auch die Heldinnen in ihren Büchern, allen voran die rothaarige Anne, die zur Schule geht, studiert und sich am Ende in einer von Männern dominierten Arbeitswelt durchsetzt, um schließlich ihren Traum als Schriftstellerin zu leben. Nach ihrem Tod wurde Lucy Maud Montgomery von der kanadischen Regierung zur „Person von nationaler historischer Bedeutung“ erklärt. Ich hoffe, dass sie nie in Vergessenheit geraten wird.

 

Rosa Montero (geb. 1951)

Durch das Studium der Romanistik und Anglistik beschäftigte ich mich viel mit englisch- und spanischsprachiger Literatur. Nachdem ich mich aufgrund eines Seminars mit der Rolle der Frau im spanischen Roman beschäftigt hatte, ließ mich das Thema nicht mehr los. Ich fing an, darüber nachzudenken, wie es in der Wirklichkeit mit den Rechten von Frauen beschaffen war und mich interessierte, warum Männer und Frauen solche Schwierigkeiten miteinander hatten, warum es so unmöglich schien, miteinander zu kommunizieren und warum Frauen noch immer nicht dieselben Rechte hatten. So kam es, dass mich mein früherer Dozent auf die spanische Autorin Rosa Montero aufmerksam machte, die in ihrem ersten Roman über die Zeit nach der Francodiktatur in Spanien schreibt, als sich die Gesellschaft in einer Übergangsphase befand und niemand wusste, wie es weitergeht. Die alten Geschlechterrollen waren tief verankert, die Menschen konnten sich nicht von ihnen befreien. Das Buch ist autobiografisch angehaucht und erzählt vom alltäglichen Leben einiger Frauen in Madrid, die versuchen, sich in einer Welt durchzusetzen, in der Frauen nicht mit Männern gleichgestellt sind. Obwohl der Roman sich eher liest wie viele zusammengesetzte Zeitungsartikel (sie ist auch Journalistin), wirkt er authentisch und bewegte mich von Anfang an. Montero webt verschiedene Gedankengänge in die im Mundjargon gehaltenen Dialoge der Figuren und überrascht immer wieder aufs Neue. Crónica des Desamor (Chronik der Lieblosigkeit) erschreckt durch seine schamlose Thematisierung von Tabuthemen wie Sex, Homosexualität, Verhütung, Gewalt, Diskriminierung und Vergewaltigung. Rosa Montero hat auch unzählige historische Romane und Kriminalromane verfasst, die in 20 Sprachen übersetzt wurden. Sie ist und bleibt für mich eine prägende spanische Autorin, von der leider zu wenige Bücher übersetzt wurden. Ich hoffe, irgendwann die Chance zu bekommen, eines oder mehrere ihrer Bücher bei einem Verlag zu übersetzen.

 

Audre Lorde (1934–1992)

Aufgrund meiner Recherchen zu meiner Übersetzung des Sachbuchs Living a Feminist Life! (Feministisch Leben! Manifest für Spaßverderberinnen) von Sara Ahmed stieß ich auf die afroamerikanische Bestseller-Autorin Audre Lorde. Sie beschrieb sich selbst als „black lesbian feminist mother poet warrior“ und kämpfte zu Lebzeiten für die Rechte aller Diskriminierten, seien es Homosexuelle, Frauen oder Farbige. Außerdem war sie Mitbegründerin der afro-deutschen Bewegung und hielt ihre Berlin-Aufenthalte im Dokumentarfilm Audre Lorde – The Berlin Years, 1984–1992 fest. Mich packte ihr Krebstagebuch Auf Leben und Tod (1984, erweiterte Neuauflage 1994, 2000) als ich auf der Suche nach Zitaten für meine Übersetzung war. Ich hatte vorher noch nichts von ihr gelesen und es war sehr bewegend. Sie schreibt sehr einfühlsam, doch direkt, sehr bildlich, doch auch sachlich. Auf den ersten Blick wirkt ihre Schreibweise vielleicht plastisch und direkt, aber sie lässt einen nicht los. Lorde fasst in Worte, was Frauen denken, ihre Ängste, Unsicherheiten und Kämpfe mit sich selbst. Doch sie gibt Hoffnung, weil sie uns an ihrem Kampf ums Überleben teilhaben lässt. Sie zeigt auf, dass nicht Körperteile uns und unsere Leidenschaften definieren, sondern das, was wir in uns spüren, die Kraft der Liebe und Leidenschaft. Auch bricht sie mit vielen Tabus, bereits durch die Tatsache, dass sie ihre Homosexualität nicht geheim hält. Eine starke Frau, die die Frauenbewegung mit vorangetrieben hat und die nie vergessen sein wird.

 

3 Bücher

Lucía Etxebarria: Beatriz und die himmlischen Körper

Das Buch handelt von Beatriz und drei verschiedenen Momenten in ihrem Leben: ihre Kindheit, eingesperrt an einem klaustrophobischen Ort unter dem Druck der Familie, ihre Jugend, eine permanente Flucht nach vorne, und ihre Zeit des Erwachsenwerdens im schottischen Edinburgh. Es ist ein Buch über die grenzenüberschreitende, geschlechtslose Liebe, die immer währt, über Selbstfindung und die Suche nach dem Sinn des Lebens, über körperliche Grenzerfahrungen, Exzesse und die negativen Folgen des Kontrollverlustes über sein Leben. Für diesen zweiten Roman wurde Lucía Etxebarria 1998 mit dem ältesten Literaturpreis Spaniens, dem Premio Nadal, ausgezeichnet und galt seitdem mehr denn je als Rebellin im zu jener Zeit noch konservativeren Spanien. Es erinnert mich an meine Studienzeit, eine Zeit der Suche und der Hoffnungen, eine Phase des Ausprobierens und Auslotens der Möglichkeiten.

 

Nina George: Das Lavendelzimmer

Ich hatte noch kein Buch von Nina George gelesen, aber das Cover sprach mich direkt an und auch der Klappentext versprach einiges. Ich dachte, es sei so ein typischer Roman über die Liebe, nichts Besonderes oder Neues. Hatte ich alles schon einmal. Dann fing ich an zu lesen und musste mich schon fast zwingen, den Roman wegzulegen. Mich faszinierten die Echos der Bücher, die auf dem Bücherschiff Jean Perdus widerhallen. Der Buchhändler Perdu sorgt dafür, dass alle Leser*innen die Bücher bekommen, die zu ihren Sehnsüchten, Ängsten, Sorgen oder Wünschen passen. Egal ob Ratgeber, Kochbuch oder Liebesroman. Er hat für jeden das richtige Medikament. Nur sich selbst kann er nicht heilen. Und schon gar nicht kann er sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. So schmerzhaft sind die Erinnerungen daran. Nachdem er einen geheimnisvollen Brief geöffnet hat, bricht er plötzlich gemeinsam mit dem Schriftsteller Max, der eine Art Sohn für ihn wird, mit seinem Bücherschiff auf zu einer Reise in seine Vergangenheit. Das Buch spielt in Frankreichs Provence und beschreibt die schönen Orte mit so einer Detailtreue, dass man sich genau vorstellen kann, wie es dort aussieht. Die charismatischen und teilweise exzentrischen Charaktere nehmen den Leser mit auf ein spannendes Abenteuer mit unerwartetem Ende, das zu Tränen rührt. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich zuletzt wegen eines Buches geweint habe. Dennoch ist es nicht trostlos, sondern hoffnungsvoll und mutig, weil es uns vor Augen führt, was das Wichtige im Leben ist: Menschen, ihre Geschichten und die Liebe: zu anderen, zu Büchern und vor allem zu sich selbst. Doch das Leben ist zu kurz, um nur aus Büchern zu leben. Also ziehen wir in die weite Welt und suchen unser Glück!

 

Jacky Fleming: Das Problem mit den Frauen

Übersetzerin: Silke Pfeiffer

Die Cartoonistin und Illustratorin Jacky Fleming zeichnet auf ironische Weise eine kleine Geschichte von Frauen und schafft es ohne viele Worte, genau das rüberzubringen, was Feministinnen und Aktivistinnen zum Anlass nehmen und nahmen, um Frauen eine Stimme zu verleihen. Frauen sind den Männern schon immer unterlegen, sowohl körperlich als auch geistig und sind nur für den Haushalt und die Erziehung zuständig. Sie durften keine Schulen besuchen, nicht schreiben oder gar forschen. Von allem wurden sie aus den hirnrissigsten Gründen ausgeschlossen und schafften erst in den letzten Jahren, sich gegenseitig zu helfen und die alten Geschichten hervorzuholen. Nicht mithilfe der Männer, nur durch die Gemeinschaft der Frauen. Sehr humorvoll und trotz weniger Worte direkt auf den Punkt gebracht. Danke, Jacky Fleming.

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

2 Kommentare

  1. Ach, das freut mich ja, dass Ihr die Fahne für Lucy Maud Montgomery und ihr Werk Anne auf Green Gables hisst – eine meiner ersten Übersetzungen überhaupt. Und in diesem Jahr, in dem ich 60 werde, habe ich etwas ganz Besonderes vor: Eine Reise nach Prince Edward Island vor der Ostküste Kanadas, wo die Autorin gelebt hat und wo auch ihre Romane spielen. In den USA und in Kanada kennt ihre Bücher jede, hier ist sie bis heute nur mäßig bekannt. Und nur wenige wissen: Wie Astrid Lindgren selbst bezeugte, war Anne Vorlage und Inspiration für Pippi Langstrumpf.

    • Liebe Irmela,

      du hattest damals nur den ersten Band übersetzt? Wie kam es, dass sich die Übersetzerinnen nach jedem Band geändert haben?
      Total schön, das habe ich auch vor, irgendwann einmal genau dorthin zu fahren und mir Prince Edward Island anzuschauen;) Ich wünsche dir schon einmal eine wunderschöne Reise! Vielleicht berichtest du , wenn du wieder da bist?
      Stimmt, das hatte ich auch irgendwo gelesen, dass Anne die Vorlage für Pippi Langstrumpf war.

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