In diesem Monat stellt uns die Verlegerin des Magas Verlags Gerit Sonntag Bücher zu Frauenkörpern, Feminismus und Müttern vor und zeigt auf, was das alles auch mit Politik zu tun hat. Neben aller Theorie macht sie uns noch mit einer Romanautorin bekannt.
Aus dem kleinen Eifeldorf, in dem sie aufgewachsen ist, wollte Gerit Sonntag immer weg. Studiert und promoviert (Kommunikationsforschung, Anglistik, Soziologie) hat sie dann doch „nur“ in Bonn, wo sie immer noch lebt, konnte aber immerhin zwei Auslandsjahre absolvieren. Seit 2000 arbeitet sie in der Forschungsförderung und hat erst in den Wechseljahren so richtig verstanden, dass der weibliche Körper in vielerlei Hinsicht unbekanntes und/oder schambehaftetes Terrain ist. Um das zu ändern, gründete sie 2021 nebenberuflich den Magas Verlag, trat den BücherFrauen bei und versucht nun, auf diesem Wege feministisch aktiv zu sein. Sie glaubt, dass nur eine matrifokale Gesellschaft die Menschheit noch vor dem Aussterben retten kann. Am meisten gelesen hat sie in ihrem zweiten Wochenbett, seitdem kommt sie selten dazu, ein Buch von vorn bis hinten durchzulesen. Was sie aber nicht davon abhält, Bücher zu kaufen, zu verschenken und zu empfehlen.
Drei Autorinnen
Caitlin Moran (geb. 1975)
Die Britin Caitlin Moran wuchs als ältestes von acht Kindern in einem council house auf, mit 11 Jahren ging sie das letzte Mal zur Schule und wurde seitdem „zu Hause unterrichtet“. Sie hat ihre Karriere als feministische Schriftstellerin mit vorbildhafter Entschlossenheit umgesetzt. Ihre teilweise autobiografischen Romane zeigen, wie sich eine musikbesessene Teenagerin von der Musikkritikerin zur Kolumnenschreiberin und schließlich zu „one of Britain’s most influential women in the BBC“ (2014) entwickelt. Mit nicht zu übertreffender Offenheit und Selbstironie erzählt sie, wie sie die meisten Arten von Misogynie (u. a. Body Shaming) überlebt hat und es trotzdem immer wieder schafft, dass die Lacher am Ende auf ihrer Seite sind. In ihren Bücher Moranthology und Moranifesto teilt sie uns ihre feministische Meinung zu allem mit. In ihrem letzten Buch von 2020, More than a woman, spricht nun die Mutter, die selbst eine Teenagertochter hat, darüber, dass der Feminismus jetzt zwar in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei, es die Frauen und Töchter aber immer noch schwer hätten. Das einzige Mal, das in ihrem Feminismus-mit-Humor ein wenig Melancholie anklingt, ist, als sie merkt, dass sie ihrer Tochter, die ihren eigenen schwierigen Weg durch das Patriarchat sucht, nur in sehr begrenztem Maße helfen kann.
(DH: Auf Deutsch sind nur noch All About a Girl (Übersetzung: Regina Rawlinson) und Meine happy crazy Großfamilie oder Mein erster Roman mit 15 3/4 (Übersetzung: Ilse Rothfuss) lieferbar und auch diese nur als eBooks.)
Christiane Northrup (geb. 1949)
Für mich ist Christiane Northrup das Paradebeispiel dafür, dass, sobald eine Person in Ungnade fällt, ihr ganzes bisheriges Werk automatisch verteufelt wird. Zu ihren meiner Meinung nach nach wie vor bemerkens- und lobenswerten beruflichen Erfolgen gehört die Gründung einer Klinik für Geburtshilfe und Gynäkologie von und für Frauen (1996 im US-amerikanischen Maine) sowie ihre beiden Bestseller Frauenkörper Frauenweisheit (Übersetzung: Irmgard Hölscher und Sabine Schulte, ergänzende Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: BücherFrau Christina Knüllig) und Weisheit der Wechseljahre (Übersetzung: von Monika Niehaus und Beate Bettenhausen, ergänzende Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Christina Knüllig), in denen sie die medizinischen Grundlagen allgemeinverständlich beschreibt, medizinisch fundierte Behandlungsmöglichkeiten aufzeigt, aber auch ganzheitlich argumentiert: „Unser Gesundheitszustand und unser Glück hängen stärker davon ab, wie wir Lebensereignisse rund um uns herum wahrnehmen, als von den Ereignissen selbst.“ Viele „Frauenleiden“ führt sie außerdem auf die patriarchale Umgebung zurück. Durch ihre Freundschaft zu Oprah Winfrey hat sie in den US-amerikanischen Medien große Bekanntheit erreicht. Da sie sich von Tarotkarten leiten lässt, an Astrologie, Engel, Chakren und weibliche Intuition glaubt, hat sie den Zorn vieler Mediziner:innen auf sich gezogen. Völlig ihren Ruf ruiniert hat sie 2020, als sie sich auf die Seite der Impfkritiker:innen geschlagen, QAnon-Inhalte verbreitet und Thermografie anstelle von Mammografie empfohlen hat. Im März 2021 war sie einer Untersuchung zu Digital Hate zufolge eine von 12 Hauptquellen für 65 % aller Anti-Impf-Inhalte auf den sozialen Medien. Einen Monat später wurde ihr Instagram-Kanal gelöscht.
Auch wenn ich verstehe, dass Quacksalberei insbesondere dann gefährlich ist, wenn sie von medizinisch ausgebildeten prominenten Personen verbreitet wird, so frage ich mich doch manchmal, ob Northrup sich auch radikalisiert hätte, wenn sie als Mann über Männerkörper praktiziert und gelehrt hätte bzw. ob Männer, die solchen Blödsinn von sich geben, mit der gleichen Vehemenz verfolgt werden.
Amélie Nothomb (geb. 1966)
Amélie Nothomb wurde in Etterbeek in der Nähe von Brüssel geboren. Als Diplomatentochter lebte sie in Japan (wo sie vom Kindermädchen Japanisch lernte), China, New York, Bangladesch, Burma und Laos, und kam erst mit 17 wieder nach Europa. Seit 1992 veröffentlicht sie jedes Jahr einen Roman. Ihre Geschichten sind ungewöhnlich, intensiv, sprachlich dicht und zeugen von einem immensen literarischen Wissen. In vorgeblich autobiografischen Zügen beschreibt sie ihre Erfahrungen in Japan, ihre Essstörungen und die Beziehung zu ihren Leser:innen. Nach ihrem Philologie-Studium in Brüssel ging sie für ein Jahr nach Tokio. Die zwei Bücher, in denen sie dieses Jahr beschreibt, sind meine Lieblingsbücher von ihr. Eines davon, Mit Staunen und Zittern, ist für Nothomb ungewöhnlich lustig und wurde 1999 prämiert. Weitere Preise folgten.
Da fast alle ihre Bücher auch ein Foto von ihr zeigen und durch die Nähe zur jeweiligen erzählenden Person kommt man als Leserin in die genüssliche Illusion, der Schriftstellerin wirklich nahe zu kommen. So nahe, wie man Jesus Christus’ letzten Gedanken in ihrem Buch Die Passion kommt. Dass ihr 2015 vom belgischen König der Titel einer Baronin verliehen wurde, passt so gut zu Nothomb und ihrer Vorliebe für große Hüte, dass sie es wahrscheinlich erfunden hätte, wenn es nicht passiert wäre. Die meisten ihrer Bücher hat Brigitte Große ins Deutsche übersetzt, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Warum ausgerechnet ihr Roman Antéchrista von Reclam als potentielle Schullektüre ausgewählt wurde, habe ich nicht verstanden, aber vielleicht kommen ja noch weitere Titel von ihr in dieser Reihe heraus.
Drei Bücher
Rona Duwe: Mutterwut Muttermut
Dieses Buch habe ich verschlungen, weil es mir so viele Antworten auf meine Fragen gegeben hat. Um wirklich zu verstehen, in welcher Situation wir uns befinden, müssen wir erkennen, wieso und vor allem wie lange wir schon im Patriarchat leben. Und dass wir davor – sehr viel länger als das Patriarchat andauert – in einer friedlichen, sozialen, matrifokalen Welt im Einklang mit der Natur gelebt haben. Besonders beeindruckt hat mich das Kapitel über die Theologien, weil es so schlüssig erklärt, wie Theologien und Patriachat zusammen wirken, mit dem „Endziel des Patriarchats […], die Mutter, die Natur und den Körper zu überwinden und tatsächlich selbst Schöpfer zu sein“.
Niemand leidet so sehr unter dem herrschenden Patriarchat wie alleinerziehende Mütter. Daher hat die alleinerziehende Rona Duwe guten Grund wütend zu sein und mir gefällt auch ihr nicht-konsensuales Aufbegehren. Es gibt keine Revolution, keine Änderung der herrschenden Verhältnisse, wenn man nirgendwo aneckt. Diese berechtigte Wut nicht durch vermeintliche Selbstoptimierung kleinzureden, sondern sie für Veränderung zu nutzen, ist ihre Kernaussage. Das Buch endet mit vielen aktuellen Verweisen (u. a. auf ihre mit Kirsten Armbruster zusammen erstellte Webseite herstory-history.com) und klaren Handlungsempfehlungen für Frauen und Männer sowie expliziten politischen Forderungen. Damit Deutschland mit fast 200 Femiziden in 2020 zukünftig nicht länger zu den europäischen Spitzenreitern gehört.
Jutta Westphalen: Die weibliche Kraft kehrt zurück
Auch dieses Buch fordert Frauen auf, sich auf ihre Kräfte zu besinnen, um das derzeitige Ungleichgewicht des zu mächtig gewordenen männlichen Prinzips auszugleichen. Anstelle von politischen Forderungen gibt Jutta Westphalen Anleitungen, wie jede Frau durch Rückzug, Entspannung, Besinnung und/oder in Verbindung mit anderen Frauen zu ihren inneren Energiequellen gelangen kann. Auch sie erklärt, wie die männliche theologische Auslegung Frauen ausgrenzt und Konkurrenzdenken, Wachstumsdogma und Körperfeindlichkeit zementiert. Wie Frauen durch Jahrhunderte andauernde Erniedrigungen geschwächt wurden. Sie spricht von der Gebärmutter als Instrument der Wahrnehmung und Erinnerung, und sie plädiert für eine Rückbesinnung auf das Erfahrungswissen unserer Vorfahren und Ahninnen. Auch sie beschreibt archäologische Funde und wissenschaftliche Studien, die belegen, dass vor es vor unseren Geschichtsbüchern eine lange Zeit gab, in der Gott weiblich war und jahrtausendelang als Große Mutter verehrt wurde. „Göttinnen sind weibliche Vorbilder, die die Souveränität der Frauen stärken.“ In dieser Rückbesinnung sollen wir uns erinnern, dass das Leben zyklisch ist und dass es niemals unbegrenztes Wachstum gibt. Wir, Frauen wie Männer, sind aufgefordert, die weibliche Kraft und die Herzintelligenz wieder fließen zu lassen. Die weibliche Energie zeigt sich in Intuition, Kreativität, Fantasie, Humor, Spiel und Lebensfreude. Zu schön, um wahr zu sein? Auf jeden Fall einen Versuch wert, würde ich meinen.
Gabrielle Palmer: Warum Stillen politisch ist
(übersetzt von Ingeborg Hagedorn)
Dass Muttermilch besser ist als Kunstnahrung, wissen alle, oder? Dass die drei großen Themen unserer Zeit, Massenmigration, Antibiotikaresistenz und Klimawandel, von der weltweiten Stillpraxis beeinflusst werden, davon ist Gabrielle Palmer überzeugt. Die Ernährungswissenschaftlerin kämpft seit den 1970er-Jahren gegen unethisches Marketing von künstlicher Babynahrung. Die WHO-Studie von 2019 beziffert diesen Markt mit 55 Milliarden US-Dollar und zeigt, dass er in den letzten 20 Jahren seinen Umsatz fast verdoppelt hat. Nur 25 Länder hätten den Verhaltenskodex von 1981 über die Vermarktung von Babykunstnahrung weitgehend umgesetzt, hatte die WHO 2020 berichtet. Deutschland gehört nicht dazu. Hier spielt auch eine große Rolle, was wir zur Berechnung von Wohlstand eines Landes zugrunde legen. Was fehlt, ist die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Priorisierung der Bedürfnisse von Mutter und Kleinkind sowie die wirtschaftliche Anerkennung bzw. Berechnung von Sorgearbeit.
14. Juni 2022 um 10:33
Danke, liebe Gerit, für die wunderbaren Buchempfehlungen und neuen Sichtweisen !!! Zwei davon sind umgehend auf meiner Leseliste gelandet, C. Morain und C. Northrup
15. September 2022 um 11:34
Das sind wunderbare Tipps – vielen Dank dafür! Das Buch von Caitlin Morain und das von C. Northrup kenne ich und kann die Empfehlungen wirklich nur unterstützen. Die anderen machen mich sehr neugierig und auf alle Fälle werde ich meine (zum Glück sehr aufgeschlossene Gynäkologin u.v.a.) auf dieses Verlagsprogramm aufmerksam machen!
9. Dezember 2022 um 09:25
Das Buch von Gabrielle Palmer kenne ich, es hat mich sehr beeindruckt. Der wirtschaftliche Aspekt der Muttermilch war mir, bevor ich das Buch gelesen habe, unbekannt, ich habe noch nicht einmal daran gedacht. Also: Auch von mir eine Leseempfehlung!
25. August 2023 um 13:21
Ich bin so dankbar auf diesen Artikel gestoßen zu sein. Tolle Buchtipps.
Lg Tilda