Diesen Monat werfen wir einen Blick über die Grenze und es gibt u. a. einige Autorinnen aus Österreich zu entdecken. Heike Herrberg, langjährige BücherFrau, Finanzfrau der Regionalgruppe Bielefeld/OWL und Mitglied des Akademie-Teams, stellt einige ihrer Lieblingsautorinnen und -bücher vor.
Heike Herrberg ist freie Redakteurin und Lektorin. Während der Recherchen zu ihrem Buch Wiener Melange. Frauen zwischen Salon und Kaffeehaus beschäftigte sie sich intensiv mit österreichischen Künstlerinnen – was auch bei der Auswahl ihrer Lieblingsautorinnen Spuren hinterlassen hat.
Drei Autorinnen:
Lina Loos (1882–1950)
Diese Autorin war für mich eine Entdeckung. Lina Loos, eine zentrale Figur der Wiener Kaffeehausszene, finanzierte ihr Leben durch Schauspielerei, aber ihr Schwerpunkt war das Schreiben. Lediglich ein Buch hinterließ sie, Das Buch ohne Titel, darüber hinaus jedoch Theaterstücke, zahlreiche Essays, Gedichte und Aphorismen, ironische Charakterskizzen ihrer Mitmenschen, Alltagsbeobachtungen, Szenen- und Dialogfolgen, in die sie ihre kritische Sicht auf die (patriarchale) Gesellschaft unverblümt und häufig sehr humorvoll verpackte. Wenn ich von Zeit zu Zeit in ihren Texten stöbere, denke ich oft, wie gern ich sie kennengelernt hätte.
Hilde Spiel (1911–1990)
Unterhaltend und bildend sind die Texte der Journalistin und Schriftstellerin Hilde Spiel – die „Grande Dame der österreichischen Literatur“ wurde sie oft genannt. Ihr Tagebuch Rückkehr nach Wien, mit dem sie ihrer Geburtsstadt nach dem Zweiten Weltkrieg ein kritisches Denkmal gesetzt hat, ist von ihren vielen Büchern mir das wichtigste: persönliche Erinnerungen, verwebt mit politischen Analysen – erhellende Reportagen in, ja wirklich, sehr schönen und eleganten Sätzen. An denen sich mit der Neuauflage im Milena Verlag seit 2009 wieder alle erfreuen können.
Anna Mitgutsch (geb. 1948)
Der Klappentext von Haus der Kindheit bewog mich vor vielen Jahren, dieses Buch zu kaufen: „Die Fotografie eines Hauses in einer österreichischen Kleinstadt hatte die Mutter von Max so sehr geliebt, daß sie diese in jeder neuen Wohnung in New York aufstellte, in jeder weiteren, immer ärmlicher werdenden Station ihres Exils.“ Dieser erste Satz enthielt drei Themen, die mich brennend interessier(t)en: New York, Österreich, Exil. Damit begann meine Leidenschaft für die Schriftstellerin Anna Mitgutsch. Da die zum Judentum konvertierte Autorin dreißig Jahre abwechselnd in Österreich und an der amerikanischen Ostküste gelebt hat, finden sich diese Bezüge auch in vielen anderen ihrer Romane, wie Familienfest, Zwei Leben und ein Tag oder Wenn du wiederkommst. Oft schwingt ein melancholischer Grundton mit, geht es doch immer um die verschiedenen Facetten des Fremdseins, der Heimatlosigkeit.
Drei Bücher:
Kressmann Taylor: Adressat unbekannt
Lange hatte der dünne Band Adressat unbekannt der mir damals völlig unbekannten Autorin Kressmann Taylor unbeachtet im Regal gestanden, bevor ich ihn aus Mangel an Alternativen herausnahm – seitdem habe ich ihn oft gelesen, noch öfter verschenkt und bin für Theaterinszenierungen des Stoffes viele Kilometer gefahren. 1938 ist dieser knapp 60-seitige Thriller, der in der Zeit um Hitlers Machtübernahme spielt, zum ersten Mal erschienen: ein Briefwechsel zwischen einem amerikanischen Juden und einem Deutschen, die anfangs beste Freunde sind und am Ende des Buches Todfeinde. Eine knappe Stunde Hochspannung angesichts einer brillant präzisen Beschreibung der dramatischen Entwicklung dieser Freundschaft – und der Ereignisse in Nazi-Deutschland. Mit einem Plot, der zeigt, dass Worte Waffen sein können.
Birgit Vanderbeke: Das lässt sich ändern
Sicher liegt es auch an den vielen Bezügen zur eigenen Biografie, dass ich dieses Buch so mag: Ton Steine Scherben, Dallas, The Rocky Horror Picture Show – „und als Kohl gewählt wurde, wollte es keiner glauben“. Zu jedem Stichwort entstehen Bilder aus den 1980er-Jahren, als diese Geschichte beginnt. Doch es ist vor allem der lakonische, leichte Ton, den Birgit Vanderbeke für die Beziehungsgeschichte findet: von der (namenlosen) Icherzählerin, Studentin aus gutbürgerlichem Elternhaus, die sich in den Schreinerlehrling Adam verliebt. Die beiden bekommen zwei Kinder und ziehen zusammen mit anderen eine Art alternative Landwirtschaft auf. Auch wenn manches Klischee strapaziert wird, finde ich es immer wieder vergnüglich, diesen kleinen gesellschaftskritischen Roman zu lesen.
Ruth Klüger: weiter leben
Dieses Buch, inzwischen ein Klassiker, erschien 1992 und war ganz anders als die Autobiografien, die ich bis dahin über die Zeit des Holocaust gelesen hatte. Mit dem ersten Satz hat die Autorin mich gepackt – und lange nicht mehr losgelassen: „Der Tod, nicht Sex war das Geheimnis, worüber die Erwachsenen tuschelten, wovon man gern mehr gehört hätte.“ Elfjährig wurde die Wiener Jüdin Ruth Klüger deportiert: Theresienstadt, Auschwitz und Groß-Rosen waren die Orte ihrer Jugend. Als sie 1947 mit ihrer Mutter nach New York emigrierte, war sie sechzehn. Klüger schreibt so nüchtern und schonungslos, so sarkastisch, spöttisch und (selbst-)kritisch, wie ich es nie von anderen ZeugInnen dieser Zeit gelesen habe. Immer wieder verschränkt sie ihre Erinnerungen mit Reflexionen über ihre psychischen Beschädigungen, die Diskriminierung von Frauen, die deutsche Gedenkkultur, Verwerfungen in ihrer Familie. Ruth Klügers Kommentar zu den vielen Preisen und Auszeichnungen, die sie mittlerweile erhalten hat: „Wenn eine Tierart fast ausgestorben ist, weil sie so intensiv gejagt wurde, werden die übriggebliebenen Exemplare besonders gepflegt.“