BücherFrauen

Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Drei Autorinnen – drei Bücher: Inka Bankwitz

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Die Tage werden wieder kälter und deutlich kürzer, da bleibt abends mehr Zeit zum Lesen. Heute gibt es die Tipps der PR-Managerin, freiberuflichen PR-Beraterin und Lektorin Inka Bankwitz. Von 2015 bis 2020 war sie Sprecherin der Regionalgruppe Rhein-Neckar, von 2016 bis 2017 außerdem noch überregionale Social Media-Koordinatorin der BücherFrauen.

© Susanne Lencinas

Inka Bankwitz ist in Heidelberg geboren und aufgewachsen. Sie hatte schon während ihres Studiums der europäischen Kunstgeschichte und Politikwissenschaft einen starken Drang, in die Buchbranche zu wechseln. Der Aushang „Auszubildende gesucht“ der universitätsnahen Buchhandlung verlockte mehr als einmal zum sofortigen Abbruch des Studiums. Nach bestandenem Magistra-Abschluss führte der Weg auch direkt in einen Verlag, wo es über den Vertrieb ins Lektorat ging. Nach insgesamt 16 Jahren war es 2018 Zeit für einen Wechsel. Es folgte eine berufsbegleitende Weiterbildung zur PR-Managerin (DUK), während der sie bereits in der Pressestelle der Universität Heidelberg zu arbeiten begann. Sie genießt den neuen Blick über den Tellerrand, behält dabei aber natürlich die Buchbranche immer in ihrem Blickfeld. Da passt es, dass sie zudem freiberuflich als PR-Beraterin und Lektorin tätig ist: www.klueba.de.

Drei Autorinnen

Simone de Beauvoir (1908–1986)

Mit dieser Auswahl lehne ich mich weit aus dem Fenster – ich hoffe, nicht zu weit. Denn ich habe Simone de Beauvoir vor allem in sehr jungen Jahren, als Teenagerin, gelesen und seither nicht mehr. Ebenso habe ich bisher eines ihrer Hauptwerke, Das andere Geschlecht, gemieden – eher aus profanen Gründen: enges Schriftbild, viele Seiten, anstrengendes Thema. Dennoch hat mich die Lektüre ihrer Werke nachhaltig beeinflusst. Sie kam und blieb, Eine gebrochene Frau, Der Lauf der Dinge oder Ein sanfter Tod – die präzise Beschreibung menschlicher Beziehungen und deren Dynamiken haben mich sofort in ihren Bann gezogen: „Man lebt nur ein Leben, aber durch intensives Mit-Erleben, Nach-Erleben gelingt es einem manchmal, in die Haut des anderen zu schlüpfen“, beschreibt die Autorin ihre Motivation zu dem Band Eine gebrochene Frau. Und genau das ist es, was mich an ihren Werken so sehr beeindruckt. Stets gelang es ihr, mich aus meinem Jugendzimmer in einem kleinen Heidelberger Vorort in die mondäne Großstadt Paris zu versetzen, mitten rein in das (vermeintlich) freie und unabhängige Leben der Künstlerinnen und Künstler. Und gleichzeitig wurden mir die Grundlagen feministischen Denkens und der Auseinandersetzung mit patriarchalischen Strukturen vermittelt. Trotz der langen Abstinenz von ihren Werken denke ich auch heute noch in bestimmten Situationen an ihre Bücher und wie es mir beim Lesen ergangen ist. Die Anfrage, für die Blog-Reihe „Drei Autorinnen – drei Bücher“ zu schreiben, ist daher (auch) für mich eine freundliche Aufforderung, Simone de Beauvoir aus dem Bücherregal zu befreien und aufs Neue zu lesen.

 

Chimamanda Ngozi Adichie (geb. 1977)

Auf einem Lieblingsbücherabend der BücherFrauen Rhein-Neckar wurde Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie (Übersetzung: Anette Grube) vorgestellt. Ich fand, dass es sich spannend anhörte und kaufte es mir im Nachgang des Abends – natürlich ohne zu ahnen, wie sehr es mich beeinflussen würde. Tatsächlich wurde durch die Lektüre mein Interesse an frauenpolitischen und feministischen Themen wieder zu neuem Leben erweckt. Nachdem ich in diesem Bereich einige Jahre im Winterschlaf dahingedämmert hatte, war die Auseinandersetzung damit dank Americanah auf einmal wieder eine Selbstverständlichkeit. Sehr anschaulich waren für mich auch die Beschreibungen alltagsrassistischen Verhaltens, die der Protagonistin des Buches entgegengebracht wurden und denen ich als Mensch mit weißer Hautfarbe in einem vorwiegend weißen Umfeld nie ausgesetzt sein werde. Die Autorin hat einen Prozess angestoßen, innerhalb dessen ich mich auf Spurensuche nach meinen eigenen Vorurteilen und Diskriminierungsmustern gemacht habe. Ich hoffe, ich konnte die meisten aufspüren und nachhaltig ändern, allerdings wird dieser Prozess wohl ein lebensbegleitender sein. Nach diesem Roman las ich folgerichtig Half of a Yellow Sun (deutscher Titel: Die Hälfte der Sonne, Übersetzung von Judith Schwaab) und Purple Hibiscus (deutscher Titel: Blauer Hibiskus, Übersetzung von Judith Schwaab) sowie selbstverständlich We Should All Be Feminists (deutscher Titel: Mehr Feminismus!, Übersetzung von Anette Grube). Wer sich mit Feminismus, der eigenen Identitätssuche, aber auch mit den unterschiedlichen Ausprägungen von (Alltags-)Rassismus auseinandersetzen möchte, kommt an Chimamanda Ngozi Adichie meines Erachtens nicht vorbei.

 

Juli Zeh (geb. 1974)

Wenn ich ihre Bücher lese, geht es mir oft so, dass ich den Eindruck habe, dass sie meine Gefühle und Gedanken besser ausdrücken kann, als ich es selbst jemals zu vermögen wüsste. Dabei legt sie einen Witz an den Tag, der genau meinen Humor trifft, auch wenn die Geschichten, die sie erzählt, selten zum Lachen sind. Selbst Adler und Engel, das erste Buch, das ich von Juli Zeh gelesen hatte, und von dessen Geschichte ich herzlich wenig verstanden hatte, hinterließ ein seltsames Gefühl von Zufriedenheit in mir. Dabei mag ich verworrene Plots mit plötzlichen Wendungen und einem ständigen Verschieben der Wahrnehmungsebenen gar nicht. Bei Juli Zeh ist mir das egal, und dass sollte es auch sein, denn dieses Phänomen kehrt in vielen ihrer Bücher wieder. Zudem mag ich die sprachliche Prägnanz, mit der sie Begebenheiten in ihren Romanen beschreibt. Eindrucksvoll fand ich ihren Bericht von ihrer Reise durch Bosnien-Herzegowina, der 2002 unter dem Titel Die Stille ist ein Geräusch. Eine Fahrt durch Bosnien veröffentlicht wurde. Ich hatte es gelesen, nachdem ich selbst während eines Kroatienurlaubs einen Abstecher nach Mostar gemacht hatte, und erkannte in dem Buch einige Orte, durch die ich gefahren war, wieder. Mir imponierte der persönliche und unvoreingenommene, ja naive Blick auf ein Land, das noch mittendrin war, sich von seinen Kriegswunden zu erholen. Juli Zeh beantwortet dabei wenige Fragen und wirft dafür umso mehr auf, die nicht alle zur Zufriedenheit der Leserinnen und Leser beantwortet werden. Genau dies finde ich charakteristisch für ihre Romane und dies macht meines Erachtens auch ihren Charme aus.

 

Drei Bücher

Adriana Altaras: Doitscha. Eine jüdische Mutter packt aus

Das Buch habe ich geschenkt bekommen und es war eine wirkliche Überraschung. Adriana Altaras ist eigentlich Schauspielerin, die mittlerweile als Autorin vier Bücher veröffentlicht hat. Ich bin mit einiger Skepsis an die Geschichte rangegangen, da mich der Untertitel („Eine jüdische Mutter packt aus“) etwas abgeschreckt hat. Das hörte sich nach ziemlich gewollt lustig an. Lustig wurde es, und zwar richtig. Rasant und beinahe atemlos geschrieben schildert die Autorin darin den Alltag einer Familie, in der der älteste Sohn gerne Israeli wäre – oder zumindest zu 100 Prozent jüdisch – und der seinen (westfälischen) Vater hauptsächlich mit „Hey Doitscha“ anspricht. Die Pubertät tut ihr Übriges dazu und schon sind Leserinnen und Leser mittendrin im Familiendrama. Das löst mal schmerzhaftes Fremdschämen, mal hämisches Grinsen aus oder rührt an (peinlichen) Erinnerungen an die eigene Jugendzeit. Aufgelöst wird auf jeden Fall alles mit einer gehörigen Portion Humor, sodass das Ende des Buches mit großem Bedauern viel zu schnell in Sichtweite rückt.

 

Julia Albrecht und Corinna Ponto: Patentöchter

Im Schatten der RAF – ein Dialog.

Der Mord an Jürgen Ponto und die Folgen.

Das Wichtige vorweg: Das Lesen dieses Buches empfand ich als schmerzhaft. Wie soll ein Buch auch sein, in dem sich die Tochter eines Mordopfers und die Schwester einer Täterin über die Tat und deren Folgen austauschen? Jürgen Ponto, Vorstandsvorsitzender der Dresdner Bank und Vater von Corinna Ponto, wurde am 30. Juli 1977 in seinem Haus erschossen. Die Täter, Christian Klar und Brigitte Monhaupt, beide RAF-Mitglieder, kamen durch Susanne Albrecht ins Haus, die Tochter eines Freundes der Familie Ponto. Ihre Schwester Julia war die Patentochter Jürgen Pontos. Nach der Tat brach der Kontakt zwischen den beiden Familien ab. Die Auseinandersetzung der beiden Frauen mit dem Geschehenen rührt deshalb sehr, da es auch die Geschichte einer Annäherung ist, die beide wohl nie für möglich gehalten hätten. Gleichzeitig wird hier ein Stück deutscher Geschichte bearbeitet, die Zusammenhänge, die zu dieser Tat geführt haben, werden nochmals aufgerollt und aus einem anderen Blickwinkel, nämlich einem sehr privaten, betrachtet. Genau das macht das Buch für mich so wertvoll.

 

Meena Kandasamy: Schläge

Wahrscheinlich hätte ich mir dieses Buch nie gekauft, wenn es mir rund um sein Erscheinen nicht ständig auf Instagram begegnet wäre. Übersetzerin und Verlegerin der deutschen Ausgabe hatten keine Gelegenheit ausgelassen, auf das Buch aufmerksam zu machen (und das war auch gut so). Da beide auch noch BücherFrauen sind, die ich sehr schätze, hatte ich trotz des schwierigen Themas also keine Chance, den Titel zu ignorieren. Karen Gerwig (Übersetzerin) und Zöe Beck (Verlegerin) haben nicht zu viel versprochen: Das Buch ist besonders. Ein wenig gedauert hat es, bis ich es zur Hand genommen hatte, aber danach habe ich es eigentlich nur zum Schlafen wieder aus derselbigen gelegt. Missbrauch und Misshandlung in der Ehe sind keine einfachen Themen für eine Abendunterhaltung, falls man den Begriff in diesem Zusammenhang überhaupt verwenden möchte. Dennoch gelingt es der Autorin, und im Deutschen auch der Übersetzerin, in beinahe poetischer Sprache und mit einer gewissen Leichtigkeit über das Geschehen zu berichten. Dieser Gegensatz führt nicht etwa zu einer Verharmlosung der Ereignisse, sondern sie erfahren durch den Kontrast eine besondere Betonung. Gleichzeitig hilft er den Leserinnen und Lesern die Vorkommnisse zu verarbeiten. Dabei war mir stets bewusst, dass ich den einfachsten Part bei dieser Geschichte habe: Ich lese nur darüber und erlebe sie nicht persönlich. Am inneren Befreiungskampf der Autorin teilhaben zu dürfen, ist deren größtes Geschenk an ihr Publikum.

 

Fotos: ©Inka Bankwitz

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

Ein Kommentar

  1. Liebe Inka,
    vielen Dank für deine Empfehlung von Patentöchter. Schon lange hat mich kein Buch so beeindruckt, ein echter Gewinn.

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