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Eine Neubegegnung mit Audre Lorde – Teil 2

| 3 Kommentare

Essays, Gedichte, Autofiktion, Leben, Schreiben, Lieben, politisches
Handeln – alles aus einem Guss: mutig, sinnlich, tief empfunden. Tauchen
wir noch ein wenig tiefer ab in das Werk von Audre Lorde.

Audre Lorde: Ein strahlendes Licht: Schriften, Reden und Gespräche

Aus dem Englischen von Eva Bonné, Marion Kraft, Mirjam Nuenning und Pasquale Virginie Rotter

Im Zentrum dieses Sammelbands steht Lordes Bericht über ihre Krebserkrankung, begleitet von zwei Essays sowie zwei Gesprächen über sie. In „Ein strahlendes Licht. Leben mit Krebs“ begegnen wir Audre Lorde  nach ihrer zweiten Krebserkrankung. „Ich möchte das Leben so vollwertig und süß wie möglich gestalten, anstatt danach zu streben, es auf  unbestimmte Zeit zu verlängern. Ich betrachte dies als eine politische Entscheidung …“, schreibt sie knapp drei Jahre nach der Diagnose. „Ich glaube und arbeite für das, was noch nicht ist, und lebe dabei ganz im Jetzt.“

Besonders berührt mich das Gespräch mit Dagmar Schultz – die Audre Lorde 1980 zum ersten Mal auf einer Frauenkonferenz in Kopenhagen erlebte und sie danach als Gastprofessorin an die FU nach Berlin einlud, als Verlegerin des Orlanda Frauenverlags, der ab den 1980er Jahren Werke von Audre Lorde auf Deutsch publizierte (Krebstagebuch, Lichtflut, Zami, und 1994 die zweisprachige Ausgabe Die Quelle unserer Macht, dazu die wichtigen Publikation von Audre Lorde und Adrienne Rich Macht und Sinnlichkeit (Hg. von Dagmar Schultz) und May Ayim, Katharina Oguntoye, Dagmar Schultz (Hg.) Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte) und eine langjährige Freundin und Weggefährtin von Audre Lorde war: „Sie wird überall zitiert. Es gibt sehr gute Zitate, aber es ist sehr schade …“ Ja, wirklich unglaublich schade, möchte ich hinzufügen. Audre Lordes Texte gehen so sehr in die Tiefe, sie sind so gnadenlos persönlich und politisch und haben das Potenzial, beim Lesen tief zu berühren. Die Zitate, die weithin kursieren, sind zwar sehr prägnant – sonst wären sie nicht so weit verbreitet –, aber Audre Lorde ist so viel mehr. Und dieses Mehr fordert uns Leser:innen heraus und gibt uns gleichzeitig so viel.

 

Audre Lorde: Sister Outsider

Aus dem Englischen von Eva Bonné und Marion Kraft

Diese wichtige Essaysammlung von 1984 liegt jetzt endlich auch in einer deutschen Übersetzung vor. Am deutlichsten hallen das Interview von Adrienne Rich mit Audre Lorde und die Essays „Vom Nutzen der Erotik“ (beide bereits im Band Macht und Sinnlichkeit erschienen) sowie „Auge in Auge: Schwarze Frauen, Hass und Wut“ in mir nach.

Das Interview, weil es so persönlich ist und Adrienne Richs Fragen und Nachfragen dazu führen, dass Audre Lorde über ihre Kindheit erzählt, darüber, wie Mexiko nicht nur ihre Erotik entfachte, sondern auch das Schreiben in ihr entfesselte und sie (fast widerstrebend) zur Dichterin wurde.

„Vom Nutzen der Erotik als Macht“, weil Audre Lorde die Erotik darin von Verzerrungen, Trivialisierungen, Pathologisierungen und allem Weichgespülten befreit und als „Quelle von Wissen und Macht“ erkundet. In klarer Abgrenzung der Erotik von ihrem Gegenteil, der Pornografie, der „direkten Verleugnung der Macht des Erotischen“, beschreibt Lorde die Erotik als „Bejahung weiblicher Lebenskraft und schöpferischer, ermächtigender Energie“.

Und „Auge in Auge“, weil Lorde darin die Deformierungen analysiert, die „wir [Schwarze Menschen, insbesondere Schwarze Frauen] in uns tragen und die prägen, wie wir uns und andere wahrnehmen“. Dem setzt sie das Wissen über eine weibliche „Tradition der Verbundenheit und gegenseitigen Fürsorge und Unterstützung“ entgegen und berichtet, wie sie sich mit ihrer eigenen Wut auseinandersetzte.

Buchvorstellung im LCB

Toledo Talks

 

Audre Lorde: Zami. Eine neue Schreibweise meines Namens

Aus dem Englischen von Karen Nölle

Zami, das Audre Lorde (1934-1992) eine „biomythography“, eine Mythobiografie nennt, die Geschichte, Biografie und Mythen miteinander verbindet, erschien erstmals 1982. Lorde erzählt darin von ihrer Kindheit in Harlem als jüngste von drei Töchtern karibischer Einwanderer und von ihrer Jugend und ihrem Erwachsenwerden in New York, Connecticut und Mexiko, von ihrem nicht ganz einfachen Verhältnis zu ihrer Mutter, vom Suchen und Finden ihrer Identität als Schwarze, Lesbe und Schriftstellerin, vom Anderssein und Anecken. Denn der Kern von Lordes Philosophie und politischer Botschaft – nicht unsere Verschiedenheit trennt uns, sondern unser Schweigen darüber. Unsere Verschiedenheit ist eine kreative Quelle der Kraft – kristallisierte sich schon früh heraus. Als junge Schwarze legte sie den Finger auf die Wunde des Rassismus innerhalb des Feminismus, als Schwarze Lesbe auf die Wunde der Homophobie und Misogynie in der Schwarzen Bewegung. Hier wie dort sprach sie es aus, und das kam nicht gut an.

Sie erzählt von den Frauen, die ihr politisches und spirituelles Wachstum prägten – ihrer Mutter, ihren Freundinnen, Weggefährtinnen und Geliebten –, von Konflikten, von Nähe, Verbundenheit und Unterstützung, und verknüpft das alles mit den Mythen und realen Frauenfiguren ihrer Ahninnen, mit Afrekete, der Schwarzen Mutter und Göttin.

Was Lorde in Zami erzählt, ist so persönliche wie politisch. Ihre Sprache ist klar und präzise, nichts ist überflüssig und banal; auch im Erzählen ist die Dichterin höchst präsent. Und sie erzählt ihre Geschichte mit großer Sinnlichkeit: Wenn sie etwa als kleines Kind am Samstagmorgen zu ihrer Mutter ins Bett kriecht und einen seltenen Moment der Zärtlichkeit erlebt, ist der Text weit mehr als Worte im Ohr oder Bilder im Kopf, die Erfahrung wird mit allen Sinnen spürbar.

Wie schön, dass Karen Nölle dieses Leseerlebnis mit der vollständig überarbeiteten und aktualisierten Neuübersetzung (ihrer eigenen Übersetzung, die 1986 erstmals im Orlanda Frauenverlag erschien) heute einem größeren Leser:innenkreis (wieder) zugänglich macht.

Toledo Talks

 

Audre Lorde: Die Quelle unserer Macht. Gedichte. Zweisprachige Ausgabe englisch-deutsch

Aus dem Englischen von Marion Kraft und Sigrid Markmann.

Den Gedichten werde ich weder durch Beschreibung noch durch Analyse auch nur annähernd gerecht. Von daher nähere ich mich der Lyrik über den „Umweg“ dessen, was Lorde zum Schreiben und Dichten gesagt hat. Lyrik ist für Frauen „kein Luxus. Für uns ist sie überlebensnotwendig. Sie bestimmt über die Eigenschaften des Lichts, in dem unsere Träume vom Überleben und unsere Hoffnung auf Veränderung Gestalt annehmen — zunächst im Gewand der Sprache, dann als Konzept und zuletzt als konkrete Tat.“ Das ist sehr politisch. Das macht angreifbar. Das macht Angst. Dabei sind wir doch „dazu erzogen worden, unserer Angst eine größere Bedeutung beizumessen als unserem Bedürfnis nach Sprache und Selbstbestimmung“. Dagegen plädiert Lorde eindringlich dafür, sich der Angst zu stellen. „Indem wir unsere Gefühle wahrnehmen, akzeptieren und ehrlich erforschen, werden sie zu unserem Tempel und zum Laichgrund für radikale und gewagte Ideen.“

Das finden auch Niederschlag in ihren Gedichten: „Be who you are and will be / Sei wer du bist und sein wirst“ lautet die erste Zeile des Gedichts „For Each of You / Für jede von euch”. Und ich schnappe nach Luft, denn „Sei was du bist Gib was du hast“ lauten die beiden letzten Zeilen des Gedichts „Noch bist du da“ von Rose Ausländer, das uns auffordert, unsere Angst in die Luft zu werfen (und das eines meiner absoluten Lieblingsgedichte aller Zeit ist). Ein wunderbarer Gleichklang über viele Grenzen hinweg.

Die Gedichte der zweisprachigen Ausgabe mit den Übersetzungen von Marion Kraft und Sigrid Markmann wurde noch von Audre Lorde selbst zusammengestellt und erschienen zum ersten Mal 1994 beim Orlanda Frauenverlag. Ein Hoch auf den Unrast Verlag, der 2020 eine Neuauflage herausbrachte.

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Und jetzt? Jetzt wünsche ich mir noch eine Übersetzung der „Collected Poems“, dieses kleinen Ziegelsteins voller wunderbarer Gedichten, die Herz und Hirn und Haut berühren. Wäre es nicht schön, wenn sich ein Team von Übersetzer:innen fände, das sich dieser herausfordernden Aufgabe widmen würde?

 

Autor: Elvira Willems

Elvira Willems arbeitet nach Stationen als Buchhändlerin, Bibliotheksmitarbeiterin und Verlagsleiterin seit über zwanzig Jahren als freie Lektorin und Übersetzerin aus dem Englischen (Belletristik, Sachbücher, Kinder- und Jugendliteratur). Sie hat ein Buch über ihre CRPS-Erkrankung geschrieben (https://shop.thieme.de/CRPS-Aktiv-gegen-den-Schmerz/9783432113227) und widmet sich nebenher ein wenig der Kunst https://atelierzumsee.blogspot.com/

3 Kommentare

  1. Vielen Dank, liebe Elvira, für diese tolle Recherche und Zusammenstellung und vor allem die begeisternden Empfehlungen! LG – Maren

  2. Sehr schöner, umfassender und informativer Beitrag. Ich werde mir die Bücher Lordes jetzt mal wieder nach oben auf den Stapel legen. DANKE für die Anregung

  3. Liebe Elvira,

    wie schon ersehnt, weckt auch der zweite Teil Wissbegierde, um mehr Aufklärung und Zusammenhänge aus den Büchern zu erfahren 😉

    Herzlichen Dank und lieben Gruß,
    Evy

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