Spitzwegs armer Poet ist eine Poetin Ü60 – und verdient über ein Viertel weniger als ihr Kollege
Anlass der Serie Frauen im Literaturbetrieb ist der „Runde Tisch zu Frauen in Kultur und Medien“, initiiert von der Kulturstaatsministerin Monika Grütters, der Lösungen und Gesetzesvorschläge entwickeln soll, um Frauen in Kultur und Medien zielgerichtet zu fördern. Ein Kompetenzteam* der BücherFrauen ist mit dabei.
Auf dem Blog stellt Nina George in der dreiteiligen Blogpostserie die wesentlichen Leitfragen und Lösungsideen vor.
Im ersten Teil ging es um Frauen in Führung: über Quoten, Mentoring und Bildungsgutscheine.
Im zweiten Teil wurde der Frauenanteil in Gremien, in Jurys, in Akademien, bei Stipendien und Auszeichnungen beleuchtet.
Teil 3: Lohnlücke und Honorar(un)gerechtigkeit
Frauen sind in Kultur und Medien nach wie vor schlechter gestellt als ihre männlichen Kollegen. Der Paygap in der Buchbranche beträgt im Schnitt 28 Prozent (MehrWertStudie, BücherFrauen) – in manchen Bereichen wie etwa Abteilungsleitung sogar bis zu 36 Prozent. Und auch Spitzwegs armer Poet ist eigentlich eine Poetin und Ü60. In der Altersgruppe 40 bis 50 verdienen Autoren 23.602 Euro durchschnittlich im Jahr, Autorinnen 16.720 Euro / 1.393 Euro im Monat (KSK) – und Autorinnen über 60 knapp 16.000. Ebenso werden freien Übersetzerinnen, Lektorinnen oder Illustratorinnen von vornherein niedrigere Honorare angeboten, das kann von 10 bis 80 Prozent des Männer-Honorars reichen.
Dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn bekommen als Männer, hat zwar in Deutschland immer noch Tradition, doch in der Buchbranche offenbaren sich noch weitere spezifische Lücken: So verdienen Frauen, je höher sie in der Hierarchie steigen, prozentual deutlich immer weniger als Männer. Mütter weniger als Kinderlose, Väter dagegen mehr! Und: Der womens drain, die Abwanderung von Frauen aus der Branche, ist sehr hoch – die gut Ausgebildeten starten motiviert und ziehen sich irgendwann aus dem Traumberuf zurück.
„Bei Stellenbesetzungen spielt zudem das Prinzip der ,homosozialen Kooptation‘ eine Rolle“, so Christiane Engel-Haas. Die Fachlektorin und studierte Sozialwissenschaftlerin leitete das Führungskräftetraining für die Bücherfrauen im Mai 2016. „Das heißt offene Posten werden unbewusst an Personen vergeben, die dem Entscheider ähnlich sind. Das gilt im Übrigen für beide Geschlechter. In Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat sich in den letzten Jahren viel bewegt, dennoch tragen weiterhin meist Frauen die Nachteile in Form von Stereotypen – ,Die wird eh bald schwanger‘ –, schlechterer Bezahlung, Teilzeittätigkeit, unterbrochenen Beschäftigungsverhältnissen und mangelnder Vernetzung.“
Einige Fallbeispiele:
Auch bei den Autorinnen klafft die Lohnlücke. Deutschlands bekannteste Agentin, Karin Graf, Inhaberin der großen Literatur- und Medienagentur „Graf & Graf“, erlebte, dass Verlage ihr für die Manuskripte von Schriftstellerinnen weniger Geld anboten als für die männlicher Kollegen. Auch bekämen nachgewiesenermaßen Männer leichter und eher Hardcoverausgaben ihrer Bücher als Frauen.
Bei Lesungen erhalten Autoren im Schnitt 181 Euro, Autorinnen im Schnitt 121 Euro. (Den vom VS empfohlenen Satz von 300 Euro erreichen die wenigsten, so der Urheber dieser Umfrage, Das Syndikat e.V.).
Autorinnen bekommen Emotion statt Honoration: Schriftstellerinnen, vor allem jüngeren oder unerfahrenen, wird oft mit emotionalem Druck bis offenem Sexismus begegnet, um Preise zu drücken. Dagegen haben sich Männer oft eine eigene Verhandlungstaktik erarbeitet. So verlangten bspw. zwei männliche Literaturkritiker mit Namen einem großen deutschen Fernsehmedium gegenüber ein Honorar für ein 5-Minuten-Statement über die besten Bücher der Buchmesse. Die zwei ebenso befragten LiteraturkritikerINNEN verlangten gar nichts und fragten gar nicht erst nach einem Etat.
Honorardatenbanken und Verhandlungstraining
Honorardatenbanken (anonymisiert) für alle Sparten der freien Literaturbranche könnten eine deutliche Verbesserung in Verhandlungspositionen für Freie bringen. Denn wer weiß, was die anderen erhalten, ist besser für die Verhandlung gerüstet! Was verdient die feste/freie Lektorin, Übersetzerin, Autorin, Korrektorin, Illustratorin, für Lesungen, Moderationen, Gutachten, O-Töne? Dasselbe ließe sich auf Lohn-Ebene mit entsprechenden Gehaltsdatenbanken aufstellen.
Hier sind auch die Gewerkschaften und Verbände aufgerufen, dies zu organisieren.
Als eine weitere Lösung, gerade für die oft prekären Einkommenssituationen freier Autorinnen schlägt Ute Hacker von der Autorinnenvereinigung e.V. vor, eine Senkung der KSK-Eintrittsgrenze zu debattieren und staatliche Förderungsinstrumente freier Künstlerinnen einzuführen, wie etwa günstige Darlehen oder Künstlerin-Notfallkassen. Letztere gibt es u. a. bereits bei der VG Wort.
Kinder: Die Kunstbremsen?
Doppelt so viele Frauen als Männer der Buchbranche sind kinderlos. Und es gibt einen berühmten Satz, den Julia Franck Marcel Reich-Ranicki zuordnet, der zu einer jungen Schriftstellerin gesagt habe: „Aber bekommen Sie nie Kinder, sonst ist Ihre Karriere als Schriftstellerin vorbei.“ Sie bestätigt selbst: „Schreiben und Kinder sind unvereinbar.“
Erfolgreiche Künstlerinnen, die gleichzeitig Mutter sind, gibt es – aber sie sind selten. Anders als bei Künstlern, bei denen offenbar noch eine eher altmodische Arbeitsaufteilung zum Alltag dazugehört: ER ist kreativ, SIE kocht und kümmert sich um die Kinder. Andersherum sind solche Modelle selten.
Bei freien Autorinnen, Übersetzerinnen oder Lektorinnen ist die Datenlage zwar porös, aber deutlich ist, dass freie weibliche Kunstschaffende weniger familiäre Unterstützung erhalten als Künstler mit Kindern – da hält meist die nicht-schreibende Frau den Rücken frei und die Kinder aus dem Arbeitszimmer.
Oft verhindert die Mutterschaft eine Karriere, da die Muse nun mal nicht nur zur Kita-Zeit vorbeischaut und der Alltag mit Kindern Reisen, nächtliche Schaffensexzesse oder auch mal „nur“ künstlerisches Experimentieren, ohne auf regelmäßiges Einkommen zu achten, verhindert. Oft verbaut die Mutterschaft respektive die Aufgabe der Kinderbetreuung auch die Teilnahme an Stipendien.
Die Schriftstellerin Tanja Dückers legte in der FAZ eindrücklich dar, welche Nachteile Autorinnen bei der Vergabe von Stipendien haben: „Während männliche Kollegen, auch wenn sie mehrere Kinder haben, oft mehrmonatige Stipendien im Ausland wahrnehmen – ich könnte hierfür viele Beispiele aufzählen, die mir persönlich bekannt sind –, machen Mütter das meist nicht. Viele Aufenthaltsstipendien untersagen die Mitnahme von Kindern sowieso kategorisch. Eingeladen zu einem Writer-in-residence-Stipendium nach New Hampshire, musste ich feststellen, dass ich in 60 Jahren Stipendienvergabe die erste SchriftstellerIN war, die mit Familie kommen wollte. Alle eingeladenen männlichen Schriftsteller wurden, sofern sie Familie hatten, von ihren Ehefrauen oder Lebensgefährtinnen begleitet, die sich selbstverständlich um die Kinder kümmerten, nur ich bat um Hilfe bei der Suche nach einem Kindergartenplatz. Damit stellten wir für das renommierte Ostküstencollege ein Novum dar.“
Flexible Arbeitszeiten, Mütter-Stipendien, Feuerwehrtöpfe
Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Buchbranche verfasste Dr. Valeska Henze für den Börsenverein ein umfassendes Whitepaper.
Darüber hinaus fordert Henze eine größere Flexibilität der Arbeitszeiten, d. h. Teilzeit, Homeoffice, Führung in Teilzeit und eine Orientierung zur Beförderung von Frauen an Arbeitsergebnissen und nicht an Präsenz. „Modelle und Ideen gibt es viele, die Unternehmen müssen sich dafür öffnen bzw. es müssen Anreize geschaffen werden, damit sie sich öffnen. So ließen sich auch Möglichkeiten für kleinere Unternehmen schaffen, Kosten für familienfreundliche Angebote durch Kooperationen zu teilen.“
Die Autorinnenvereinigung e.V. stellte fest: „Viele Autorinnen leben in Angst vor Altersarmut. Sie sind durch ihre Familientätigkeit erschöpft und fordern Schreibzeit. Sie brauchen Stipendien für Recherchen, zeitlich und räumlich ungebundene Arbeitsstipendien, um Kindern gerecht zu werden. Die Einkommensgrenzen, um die Künstlersozialversicherung in Anspruch nehmen zu können, gehören auf den Prüfstand. Es fehlen günstige Darlehen, Feuerwehrtöpfe für Notfälle. Gefordert wird Transparenz der Fördermaßnahmen.“
* Zu dem Team gehören Janet Clark, Schriftstellerin, Präsidentin Mörderische Schwestern e.V., Gründerin Netzwerk Autorenrechte; Yvonne de Andrés, Beirätin für Dezentrale Kultur, Beirätin im Vorstand der BücherFrauen; Nina George, Schriftstellerin, Womens-Writers’-Committee-Beauftragte des PEN-Zentrum Deutschland und Gründerin Fairer Buchmarkt; Ute Hacker, Schriftstellerin und 1. Vorsitzende der Autorinnenvereinigung e.V., Johanna Hahn, Geschäftsführerin des Börsenvereins Berlin-Brandenburg, im Vorstand des Literaturhauses Berlin und im Vorstand des Sozialwerks des Dt. Buchhandels; Dr. Valeska Henze, Politikwissenschaftlerin, Übersetzerin, ehemalige Vorsitzende der BücherFrauen.
14. Februar 2017 um 11:56
Wieder mal ein sehr gelungener Artikel!
Zum Thema Honorardatenbank: Eine gut Idee, der leider das Kartellrecht entgegensteht. Der Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e. V. (VFLL) hatte früher Honorarempfehlungen für freie Lektorinnen und Lektoren, die wir nun aus diesen rechtlichen Gründen nicht mehr herausgeben können.
Herzliche Grüße
23. Februar 2017 um 14:34
Ich bekam gerade den Hinweis, dass eine reine Datenbank kartellrechtlich wahrscheinlich unbedenklich wäre. Das Problem seien Honorarempfehlungen. Also: ein rechtlich nicht ganz einfaches Gebiet.