Station 5.
Austin, Texas.
Ortszeit 07:33, Waiting Area Gate 3, Frontier Airline to San Diego.
Im Flughafen Motown-Musik. Relaxte Security.

Erinnerungstafel an die Bewegung der Sufragetten in Austin, Texas (© Nina George).
24 Grad, bereits um 05:15, als der Wecker La Mer säuselte, die Temperatur steigt halbstündlich an, 27 Grad um 06:30, still rising. Die Luft ist feucht, dick, wie durch ein nasses Handtuch zu atmen. Im Flugzeug wird später die Aircondition Kondensnebel versprühen, Disconebel, Smoke on the Water, und aktive Soldaten steigen wie immer vor allen anderen ein.
[Neun Städte in acht Tagen: Die US-Lesetour der Schriftstellerin Nina George („The Little Paris Bookshop“, „The Little French Bistro“) wird zu einer Seelenreise in das Herz des intellektuellen, des armen und des Amerika auf der Suche nach einer Haltung. Sie spricht mit Buchhändlerinnen, Leserinnen, Agentinnen und Menschen auf der Straße. Georges Tagebuch „This is not Trump’s Land“, das sie jeden Abend zunächst nur per Mobiltelefon für ihre Facebookfreundinnen schrieb, erscheint auf dem Blog der Bücherfrauen das erste Mal öffentlich und ungekürzt. Teil 4]

Sorry, dass wir so einen Präsidenten haben. Gesehen in Austin, Texas (© Nina George).
Bei meinem gestrigen Spaziergang – vom Capitol via 2nd Street und zickzack zurück zum „Ella’s Hotel“ – suche ich wie jeder den Schatten und sei er unter einem dünnen Bäumchen. Die Straßen, zu hell in der Sonne, sind leer, wer kann, zieht sich in eisgekühlte Räume zurück, viele lassen den Motor während des Parkens laufen, Klimaanlagen auf Hochtouren, die im Hotel rauscht wie ein Orientexpress, täuscht eine steife Brise vor, ich liebe es. Beim Frozen Yoghurt treffe ich Henning aus Berlin, Urheberrechtsanwalt, klar, später am Abend werde ich vom kontinentaleuropäischen Urheberrecht erzählen, die Zuschauer werden es lieben und neidisch sein, dass wir die Autonomie über unsere Leistung behalten, sogar bis über den Tod hinaus. Copyright ist schwächer als author’s right.
Frozen Yoghurt wird nach Gewicht bezahlt. Nicht meins, das der Toppings.
Manche Autofahrer reichen den Bettlern an den Kreuzungen eiskalte Flaschen Wasser aus dem Seitenfenster.

In diesem Haus glauben wir an Wissenschaft, und auch daran, dass Frauenrechte Menschenrechte sind (© Nina George).

Im Podcaststudio der „Kirkus Review“ – Interview mit Clay Smith. Vor dem Haus ein Statement, das Trump nicht gefallen dürfte (© Nina George).
Austin. Liberal, musikalisch, niemand mag hier Trump, mehr noch, er wird konsequent ignoriert.
Zum ersten Mal auf der Tour erlebe ich Catcalls.
Den ersten nach dem „Kirkus Reviews“-Podcast-Interview in einem schmucken Südstaaten-Häuschen. Dass Clay aussieht wie Hugh Grant und so britisch gekleidet ist wie bisher kein einziger Amerikaner, tut meinen müden, müden Augen wohl.

Das ist nicht Hugh Grant (© Nina George).

Kein Haus ohne Veranda in Austin. Und Klimaanlage. Hier: Sitz des Kirkus-Review-Podcastradios (© Nina George).
Danach. Ich stehe in meinem blauweißen Lauren-Kleidchen da, rauche, vorsichtig, um nicht zu viel Luft durchs nasse Handtuch zu atmen, betrachte die Figuren, die zum Kindergeburtstag aufgehängt werden und auf die so lange mit Stöcken eingedroschen wird, bis die falsche Haut platzt und Sweets rauskullern – als ein Pick-up-Truck vorbeidröhnt, das bullige Geräusch der hier immer riesiger wirkenden SUVs. „Sexxxxx-yyy! Yeehaw“, ruft ein Mann, hupt, braust weiter, ich entscheide, es als Kompliment zu nehmen. Kristen Holland, meine Hostess, lacht sich halb kaputt. Sie hat mir Cookies und Äpfel für meinen Flug nach San Diego mitgegeben.
Catcalls. In Downtown sammle ich diverse Rufe ein, Gesprächsangebote, ungefragte Kommentare über mein Aussehen, in diesem singenden, schleppenden Amerikanisch, Yeah, sagen sie, nicht yes, manchmal auch Ja. Hey Beauty, what’s goin’.
Es ist nicht unangenehm, ich bin fast 44, eines Tages wird es den Moment geben, in dem es heißt: „Man kann immer noch sehen, dass sie mal schön war“, was Leute eben so Dämliches sagen und dabei denken, das sei semi-charmant.
Dann tröste ich mich mit Austin, in Austin, da hupten noch die Trucks für meinen Hintern.
„Bookpeople“.
Nice green dress, sagt der Kassierer, vielleicht ist das hier einfach so und wir ängstlichen Deutschen sind es nicht gewohnt, dass jemandem auffällt, dass man sich Mühe gegeben hat?

Großes Kino Literatur. Lesungstafel bei „Bookpeople“, Austin (© Nina George).

Statement für queeres Leben (Hintergrund, © Kristen Holland).
„Bookpeople“ sind in der Branche berühmt. Unglaublich groß, unglaublich divers sortiert, jeden Tag Autorenevents, es gibt eiskalten süßen Cidre, Vince ist da, und Heidis Übersetzerfreunde, eine Frau spielt mir eine Zwei-Minuten-Nachricht ihrer Freundin Gailie vor, eine andere liest seit Monaten das „Lavendelzimmer“, inzwischen das vierte Mal, sie fängt immer wieder von vorne an, und Rebeccas wahnsinnig herzliche Mutter, die die „Mondspielerin“ testgelesen hat, umarmt mich und ich bin für einen Moment adoptiert.
Lesen, reden, die Q&A-Fragen nach Figuren, Schreibroutine, Pseudonymen, Titelsuche, sehr handwerkliche Fragen.

Texanischer Chic (© Nina George). Und sie spielen Country – und Western.
Nightlife in Downtown. Ich bin 14 und hüpfe zu A-ha. Belehre den armen Barkeeper, dass sein Muscadet korkt. Die Nacht zirpt und klebt warm an meiner Haut, jetzt ist die Stadt wach, halb zwölf, sie isst, tanzt, cruist, promeniert.
Nicht ganz fünf Stunden Schlaf.
In San Diego werde ich acht, oder neun?, Stunden hinter Europa sein.
Ich lebe in eurer Vergangenheit.
Ihr seid die Zukunft.
Stephen King fällt mir ein, die eben vergangene Zeit, die weggefressen wird, wie heißt der Roman noch mal?
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