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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

This is not Trump’s Land – Reisetagebuch von Nina George (8/8)

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Station 7,5 und final stop.
Noch 6 Stunden bis zum Abflug San Francisco to Paris.

Tai Chi im Park (© Nina George)

06:40 Ortszeit, Tai-Chi im Park auf Nob Hill, zwanzig ältere Chinesen und Chinesinnen schieben Wolken und ziehen den Fuchs am Schwanz, am Horizont der California Street umschwebt der kalte Morgennebel die Bay Bridge.
Ich bin drei Stunden früher wach als erhofft und nutze die Gelegenheit, mit der Buchreport-Auslandskorrespondentin Anja Sieg zu telefonieren, Ortszeit 16:30 Ostfriesland: Was ist anders an den Lesetouren in den USA? Werden AutorInnen vom Publikum mehr geschätzt? Kann der Buchhandel in Deutschland sich etwas abschauen? Was hat mich beeindruckt? 

[Neun Städte in acht Tagen: Die US-Lesetour der Schriftstellerin Nina George („The Little Paris Bookshop“, „The Little French Bistro“) wird zu einer Seelenreise in das Herz des intellektuellen, des armen und des Amerika auf der Suche nach einer Haltung. Sie spricht mit Buchhändlerinnen, Leserinnen, Agentinnen und Menschen auf der Straße. Georges Tagebuch „This is not Trump’s Land“, das sie jeden Abend zunächst nur per Mobiltelefon für ihre Facebookfreundinnen schrieb, erscheint auf dem Blog der Bücherfrauen das erste Mal öffentlich und ungekürzt. Teil 7]

Was mich beeindruckt hat: der Support seitens des Lesepublikums, die Lust am Ins-Gespräch-Kommen, Fragenstellen, und zwar gute Fragen, handwerklich, persönlich, politisch, zielgerichtet auf bestimmte Aspekte des Buches, nicht nur globale Fragen wie „Wie kommen Sie auf Ihre Ideen?“ Beeindruckt hat mich das Empowerment, das Encouragement – Autorinnen und Autoren werden für ihren Mut und ihre Kreativität geschätzt, nicht als verwirrte Narren oder Wichtigtuer angesehen. Und das selbst von jenen, die nicht gerade jetzt im Buchladen sitzen. Taxifahrer, Doormen, Flughafenbekanntschaften. Niemals diese bisweilen in Deutschland verbreitete süffisante Herablassung: Ach …, Sie schreiben?, sondern Interesse: „Worum geht’s?“, und stets der herzliche Wunsch, Erfolg zu haben. Ernst nehmen, was jemand tut, das hat mich beeindruckt.

„Copperfield’s Bookstore“ in Healdsburg. (© Nina George)

Cupcakes meets Macarons und Chesterkäse. (© Nina George)

Buchhandlungskatze bei „Copperfield’s Books“, Healdsburg. Die zweite sitzt im Regal, der Hund schläft in der Teeküche. (© Nina George)

Aber, Moment, es fehlt ja noch Healdsburg. „Copperfield’s Books“, es hätte keinen schöneren Abschluss geben können. Die zwei Ladenkatzen (eine heißt Pi, wie Pi) umstreifen meine Beine, Lola, der Kassenhund, japst andächtig, zwei der Buchhändlerinnen verraten, dass sie geweint haben vor Aufregung und Freude, als sie von Crown hörten, dass sie die Autorin von „The Little Paris Bookshop“ bekämen. Das ist mal eine herzergreifende Aussage. Halb Healdsburg habe den „Bookshop“ gelesen und die kleine sympathische Crowd von vielleicht 40, 45 Menschen ist so zugewandt, so lachbereit, so fragebereit, es ist ein guter, es ist ein sanfter, es ist ein sehr persönlicher, intimer Abschluss der Tour.

Würden Sie uns kurz was signieren?
(© Nina George)

Copperfield’s Books in Healdsburg schwört auf Themenwände. Das war mein Liebling. (© Nina George)

Zu fünft ackern wir später, allein im Laden, 200 Bücher zum Signieren ab, in unter 10 Minuten. Die „Neil-Gaiman-Technik“. Einer schlägt die Bücher auf der richtigen Seite auf, der nächste schiebt sie der Autorin unter den Kuli, der nächste zieht sie unter dem Kuli weg und reicht sie dem übernächsten, der sie stapelt. Auf diese Weise schaffte Neil bei „Copperfield’s“ mal 1.200 Bücher in 32 Minuten. Monster.

Auf dem Weg nach Healdsburg (Hiiieelsbörg) machten Deirdre und ich bei „Bookpassage“ halt, „ihrem“ Laden, auch da signiere ich wie der Teufel, eine Kundin, die einzige gerade in der Buchhandlung (mit Café!) kriegt große Augen und hat „ihre“ Autorin für fünf Minuten völlig für sich, sie läse alles, worin Paris oder Frankreich drin vorkomme. Amerikaner lieben Romane, die in Italien oder Paris spielen. Und wieder: Ja, ja!, bitte, Berlin-Romane. Exotisch! Again. Aber wie kriegen wir die übersetzt? Deutsche Lizenzen gehen nur 600 nach Amerika. Nadelöhr Bestsellerliste. Nadelöhr Programmmacher.

Es gibt Käse, Trauben, Cupcakes, Lavendel im „Copperfield’s“, Tränen, Umarmungen, Selfies. Ich rauche draußen, komme wieder rein, trinke Sekt, rauche erneut, „You are so european!“, ich bin die einzige Frau überhaupt in ganz Kalifornien, die raucht, und habe hier deutlich weniger Nikotin geladen, was nicht das Schlechteste ist.

In Staaten, in denen der Missbrauch von Schmerzmitteln und die Todesfälle aufgrund von Überdosierung von Opioiden besonders zahlreich ist – in diesen Staaten hat Trump übrigens die meisten Stimmen bekommen.

Autorinnen und Autoren werden hier nicht für ihre Lesungen bezahlt. Der Verlag zahlt Reise und Unterkunft. Und Media-Escorts, die aber sind selten, ich habe also sehr, sehr viel Glück. So kann jede (Indie-)Buchhandlung problemlos täglich (!) einen Autoren oder eine Autorin präsentieren; viele Bestseller-AutorInnen wie etwa Amy Tan leben in der Bay-Area, sie kommen „mal eben“ vorbei. Manche Buchhandlungen haben sogar zwei bis drei AutorInnen zu Gast – täglich. Lunch-Literature, Afternoon-Meet&Greet, Evening-Show. Menschen kommen dann, wenn es eine Local Neighbourhood ist, ein nachbarschaftlicher Treffpunkt, mehr Ort als Laden, mehr menschliches Zentrum als Warenumschlagsplatz. In der „Bookpassage“ werden allein in diesem Monat Salman Rushdie, Amy Tan, Karin Slaughter und Danielle Steel auflaufen.

Amazon hat eine Lebensmittelkette gekauft, die für ihre Bioprodukte beliebt ist. Deirdre fragt sich, ob sie da noch einkaufen kann. Aber wo sonst? Amazon will das Lebensmittelgeschäft aufrollen. Alles verkaufen, was verkaufbar ist, alles schicken, verdrohnen, verkurieren. Dystopie: nirgends mehr Läden, nur zentrale Lager weit außerhalb der Cities, bewacht, brummend vor Klimaanlagen, riesig, und die Produkte darin am Ende unbezahlbar.

Stau auf der Golden Gate Bridge. (© Nina George)

Ja, das ist DIE Brücke. Und ja, da ist tagsüber IMMER Stau. (© Nina George)

Die Golden Gate Bridge ist so voll, dass wir eine Stunde benötigen, um sie zu überqueren. In der Nacht wird sie einfach an uns vorbeirauschen. Es sind wenig Sterne zu sehen, light pollution, fog, und die meisten der ZuhörerInnen werden wohl nur deshalb in die Bretagne reisen, um die Milchstraße mal zu sehen.

Die hohen, sternenfunkelnden Nächte … ich verzehre mich nach der Tiefe der Nacht am Ende der Welt, am Anfang der Welt. Ich verzehre mich nach der Lieblichkeit der saftigen grünen Natur, nach der gewachsenen Historie europäischer Städte, ich sehne mich, ja, genau danach: in dem Europa zu leben, das so viel Geschichte in sich trägt, Tiefe, in Städten, Landschaften, Legenden, auch in der Kultivierung von Landschaften und ihrer Produkte. Ich habe in den USA selten gut gegessen, wobei gut für mich meint: geschmackvolle, gute Grundprodukte. Ein Königreich für eine reife Melone, eine würzige Tomate, ein anständiges Brot, gesalzene Butter normannischer Kühe, Olivenöl, gereiften Käse.

Es ist ein junges Land, dieses Amerika. Ich schmecke es, ich rieche es, ich spüre es – und die „old world“, die fehlt mir, ich kannte dieses Gefühl zuvor überhaupt nicht. Old World. Das Gewachsene, das Profunde, das über Jahrhunderte und Jahrtausende Gewachsene, in Mentalität, Landschaft, Architektur, in Politik und Literatur, in der Herangehensweise an schützenswerte Dinge.

Es liegt eine andere Festigkeit in der europäischen Seele. Ich muss darüber nachdenken, wie ich das besser ausdrücken kann. Stabilität kommt mir in den Sinn. Sich auf etwas beziehen. Nicht nur eine Schein-Präsenz haben, sondern eine Präsenz aus sich heraus.

Ja. Oft zeigte mir Amerika eine Schein-Präsenz, ein: Yeah, so machen wir hier das und dies, modern, total, digital world, supergesund leben und so, jeder kann Präsident werden, auch Kanye West (hat ebenfalls ein Wahlkampfteam engagiert), das ist unsere Tradition – aber es gibt sie gar nicht, „Tradition“, es gibt Lifestyle und Usancen und common grounds und Trends und den amerikanischen Traum, aber es gibt sie nicht, die Präsenz der Jahrtausende, das Ringen um ein Miteinander, die Diversität, die Kulturhistorie. Das Fundament der US-Nation reicht kaum einen halben Meter in junge, bröckelige Erde. Das Fundament Europas ist ein Mehrschichtentiefengestein mit tausend Schattierungen. Diese Stabilität, diese Tiefe, die fehlt mir hier am meisten. Ich arbeite daran, das handfester auszudrücken. Aber ich verstehe auch, warum disruptive Märkte hier eine Chance haben; das Zerstören liegt ihnen, weil ihnen das Erhalten unbekannt ist, das Erhalten und die Vorteile daran. Modern sein ist nicht immer: klüger, besser sein. Manchmal ist neu einfach nur anders oder einfach nur scheiße.

„To connect with people“, das sei wichtig, sagt Deirdre. Nicht unbedingt Entertainment. Connecting. Wer sich als AutorIn zu distanziert, zu selbstverliebt, zu wichtigtuerisch, zu schüchtern, zu ängstlich verhält, der wird diese Booktours hassen.

Es ist noch alles ungeordnet in meinem Kopf. Trump, Not-Trump, Buchhandlungen, Klimaanlagen-Frost, gluten free, 25 Prozent Trinkgeld, riesige SUVs, die Heftigkeit der mir entgegengebrachten Gefühlsbekundungen der ZuhörerInnen, die Securitychecks, Uber-Cars, die Armut, o Gott, diese Armut der Homeless People, das marode Gesundheitssystem, die absolut horriblen Straßen, überall, wirklich überall beschissene Straßen, Löcher, Risse, nirgends „Innenstädte“, traffic jam, lange Taxifahrten, Flughäfen, rauf, runter, Taxifahrten, traffic jam, halbe Stunde Zeit zum Umziehen, weiter ging es, traffic jam, Showtime, und dann wieder: Herzlichkeit, Zugewandtheit, straight talk, „getting connected“, das fiel mir leicht, das Ansprechen und Angesprochenwerden. Wer arm ist in Amerika, dem geht es immer schlechter. Und doch: Herzlichkeit. Sich Momente suchen an Glück.

Time is smiling in my hand. Jenseits einer verlässlichen Uhrzeit schwebe ich seltsam frei.
Sie merkten gar nicht, sagten mir viele LeserInnen, dass ich Deutsche sei – als sie die Bücher lasen, dachten sie, ich sei Französin. Oder Engländerin. Ich bin mir nicht sicher, was genau das über deutschsprachige Autoren aussagt; aber ich werde darüber nachdenken.

09:45 Uhr Ortszeit. Duschen. Frühstück. Mein erstes Mal „Full American Breakfast“ statt Kaffee, Zigarette, Bagel und Melone.

This is not Trump’s Land. Dieses Land will diesen Mann nicht. Es will nicht von ihm repräsentiert, nicht regiert werden. Es entdeckt die Vielfältigkeit der Rebellion, des sublimen bis deutlichen Aufstands. Es entdeckt Feminismus als politische Notwendigkeit. Es entdeckt Europa und Deutschland als Vorbild. Es entdeckt, was Medien wirklich können. Sogar die TeenVogue wird politisch.
Amerika entdeckt sich selbst, so scheint es mir – es ist die Ära einer neuen Aufklärung.

Morgen um die Zeit (18:47 europäische Zeit) bin ich zurück. Meine Seele wird ein wenig länger benötigen.
Welt, ich umfasse dich.
Noch darf ich nicht weinen, das Weinen des Überfließens, der porösen Wundheit, weil ich auf Reisen alle Sinne „on“ schalte und gleichzeitig Emotionen „off“.
Eben hätte ich fast. Ich halte den Schluchzer im Mund fest.
Coming home.
Home.

Zuhause. (© Nina George)

 

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Autor: Nina George

Die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Nina George schreibt Romane, Sachbücher, Thriller, Reportagen, Kurzgeschichten sowie Kolumnen. Ihr Roman „Das Lavendelzimmer" stand 63 Wochen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, wird in 35 Sprachen übersetzt und war u.a. New York Times Bestseller. Mit ihrem Ehemann, Schriftsteller Jo Kramer, schreibt sie unter „Jean Bagnol“ Provencethriller. Nina George ist Beirätin des PEN-Präsidiums und WWC-Beauftragte, Bundesvorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, sowie Gründerin der Initiative Fairer Buchmarkt. Sie lebt in Berlin und der Bretagne. 2017 wurde George als BücherFrau des Jahres ausgezeichnet. www.ninageorge.de

Ein Kommentar

  1. Liebe Nina, danke für Deine Reise-Eindrücke – das war die perfekte Lektüre für mich, musste natürlich schmunzeln und Kopfnicken. Und konnte nebenbei über meinen NY-Tellerrand hinausblicken. Super. Beneide Dich um die französische Küche ;-). Herzliche Grüße!

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