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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Übersetzungslektorat: Konstruktive Zusammenarbeit statt Konflikt

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Eine Podiumsdiskussion zur Kommunikation zwischen Übersetzer*innen und Lektor*innen

Ein Beitrag von Veronika Licher

Foto: Ann Kristin Liegel

Zum Jahresthema „Die im Dunkeln sieht man nicht – Übersetzerinnen ins Licht rücken“ gehört zwingend auch das Übersetzungslektorat in seiner ganzen Vielfältigkeit und mit den zusätzlichen Anforderungen, die es an die Lektor*innen stellt. Vielleicht werden sie dennoch weniger gesehen als die Übersetzerinnen, da diese im Buchtitel immerhin genannt werden müssen. Ein Grund mehr, ihnen beiden eine Veranstaltung auf der Frankfurter Buchmesse zu widmen.

Ein Kernthema für das gute Gelingen eines Übersetzungslektorats ist die gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten: Auftraggeber*innen, Übersetzer*innen und Lektor*innen. Anlässlich der Veröffentlichung des vom Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL) herausgegebenen „Handbuchs Übersetzungslektorat“ im BDÜ Fachverlag wurde dieses Thema auf der Frankfurter Buchmesse der breiteren Öffentlichkeit präsentiert: Unter der Moderation von Katharina Herzberger, Co-Projektleiterin des Handbuchs, tauschte die Übersetzungslektorin und BücherFrau Johanna Schwering ihre Erfahrungen mit dem Literaturübersetzer Tobias Scheffel aus. Veronika Licher, seit vielen Jahren als Übersetzungslektorin aktiv (und noch länger BücherFrau), fasst die Diskussion zusammen.

Tobias Scheffel und Johanna Schwering treffen sich nicht zum ersten Mal: Der Literaturübersetzer bietet regelmäßig Seminare im Übersetzerhaus Looren an und auch Johanna Schwering hat zum Thema einen Workshop konzipiert. Es sind nicht nur Übersetzungslektor*innen im Publikum anwesend, wie eine Kurzumfrage der Moderatorin ergibt, die eine oder andere will auch erste Schritte in diese Richtung gehen. Umso hilfreicher zu hören, was erfahrene Kolleg*innen ihnen dazu mitgeben können.

Die Einstiegsfrage von Katharina Herzberger trifft gleich ins Schwarze: „Wann greifst du ein in die Übersetzung?“ Für Johanna Schwering gilt, dass sie erst einmal anfängt zu lesen und versucht, sich auf den Text einzulassen. Sie bedauert, dass sie häufig als Lektorin kein Original zur Seite hat, auf das sie zurückgreifen könnte, aber auch, wenn dieses gegeben sei, sei ihr der Text nicht so präsent wie der Übersetzerin, die im Allgemeinen die bessere Sprachkompetenz habe. Insofern sei es wichtig, nicht einfach Änderungen vorzunehmen, sondern der Kollegin Vorschläge zu unterbreiten, nachzufragen: „Wie verstehst du das?“, und so in einen Dialog einzusteigen. Kleinere Eingriffe, z. B. bei Satzumstellungen, Wortwiederholungen, seien selbstverständlich jederzeit möglich.

Foto: Ann Kristin Liegel

Auch für Tobias Scheffel ist es zunächst einmal wichtig, dass der Lektorierende wertschätzen kann, was die Übersetzerin geleistet hat. Als Übersetzer gestalte sich für ihn die Zusammenarbeit normalerweise angstfrei. Man habe ja schon seit der Auftragsübernahme miteinander im Kontakt gestanden, das sei auch dienlich für die Angstreduzierung. Die von der Moderatorin eingeworfene Befürchtung, dass Angst aber doch ein Thema sein könne und es manchmal krisele und ruckele in der Beziehung zwischen den beiden Beteiligten, resultiert für Tobias Scheffel aus vorangegangenen, nicht idealen Erfahrungen. Eigentlich solle man gemeinsam ein Werk auf die Welt bringen, aber manchmal sind auch für die Lektorin die Bedingungen nicht ideal: Sie kann vielleicht nur in kleinen Etappen an dem Text arbeiten, was sich natürlich auf das Lektorat auswirkt und Frustration bei den Übersetzenden auslösen kann.

Johanna Schwering ergänzt, dass viele Probleme tatsächlich damit zu tun haben, dass zu wenig Zeit für die eigentliche Aufgabe eingeräumt werde, um die „Verlagsmaschinerie“ am Laufen zu halten ­– zumal, wenn man auf die ohnehin nicht üppigen Honorare angewiesen ist. „Wir alle haben aber Anteil daran, wie wir unsere Geschäftsbeziehungen behandeln.“ Man könne selbstverständlich schon im Vorfeld das ein oder andere bereden oder z. B. bei einem neuen Kontakt die ersten zwei Kapitel eines Werkes redigieren und um Feedback der Übersetzerin bitten. So kann ein Dialog entstehen. Je kommerzieller der Auftrag, desto häufiger bekomme aber der Übersetzer gar keinen direkten Kontakt zum Lektor, und Tobias Scheffel hat die Erfahrung gemacht, dass auch Verlage manchmal gar nicht wünschen, dass die freien Lektor*innen in direkten Kontakt zu den Übersetzenden treten.

Bei den Seminaren im Übersetzerhaus Looren findet deshalb regelmäßig ein Rollentausch zwischen Übersetzenden und Lektorierenden statt: Die Lektorin bekommt ein kleines (meist englischsprachiges) Textstück zum Übersetzen – und die Übersetzerin erhält eine bereits übersetzte Passage zum Lektorieren. Katharina Herzberger fragt nach, welche Einblicke durch diese Tandems gewonnen werden.

Die Erwartung im Vorfeld sei, so Tobias Scheffel, dass die Teilnehmenden ihren Rollentausch reflektieren. Man lerne so, was die andere Seite gern gehabt hätte … Wenn man monatelang als Übersetzer an einem Text gearbeitet habe, freue man sich zum Beispiel über eine erste direkte Rückmeldung am nächsten Tag – nicht erst in ein paar Wochen. Das Übersetzen sei eine eher einsame Tätigkeit und die Lektorin die erste Person, die Feedback gebe. Im Einzelfall könne man gar nicht einschätzen, wie etwas ankomme. „Wir suchen Leser*innen und brauchen den Austausch, egal, ob als Lektor*innen oder Übersetzer*innen.“

Katharina Herzberger fragt nach: „Johanna, du bist in beiden Rollen aktiv, als Lektorin und als Übersetzerin. Hilft dir der Rollentausch bei deiner Arbeit?“ Johanna Schwering erklärt, sie arbeite wesentlich mehr als Lektorin. Wenn sie sich an eine eigene Übersetzung mache, sei dies fast wie Erholung, eine wesentlich kreativere Erfahrung. Als Lektorin könne sie nur Beobachtungen und Vorschläge machen, als Übersetzerin habe sie die Texthoheit und gerade bei literarischen Übersetzungen eine unglaubliche Verantwortung der Autorin gegenüber. Insofern ginge dies freilich auch mit größeren Zweifeln einher.

Als Lektorin habe sie mehr den Anspruch, alles fertig zu machen, dem Werk den letzten Schliff zu geben. Als Übersetzerin sei es für sie sehr entlastend, dass da noch jemand drüberschaue. Gerade bei empfindsamen Herzensprojekten helfe es ihr als Übersetzerin, wenn die Lektorin auch in der Lage sei, Lob auszusprechen, wenngleich es natürlich deren Aufgabe sei, aufzufinden, was noch nicht stimmig sei. Tobias Scheffel bestätigt, wie herausfordernd die Aufgabe der Lektorin sei, unter großem Zeitdruck und in Anbetracht dessen, dass sie nicht so tief in den Text eindringen könne, „nicht zu viel zu ändern, aber so viel wie nötig“.

Die Moderatorin zitiert dazu das „professionelle Zurückhaltungsgebot“, das Johanna Schwering in ihrem Beitrag fürs Handbuch propagiert, als Résumé für sie als Lektorin. Textarbeit sei immer subjektiv, der Grad, wie sich unsere Geschmäcker decken, möglicherweise schmal, und keine Lektorin erwarte, dass ihre Vorschläge alle angenommen würden. Jede, ob Übersetzerin oder Lektorin, trage in ihrer Rolle eine unterschiedliche Verantwortung.

Tobias Scheffel als Übersetzer ist erfreut, dass es da jemanden gibt, mit dem er noch einmal ins Gespräch kommt, eine gemeinsame Vertiefung der Interpretation einer Stelle möglich ist. Er ist dabei stets froh, alles, was begründbar ist, annehmen zu können, sich auf eine fundierte Argumentation im Sinne des Textes gemeinsam einzulassen. Dazu benötige man in der Konsequenz allerdings Zeit und, wie Katharina Herzberger ergänzt, die Fähigkeit, sich eine gewisse Offenheit und Flexibilität für die andere Meinung zu erhalten.

Die Literaturübersetzerin Marieke Heimburger ergänzt aus dem Publikum, dass Zeit Geld sei auf beiden Seiten und wie wichtig es sei, bei Abgabe (einer Übersetzung oder auch des Übersetzungslektorats) eine gemeinsame Zeitplanung für das weitere Vorgehen zu ermöglichen.

Dies liege in der Verantwortung des Verlages und sei eigentlich nicht die Aufgabe des freien Lektors, erwidert Johanna Schwering, oft werde aber vom Auftraggeber hier keine Transparenz hergestellt. Sie fände es hilfreich, wenn in die Übersetzungsverträge auch soundso viele Tage für die Durchsicht des Übersetzungslektorats integriert würden.

Für die Moderatorin bleibt als Resümee, dass wir, wenn wir uns all dies bewusst machen, unsere Erfahrungen und Erkenntnisse proaktiv in die Kommunikation einfließen lassen können und so eine für alle Seiten konstruktive Zusammenarbeit erwirken.

Und eine Übersetzerin im Publikum erinnert, dass Übersetzer*innen viel mehr Lob verkraften könnten … Wie wahr! Und für die Übersetzungslektor*innen gilt dies natürlich auch.

Veronika Licher, Dipl.-Inform., begleitet neben deutsch-chinesischen Projekten und Übersetzungslektoraten Buchproduktionen unter anderem im Bereich Psychotherapie. Sie hat selbst 2010 am Workshop Zur Seite gesprungen“ mit Übersetzerinnen und Lektorinnen im lcb teilgenommen. Im „Handbuch Übersetzungslektorat“ interviewt sie die Seminarleiterin Sabine Baumann zu ihren Erfahrungen mit dem Übersetzen und Lektorieren im Tandem.

Weiterführende Links:

https://www.lektoren.de/profil/dipl-inform-veronika-licher

https://www.vfll.de/ueber-uns/neuigkeiten/neue-vfll-publikation-handbuch-%C3%BCbersetzungslektorat/

https://www.cbnd.de/news/newsbeitraege/detail/interview-einblicke-in-das-uebersetzungslektorat-chinesisch/

Autor: Veronika Licher

Veronika Licher, Dipl.-Inform., arbeitet in vielfältiger Weise mit Menschen und mit Büchern, liebt nahe und ferne Länder und bringt als Redakteurin, Lektorin und Coach gerne das eine mit dem anderen zusammen. Sie begleitet neben deutsch-chinesischen Projekten und Übersetzungslektoraten Buchproduktionen zum Beispiel im Bereich Psychotherapie. Als Coach ist es unter anderem ihr Anliegen, Menschen mit vielfältigen Begabungen Orientierung zu geben und ihnen zu helfen, interdisziplinär und kreativ ihre essenziellen Träume zu realisieren.

Ein Kommentar

  1. Ein spannender Beitrag, liebe Veronika!

    Dieses Thema ist völlig neu für mich. Ich nehme an, das geht anderen ebenso. Deshalb habe ich es im Social Web geteilt und würde mich zudem über einen Beitrag darüber auf meinem Blog sehr freuen.

    Liebe Grüße, Evy

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