Der Kurznachrichtendienst Twitter ist mir nicht unbekannt. Privat nutze ich ihn schon seit sechs Jahren – als „Dark Twitter“, also mit einem geschützten Account, dessen Tweets nur die eigenen handverlesenen Follower lesen können. In dieser isolierten Blase kann man hervorragend Albernheiten, Frustrationen und Lästereien mit engen Freunden teilen. Mit der eigentlichen Vernetzungsmacht von Twitter hat das aber wenig zu tun. Genau die wollte ich aber mal erleben. Also habe ich mir pünktlich zur Leipziger Buchmesse einen zweiten, offenen Account eingerichtet und bin mit dem Hashtag #lbm15 in die stürmischen Twitter-Fluten gesprungen.
Schon bei der Anfahrt zur Messe war ich mit Twitter nie allein: Übers Wetter kann auch online nie genug gemeckert werden und so fand ich mit meiner Enttäuschung über den bewölkten Leipziger Himmel schnell Verbündete. Auf dem Messegelände selbst merkte ich dann bald, dass die wahre Herausforderung darin lag, hastig etwas ins Smartphone zu tippen, ohne jemanden umzurennen oder selbst umgerannt zu werden. Außerdem ist Life-Tweeten schwierig, wenn man auch mal was sehen will – oder sich gar life mit Leuten unterhalten!
Twitter statt Notizbuch?
Life-Tweeten von Veranstaltungen erfordert wiederum einiges an Multitasking. Bei der Podiumsdiskussion „Digitales Engagement“ der BücherFrauen gab es bei drei interessanten Referentinnen viel zu hören – und zu tippen. Ich bin eine, die sowieso alles mitschreibt, aber von meinem treuen Notizbuch auf das Smartphone umzusteigen fiel mir schwerer, als ich erwartet habe. Immer wieder zuckte die Hand doch noch zum Kugelschreiber, um sich etwas ganz altmodisch auf Papier zu notieren. Dann noch knackige Sätze der Referentinnen aus dem Diskussionsfluss herausgreifen und samt Hashtags in 140 Zeichen fassen – ganz schön anstrengend! Mein Akku war hinterher mindestens ebenso platt wie ich. (Übrigens macht dich in einer Gruppe netzaffiner Buchmenschen nichts schneller beliebt als ein Aufladekabel!)
Interessanterweise habe ich trotz Multitasking sehr viel von der Diskussion behalten. Dadurch, dass ich mich schon während der Veranstaltung auf Kernthemen und -thesen fokussieren musste, haben sich diese gut strukturiert in mein Gedächtnis eingebrannt. Ob besser oder schlechter als mit meinen herkömmlichen Notizen auf Papier, kann ich allerdings nicht sagen – dafür müsste ich noch ein paar Twitter-Studien anstellen.
Die Freude des Teilens
Außerhalb von Veranstaltungen habe ich hier und da einige Bilder geschossen und getweetet, Hinweise auf Events gegeben (und bekommen!) und versucht, alle zehn Minuten aufs Smartphone zu schauen. Das geht natürlich nur, wenn man nicht einen Termin nach dem nächsten hat, deswegen waren meine Tweets auch recht unregelmäßig über die Tage verteilt. Aber fortgepflanzt haben sie sich auch ohne mich – und ich habe immer neugierig beobachtet, wer denn jetzt welchen Tweet favorisiert und geteilt hat. Das war für mich mit meiner bisherigen „Dark Twitter“-Erfahrung ein ganz neues Vergnügen.
Alles in allem waren es aufregende, inspirierende Messetage, die nicht nur meine Beine, sondern auch meinen Tipp-Daumen auf die Probe gestellt haben. Und da ich so häufig Leuten erklären musste, was ich da tue und warum, stelle ich hier mal ein paar persönliche Gründe zur Nutzung von Twitter zusammen.
Wozu ist Twitter gut?
- Um schnell und ungezwungen Kontakt aufzunehmen: Ein Tweet ist formloser und schneller verfasst als eine E-Mail; ich kann ihn problemlos auch an Leute schicken, mit denen ich vorher nichts zu tun hatte (während Facebook Nachrichten von Unbekannten in die „Sonstiges“-Hölle einsortiert); die Nachricht wirkt persönlich wie über Whatsapp, aber Twitter-Handles sind weitaus einfacher aufzutreiben als Handynummern. Und was mich erstaunt hat: Ein Tweet wird (bei aktiven Nutzern und Nutzerinnen) sehr schnell beantwortet! Perfekt, um mal eben zu fragen, ob ich ein Zitat von jemandem in einem Blogbeitrag verwenden darf oder ob mich jemand zur Party der Jungen Verlage begleitet.
- Um Empfehlungen auszutauschen: Mindestens zwei interessante Veranstaltungen in Leipzig hätte ich verpasst, wenn nicht andere Twitter-Nutzer davon geschrieben hätten. Wenn du Leuten folgst, die deine Interessen teilen, passiert es ganz von selbst, dass sie dich auf Events, Locations oder Veröffentlichungen aufmerksam machen, die dich auch interessieren.
- Um einander zu helfen: Wie sieht die Parkplatzlage an der Messe aus? Soll ich einen Regenschirm einpacken? Wo findet diese vermaledeite Diskussion statt? Dank #Followerpower trudeln Antworten in Sekundenschnelle auf dem Smartphone ein und helfen auch mal Leuten mit mangelhaftem Orientierungssinn (mir) auf die Sprünge.
- Um sich inspirieren zu lassen: Aus Momentaufnahmen und Wortwechseln entstehen Ideen, wie bei einer Mindmap. Und daraus können Schreibprojekte, Kooperationen, Treffen werden, die vorher niemand geplant hat.
- Um gemeinsam zu schmunzeln: Das klingt jetzt vielleicht albern, aber ich habe mich beim Twittern oft auch einfach amüsiert – über Beobachtungen von anderen, über Bilder und Zitate, über Kommentare auf meine eigenen Tweets („Die Platzdeckchen kenn ich! #ikea“). So hatte ich tatsächlich das Gefühl, überall von einem Schwarm Vögelchen umschwirrt zu werden, die mir hin und wieder was ins Ohr zwitscherten – und das war unerwartet charmant.
Wer twittert wie?
Diese und noch viele weitere Vernetzungseffekte kommen natürlich im Rahmen einer Veranstaltung wie der Buchmesse am besten zur Geltung. Aber auch jenseits davon kann der Twitter-Schwarm sehr bereichernd sein. Dafür muss man sich aber auch hineinstürzen und den Account regelmäßig abrufen – Twitter ist schnell und kurzlebig, da huschen interessante Neuigkeiten auch mal eben an einem vorbei. Wer vielen Leuten folgt und selbst viele Follower um sich versammelt hat, profitiert zwar am meisten von den gesammelten Informationen und Inspirationen, muss sich aber auch die Zeit nehmen, sie zu filtern und damit zu interagieren.
Für mich hat es sich im Alltag bisher bewährt, mich nebenbei mit Twitter zu beschäftigen – an der Bushaltestelle, vor der Kasse im Einkaufsmarkt, selbst wenn ich in der Küche darauf warte, dass das Wasser für die Nudeln kocht. Aber ich stehe mit meinem „offenen“ Account ja auch noch ganz am Anfang. Wenn man mehrere Hundert, gar Tausend Follower hat, steigt bestimmt auch der zeitliche Aufwand – aber das ist ja bei jedem Sozialen Medium der Fall. Ich bin jedenfalls ganz begeistert von der bunten Welt, die Twitter mir eröffnet hat, und werde meinen öffentlichen Account (@textwinkel) auch weiterhin nutzen.
Da Twitter aber auf so viele unterschiedliche Weisen genutzt werden kann, interessiert mich, wie es anderen damit geht. Wann und wozu twittert ihr? Was habt ihr damit schon für Erfolgs- oder gar Horror-Storys erlebt? Wie viel Zeit steckt ihr hinein? Ich freue mich auf eure Geschichten – gern auch in mehr als 140 Zeichen!
Alle Bilder © Copyright Martha Wilhelm.
18. März 2015 um 14:49
Hallo Martha,
vielen Dank für deinen sehr interessanten und persönlichen Artikel, der mich darin bestärkt meine soeben entdeckte Begeisterung für Social Media trotz meines fortgeschrittenen Alters 🙂 verschärft zu verfolgen. Mir geht es ähnlich wie dir – ich kann den Zeitaufwand nicht einschätzen und habe ja nebenher auch noch ein analoges Leben mit Job und Kindern zu bestreiten. Ich wohne in Köln und war letztens auf einer von der IHK organisierten “Messe” zum Thema Digitalisierung. Die Vorträge dort haben mich unerwarteterweise sehr begeistert und ich werde auf jeden Fall dranbleiben. Übrigens habe ich seinerzeit auch Slawistik studiert (in Trier und Freiburg).
Herzlich
Monika
20. März 2015 um 20:39
Liebe Monika,
freut mich, dass dich mein Bericht motiviert! Den Zeitaufwand muss man ausprobieren, glaube ich – hängt ja auch davon ab, worüber du tweetest. Aber das Schöne an Twitter finde ich, dass man auch mal ein Foto von hübschen Schneeglöckchen vor der Haustür tweeten kann und die Follower freuen sich trotzdem 😉 Diese Mischung aus persönlichen und fachlichen Informationen macht den Austausch so lebendig.
Apropos Slavistik: Soweit ich es bisher gesehen habe, kommt Twitter auch prima mit Sonderzeichen zurecht! Tweets auf Russisch gingen bei mir zumindest ohne Probleme…
Herzliche Grüße
Martha
18. März 2015 um 17:25
Ein sehr schöner Artikel, der mich schmunzeln liess, weil ich plötzlich als twitter account Betreuerin der buecherfrauen von der #lbm angetwittert wurde und kaum nachkam, deine Fragen zu beantworten und fleißig zu retweeten. Deine Entdeckerfreude macht Spaß nachzuvollziehen und ich denke an meine erste Euphorie zurück, als wir 2009 den twitter account für die buecherfrauen einrichteten. Plötzlich waren wir mittendrin im Geschehen und wurde auch für manche dann erst sichtbar. Also ich bitte doch um fröhliches Weitertwittern, und das ganz öffentlich! Wir retweeten fleißig, wo wir nur können.
20. März 2015 um 19:15
Mir geht das auch oft so, dass ich – wenn ich bei einer Veranstaltung mittwittere – viel mehr darauf mitnehme, als wenn die Veranstaltung einfach so an mir vorbeigeplätschert wäre.
21. März 2015 um 15:54
Der Begriff “Dark Twitter” ist mir jetzt ganz neu – interessant! Danke für den Einblick!