Eine derjenigen, die bereits auf der ersten Liste der Nationalsozialisten stand, die die Grundlage der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 bildete, war Rahel Sanzara, deren großer Erfolgsroman Das verlorene Kind 1926 erschienen war.
Die „Schwarzen Listen“ waren vom Bibliothekar Wolfgang Herrmann bereits ab Ende 1931 erstellt worden, von ihm waren sie allerdings nur für Leihbüchereien gedacht gewesen. Private Leihbüchereien spielten in der Weimarer Republik eine große Rolle, da viele es sich nicht leisten konnten, Bücher zu kaufen. Als der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) 1933 sehr kurzfristig zur „Öffentlichen Verbrennung jüdischen zersetzenden Schrifttums durch die Studentenschaften der Hochschulen aus Anlaß der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland“ aufrief, griffen sie auf diese bereits zur Verfügung stehende Liste zurück, sie beschränkten sich jedoch nicht darauf, wie sich am Beispiel der Dichterin Hilde Marx zeigt.
Die Bücherverbrennungen erfolgten am 10. Mai 1933 in fast jeder deutschen Universitätsstadt, nachdem es vorher bereits mehrere nicht-studentische Bücherverbrennungen in verschiedenen Städten gegeben hatte. Drei Tage später wurden im Börsenblatt die Namen der „bedrohlichsten undeutschesten“ Autoren bekannt gegeben und erst am 16. Mai wurde die komplette Liste veröffentlicht, die ein Leitfaden für die späteren Verbotslisten bleiben sollte. Zahlreiche Verbote von bis zu 21 Stellen folgten; im September wurde die Mitgliedschaft in der Reichschrifttumskammer verpflichtend für alle AutorInnen, was de facto einem Publikationsverbot für jüdische, marxistische, pazifistische, sexualpolitische und andere Autorinnen und Autoren, die den Nationalsozialisten als unliebsam erschienen, d. h. als „undeutsch“ galten, gleichkam.
Die Schriftstellerin Rahel Sanzara
Auf der ersten Liste waren zehn Autorinnen zu finden, unter ihnen Rahel Sanzara, d. h. nur ihr Nachname stand darauf, ihr Vorname nicht, aber sie ist die einzige mit diesem Namen, den sie selbst ersonnen hatte. Geboren als Johanna Bleschke 1894 in Jena, hatte sie sich bereits in verschiedenen künstlerischen Metiers, u. a. Tanz und Schauspielerei, ausprobiert, bevor sie anfing zu schreiben und mit dem 1926 im Ullstein Verlag erschienenen Roman Das verlorene Kind einen Bestseller landete. Das Buch handelte von einem Sexualmord an einer Vierjährigen und erregte große Aufmerksamkeit, wurde mehrfach neu aufgelegt und in elf Sprachen übersetzt.
Bereits 1931 wurden ebenfalls vom Ullstein Verlag die Rechte an ihrem nächsten Roman Die Hochzeit der Armen angekauft, die der Novelle Die glückliche Hand im Februar 1933. Von beiden Arbeiten wurden noch Druckfahnen angefertigt, im März 1933 konnte Die glückliche Hand noch als Vorabdruck in der Vossischen Zeitung erscheinen, wie zuvor auch schon ihr Debüt Das verlorene Kind.
Aber während Sanzara im April 1933 noch mitgeteilt wurde, dass das Buch gesetzt würde und sie bei Ullstein „in der Arbeit ruhig fortfahren“ wollten, gab es ein halbes Jahr später grundsätzliche Bedenken. An sich war der Verlag weiterhin an Die glückliche Hand interessiert, fragte die Autorin aber aufgrund der geplanten Gründung der Reichschrifttumskammer nach ihrer „rassischen Zugehörigkeit“.
Sanzara stellte nie auch nur einen Antrag für die Aufnahme in die Reichschrifttumskammer. Aufgrund ihres bewusst gewählten jüdisch klingenden Namens war sie wohl auf die „Schwarze Liste“ gekommen, sie war auch seit 1927 mit dem jüdischen Bankier Walter Davidsohn verheiratet, aber sie lehnte jeglichen Nachweis wegen ihrer „ausgesprochen philosemitischen Einstellung“ als „zu schäbig“ ab. Stattdessen ersuchte sie in einem Gespräch im Juni 1934 um die Rückgabe der Rechte an allen drei beim Ullstein Verlag vorliegenden Werken, da sie davon ausging, dass es ungünstig für sie wäre, ihre Bücher dort zu lassen. Ein Vertrag mit dem Schweizer Humanitas Verlag wurde erst Anfang 1936 erstellt, sodass sie die Buchausgabe von Die glückliche Hand, die unter dem Pseudonym Johanna Sanzara im Frühjahr desselben Jahres erschien, nicht mehr miterlebte.
Nach diversen Krankheiten starb Rahel Sanzara im Februar 1936 in selbstgewählter Einsamkeit in einer Berliner Klinik.
Seit 1980 wurden sowohl Das verlorene Kind als auch Die glückliche Hand mehrfach neu aufgelegt. Ihr Roman Die Hochzeit der Armen, den sie in den 1930er-Jahren mehrfach anderen Verlagen angeboten hatte, gilt heute als verschollen, ebenso wie ein Hörspiel der Autorin.
Ein ausführliches Porträt von Rahel Sanzara findet sich auf FemBio.
Zum Weiterlesen:
Verboten und verbrannt – Dichterinnen und die Bücherverbrennung: Hilde Marx
11. Mai 2018 um 11:35
Ein Gedanke, der mir bei ihrer Biografie durch den Kopf schoss: Schade, dass Rahel Sanzara und Valeska Gert, obwohl sich beide Tanzpantomimen widmeten, sich nicht beim Tanzen begegnet sind.
11. Mai 2018 um 13:23
Evelyn, wir wissen nicht, ob sie sich nicht begegnet sind. Zumindest hatten sie beide bei der Tanzlehrerin Rita Sacchetto Unterricht.
11. Mai 2018 um 16:15
Danke Doris, das ist ja toll zu wissen.
Ich war im Februar in Lübeck zu der sehr ausdrucksstarken Gedok-Veranstaltung „Phänomen Valeska Gert“ mit Tanz, Texten und Lebenslauf von der Erfinderin des Grotesktanzes. Müsste ich mal nachfragen …
Denn die Lübecker Lyrikerin Marion Hinz hat sich ganz und gar in das Leben von Valeska vertieft. Darüber schrieb Marion auf meinem Blog schon im Herbst 2017
https://www.schwarzaufweiss-internet.de/leben-autorin-1-bin-ichs-oder-bin-ichs-nicht-marion-hinz
11. Mai 2018 um 16:47
Evelyn, die Information über Valeska Gert & Rita Sacchetto steht in meinem Porträt von Rahel Sanzara auf FemBio, das ich verlinkt habe, s.o. Ich hab gerade mal nachgeguckt: Gert schreibt in ihren Memoiren, dass Sacchetto 40 Jahre alt gewesen sei, als sie Unterricht bei ihr hatte (ist wohl geschätzt), dann wäre es ca. 1920 gewesen, Sanzara hatte ihr Debüt als Tänzerin bei ihr 1916. Müsste also genauer nachgeforscht werden. Und falls es Dich interessiert: Die Schriftstellerin Dinah Nelken & Anita Berber hatten auch Unterricht bei Sacchetto.
14. Mai 2018 um 13:03
Deine Infos werde ich an Marion weiterreichen. Mal schauen, ob ihr Forscherinnen Euch ergänzen werdet 🙂