Last but not least: Heute gibt es ein Interview mit Barbara Miklaw vom Mirabilis Verlag. Damit endet dann die Reihe zu Verlegerinnen aus unabhängigen Verlagen, die das Jahresthema der BücherFrauen für 2021 waren.
Doris Hermanns: Barbara, du bist Verlegerin des Mirabilis Verlags. Seit wann gibt es ihn und was für ein Verlag ist das? Was macht ihr für Bücher?
Barbara Miklaw: Den Verlag gibt es seit dem 1. Juli 2011. Das erste Buch ist aber erst 2012 erschienen, und die große Feier zum Zehnjährigen wird somit im kommenden Jahr stattfinden. In diesem Jahr war uns auch nicht so nach Feiern zumute.
Mein Wunsch war es von Anfang an, gute Literatur herauszugeben, sprachlich einzigartig, mit gesellschaftlich relevanten Themen und schöner Gestaltung der Bücher. Nach zwei Jahren etwa kam die Verbindung von Literatur mit bildender Kunst hinzu. Einige Verlagsautoren sind nicht nur großartige Schriftsteller*innen, sondern auch bildende Künstler*innen. Mich fasziniert diese Verbindung, wie mit Worten und Bildern gleichermaßen erzählt wird, wie sich die besondere Stimme einer Autorin/eines Autors, der Klang der Person, sowohl im Text als auch im Bild wiederfindet.
DH: Was ist euer Programmschwerpunkt?
BM: Deutschsprachige Literatur der Gegenwart – Romane und Erzählungen zu gesellschaftlich wichtigen Themen im Sinne von Humanismus und Toleranz, oft in Verbindung mit bildender Kunst. Der zweite Schwerpunkt sind aber auch – und werden es zunehmend – erzählende Kindersachbücher.
DH: Was hat es mit der Reihe „Schau hinter die Kulissen“ auf sich?
BM: Das sind erzählende Sachbücher für das Grundschulalter, die gleichermaßen unterhaltsam erzählen wie auch spielerisch Wissen zu verschiedenen Berufen und Geschehnissen vermitteln. Bisher gibt es Eine Erzählung vom Theater von Carola Wegerle und Nico, Emmi und der Wetterfrosch von Renate Klöppel (beide sind BücherFrauen). Im Frühjahr 2022 kommt noch hinzu: Die Brücke. Wie funktioniert dein Gehirn? von Carola Wegerle. Außerhalb der Reihe und in etwas größerem Format ist kürzlich für Kinder ab 10 Jahren das bezaubernde Sachbuch Wer denkt sich die Wörter aus? Eine Wort-Schatz-Suche von Brigitte Schniggenfittig und Jörg Wagner erschienen, das gerade recht erfolgreich ist und uns viel Freude bereitet.
DH: Was verbirgt sich hinter der edition tas:ir?
BM: Oh, ich bemühe mich um eine Kurzfassung … Vor einigen Jahren war mein Sohn Andres oft bei befreundeten Student*innen im Raum Weimar/Jena unterwegs und erzählte mir dann von gemeinsamen Wohnzimmerlesungen, bei denen eigene Lyrik vorgetragen und gemeinsam musiziert wurde. Und er erzählte von Marius Tölzer, einem jungen Lyriker, dessen Gedichte ihn faszinierten. Es gab auch schon ein sehr beeindruckendes Manuskript von Marius und die Anfrage, ob das etwas für meinen Verlag sei. Mit meinem Programm bin ich aber schon sehr ausgelastet und so habe ich Andres gesagt: Mach es doch selbst, gib eine kleine Lyrik-Edition für junge Dichter*innen heraus, gern unter meinem „Verlagsdach“. Und so sind inzwischen zwei kleine Lyrikbände erschienen, herausgegeben von Andres Miklaw und gestaltet von Pepe Kirchhoff. Und weil unser Familienname lettischen Ursprungs ist, heißt die Edition „tas ir“ – lettisch für „es ist“.
DH: Wie viele seid ihr im Verlag? Gibt es Festangestellte und/oder Honorarkräfte zum Beispiel für das Lektorat oder Übersetzungen?
BM: Es gibt keine Festangestellten. Aber ganz so allein bin ich zum Glück nun auch nicht: Birgit Böllinger, klug, herzlich und engagiert, ist meine ständige Mitarbeiterin für die Pressearbeit; und die meisten Buchumschläge und auch das Verlagsprogramm gestaltet Florian L. Arnold, der nicht nur begnadeter Grafiker, sondern auch Autor meines Verlags ist.
Andere freie Mitarbeiter*innen suche und finde ich je nach Erfordernis. Für ein Buch, das parallel in Deutsch und Französisch erzählt (Li Erben), habe ich über die Mailingliste der BücherFrauen mit Catherine Livet eine hervorragende Übersetzerin gefunden. Im Lektorat habe ich schon einige Male mit dem Literaturkritiker Michael Hametner zusammengearbeitet. Und auch das Schlusslektorat vergebe ich gelegentlich an Kolleginnen. Also ohne freie Mitarbeiter*innen ginge es nicht.
DH: Neben eurer Website gibt es auch noch euren Blog. Was ist dort zu finden?
BM: Die Neuigkeiten – Rezensionen, Hinweise auf Neuerscheinungen, Ankündigungen, Berichte von Messen. So ist es gedacht … Nur manchmal vernachlässige ich leider den Blog zugunsten der Arbeit am Buch (und werde mich gleich flugs um eine Aktualisierung bemühen). Ich nehme mir auch immer wieder vor, dort eine Rubrik mit eigenen Rezensionen zu Büchern anderer Indie-Verlage einzurichten. Mal schauen, ob ich das vielleicht zwischen den Jahren schaffe … Bevor es den Verlag gab, war ich selbst Bloggerin und habe den Austausch mit anderen in dieser Form sehr geschätzt (und tolle Leute kennengelernt, auch persönlich). Das fehlt mir etwas und ich hätte eigentlich schon wieder Lust dazu.
DH: Wie unterscheidet sich dein Verlag als einer der unabhängigen von den Konzernverlagen? Warum sind die Indie-Verlage für dich wichtig?
BM: Ich kann die Bücher herausgeben, die ich persönlich als wichtig und lesenswert empfinde, auch wenn nicht der große Verkaufserfolg zu erwarten ist. Und ich habe maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung. Es ist wunderbar, wenn sich alles fügt und verbindet, bis ein rundum gelungenes Buch entstanden ist, dass ich jederzeit und mit Begeisterung empfehlen kann. Durch die überschaubare Verlagsstruktur ist die Zusammenarbeit mit den Autorinnen und Autoren sehr persönlich und vertrauensvoll, so dass am Ende alle zufrieden und glücklich sind und Freude an der gemeinsamen Arbeit und am entstandenen schönen Buch hatten und haben.
Es gibt so viele großartige Indie-Verlage, die ich sehr schätze und deren einzigartige Bücher ich gern lese. Was für eine bunte Vielfalt und was für ein Engagement der unabhängigen Verleger*innen! Wichtig ist aber auch die sehr freundliche Kollegialität, das gegenseitige Unterstützen, die Gespräche, das Lernen und Erfahren von neuen Dingen … Die Begegnungen mit anderen Indie-Verleger*innen möchte ich nicht missen. Und ich hoffe sehr auf ein baldiges Wiedersehen.
DH: Der Mirabilis Verlag ist Mitglied im Freundeskreis der Kurt Wolff Stiftung. Was bedeutet das für dich bzw. euch?
BM: Sehr viel! Als ich im Herbst 2018 die Nachricht von der Aufnahme in den Freundeskreis der KWS erhielt, war ich so glücklich und stolz, dass ich es überall und jedem erzählen musste. Und so ist es nach wie vor. Wenn man sich die Liste der Verlage des Freundeskreises ansieht: Es ist eine Ehre, dort mit aufgeführt zu sein. Das Engagement des Vorstands und von Karsten Dehler ist bewunderns- und dankenswert, der Einsatz für die Interessen unabhängiger Verlage, für die Förderung und Unterstützung gerade in den gegenwärtig immer noch schwierigen Zeiten – und nicht zuletzt für den jährlich erscheinenden Katalog der KWS und die Präsenz im Forum der Unabhängigen auf der Leipziger und Frankfurter Buchmesse. Der Verbund des Freundeskreises hat eine starke Stimme, die auch gehört wird.
DH: Wie sieht euer Programm aktuell aus? Was hat sich im Laufe der Jahre geändert? Was zeichnet es aus?
BM: In diesem Jahr erschienen/erscheinen – wie in den meisten Jahren zuvor – vier Bücher, zwei Kinderbücher und zwei Romane. Geändert hat sich im Laufe der Jahre, dass als Schwerpunkt die Entdeckung von doppelbegabten Autorinnen und Autoren hinzugekommen ist, die sowohl mit Worten als auch mit Bildern erzählen. Und dass die Kindersachbücher in diesem und im nächsten Jahr die Hälfte des Programms bestimmen. Geändert hat sich im Laufe der Jahre auch die Auslastung unseres Programms: Bis Mitte 2023 haben wir momentan keine freien Kapazitäten. Und unsere Vertriebsstrukturen sind mit der Zeit zunehmend professioneller geworden – mit Verlagsauslieferungen in Deutschland und Österreich und natürlich den Barsortimenten.
DH: Was sind die Kriterien, nach denen du entscheidest, ob du ein Buch machst? Wie kommen die Bücher zu dir?
BM: Das Manuskript muss mich sofort ansprechen, sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Wenn ich es nach dem ersten Lesen wegen der besonderen Sprache und der interessanten und wichtigen Gedanken noch lange im Kopf habe, nicht davon loskomme und auch einige ganz einzigartige Sätze und Formulierungen haften bleiben, dann möchte ich es auch machen.
Die Bücher kommen sozusagen freiwillig zu uns, auf Empfehlung, über andere Autor*innen oder Agenturen oder als persönliche Entdeckung – wie Lothar Strucks großartige Essays zum Werk von Peter Handke zum Beispiel. So gut wie nie kommen Manuskripteinreichungen per E-Mail oder gar Post in Frage, aber auch das ist schon passiert. Und Florian L. Arnold, von dem inzwischen vier wunderbare Novellen/Romane im Verlag erschienen sind, habe ich tatsächlich 2014 auf der Leipziger Buchmesse kennengelernt. Durch ihn habe ich auch meine Vorliebe für die Verbindung von Literatur und Kunst erst richtig entdeckt.
DH: Gibt es ein Vetorecht bei euch, wenn eine oder einer ein Buch nicht machen möchte, wenn andere es wollen?
BM: Letztlich entscheide ich allein, welches Buch erscheinen wird. Das muss auch so sein, denn ich muss hinter jedem Buch stehen und es mit Begeisterung bewerben können. Ich lasse mich schon aber auch gern beraten, Birgit Böllinger zum Beispiel hat als gute Literaturkritikerin und PR-Expertin immer eine Stimme bei mir.
DH: Wie wichtig ist Feminismus für dich im Verlag?
BM: Er ist eine große Selbstverständlichkeit. Und ich schätze Frauennetzwerke wie die BücherFrauen sehr. Der Austausch mit anderen Frauen aus der Buchbranche ist eine große Bereicherung, die ich nicht missen möchte.
DH: Die Werke welcher Autorinnen waren und sind dir wichtig?
BM: Hannah Arendt, Christa Wolf, Simone de Beauvoir, Zeruya Shalev, Clarice Lispector, Doris Lessing, Isabel Allende, Lieselotte Welskopf-Henrich … in jeweils unterschiedlichen Lebensphasen und jede auf andere und besondere Weise. Und es kommen natürlich jährlich neue und auch jüngere Stimmen hinzu.
DH: Was war für dich dein wichtigstes Buch im Verlag? Und warum? Welches hat sich am besten verkauft?
BM: Natürlich hängt mein Herz an jedem einzelnen Buch des Verlags, sie sind mir alle lieb und wichtig. Als „mein Schätzchen“ bezeichne ich aber zum Beispiel auf Messen oder bei Verlagsvorstellungen oft und gern den Erzählband Brandmeldungen von Martina Altschäfer. Wunderbare Erzählungen, die von einer besonders feinen und einfühlsamen Beobachtungsgabe getragen werden und mit Textcollagen und Zeichnungen der Autorin korrespondieren. – Der Star im Verkauf ist momentan das Kindersachbuch Wer denkt sich die Wörter aus? von Brigitte Schniggenfittig und Jörg Wagner. Dazu gibt es auch einen Trailer und eine Website der Autor*innen mit von Studierenden eingelesenen Texten.
DH: Welches Buch hättest du gerne gemacht? Das kann ein existierendes sein oder eins, das du zu einer bestimmten Zeit gerne gemacht hättest, was aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht ging.
BM: Blogtexte vom ersten Verlagsautor Rainer Rabowski. In seinem schon längst nicht mehr existierenden Blog „Tabu – Tage- und Nachtbuch“ hatte er spontane kleine Texte zu nächtlichen Spaziergängen und Impressionen veröffentlicht, die grandios und nachhaltig berührend geschrieben waren. Er wollte aber leider keine Veröffentlichung dieser sehr persönlichen Texte. – Ansonsten treffe ich beim Lesen immer wieder auf Bücher, bei denen ich denke, dass sie mir auch in meinem Verlag sehr gut gefallen hätten.
DH: Und von welchem Buch findest du, dass es endlich mal eine schreiben sollte? Worüber würdest du gerne lesen?
BM: Da lasse ich mich als Leserin gern überraschen und finde auch immer wieder Bücher, die ganz neu und anders erzählen und mich faszinieren können. Ich lese gern über die Wege ungewöhnlicher Frauen, klug, fantasievoll und mit feinem Gespür geschrieben.
DH: Welche Themen liegen dir heute am Herzen, zu denen du dir Bücher wünschst?
BM: Menschlichkeit, Toleranz, Solidarität, eine grundsätzliche Freundlichkeit im Umgang miteinander. Ganz konkret auch: Einzelschicksale von Künstler*innen, die nach einem sicheren Leben suchen und mit ihrer Kunst von ihren zum Teil extremen Wegen erzählen.
DH: Was würdest du dir für die Zukunft wünschen? Für euren Verlag? Für unabhängige Verlage insgesamt?
BM: Für alle unabhängigen Verlage – und natürlich auch für meinen/unseren – wünsche ich mir Sichtbarkeit und Anerkennung, mehr Aufmerksamkeit in den Medien und das Interesse von vielen Leser*innen und Buchhandlungen. Auch kleine unabhängige Verlage sollten ganz selbstverständlich in Buchhandlungen präsent sein. Und ich wünsche mir, dass die bunte Vielfalt der unabhängigen Verlagsszene erhalten bleibt. Wenn das durch Projekt- oder Verlagsförderungen unterstützt werden könnte, wäre das wunderbar und sehr hilfreich.
Was mich mir noch wünsche: Anerkennung, Lob und Preis(e) für meine Autorinnen und Autoren. Sie haben es verdient.
Fotos: wenn nicht anders angegeben: © privat
Das Jahresthema der BücherFrauen ist 2021 „Unabhängige Verlage“. Dazu wird es monatlich ein Interview mit einer Verlegerin eines Indie-Verlags geben:
Januar: Ulrike Helmer vom Ulrike Helmer Verlag
Februar: Britta Jürgs vom AvivA Verlag
März: Kristine Listau vom Verbrecher Verlag
April: Silke Weniger von der edition fünf
Mai: Andrea Krug vom Verlag Krug & Schadenberg
Juni: Barbara Weidle vom Weidle Verlag
Juli: Renate Klein und Susan Hawthorne von Spinifex Press
August: Zoë Beck vom CulturBooks Verlag
September: Ursula I. Meyer vom ein-FACH-verlag
Oktober: Catherine J. Nicely vom Verlag PalmArtPress
November: Petya Lund vom eta Verlag