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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Verlegerinnen unabhängiger Verlage: Renate Klein und Susan Hawthorne

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Ausnahmsweise gibt es in diesem Monat einen Blick in die weite Ferne, genauer gesagt nach Australien, und zwar mit dem Interview mit Renate Klein und Susan Hawthorne vom feministischen Verlag Spinifex Press, der in diesem Jahr sein 30-Jähriges feiert. Die beiden erzählen nicht nur von ihrem Verlag, sondern auch von internationaler Zusammenarbeit und der Indiebuch-Szene in Australien.

Doris Hermanns: Susan und Renate, Spinifex Press, euer Verlag ist in diesem Jahr 30 Jahre alt geworden. Dazu erst einmal ganz herzlichen Glückwunsch! Drei Jahrzehnte feministische Bücher zu veröffentlichen, war sicher – vor allem zu der Zeit, als ihr angefangen habt, also in den 1990er Jahren, in denen es einen heftigen Backlash für Feministinnen gab – nicht so einfach. Was hat euch damals dazu bewogen, einen feministischen Verlag zu gründen?

Renate Klein und Susan Hawthorne: Danke, Doris! Wir wollten Bücher veröffentlichen, die wir selber gerne gelesen hätten und nicht finden konnten.

Renate Klein bei einem Vortrag über Frauenforschung an der George Washington University, 2005. © Spinifex Press

Anfang der 1990er Jahre gab es einen internationalen Wettlauf, postmoderne und queere Bücher zu veröffentlichen. Susan begann 1987 als Herausgeberin für Penguin Australia zu arbeiten, wo sie vier Jahre blieb und diesen Trend kommen sah. Renate war seit 1982 an der Herausgabe von Women’s Studies International Forum und der Athene Book Series beteiligt, und auch dort waren die Anzeichen überdeutlich. Wir waren – und sind! – radikale Feministinnen und wollten – und wollen! – radikale feministische Bücher veröffentlichen. Deshalb haben wir Spinifex Press gegründet!

 

 

 

DH: Mit wie vielen Frauen arbeitet ihr im Verlag?

Spinifex-Büchertisch mit Office Managerin Maralann Damiano und Susan Hawthorne, 2008. © Spinifex Press

RK & SH: Derzeit arbeiten wir zu siebt im Verlag: Wir teilen die Arbeit auf in Büromanagement, Warenlager und Buchversand, Lektorat und Veranstaltungen, Werbung,  Website und Social Media. Außerdem haben wir zwei feste freie Mitarbeiterinnen für den Satz und für die Covergestaltung. Wir sind kein Kollektiv, aber wenn eine Mitarbeiterin starke Vorbehalte gegen ein Buch hat, veröffentlichen wir es nicht. Wir beide konzentrieren uns auf allgemeine Fragen zur Veröffentlichung sowie auf Lektorat, Verträge, Metadaten und internationale Buchrechte – und auf alles, was täglich unerwartet anfällt.

Innerhalb Australiens gibt es Spinifex-Büros auf Djiru- (Far North Queensland), Bunurong- und Wurundjeri- (Melbourne) sowie Wadawurrung- (Geelong), Eora- (Sydney) und Noongar- (Perth) Land. (Es ist heute üblich diese Ortsbezeichnungen aus Respekt für Aborigines zu nennen.)

Wir arbeiten also Tausende Kilometer voneinander entfernt, aber wir haben wöchentliche Telefonkonferenzen oder Zoom-Meetings und tauschen uns natürlich auch täglich über Mails aus. Das klappt alles sehr gut und wir hatten dieses System schon lange vor dem Ausbruch von Covid 19. Bis März 2017 hatten wir ein zentrales Büro in Melbourne.

DH: Was waren eure Themen am Anfang? Was war euch damals wichtig?

Vandana Shiva: Making Peace With the Earth. Beyond Resource, Land and Food Wars

RK & SH: Schon lange bevor das Schlagwort „Diversität“ sich in der Verlagsbranche ausbreitete, war es unser Hauptanliegen, vielfältige Stimmen australischer und internationaler Autorinnen zu publizieren. Wir haben Bücher von Lesben, behinderten Frauen, Indigenen Frauen und Migrantinnen, von jungen und alten Frauen veröffentlicht. Diese Mischung hat sich nicht geändert. Beim Entwickeln unseres Verlagsprogramms ist es uns wichtig, sowohl diesen Fokus als auch die Balance zwischen den verschiedenen Genres wie Sachbüchern, Literatur und Lyrik beizubehalten. Eine Zeit lang haben wir auch Kinderbücher veröffentlicht, und wir haben einige starke Bücher für Young Adults.

DH: Auf eurer Website steht, dass für euch Verlegen ein politischer Akt ist. Was bedeutet das für euch?

RK & SH: Jegliche Verlagsarbeit ist politisch – auch wenn das nicht alle VerlegerInnen so sehen wollen. Für uns ist es politisch, weil wir als Radikalfeministinnen schon immer gegen die vorherrschenden aktuellen Meinungen – also gegen den Strich – veröffentlichten. Wir haben festgestellt, dass wir mit unseren Büchern häufig dem Zeitgeist zehn, zwanzig oder sogar dreißig Jahre voraus sind.

DH: Inzwischen gibt es über 250 Bücher in eurem Verlag – und die meisten davon sind auch als E-Books lieferbar. In Australien gehörtet ihr damals zu den Ersten, die überhaupt E-Books veröffentlicht haben. Wie hat sich das ausgewirkt? Und wie seid ihr mit den neuen Technologien in der Buchbranche umgegangen?

Suniti Namjoshi: Building Babel

RK & SH: Wir haben 2006 als dritter australischer und als erster kleiner, unabhängiger Verlag angefangen, E-Books zu produzieren. Erst 2010 folgten viele andere Verlage. Für uns hat das leider bedeutet, dass die Medien ignorierten, dass wir auf diesem Gebiet Vorreiterinnen waren, und sie vier Jahre später die NachzüglerInnen interviewten. Ärgerlich, aber typisch. Wir waren schon immer Wegbereiterinnen. So war auch unsere Website die erste von einem Indie-Verlag, die einen kompletten Katalog der Bücher online hatte. Wir haben einige der frühesten Bücher zum Thema Cyberfeminismus veröffentlicht, wie auch 1996 Suniti Namjoshis interaktiven Roman Building Babel. Wir mussten uns die nötigen Fähigkeiten früh aneignen und tun dies bis heute mit neuen Technologien.

Witzigerweise bekommen wir manchmal Anrufe von Menschen, die mit der „Computerabteilung“ sprechen wollen. Die gibt es bei uns nicht! Wir wursteln uns alle durch, wobei zu sagen ist, dass sowohl Rachael, unsere Marketing-Leiterin, sich besonders gut mit den neuesten Technologien auskennt wie auch Caitlin, unsere Social-Media-Frau. Auch Susan ist schnell darin, sich an neue Technologien anzupassen! Aber wir mussten es alle lernen.

DH: Was sind inzwischen eure Themenbereiche? Habt ihr spezielle Serien?

RK & SH: Unsere Themen sind die gleichen geblieben, aber der Fokus ist ein anderer geworden, da es ja auch Veränderungen in der Gesellschaft gegeben hat. So haben wir beispielsweise Anfang bis Mitte der 1990er Jahre viele Bücher über Technologien veröffentlicht, wie Reproduktionstechnologien und Cyberfeminismus. Seit 2000 haben wir zahlreiche Bücher über Pornographie, Prostitution und Mietmutterschaft publiziert. In letzter Zeit waren es mehrere Bücher, die sich kritisch mit Transgenderismus auseinandersetzen. Wir haben auch eine Liste mit Büchern, die sich mit Globalisierung beschäftigen, mit feministischen und ökologischen Perspektiven aus dem globalen Süden. Von Anfang an wollten wir eine Mischung von Autorinnen aus Australien und der ganzen Welt veröffentlichen. So haben wir Autorinnen aus Ländern wie Botswana, Nigeria, Südafrika, Ägypten, Türkei, Palästina Israel, Japan, Indien, Aotearoa/Neuseeland wie auch aus Europa und dem amerikanischen Kontinent.

Wir haben verschiedene Serien, so beispielsweise die Spinifex Feminist Classics, in der wir Bücher, die nicht mehr lieferbar waren, wieder neu aufgelegt haben, wie beispielsweise The Lace Makers of Narsapur von Maria Mies und Anticlimax von Sheila Jeffreys.

Jan Fook und Renate Klein (ed.): A Girl’s Best Friend: The Meaning of Dogs in Women’s Lives

Als Frauenverlage in den USA anfingen, Erotika zu publizieren, veröffentlichten wir drei wunderschön illustrierte Tierbücher über die Bedeutung von Tieren im Leben von Frauen: A Girl’s Best Friend: The Meaning of Dogs in Women’s Lives war das erste, Cat Tales und Horse Dreams folgten.

Seit 2014 ist die Spinifex Shorts-Serie gewachsen. Es gibt darin kurze Bücher mit zwischen 20.000 und 50.000 Wörtern, die sich mit brisanten Themen beschäftigen. Wir fingen an mit Bibliodiversity: A Manifesto for Independent Publishing von Susan Hawthorne (das inzwischen in fünf Sprachen erhältlich ist, auf Deutsch: Bibliodiversität. Manifest für unabhängiges Publizieren, Übersetzung: Doris Hermanns).

Renate Klein: Surrogacy: A Human Rights Violation. (Spinifex Press) Deutsche Ausgabe: Mietmutterschaft. Eine Menschenrechtsverletzung (Marta Press). © Doris Hermanns

Inzwischen gibt es Bücher zu Themen wie Gardasil, der problematischen Gebärmutterhalskrebsimpfung, und ein beeindruckendes Buch zu Totgeburt und Trauer, bei der die Mutter als Mörderin angeprangert wurde (Born Still. A Memoir of Grief von Janet Fraser), zu  Mietmutterschaft von Renate Klein (deutsch: Mietmutterschaft. Eine Menschenrechtsverletzung. Übersetzung: Doris Hermanns). 2020 folgte Transgender Body Politics von Heather Brunskell-Evans. Unser nächstes Buch in dieser Serie ist Detransition: Beyond Before and After von Max Robinson, das im August/September 2021 erscheinen wird. Wir sind sehr stolz darauf, dass wir im Oktober 2021 Janice Raymonds neues Buch, Doublethink: A Feminist Challenge to Transgenderism veröffentlichen werden – ihr erstes Buch zu diesem Thema seit ihrem kontroversen Buch The Transsexual Empire von 1979.

DH: Spinifex Press ist Mitglied der Australian Publishers Association, dem Small Press Network und der International Alliance of Independent Publishers. Das heißt ihr seid nicht nur in Australien vernetzt, sondern auch international. Was bedeutet diese Zusammenarbeit, dieses Netzwerken für euch?

Ritu Menon (vom indischen Verlag Women Unlimited), Susan Hawthorne und Colleen Higgs (von südafrikanischen Verlag Modjaji) bei der Publishers Conference in Cape Town der International Alliance of Independent Publishers im September 2014. © Spinifex Press

RK & SH: Nationale und internationale Verlagsnetzwerke waren uns von Anfang an sehr wichtig. Sofort nach unserer Gründung 1991 sind wir der Australian Publishers Association beigetreten und wir waren im Independent Publishers Committee wie auch dem Digital Publishing Committee aktiv. Das Small Press Network wurde 2006 gegründet, wir sind da auch gleich Mitglied geworden, haben Vorträge auf den jährlichen Konferenzen gehalten und sind auch weiterhin aktiv bei den vielen anderen Veranstaltungen, die das SPN organisiert. 2007 haben wir uns der International Alliance of Independent Publishers angeschlossen, die ihren Sitz in Paris hat. Wir haben 2007 in Paris und 2014 in Kapstadt an den großen Konferenzen teilgenommen und werden auch 2021 in Pamplona wieder dabei sein, falls die Corona-Bestimmungen der australischen Regierung es zulassen, dass wir ausreisen können.

Die International Alliance organisiert sich in Sprach-Netzwerken, an deren Workshops wir in Delhi, Istanbul und Frankfurt teilgenommen haben. Susan war von 2012 bis 2016 Koordinatorin des englischsprachigen Netzwerks und hat eine aktive Rolle bei der Entwicklung der Grundsätze und der Veranstaltungen gespielt.

Wir haben uns immer sowohl als internationale als auch australische Verlegerinnen gesehen und das hat zu unserem Überleben beigetragen. Es ist schön, dass Spinifex-LeserInnen auf der ganzen Welt zu finden sind!

DH: Wie sieht die Indie-Szene in Australien aus? Gibt es noch viele unabhängige Verlage und Buchhandlungen?

Susan Hawthorne: Bibliodiversity: A Manifesto for Independent Publishing – von links französische, australische, deutsche und arabische Ausgabe. Inzwischen gibt es auch noch Übersetzungen ins Spanische und Tschechische. © Doris Hermanns

RK & SH: Die unabhängige Verlagsszene in Australien ist sehr aktiv. Das Small Press Network hat mehr als 140 Mitglieder, einige sind sehr klein, andere viel größer als wir. Einige spezialisieren sich beispielsweise auf die Veröffentlichung von Lyrik, manche auf Kinderbücher, andere auf Indigene Literatur. Es gibt ziemlich viele unabhängige Buchhandlungen, aber diese stehen in Konkurrenz zu den großen Buchhandelsketten, die häufig Rabatte anbieten können, da es in Australien keine Buchpreisbindung gibt. Aber unabhängige Buchhandlungen unterstützen unabhängige Verlage auch nicht immer. Die Medien sind im Allgemeinen viel mehr an Büchern aus Konzernverlagen interessiert. Daher müssen alle Unabhängigen, sowohl die Verlage als auch die Buchhandlungen, ihre Arbeit sehr gut machen, um überleben zu können.

DH: Als ich 1989/90 zum ersten Mal in Australien war, gab es noch mehrere Frauenbuchläden. Gibt es inzwischen noch welche? Und wie hat sich der Wegfall für euch ausgewirkt?

Auf der Feminist Book Fair 1994 in Melbourne fand die Buchpräsentation dieses Buches – sowohl der australischen Ausgabe von Spinifex (Australia for Women: Travel and Culture) als auch der deutschen der Frauenoffensive – statt: Susan Hawthorne und Renate Klein (Hg.): Australien der Frauen, in der Reihe: Reise und Kultur (Übersetzung: Ursula Grawe)

RK & SH: Als wir Spinifex Press 1991 gründeten, gab es fünf Frauenbuchläden in Australien. Außerdem gab es mehr als 150 in den USA und wichtige Frauenbuchhandlungen wie Silvermoon in London. Daher war der Markt für unsere Bücher in den ersten Jahren sehr groß. Keiner dieser Frauenbuchläden existiert heute noch. Die wunderbare Zeitschrift Feminist Bookstore News hielt uns alle über unsere Aktivitäten auf dem Laufenden. Außerdem fanden damals auch die Internationalen Feministischen Buchmessen an verschiedenen Orten der Welt statt: 1984 in London, 1986 in Oslo, 1988 in Montreal, 1990 in Barcelona, 1992 in Amsterdam und 1994 in Melbourne. Heute wären solche Messen nicht mehr möglich, da es leider nicht mehr genug feministische Verlage gibt.

DH: Wie sieht es mit der Verbreitung eurer Bücher aus? Sind sie auch in großen Buchhandlungen zu finden? Werden sie von den großen Zeitungen besprochen?

RK & SH: In Europa werden unsere Bücher von Gazelle Book Services in Lancaster (Großbritannien) vertrieben. Sie liefern sowohl an kleine und große Buchhandlungen wie auch an Onlinehändler wie Amazon. In den USA sind unsere Bücher bei ipgbook.com in Chicago zu finden, die sie in den USA, Kanada und Mexiko ausliefern, wiederum an große und kleine Buchhandlungen sowie Onlinehändler.

In Australien und Aotearoa/Neuseeland verkaufen wir die Bücher zum Teil über unsere eigene Website, zum Teil aber auch über Novella (Australien) und Wheelers (Neuseeland).

Merlinda Bobis: The Kindness of Birds

In Mainstream-Medien gibt es kaum Rezensionen von Büchern aus unabhängigen Verlagen, so auch nicht aus unserem. Trotzdem werden unsere Bücher manchmal in Mainstream-Medien besprochen, wie sie auch Preise gewinnen und auf die Shortlist für Preise kommen. So gab es beispielsweise 2017 einen ausführlichen Artikel in The Australian zu Renate Kleins Buch über Mietmutterschaft. Carol Lefevres Roman Murmurations stand 2020 auf der Shortlist des NSW Premier’s Literature Award und wurde sowohl im Sydney Morning Herald als auch in The Age besprochen, außerdem gewann der Roman Locust Girl: a Lovesong von Merlinda Bobis – einer philippinisch-australischen Autorin – 2016 den Christina Stead Prize for Fiction, was ein großartiger Erfolg war. Gerade an diesem Wochenende (17. Juli) gibt es einen wunderbaren Artikel zu Merlinda Bobis’ neuestem Buch The Kindness of Birds im Feuilleton der Canberra Times.

Die genannten sind die vier größten australischen Tageszeitungen. Aber es gibt immer weniger Rezensionen in Zeitungen, was ein beunruhigender Trend ist.

Aufgrund von Corona konnten wir unsere Veranstaltungen nicht mehr in Buchhandlungen oder anderen öffentlichen Orten stattfinden lassen und mussten auf Zoom umstellen. Das Gute daran ist, dass wir mehr Teilnehmerinnen haben, oft über hundert. Das Schlechte daran sind die internationalen Zeitzonen, die für uns leider viele lange Nächte bedeuten …

Auf Veranstaltungen der Women’s Human Rights Campaign (WHRC) wurden bereits einige unserer Autorinnen vorgestellt, wie beispielsweise Sheila Jeffreys, Vandana Shiva, Susan Hawthorne, Heather Brunskell-Evans und Renate Klein. Wir haben uns auch sehr gefreut, beim Lesbenfrühlingstreffen (LFT, an sich in Bremen geplant, es musste dann aber coronabedingt online stattfinden) im Mai mitzumachen, wo Susan über Separatismus als Strategie und Renate über Lesben und Reproduktionstechnologien sprachen. Auch FiLiA in England ist eine radikalfeministische Gruppe, die unsere Bücher rezensiert und unsere Autorinnen zu ihren Konferenzen einlädt. Das sind alles neue gute Formen der Zusammenarbeit, um unsere Bücher bekannt zu machen.

DH: Wie sieht euer Programm heute aus? Was hat sich geändert? Was zeichnet es aus? Nach welchen Kriterien entscheidet ihr, ob ihr ein Buch macht?

Diane Bell und Ellen Trevorrow bei der Buchpräsentation von Listen to Ngarrindjeri Women Speaking: Kungun Ngarrindjeri Miminar Yunnan 2008 beim Indigenous Literacy Day. © Susan Hawthorne

RK & SH: Das wichtigste Kriterium für ein Buch ist, dass wir so begeistert davon sind, dass wir das Manuskript unbedingt veröffentlichen wollen. Unser Programm hat sich nicht sehr verändert, da unser Fokus schon immer darauf lag, vielfältige Stimmen zu veröffentlichen. Wir reagieren mit unseren Büchern auf gesellschaftliche, oft politische Ereignisse. So haben wir beispielsweise 2002 einen umfangreichen Sammelband September 11, 2001: Feminist Perspectives (hg. Susan Hawthorne und Bronwyn Winter) herausgebracht. Und in den späten 1990ern haben wir Ngarrindjeri Wurruwarrin: A World That Is, Was and Will Be von Diane Bell verlegt – die Antwort der Indigenen Ngarrindjeri Community auf einen aggressiven kapitalistischen und kolonialen Plan, eine Brücke über einen heiligen Fluss zu bauen und damit die Integrität der Ngarrindjeri zu zerstören.

DH: Viele Buchaffine in Deutschland kennen euch von der Frankfurter Buchmesse, an der ihr regelmäßig teilnehmt. Wie wichtig ist die internationale Zusammenarbeit für euch?

Renate Klein und Susan Hawthorne an ihrem Stand auf der Frankfurter Buchmesse 2019 – mit Schokolade, aber ohne Kuchen. © Doris Hermanns

RK & SH: 2019 haben wir zum 25. Mal an der Frankfurter Buchmesse teilgenommen und dafür einen großen Schokoladenkuchen der Buchmessen-Organisation bekommen. Das war eine schöne Überraschung! Unsere Teilnahme an Messen wie in Frankfurt, London, BEA (USA), Bologna, Tokio, Delhi, Chennai und Rom waren über die Jahre hinweg wichtig für uns und haben dafür gesorgt, dass Spinifex weltweit bekannt wurde, also zusätzlich zu den bereits genannten Feministischen Buchmessen. Diese Messen sind wichtig für den Verkauf von Übersetzungsrechten und um internationale AgentInnen sowie VertreterInnen unserer internationalen Vertriebe zu treffen.

 

 

 

 

DH: Ihr wart beide an der Vorbereitung der 6. International Feminist Book Fair 1994 in Melbourne beteiligt, die leider die letzte war. Wie sind diese internationalen Buchmessen zustande gekommen, die ab 1984 alle zwei Jahre stattgefunden haben? Und warum gibt es sie nicht mehr? Wie wirkt sich das auf die internationale Zusammenarbeit von feministischen Verlagen aus?

Programm der 6th International Feminist Book Fair in Melbourne. Flying Bookie design: Judy Horacek

RK & SH: Die sechs Feministischen Buchmessen von 1984 bis 1994 waren sehr wichtig für die internationale Zusammenarbeit von feministischen Verlagen, Buchläden, Autorinnen und Journalistinnen. Eine 7. Buchmesse war in Brasilien geplant, aber die Gruppe, die sie organisieren wollte, brach auseinander, vermutlich aus finanziellen Gründen. Das Wissen der einzelnen Vorbereitungsgruppen wurde nie weitergegeben, daher musste jede Gruppe die Finanzierung selber regeln und herausfinden, wie sie vorgehen wollten. Das war selbst in Melbourne eine Herausforderung, obwohl wir dort ziemlich viel Unterstützung von der Regierung des Bundesstaates Victoria und Betrieben bekamen.

Das Jahr nach der Messe in Melbourne war sehr schwierig für uns als Verlag, da die Buchhandlungen meinten, dass wir uns im Jahr vorher mit Feminismus beschäftigt hätten und damit jetzt durch wären. Das Gleiche passierte der Women’s Press in Großbritannien, die die Hauptorganisatorinnen der ersten feministischen Buchmesse 1984 in London waren. Wir wussten also, was auf uns zukommen würde, aber es war dennoch sehr schwierig, und wir waren auch alle total erschöpft von der ganzen zusätzlichen Arbeit für die Feministische Buchmesse.

Das Thema der 6. Internationalen Feministischen Buchmesse war „Indigenous, Asian and Pacific Writing and Publishing” und wir konnten 350 Autorinnen aus der ganzen Welt einladen, einschließlich Indigenen Autorinnen aus einigen Ländern. Aus deutschsprachigen Ländern luden wir Verena Stefan, Susanne Kappeler und Rina Nissim ein. Die Buchmesse war ein wunderschönes Erlebnis. Alle Unterlagen davon einschließlich der Tonbänder sind jetzt im Archiv der University of Melbourne.

DH: Wie wichtig ist Feminismus für euch im Verlag?

RK & SH: Feminismus steht in unserem Verlag zentral. Wir veröffentlichen ausschließlich feministische Bücher und zwar keine liberal-feministischen, sondern Bücher von Autorinnen, die Feminismus lieben, leben und ein- und ausatmen. Radikalfeministinnen sind unsere treuesten Leserinnen, aber wir freuen uns auch darüber, wenn unsere Bücher in Seminaren an Universitäten gelesen werden und von „Mainstream-LeserInnen“. Um dies zu erreichen, veröffentlichen wir nur Bücher, die verständlich geschrieben sind, anstatt Titel mit schwer verständlichem „Jargon“.

DH: Die Werke welcher Autorinnen waren und sind euch wichtig?

RK & SH: All unsere Autorinnen sind uns wichtig, sonst hätten wir ihre Bücher gar nicht erst veröffentlicht!

Diane Bell und Renate Klein (ed.): Radically Speaking: Feminism Reclaimed

Für Renate ist der Sammelband Radically Speaking: Feminism Reclaimed, herausgegeben von Diane Bell und ihr selbst, eines der wichtigsten Spinifex-Bücher. Darin diskutieren 70 internationale Autorinnen über globalen Radikalfeminismus. Es erschien 1996 und verkauft sich noch immer. Von jungen Radikalfeministinnen wird es die „rote Bibel“ genannt – schön!

Susan war es sehr wichtig, 2020 The Aerial Letter der kanadischen Autorin Nicole Brossard neu aufzulegen. Außerdem ist sie stolz auf die zahlreichen literarischen und lyrischen Werke im Verlag.

Unser aktuelles Buch zum 30. Geburtstag ist Not Dead Yet: Feminism, Passion and Women’s Liberation (hg. von Renate Klein und Susan Hawthorne), in dem 56 Autorinnen, die alle über 70 Jahre alt sind, über ihre jahrzehntelangen Erfahrungen und ihren Aktivismus in der Frauenbefreiungsbewegung erzählen. Wir sind sehr stolz auf dieses Buch und danken allen Frauen, die dazu beigetragen haben.

DH: Was war euer wichtigstes Buch? Welches hat sich am besten verkauft?

RK & SH: Als Nattering on the Net: Women, Power and Cyberspace von Dale Spender 1995 erschien, wurden sehr schnell mehr als 10.000 Exemplare davon verkauft. Auch unsere drei Bücher über Frauen und Tiere haben sich sehr gut verkauft, aber die Produktion war wegen der vielen Farbfotos sehr teuer.

Die deutsche und die englischsprachige Ausgabe: Das Ende des Patriarchats. Radikaler Feminismus für Männer und The End of Patriarchy: Radical Feminism for Men von Robert Jensen. © Doris Hermanns

Am häufigsten haben wir das Buch Trauma Trails, Recreating Song Lines: Transgenerational Trauma in Indigenous Australia von Judy Atkinson neu aufgelegt, es gab mindestens ein Dutzend Neuauflagen. Etwas ärgerlich, wenn auch leider vorhersagbar ist, dass sich das einzige Buch, das wir von einem Mann veröffentlicht haben – The End of Patriarchy: Radical Feminism for Men – sich außerordentlich gut verkauft hat, vor allem in den USA und Kanada. Dieses Buch ist jetzt das erste Buch, das Spinifex auf Deutsch veröffentlicht hat: Das Ende des Patriarchats. Radikaler Feminismus für Männer (Übersetzung: Doris Hermanns). Das Buch, das am häufigsten übersetzt wurde – und zwar in 16 Sprachen – ist HELP! I’m Living with a Man Boy von Betty McLellan, das 2000 erschien (Deutsch: Hilfe! Ich lebe mit einem KindMann. Übersetzung: Ingrid Koch).

DH: Welches Buch hättet ihr gerne gemacht? Das kann ein existierendes sein oder eins, das ihr zu einer bestimmten Zeit gerne gemacht hättet, was aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht ging.

RK & SH: Renate hätte liebend gerne den wunderbaren Roman Der Gesang der Fledermäuse der polnischen Autorin Olga Tokarczuk (Übersetzung ins Deutsche: Doreen Daume) veröffentlicht, während Susan den Roman einer australischen Autorin gewählt hätte, nämlich Due Preparations for the Plague von Janette Turner Hospital, die darin bereits 1997 sowohl die Anschläge des 11. September 2001 als auch die gegenwärtige Pandemie vorhergesagt hatte.

DH: Und von welchem Buch findet ihr, dass es endlich mal eine schreiben sollte? Worüber würdet ihr gerne lesen?

RK & SH: Renate möchte gerne ein Buch über die „Mitleids-Falle“ (Compassion Trap) lesen, das analysiert, warum Frauen immer so lieb und nett sind und allen anderen – vor allem Männern – erlauben, sie auszubeuten, wie das beispielsweise bei Mietmutterschaft der Fall ist, in vielen Beziehungen mit Männern und auch in Transgender-Geschichten beobachtet werden kann. Sie meint allerdings, dass sie das wahrscheinlich selber schreiben müsse.

Susan würde sich über viel mehr lesbische Autorinnen freuen, die über interessante Themen schreiben. Auch ein gutes feministisches Buch zum Thema Schuldgefühle (guilt) fehlt immer noch.

DH: Welche Themen liegen euch heute am Herzen, zu denen ihr euch Bücher wünscht?

Biddy Wavehill Yamawurr, Violet Wadrill, Topsy Dodd Ngarnjal und Felicity Meakins: Karu: Growing up Gurindji

RK & SH: Es ist uns schon immer wichtig gewesen, Indigene Autorinnen zu veröffentlichen. Karu: Growing Up Gurindji ist ein bilinguales Buch auf Gurindji und English über traditionelle Praktiken der Kindererziehung, das von Biddy Wavehill Yamawurr, Violet Wadrill und Topsy Dodd Ngarnjal, drei „women elders“ (Ältesten des Volks der Gurindji) geschrieben sowie von der Übersetzerin und Linguistin Felicity Meakins übersetzt wurde. Es enthält QR-Codes, mithilfe derer die Leserin die Texte in der Sprache der Gurindji hören kann. Es ist ein wunderschönes Buch mit Fotos – und die Idee, Säuglinge in Termitennester zu legen, ist sicher sehr gut für ihr Immunsystem und sollte auch in anderen Kulturen gemacht werden!

Fiona Place: Portrait of the Artist’s Mother: Dignity, Creativity and Disability

Auch Bücher zum Thema Behinderung sind uns wichtig. 1993 haben wir Poems from the Madhouse von Sandy Jeffs veröffentlicht, ein Buch über Sandys Leben mit Schizophrenie, von dem wir mehr als 6.000 Exemplare verkauft haben. 2019 erschienen die Memoiren von Fiona Place unter dem Titel Portrait of the Artist’s Mother. Sie erzählt darin die Geschichte ihres Sohns Fraser, der mit Downsyndrom geboren wurde und heute ein bekannter Maler ist. Wir haben aber auch noch andere Bücher zu Behinderungen, wie beispielsweise Epilepsie veröffentlicht.

Von Vandana Shiva und anderen Autorinnen haben wir Bücher zu Themen wie Ökologie, Globalisierung, Neoliberalismus und Klimawandel veröffentlicht.

 

DH: Was würdet ihr euch für die Zukunft wünschen? Für euren Verlag? Für unabhängige Verlage insgesamt? Für feministische Verlage?

Susan Hawhthorne: Vortex: The Crisis of Patriarchy

RK & SH: Wir wollen das Ende des Patriarchats für alle Menschen: Frauen und Männer. Und wir wünschen uns die Anerkennung der Arbeit von (lesbischen) Radikalfeministinnen, das Erkennen, wie entscheidend ihre Beiträge bei der Suche nach kreativen Lösungen für die globalen Krisen, in denen wir uns befinden, waren – und sind. Das neueste Buch von Susan Hawthorne Vortex: The Crisis of Patriarchy beschäftigt sich mit genau diesen Fragen, während Judy Fosters The Invisible Women of Prehistory den Ursprung von Männergewalt vor etwa 6.000 Jahren untersucht. Was wir nicht möchten, sind noch mehr angeblich feministische Bücher von Mainstream-Verlagen, die neoliberalen Feminismus predigen.

Renate Klein und Susan Hawthorne (ed.): Not Dead Yet: Feminism, Passion and Women’s Liberation

Unser Buch „mit einem optimistischen Zukunftsblick” – wie wir uns das in der Beschreibung von Spinifex Press wünschen – ist Not Dead Yet. Feminism, Passion and Women’s Liberation, das im Juli 2021 erschien. Wir hoffen, dass die Geschichten der 56 Autorinnen, die älter als 70 Jahre alt sind, junge (lesbische) Frauen dazu inspirieren, mit ihrem wiederbelebten Aktivismus weiterzumachen – auch wenn es große und zahlreiche Steine auf ihrem Weg gibt. Die ersten Rückmeldungen auf das Buch sind äußerst positiv! Dazu gehört auch der Mut, neue Verlage zu gründen und wegweisende Bücher für Frauen zu veröffentlichen. Wir freuen uns darauf, sie zu lesen. Für uns selbst und andere Indie-VerlegerInnen wünschen wir, dass wir alle gesund bleiben und mit Kraft und Humor weitere spannende Bücher veröffentlichen können.

DH: Vielen Dank für eure ausführlichen Antworten! Es würde mich sehr freuen, wenn auf Dauer mehr Bücher aus eurem Verlag übersetzt würden, denn es gibt bei euch noch viele Bücher zu entdecken, die auch für ein deutschsprachiges Publikum interessant sind!

https://www.spinifexpress.com.au/

eBooks: https://www.spinifexpress.com.au/ebook-store

 

Das Jahresthema der BücherFrauen ist 2021 „Unabhängige Verlage“. Dazu wird es monatlich ein Interview mit einer Verlegerin eines Indie-Verlags geben:

Januar: Ulrike Helmer vom Ulrike Helmer Verlag

Februar: Britta Jürgs vom AvivA Verlag

März: Kristine Listau vom Verbrecher Verlag

April: Silke Weniger von der edition fünf

Mai: Andrea Krug vom Verlag Krug & Schadenberg

 

 

 

 

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

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