Die Buchbranche ist weiblich – das war nicht immer so
Die Buchbranche ist weiblich, in Deutschland wie anderswo in der westlichen Welt. Rund 80 Prozent der heute auf dem deutschen und 70 Prozent der auf dem amerikanischen Buchmarkt Beschäftigten sind Frauen. Schon ein flüchtiger Blick zurück zeigt, dass das nicht immer so war. Der Weg der Frauen zur – zumindest quantitativen – Branchendominanz war weit und voller Hindernisse.
In den entscheidenden historischen Entwicklungsphasen zwischen Frühdruckzeit und Beginn der Moderne um 1900 treten sie kaum in Erscheinung – jedenfalls nach außen hin. Nicht in der Gutenberg- und der Frühdruckzeit, nicht im barocken „Tauschzeitalter“, nicht in den Anfängen des nachfrageorientierten Buchmarkts um 1770, der Zeit, in der der moderne Buchhandel entsteht. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sind Frauen in der Buchbranche wie in vielen anderen Berufen von offizieller, eigenverantwortlicher Arbeit ausgeschlossen. Ihre Mitarbeit bleibt intern; sie handeln als Gattinnen, Witwen, Töchter, meist aus dem Hintergrund. Das ändert sich – langsam und mit vielen Verzögerungen – erst um 1900, mit den Initiativen der Frauenbewegung, mit der wirtschaftlichen Ausnahmesituation der beiden Weltkriege und der ihnen nachfolgenden Krisenzeiten. Wie, das ist bis heute wenig erforscht.
Die Buchhandelsgeschichte ist – den tradierten organisatorischen und familialen Branchenstrukturen entsprechend – bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Geschichte von Vätern und Söhnen. Frauen erscheinen darin lange nur als Ausnahmeerscheinungen und Randfiguren.
Wandel seit dem bürgerlichen 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart
Erstmals beruflich in Erscheinung treten sie auf dem sich ausdifferenzierenden deutschsprachigen Buchmarkt des bürgerlichen 18. Jahrhunderts. Von hier aus führt sie ein hindernisreicher Weg durch die Wirren der napoleonischen und nachnapoleonischen Zeit, den Beginn und die Etablierung des industriellen Zeitalters, die NS-Diktatur und die Zeit des Exils, die Nachkriegszeit und die 1970er bis 1990er Jahre bis in die Gegenwart. Es ist eine sehr wechselhafte, von Brüchen, Verzögerungen und Hemmnissen geprägte Entwicklung.
Konkret wird sie in den Biografien namhafter Verlegerinnen, Lektorinnen, Agentinnen und Buchhändlerinnen, von Anna Vandenhoek und Helene Unger über die Insel-Verlegerin Katharina Kippenberg, die Frauen des S. Fischer Verlags, des Eugen Diederichs Verlags und des Kiepenheuer Verlags, Helen Wolff und die Trümmerfrauen der Nachkriegszeit, über bekannte Kinder- und Jugendbuch-Verlegerinnen der 1960er und 70er Jahre bis zu den Verlagsleiterinnen und Verlegerinnen der Gegenwart. Als Beispiel genannt sei hier die Verlegerin Helen Wolff. Sie arbeitete mehr als ein halbes Jahrhundert lang in der Buchbranche, von der Wirtschaftskrise der späten Zwanziger Jahre über die Zeit der NS-Diktatur und des Exils, bis in die 1970er Jahre, in unterschiedlichsten Funktionen; zunächst als Praktikantin, dann als Übersetzerin und schließlich als leitende Managerin in den – je nach historischer und lebensgeschichtlicher Situation – in Deutschland, Italien oder den USA situierten Verlagen ihres Mannes und führte das Unternehmen nach dessen Tod weiter.
Der Genderaspekt der Buchbranche in historischer Perspektive
Meine Studie ist die erste zur Geschichte der Frauen in der Buchbranche überhaupt. Sie fragt nach den gesamtgesellschaftlichen, den rechtlichen, familientypologischen, ausbildungs- und branchenspezifischen Bedingungen, unter denen die Frauen in der jeweiligen historischen Situation lebten und arbeiteten. Und sie fragt nach dem Kontext ihrer zumindest in der Moderne ausgeprägten Vorliebe für Buchbranche und Buchhandel, die durch die von den BücherFrauen initiierte Untersuchung von Prof. Dr. Romy Fröhlich/LMU erstmals wissenschaftlich nachgewiesen worden ist. (Romy Fröhlich: Büchermenschen in Deutschland. Eine Studie über die berufliche Situation und die Bedingungen beruflicher Karrieren von Männern und Frauen im deutschen Buchhandel und Verlagswesen. Münster: LIT 2010)
Die buchhistorischen Gegebenheiten werden in Beziehung gesetzt zur aktuellen Genderdiskussion um Lohngleichheit und politische Quoten, um die mangelnde Präsenz von Frauen in Führungspositionen und die konkreten Arbeitsverhältnisse in der durch die digitale Revolution erschütterten Branche.
Nicht unerwähnt bleiben kann in diesem Zusammenhang, daß die Feminisierung der Buchbranche parallel läuft zur Prekarisierung der dortigen Arbeitsverhältnisse. Ob zwischen beiden Phänomenen ein Zusammenhang besteht, ist ungeklärt und lädt zum Spekulieren ein, vor allem, wenn man andere Tätigkeitsbereiche betrachtet, die bereits seit längerem als „Frauenberufe“ gelten, wie etwa der der Lehrerin, der Apothekerin, der Ärztin, der Professorin, der Journalistin. In allen diesen Berufen ging die Feminisierung einher mit dem Prozess der Prekarisierung, mit sinkendem Einkommen und einem Verlust an gesellschaftlichem Ansehen. Kann das ein Zufall sein?
Edda Ziegler: Bücherfrauen. Zur Geschichte der Frauen im deutschen Buchhandel. Göttingen: Wallstein Herbst 2014 (Arbeitstitel)