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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Drei Autorinnen – drei Bücher: Gudrun Ingratubun

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Nicht alle werden während dieser Woche nach Frankfurt zur Buchmesse fahren. Daher gibt es abseits des großen Getümmels Literaturtipps von der Übersetzerin Gudrun Ingratubun – ganz ohne Norwegen.

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Gudrun Ingratubun ist Literaturübersetzerin aus dem Indonesischen und Buchkünstlerin. Sie hat fünf Jahre in Indonesien gelebt und dort ihre Liebe zur indonesischen Literatur entdeckt. Seit 2010 lebt sie mit ihren drei Kindern in Berlin. Sie hat Romane und Kurzgeschichten, vereinzelt auch mal ein Gedicht übersetzt, an der Berliner Übersetzerwerkstatt im lcb teilgenommen und moderiert einen Lesekreis indonesische Literatur in Berlin.

Unter dem Namen Book your Story! initiiert sie kreative Buchprojekte für Kinder und Jugendliche. Die TeilnehmerInnen denken sich selbst Geschichten aus, schreiben sie auf und fertigen Illustrationen mit Linoldruck an oder malen mit Naturfarben. Die Buchdeckel werden beispielsweise im Eco-Print-Verfahren gestaltet und zu Buchunikaten gebunden.

 

3 Autorinnen

Mascha Kaléko (1907-1975)

Schon als Schülerin mochte ich die Leichtigkeit, den ironisch-melancholischen Ton von Mascha Kalékos Gedichten. Mal schreibt sie über die Liebe, mal äußert sie mit der ihr eigenen Leichtigkeit scharfe Kritik an den sozialen Verhältnissen. Man erfährt etwas von der Lebenswelt der 1920er Jahre in Berlin, insbesondere auch von den Sorgen der kleinen Leute, der Straßenhändler, der Zugfahrer, der Büroangestellten. Sie schreibt über Menschen, denen sie im Alltag begegnet ist. Mascha Kaleko hat sich gegen den Willen ihres Vaters weitergebildet, hat ihre Gedichte veröffentlicht und kam mit vielen wichtigen KünstlerInnen ihrer Zeit in Kontakt. Für kurze Zeit hat sie in der Bleibtreustraße in Charlottenburg gewohnt, unweit der Straße, in der ich heute wohne – bevor sie emigrieren musste und es schwer hatte, eine neue Heimat zu finden.

Doris Lessing (1919–2013)

Als Studentin habe ich Doris Lessing gern gelesen. Ihre afrikanischen Romane und Erzählungen erinnerten mich an meine Zeit in Tansania, auch wenn sie in einem anderen Teil Afrikas und ein paar Jahrzehnte früher spielen. Sie hat ihr Elternhaus früh verlassen und sich auf poetische Weise mit der kolonialen Haltung, mit Rassismus auseinandergesetzt. Ich mochte ihre kämpferische, rebellische Art, ihr Leben immer wieder umzukrempeln, neu zu beginnen, sich in ihrer Freiheit nicht einschränken zu lassen.

Doris Lessings Werk ist von sehr unterschiedlicher Prägung. Sie hatte eine stark kommunistische Phase, die sie aufgrund der Politik der Sowjetunion dann hinter sich gelassen hat, und eine eher psychologische Phase, in der sie Zersplitterung und Heimatlosigkeit thematisiert. Ihre späteren Werke sind hingegen von ihrer Beschäftigung mit dem Sufismus beeinflusst.

2007 hat Doris Lessing den Literaturnobelpreis erhalten, als elfte Frau in der bis dahin 104-jährigen Geschichte des Preises.

Irmtraut Morgner (1933-1990)

Gegen Ende meiner Schulzeit habe ich verstärkt DDR-Autorinnen gelesen, neben Christa Wolf, Maxie Wander und Gabriele Wohmann auch Irmtraut Morgner. Ich mochte es, wie sie die Welt der ArbeiterInnen in der DDR fantastischen Elementen, oft aus der Spielfrauenwelt, gegenüberstellte, dabei immer eine feministische Perspektive einnimmt. Trotz Teilhabe an der Arbeitswelt kämpfen ihre Romanfiguren oft für ihre Rechte, insbesondere im Beziehungsleben, aber auch im Berufsleben. In dem Roman Hochzeit in Konstantinopel schildert die Rahmenhandlung relativ sachlich den Verlauf der vorgezogenen Hochzeitsreise, während in der zweiten Textebene das subjektive Empfinden der weiblichen Protagonisten und die fehlende Empathie des Verlobten auf fantastische Weise zum Ausdruck kommt.

3 Bücher

Yoko Tawada: Überseezungen. Literarische Essays

Yoko Tawada versteht es Metaphern geschickt einzusetzen. So ist die Protagonistin selbst in Überseezungen zuweilen eine Zunge und löst entsprechende Verwunderung aus. Diesseits und jenseits des Meeres werden Dinge oft ganz anders verstanden. Wir werden durch die Reise der Protagonistin in die Sprachschichten verschiedener Kulturen mitgenommen. Mir gefallen die feinsinnigen interkulturellen Sprachspiele der Autorin, die auf Deutsch und Japanisch schreibt.

So sprechen Deutsche oft von der Notwendigkeit, eine Sprache zu beherrschen, und dass man keine Sprache, so wie die Muttersprache beherrschen könne, während es Yoko Tawada richtiger und wichtiger erschient, eine gute Beziehung zu einer Sprache zu pflegen.

Oka Rusmini: Erdentanz

Übersetzung: Birgit Lattenkamp.

Oka Rusmini gewährt uns in ihrem Roman Erdentanz einen Einblick in die patriarchale balinesische Gesellschaft, hinter die Konventionen der nach Kasten organisierten Gesellschaft, der im Gegensatz zum gängigen Bali-Bild steht. Hier kann eine Heirat über Kastengrenzen hinweg zum Ausschluss aus der Familie, zu Auf- oder Abstieg führen. Der Roman stellt überkommene Werte in Frage. Eindrücklich beschreibt Oka Rusmini das Leben von mutigen Frauengestalten, insbesondere Tänzerinnen, die sich über vier Generationen hinweg einen manchmal gegensätzlichen Lebensweg erkämpfen.

 

Helen Oyeyemi: Was Du nicht hast, das brauchst Du nicht

Übersetzung: Zoë Beck

Die neun Erzählungen der mit dem PEN Open Book Award 2017 ausgezeichneten Autorin Helen Oyeyemi beginnen relativ harmlos vielleicht ein bisschen geheimnisvoll. Im Laufe des Erzählflusses tauchen mehr und mehr überraschende, märchenhafte bisweilen absurde Elemente auf. So wird beispielsweise in der ersten Geschichte „Bücher und Rosen“ ein schwarzes Findelkind vor einem Kloster gefunden, dessen Mönche ausgerechnet eine schwarze Madonna anbeten und zu liebevollen Vätern dieses Mädchens werden. Das gibt ihr das Selbstvertrauen, die Hänseleien der Kinder in der Schule zu ertragen. Die Geschichtenstränge sind mit viel Fantasie kunstvoll ineinander geflochten, und Oyeyemi erzählt sie in einem vertrauten, einfühlsamen, zuweilen zärtlichen Ton. Die aufeinander folgenden Bilder erinnern in dieser Mischung aus Vertrautheit und Merkwürdigkeit an einen Traum. Sanft und beiläufig werden mit einer Prise Humor auch gesellschaftliche Phänomene angesprochen.

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

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