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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Drei Autorinnen – drei Bücher: Heike Pfirrmann

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Auch diesen Monat gibt es wieder spannende Autorinnen und Bücher zu entdecken – wir wollen auf (vergessene) Schriftstellerinnen aufmerksam machen und die große Vielfalt ihrer Werke aufzeigen. Heute stellt Heike Pfirrmann, die vier Jahre als Content-Koordinatorin der BücherFrauen-Website u.a. die Buchtipps betreut hat,  ihre Auswahl vor.

Heike Pfirrmann ist Biologin und Journalistin. Sie arbeitet als feste Redakteurin und Autorin in einem Zeitschriftenverlag, konzipiert, schreibt und redigiert aber auch für andere (www.redaktion-flora.de).

 

Drei Autorinnen:

Natalia Ginzburg (1916–1991)

Über das Leben von Frauen, ihre Beziehungen und ihr Ausbrechen schreibt Natalia Ginzburg in einem meiner Lieblingsbücher mit dem Titel „So ist es gewesen“ (s. u.) und auch in dem Roman „Schütze“ oder in ihrem Erzählband „Das imaginäre Leben“. Sie befasst sich mit der Freiheit der Frauen und damit, was sie kostet. „Die Frauen“, sagt Ginzburg, „haben die schlechte Angewohnheit, ab und zu in einen tiefen Brunnen zu fallen, sich von einer unheimlichen Schwermut erfassen zu lassen und darin unterzugehen und zu zappeln, um wieder aufzutauchen.“ Ein Problem, das die Männer nicht hätten, da sie viel selbstbewusster und nicht durch zweitausend Jahre Unterdrückung belastet seien. Eine These, die es wert ist, darüber nachzudenken!

Natalia Ginzburg war durch und durch eine Bücherfrau: Sie arbeitete nicht nur als Autorin, sondern auch als Lektorin im Einaudi-Verlag und engagierte sich politisch für die KPI, als deren Abgeordnete sie mit 67 ins Parlament zog.

Zeruya Shalev (geb. 1959)

Diese Autorin aus Israel hat mich sehr beeindruckt, nicht nur durch die besondere Art, wie sie die Paarbeziehungen in ihren Romanen analysiert: So dicht, so nah, so präzise bringt sie die widersprüchlichen Gefühle in einer Beziehung zum Ausdruck. Nach meinem ersten Shalev-Buch „Liebesleben“ hätte ich es nicht aushalten können, direkt ein weiteres zu lesen, so erging es mir auch mit „Mann und Frau“ und „Späte Familie“. Zu viel Depression, zu viel seelischer Schmerz. „Schmerz“ heißt auch ihr sehr persönliches Buch, das sie 2016 hier in Göttingen in einer Lesung vorstellte. Endlich konnte ich sehen, wer hinter all diesen intensiven Beziehungsgeschichten steckt. Und in diesem Moment hat sie mich auch als Person beeindruckt: 2004 hat sie ein schweres Attentat in ihrer Stadt Jerusalem überlebt. Ihre Schriftstellerfreundinnen und -freunde waren der Meinung, sie solle unbedingt diese Erfahrung in einem Buch verarbeiten, doch Zeruya Shalev war dazu lange Zeit nicht in der Lage: „Ich wollte es nicht forcieren oder das Schreiben als Therapie missbrauchen.“ Ans Weggehen denkt sie bis heute nicht, denn „wenn jeder ginge, dann würde alles noch schlimmer“.

Margaret Atwood (geb. 1939)

Wie viele andere spüre auch ich eine große Erleichterung: Frankreich hat die Demokratie gewählt. Doch schaut man nach Amerika, Nordkorea oder in die Türkei: Immer mehr Staaten, oder besser Machthaber, spielen verrückt. Die Anhänger autoritärer Staatsformen nehmen zu. Schon vor Jahren beschäftigte sich Margaret Atwood mit solchen Systemen und entwickelte aufwühlende Dystopien, sie sind heute aktueller denn je. Ihr wohl berühmtestes Werk „Der Report der Magd“ (1985) wird gerade vom US-Streamingportal Hulu als Serie produziert. Diese Geschichte, in der ein totalitäres Regime Frauen komplett entmachtet und zur „Gebärmutter auf zwei Beinen“ degradiert, hat mich lange nicht mehr losgelassen. Die 1939 in Kanada geborene  Autorin hat sehr viele Romane, Kurzgeschichten, Sachbücher, Kinderbücher, Gedichtbände und anderes mehr veröffentlicht. „Ich habe in meinem Leben schon so gut wie alles geschrieben“, sagt sie selbst. Was sie umtreibt? „Frauenrechte, Umweltfragen und Literatur.“
Die ersten sechs Lebensjahre verbrachte Margaret Atwood übrigens in den Wäldern Kanadas, wo ihr Vater als Insektenforscher arbeitete. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ökologische Aspekte – die Umwelt als Lebensgrundlage, die bedroht ist – immer wieder Einkehr finden. Wie wichtig ihr dieses Thema ist, zeigen auch ihre Website und ihr Twitter-Account.

Drei Bücher:

Natalia Ginzburg: So ist es gewesen.  Übersetzung: Maja Pflug. Wagenbach

Vor etwa 25 Jahren fiel mir ein dünnes, unscheinbar gestaltetes Büchlein von Natalia Ginzburg in die Hände. Der Satz „Ich habe ihm in die Augen geschossen“ am Ende des allerersten Absatzes hat sich sofort so eingebrannt, dass ich es nicht mehr zurücklegen konnte. Wie konnte es dazu kommen? Eine Frau berichtet von ihrer Ehe, von Alberto, ihrem Mann, der sie nie geliebt hat, sie demütigt – nicht nur, weil er sie von Anfang an betrügt. Der Tod des einzigen Kindes, das zu ihrem Lebensinhalt wird,  bringt das Fass zum Überlaufen. Mit dem Griff zum Revolver setzt die namenlose Ich-Erzählerin einen radikalen Schlusspunkt. Schnörkellos, fast abgebrüht, schildert die namenlose Ich-Erzählerin, wie es dazu kam. Und weil sie sich in ihrer Geschichte so klein macht, sich als nicht liebenswert, sondern als uninteressant, dumm und hässlich empfindet, traut man ihr solch einen Entschluss, so eine Tat, nicht zu. Auch beim dritten Mal Lesen hat mich dieser Zufallsfund wieder tief berührt und mich über die Rolle der Frau im Kleinen wie im Großen nachdenken lassen.

 

Connie Palmen: Die Freundschaft.  Übersetzung: Hannie Ehlers. Diogenes

„Die Freundschaft“ habe ich mit Ende zwanzig zum ersten Mal gelesen. Und danach noch zwei weitere Male. Es geht um eine ungewöhnliche Beziehung zweier Mädchen, die sehr gegensätzlich sind. „Die Freundschaft ist das Schönste im Leben (…) ich hätte keine Freude am Leben, wenn ich  sie nicht hätte“, schreibt die Ich-Erzählerin Kit. Fast nebenbei, in einer Art Tagebuch-Stil eines jungen Mädchens, schafft es Connie Palmen über Familie, Liebe, Beziehung, Mädchen bzw. Frauen in der Gesellschaft  zu philosophieren. Erfrischend anders, erfreulich anregend!

 

 

Zsuzsa Bánk: Der Schwimmer. S. Fischer

Eins der traurigsten Bücher, die ich bisher gelesen habe – und das ich genau deshalb liebe. Unglaublich und bewundernswert der Sprachstil: Die Melancholie beginnt schon mit dem ersten Satz dieser Kindheitsgeschichte und setzt sich konsequent, ganz subtil bis zum Ende fort. Die Geschichte: Eine Mutter verlässt ihren Mann und beginnt ihr eigenes Leben.  Eigentlich nichts Besonderes, wären da nicht die beiden Kinder. Sie ziehen mit dem Vater umher, die Mutter schmerzlich vermissend. Das Gute: Die Geschwister sind immer füreinander da, gehen durch dick und dünn. Das gefällt mir.
Zsuzsa Bánk versteht sich hervorragend darauf, die Stimmung innerhalb der Familie, aber auch im Ungarn von vor 60 Jahren heraufzubeschwören und so das Interesse an diesem Land und seinen Menschen zu wecken.

 

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

Ein Kommentar

  1. Oh Connie Palmen hätte ich auch genannt mit Freundschaft! Schöne es auch auf der Auswahlliste von Heike Pfirrmann zu sehen.

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