»Man erzählt eine Geschichte um der Geschichte willen, nicht um Papier in den Händen zu halten!«
Immer mehr Autorinnen und Autoren veröffentlichen ihre Werke ausschließlich digital – manche in Eigenregie, manche bei E-Book-Only-Verlagen. Im Rahmen der 1. Langen Nacht des E-Books in Hamburg am 31. Oktober 2014 diskutierten drei Autorinnen des digitalen Carlsen-Labels impress darüber, was sie an E-Books gut finden, wie sie für ihre Werke Werbung machen und wie sie die Zukunft des Buchhandels sehen.
Draußen ziehen Zombies und Vampire um die Häuser, in der Völckersstraße 14–20 ist aber nicht weniger los: Der Empfangsraum des impress-Verlags ist rappelvoll mit Gästen, die auch an Halloween nichts lieber tun, als über Bücher zu reden. Der Moderator der Runde, Bernd Musch-Borowska vom NDR, hebt an diesem Abend den Altersdurchschnitt, bemüht sich aber redlich, in die digitale Welt abzutauchen, die für seine Gesprächspartnerinnen Alltag ist: impress-Programmleiterin Pia Trzcinska und die Autorinnen Jennifer Wolf, Tanja Voosen und Laura Kneidl.
Alle drei haben Romane bei impress veröffentlicht, dem 2013 begründeten, auf E-Books spezialisierten Imprint des Carlsen Verlags. impress richtet sich an ein überwiegend weibliches Publikum ab 14 Jahren, das sich größtenteils aus der Bittersweet-Community rekrutiert, die aus der Fangemeinde des Carlsen-Bestsellers »Twilight« gewachsen ist. Der Verlag arbeitet nur mit deutschen Autoren zusammen, die wie ihre Leserschaft fast ausschließlich weiblich sind, und konzentriert sich auf All-Age-Titel in den Bereichen Fantasy und Romance.
Wieso E-Books?
Die drei Autorinnen sind alle überzeugt von den Möglichkeiten des E-Books. Jennifer hat den ersten Band ihrer »Sanguis«-Trilogie zuerst bei einem Kleinverlag veröffentlicht und hat dort schon gemerkt, dass die E-Book-Ausgabe sich sehr viel besser verkaufte. Bei impress wurde ihre Reihe dann zum Bestseller. Für sie sind E-Books die Zukunft der Branche. Auch Tanja hält als Bloggerin viel vom Internet als Werbeplattform – Buchempfehlungen und Lesermeinungen verbreiten sich darüber einfach schneller. Für Laura ist die Nähe zu den Leserinnen und Lesern ein großer Vorteil. Sie kann schnell und unkompliziert mit ihnen kommunizieren und bekommt unmittelbar mit, wie ihre Bücher aufgenommen werden (über den Lesestatus auf Lovelybooks, Fotos auf Facebook etc.).
Schnell geht es auch bei der Entstehung eines E-Books zu: Jennifer erzählt, dass von einer Idee zum veröffentlichen E-Book auch mal nur drei Monate vergehen können. Die Schreibzeit bleibt zwar gleich, aber durch den Wegfall des Drucks kommt das Buch schneller in den Handel. impress bringt im Monat fünf Titel heraus. Da der Verlag nicht an Auflagenhöhen denken muss, kann er auch unbekannten Autoren und Autorinnen eine Chance geben und ungewöhnliche Erzählarten ausprobieren. So besteht Tanjas Roman »Emily lives loudly« zu großen Teilen aus Blogeinträgen der Protagonistin, während Jennifer gerade an einem Buch arbeitet, in dem sie und ihre Coautorin die Geschichte über Handy-Nachrichten ihrer Protagonisten erzählen.
Es wird nicht mit allem experimentiert. So hat sich bei impress ein Romanumfang von um die 300 Seiten eingependelt – zu kurz darf das Buch nicht sein, um von Fantasy-Leserinnen und -Lesern ernst genommen zu werden, zu lang aber auch nicht, da ansonsten das Lektorat zu lange dauern würde. Auch die Preise bewegen sich in einem festen Rahmen. impress hat sich als Anbieter im niedrigpreisigen Segment etabliert, kein E-Book-Einzeltitel kostet mehr als 4,99 Euro. Dafür erhalten die Autoren und Autorinnen zwischen 30 und 50 Prozent vom Nettoverlagserlös. Bei Jennifer überwiegt das Autorenhonorar in diesem Jahr zum ersten Mal den Verdienst aus ihrem Teilzeitjob.
Die Werbetrommel rühren
E-Books bedeuten nicht weniger Arbeit als Printbücher: Auch sie müssen lektoriert und korrigiert werden, Cover müssen gestaltet, Marketingmaßnahmen implementiert werden. Es hilft, wenn man sich auf genre- und zielgruppenspezifischen Plattformen etabliert hat und somit auf einen Pool an generell interessierten Lesern und Leserinnen zurückgreifen kann. Aber auch diese Basis muss der Verlag erst einmal schaffen.
Deswegen können sich Jennifer, Tanja und Laura auch nicht vorstellen, ihre Werke im Selbstverlag zu veröffentlichen. Profis mit Lektorat, Klappentext und Covergestaltung zu beauftragen kostet viel Geld, was für die Studentinnen Tanja und Laura eine zu hohe Investition bedeuten würde. Außerdem müssten sie sich erst das nötige Marktwissen aneignen, um ihre Titel erfolgreich zu platzieren.
Von der Vermarktung ihrer Bücher verstehen die drei Autorinnen allerdings schon viel: Tanja nutzt dazu die Fangemeinde, die sie sich als Buchbloggerin aufgebaut hat; Laura hat auf ihrer Website ein Quiz zu ihrer Reihe gestaltet und in Kooperation mit einer Freundin Schmuck dazu entworfen; Jennifer ist aktiv auf Plattformen wie Lovelybooks. Auch Pia lobt das hohe Engagement der impress-Autorinnen, die ihre Leserschaft ganz genau kennen. Sich von Fans in ihre Geschichten reinreden lassen wollen sie trotzdem nicht – man müsse der eigenen Vorstellung treu bleiben, so Laura. Alle Leser und Leserinnen zufriedenzustellen sei sowieso ein Ding der Unmöglichkeit.
E-Book gegen Print?
Was ist nun mit dem guten alten Printbuch? impress veröffentlicht durchaus mal den einen oder anderen Titel in gedruckter Form, aber laut Pia nicht bloß wegen guter Verkaufszahlen, sondern in erster Linie für die Autoren und Autorinnen selbst. Für Jennifer ist es zwar die Erfüllung eines Traums, das eigene Buch in einer Buchhandlung liegen zu sehen, aber es ist kein Muss: »Man erzählt eine Geschichte um der Geschichte willen, nicht um Papier in den Händen zu halten!«
Aus dem Publikum kommt hier der Einwand: Aber schön ist es trotzdem! Und zumindest überzeugte Fans würden das Buch gern auch im Regal stehen haben, das Cover anschauen, sich ein haptisches Erlebnis gönnen. Pia meint hingegen, dass erfahrungsgemäß nur etwa fünf Prozent der E-Book-Käufer auch zur gedruckten Version des Buchs greifen würden. Die Print-Verkaufszahlen seien aber vor allem eine Frage der Distribution – man müsse erst mal die Buchhändler davon überzeugen, das Buch auszulegen, was für einen E-Book-Verlag schwierig und umständlich sei.
Buchhandel an Bord holen
Das ist aber noch kein Grund, die Buchhandlung aufzugeben. Die impress-Autorinnen zeigen sich optimistisch: Von einer Zusammenarbeit zwischen E-Book-Menschen und Buchhandel können nur alle profitieren. Für Tanja sind Buchhandlungen vor allem wegen der Beratung wichtig. Vor allem ältere Leser und Leserinnen könnten davon profitieren, wenn ihnen auch mal E-Books empfohlen werden. Jennifer hatte auch schon Anfragen zu Lesungen ihrer E-Book-Titel in Buchhandlungen. Mit QR-Codes auf Werbematerialien könnten interessierte Leser und Leserinnen auf den Online-Shop der Buchhandlung geführt werden, um das beworbene E-Book zu erstehen. Bei impress wurde für die ersten zehn Titel ein Plakat mit den Covern und dazugehörigen QR-Codes gestaltet, das auch beim Buchhandel sehr gut ankam. Es gibt immer mehr technische Möglichkeiten – man muss sie bloß nutzen!
Eine Spielwiese für alle
Fazit des Abends: Niemand muss sich dafür schämen, E-Books zu schreiben und zu veröffentlichen. Nähe zur Leserschaft, kreative Marketing-Möglichkeiten und schnelle Verbreitungswege sind Stärken, die nicht unterschätzt werden dürfen. Digitale Verlage und Labels wie impress haben das erkannt und bauen gezielt Autoren und Autorinnen sowie eine Lesergemeinde auf, die die neuen Möglichkeiten der digitalen Medien zu schätzen wissen. Das Printbuch wird in dieser Welt zum ästhetischen Extra für Hardcore-Fans – zum Bewundern im Regal, zum Sammeln von Autogrammen, zum Verleihen.
Ohne Zweifel hängt diese Einschätzung stark von Genre und Zielgruppe ab, aber die Impulse, die gerade von diesen jungen Kreativen für eine Zusammenarbeit von E-Book und Buchhandel ausgehen, sollten aufgegriffen und diskutiert werden. Der etwas überforderte Moderator der Diskussionsrunde bezeichnete impress zum Abschluss des Abends als »Spielwiese« – es wäre noch mehr Verlagen zu wünschen, dass auch sie sich trauen, zu spielen und sich auszuprobieren.