Drei Frauen, ein Dialog: Ich stelle per SMS mit der besten aller Verlegerinnen, Britta Jürgs vom AvivA Verlag, eine Verbindung her. Sie sitzt im Zug, auf dem Weg nach Berlin, von einer ihrer Lesungen zurückkehrend. Ich gemütlich auf meinem Sofa in häuslichen Gemächern. Wir beide mit unseren Smartphones ausgerüstet. Ach, herrlich mobile Welt.Wir überwinden Zeit und Raum. In der Ferne erspähe ich zwei Rauchfahnen: eine zierlich und elegant gen Himmel steigend – das mag Britta sein. Zigarette rauchend. Und eine, die sich zu dicken Schwaden zusammenbraut. Da wird Zigarre geschmökt … Ich entdecke eine Silhouette in Frack, eng anliegender Hose und Weste. Das ist doch … aber ja!
KM: Britta, du bist Herausgeberin von Büchern zu Frauen in der Kunst- und Literaturgeschichte. Welche historische Frauenpersönlichkeit wärst du gern gewesen?
(c) Britta Jürgs: Ich bin gerne ich.
Wer wäre ich gern mal? Christine de Pizan? Caroline Schlegel-Schelling? Eine Zwanziger-Jahre-Autorin? Ich entscheide mich für George Sand.
KM: Eine bemerkenswerte Frau! Französische Schriftstellerin, 19. Jahrhundert. Wie würdest du George Sand mit wenigen Worten vorstellen?
Britta Jürgs: Sie war unabhängig, unkonventionell, hatte leidenschaftliche Beziehungen, zwei Kinder, war sehr produktiv, trug gerne mal Männerkleidung und rauchte Zigarren.
KM: Hast du schon mal eine Zigarre geraucht und wenn ja, wie fühltest du dich dabei?
Britta Jürgs: Ich bin selbst überhaupt kein Zigarrenfan, aber ich finde zigarrenrauchende Frauen schon ziemlich cool.
KM: Warum macht sie das cool? Weil das so selten ist? Das existierende Frauenbild konterkariert? Und welche Assoziationen ruft eine Zigarrenraucherin hervor?
Britta Jürgs: Genau. Es entspricht nicht den Erwartungen und erweitert somit die Denk- und Handlungsräume. Das ist es, was mich daran am meisten interessiert.
KM: Ja, sie war eher unangepasst. Keine typische Frau des 19. Jahrhunderts und selbst heute würde sie auffallen! Meinst du nicht?
Britta Jürgs: Das denke ich auch, obwohl der Reiz natürlich darin besteht, sich diese unkonventionelle Frau in einer sehr von Konventionen geprägten Zeit vorzustellen.
KM: George Sand lebte von 1804 bis 1876. Wie mögen ihre Zeitgenossen sie gesehen haben? Wie haben die Menschen reagiert? Ihre Bücher waren ja teilweise recht freizügig. Wurde sie damals schon gelesen?
Britta Jürgs: Schon ihr erster Roman, Indiana, war sehr erfolgreich. Aber zugleich auch sehr umstritten. Die Hauptfigur Indiana ist eine unglücklich verheiratete Frau mit Liebhaber.
KM: Auch George Sand war ja mehrfach verheiratet und hatte zahlreiche Affären. Du bist unter anderem Kunsthistorikerin. Welchen ihrer Partner findest du besonders spannend? Delacroix? Oder doch eher Alfred de Musset oder Chopin? Hat sie sich von diesen Männern beeinflussen lassen? Oder ihr eigenes Ding gemacht?
Britta Jürgs: Nicht zu vergessen die Schauspielerin Marie Dorval. Spannend sind sie alle. Ich würde einfach von gegenseitiger Horizonterweiterung ausgehen.
KM: Über Chopin schrieb George Sand in Geschichte meines Lebens, 1865: „Er schloss sich ganze Tage in seinem Zimmer ein, lief auf und ab, zerbrach die Federn, wiederholte, änderte einen Takt hundertmal, schrieb ihn und strich ihn ebenso oft wieder aus. Er arbeitete sechs Wochen an einer Seite, um sie schließlich so niederzuschreiben, wie er sie im ersten Wurf skizziert hatte.” Sie selbst hingegen produzierte zeitlebens ungefähr 180 Bücher – eine Vielschreiberin.
Du selbst managt deinen Verlag großteils allein. Bist also ebenso eine „Macherin“. Siehst du eine Seelenverwandtschaft, auch in anderer Hinsicht?
Britta Jürgs: Seelenverwandtschaft ist recht weit gegriffen. Eine Nähe ist durchaus vorhanden, aber natürlich auch darüber hinaus Gehendes, Facetten, die ich reizvoll finde, die mir aber eher fremd sind.
Ich habe zwar auch viel mit Texten zu tun und schreibe Aufsätze oder Artikel, aber bin nun wirklich keine Schriftstellerin. An George Sand imponiert mir ihre Unbedingtheit, Unkonventionalität und große Unabhängigkeit, was ich nur bedingt auf mich selbst übertragen kann. Aber natürlich ist das etwas, was mich fasziniert.
Die Kritik an der Institution Ehe und das Lob auf die leidenschaftliche Liebe ist heutzutage nicht wirklich originell – aber auch nicht unsympathisch. Und dass sie ihren Weg geht, ohne sich dabei beirren zu lassen – das trifft natürlich nicht nur auf George Sand zu, sondern auch auf andere interessante Frauenfiguren in der Geschichte. Die mir und uns dadurch auch alle Vorbild sein können. Und vielleicht dann auch in gewisser Hinsicht Seelenverwandte.
KM: George Sand schrieb sehr vielseitig: Sie hat unter anderem eine sozialistische Zeitschrift mit begründet und für die gleichberechtigte Verteilung von gesellschaftlichen Gütern an alle Klassen plädiert.
Britta Jürgs: Dass sie nicht nur an ihr eigenes Wohlbefinden dachte, sondern sich auch für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse einsetzte und politisch engagierte, gefällt mir auch an ihr.
KM: Auf familiärer Ebene zeigte sie sich als Traum-Oma und schrieb nebenbei ihren Enkelkindern noch Märchen. Finde ich toll! Letzte Frage: Kommt George Sand in einem der von dir verlegten Bücher vor?
Britta Jürgs: Nein, aber das kann ja noch kommen …
KM: Da bin ich gespannt! Alles Gute dir und deinem AvivA Verlag!
25. September 2022 um 13:07
Liebe Katja,
1000 Dank für diesen erhellenden Beitrag. Die Passage, in der es um die rauchende Frau geht, ist besonders spannend 🙂
Zigarren und Frauen sind bis heute nicht in den Denkmustern angekommen – schade, denn so wie Sie schreiben, ist das Image “Frau plus Zigarre” wirklich ziemlich cool!
Danke nochmals!