Heute werden ausnahmsweise nur drei Bücher von Autorinnen vorgestellt, dabei wird aber auf das Leben der einen ausführlich eingegangen. Die Auswahl in diesem Monat stammt von Autorin und Coach Eva Douma.
Dr. Eva Douma lebt als Sachbuchautorin und Coach in Frankfurt am Main und Berlin. www.douma.de
Carola Stern: Doppelleben. Eine Autobiographie
Es ist schon eine Weile her, dass ich von Carola Stern Doppelleben. Eine Autobiographie gelesen habe. Und doch ist es ein Buch, das mir immer noch ein wenig nachhängt und mich schwer beeindruckt.
Wer Carola Stern (1925–2006) nicht kennt: Als Erika Assmus geboren, verheiratete Zöger, war sie unter dem selbst gewählten Pseudonym “Carola Stern” eine der bedeutendsten und profiliertesten Journalistinnen in Westdeutschland. Vor allem in ihrer Zeit als Radioredakteurin und Kommentatorin des WDR (1970–85) war ihre prägnante norddeutsche Stimme häufig zu hören und sie in der ARD zu sehen. Carola Stern setzte sich schon früh für die Entspannungspolitik ein, war Mitbegründerin der westdeutschen Sektion von Amnesty-International, trat als engagierte Verfechterin von Frauenrechten auf und unterzeichnete die große Stern-Kampagne “Wir haben abgetrieben” im Jahr 1971.
Um so erstaunter war ich, als ich in ihrer Biographie las, dass sie auch ein begeistertes BDM-Mädel war und in den frühen Jahren der DDR Parteimitglied und Agitatorin, als amerikanische Agentin auf der Parteihochschule, Stalin feiernd, Republikflüchtling und ambitionierte Journalistin. Wie passt das alles zusammen, fragte ich mich.
Offen und schonungslos mit sich selbst erläutert Carola Stern ihren Werdegang, ihren Einsatz für eine vermeintlich gute Sache, ihre Zweifel und Neuorientierungen. Im letzten Kapitel ihrer spannend und zugleich unterhaltsam verfassten Biographie schreibt sie über sich: “Empfindsamkeit, Empfindlichkeit und Angst gehören zu seinem Leben. Das Kind, das ohne Vater aufgewachsen ist, möchte Schutz bei anderen finden – wiederum ein Grund, sich anzupassen: den Verhältnissen, den Menschen. Gleichzeitig will Erika sich von anderen Kindern unterscheiden.” Sie analysiert, reflektiert und bewahrt aus den Erfahrungen ihrer Jugend ein ‘gehöriges Selbstmisstrauen’. Sie bemitleidet sich nicht selbst, sondern ist offen gegenüber ihren eigenen Fehlern und voller Wärme für die Menschen. Ihr Lebensresumée: “Ich habe an mir selbst und anderen erfahren, wozu Menschen fähig sind, wenn ihnen Sensibilität abhanden kommt.” Und wer für eine gute Sache und sensibel und human im Umgang mit den Menschen kämpfen möchte, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen. Engagement hilft und aus Fehlern lässt sich lernen, das ist das Vermächtnis von Carola Stern.
Julia Friedrichs: Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen
Eine jüngere (1979 geboren) Journalistin ist Julia Friedrichs. Mit ihrem Erstling Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen hat sie im Jahr 2008 gleich einen Bestseller gelandet.
Als junge Hochschulabsolventin bewirbt sie sich bei der Unternehmensberatung McKinsey und durchläuft das Bewerbungsverfahren. Doch statt in die Welt der sich selbst als “erfolgreiche Eliten” Bezeichnenden einzusteigen und eine von ihnen zu werden, schlägt sie das lukrative Jobangebot aus. Sie beginnt zu recherchieren, wer in unserem Land sich als Elite sieht, wer zu ihr gehört, welches Selbstverständnis in diesen Kreisen herrscht und welche Netzwerke bestehen.
Freundlich und interessiert geht die junge Frau auf ihre Gesprächspartner zu. So wird sie leicht unterschätzt und die alten und manchmal jüngeren Männer (ja, zumeist handelt es sich um Männer) erläutern offen ihr teilweise zynisches, teilweise menschenverachtendes und häufig selbstverliebtes Karriere- und Sozialverhalten.
Julia Friedrichs recherchiert zudem Zahlen, Daten und Fakten und im leichten Erzählton teilt sie ihre Ergebnisse und Einsichten mit. “Die zukünftige Wirtschaftselite liebt es überdimensional”, stellt die Journalistin fest. Sie halten sich für die Besten und “den Besten muss man das Beste bieten, aber das kann man nicht zum Standard für alle machen”, wird Ernst-Ludwig Winnacker, der ehemalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, zitiert. Die “nivellierte Mittelstandsgesellschaft” war gestern und wahrscheinlich immer ein Mythos.
Wer sich für soziale Ungleichheit und die Folgen in unserem Land interessiert, aber das Lesen statistischer Jahrbücher und sozialwissenschaftlicher Untersuchungen scheut, ist mit den im Reportagestil geschriebenen Büchern von Julia Friedrichs gut bedient. Persönlich, leicht und locker schreibt sie durchaus fundierte und gut recherchierte Texte. Und ich bin gespannt, was noch so kommt, und verfolge den weiteren Werdegang dieser engagierten Journalistin.
Freia Anders: Strafjustiz im Sudetengau 1938–1945
Als auf das 20. Jahrhundert spezialisierte Historikerin hat Freia Anders die Strafjustiz im Sudentengau 1938–1945 umfassend aufgearbeitet. Ihre 2008 erschienene Dissertation ist im Vergleich zu den beiden oben vorgestellten Büchern härterer Tobak und nicht ganz so locker wegzulesen, wiewohl sich die Lektüre lohnt.
Diese sehr gut recherchierte wissenschaftliche Arbeit zur nazi-deutschen Justiz in Böhmen und Mähren (dem heutigen Tschechien) zeigt detailliert, wohin die rücksichtslose Durchsetzung politischer – und in diesem Fall menschenverachtender – Ziele führen kann, wenn das “gesunde Volksempfinden” zum Maßstab des Handelns wird, wenn Rechtsstaatlichkeit, Fairness und Humanität keine Kategorien mehr sind. Welche gesellschaftlichen Verwerfungen ein System aus Bürokratie und brutaler Gewaltherrschaft verursacht, wird mit tief gehenden Analysen von Justizakten und Gerichtsurteilen demonstriert. Deutlich wird, zu welchen monströsen Taten „ganz normale” Menschen – hier deutsche Richter und Staatsanwälte – fähig sind, wenn ihnen die Macht dazu gegeben ist. Gerade der nüchterne, wissenschaftliche Stil ließ mir angesichts der geschilderten Verfahren, Urteile und Taten öfter den Atem stocken.
Keiner der Beteiligten an den Justizmorden im Sudetenland ist nach 1945 in Deutschland zur Rechenschaft gezogen worden. Die Taten der deutschen Besatzer in Mittel- und Osteuropa wurden verdrängt, vergessen und geleugnet. Historikerinnnen wie Freia Anders ist es zu verdanken, dass mit Fact-News gegengehalten werden kann.