Der Frühling lässt nach wie vor noch auf sich warten, die Abende sind durch die Ausgangsbeschränkungen noch immer lang und so können wir sicher alle noch einige Lesetipps gebrauchen. Diesmal kommen sie von Sara Trapp, der Pressesprecherin vom Verbrecher Verlag.
Sara Trapp ist Halbfinnin und Halbösterreicherin. Sie wuchs in Österreich auf und studierte Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien, Dänisch an der Universität Kopenhagen und Skandinavistik an der Humboldt Universität zu Berlin. Zurzeit schreibt sie ihre Masterarbeit im Fach Angewandte Literaturwissenschaft – Gegenwartsliteratur an der Freien Universität Berlin.
Seit 2017 betreut Sara Trapp im Verbrecher Verlag die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie ist Gründungsmitglied der Lesereihe nochnichtmehrdazwischen (2018) und veranstaltet und moderiert regelmäßig gemeinsam mit Insa Hansen-Goos, Theresa Meschede und Hannah Rapp im Berliner Wedding Lesungen.
Drei Autorinnen
Tove Jansson (1914 – 2001)
Die finnlandschwedische Autorin Tove Jansson ist vor allem bekannt für ihre Mumintrolle, die so viel mehr darstellen als nilpferdartige, freundliche Trollwesen. Tove Jansson schrieb insgesamt neun Mumin-Bücher, in denen viele tiefgründige, philosophische und mystische Elemente verwoben sind, die für Kinder und Erwachsene sehr erhellend und unterhaltsam sind.
Mir gefallen besonders die Figuren im Mumin-Universum, da sie sehr besonders, vielsagend und liebevoll gezeichnet sind. Zum Beispiel die Figur Mårran, eine gespenstische, graue Figur mit großer Nase, die Schrecken verbreitet, denn alles um sie herum gefriert zu Eis, doch eigentlich sehnt sie sich nach Freundschaft und Wärme. Oder Tofslan und Vifslan, zwei geheimnistuerische, kleine Wesen, die nur im Doppelpack auftreten und ihre eigene Sprache sprechen, die Toves geheime Beziehung zu Vivica Bandler widerspiegeln.
Neben dem Erschaffen der Mumin-Figuren hat Tove Jansson aber noch sehr viel anderes gemacht: Sie war großartige Karikaturistin in den 1930ern für die Zeitschrift Garm, die vor allem den Nationalsozialismus, aber auch den Stalinismus hart kritisierte, eine beeindruckende Malerin (z. B. malte sie ein Altarbild für eine Kirche) und sie schrieb Bücher für Erwachsene. Hier möchte ich allen besonders Das Sommerbuch und Die Tochter des Bildhauers ans Herz legen. Sie war ein Multi-Talent und eine sehr mutige, selbstbewusste, unabhängige Frau, die sogar zu Walt Disney Nein sagte, als der ihre Mumins verfilmen wollte. Ins Deutsche übersetzt wurden ihre Bücher von Birgitta Kicherer.
Liv Strömquist (geb. 1978)
Die schwedische, feministische Comic-Zeichnerin Liv Strömquist begeisterte mich sofort mit Der Ursprung der Welt, dann mit Der Ursprung der Liebe, dann wiederholte sie diese Begeisterung mit I’m every woman und Ich fühl’s nicht. In ihren Comics behandelt sie sehr ernste und wichtige Themen, aber auf eine charmante und lustige Art. Von Tamponwerbungen über Liebe und Macht bis hin zu Leonardo DiCaprios Unfähigkeit zu lieben ist alles dabei. Ihre Erkenntnisse untermauert sie mit Beispielen und einschlägigen Zitaten.
Sie untersucht, welchen Einfluss Sprache hat, stellt kluge Fragen, übt Gesellschaftskritik, hinterfragt die normativen Geschlechterrollen und zieht sehr eingängige Schlüsse. Dabei wird deutlich, dass es nicht immer so war, wie es heute ist. Teilweise kommen dabei unfassbare Einsichten zutage und genau darum, finde ich, sind ihre Bücher so wichtig. Zudem sind sie sehr gekonnt aus dem Schwedischen übersetzt von Katharina Erben, sodass der Sprachwitz erhalten bleibt.
Yoko Tawada (geb. 1960)
Yoko Tawada wurde 1960 in Japan geboren und lebt seit den 1980ern in Deutschland. Ihre Bücher schreibt sie auf Japanisch und Deutsch. Ihre Genres sind sehr vielfältig: Essays, Romane, Gedichte und Theaterstücke. Das erste Buch, das ich von ihr gelesen habe, war der Essayband akzentfrei. Darin schreibt sie in einem berührenden Text über Akzente, wie wunderbar es ist, dass Menschen mit Akzent sprechen. Der Roman Etüden im Schnee hat mir auch besonders gut gefallen. Aus den Perspektiven von drei Eisbären wird eine tiefgründige Geschichte der Migration erzählt.
Yoko Tawada arbeitet auf eine ganz einzigartige Weise mit Sprache, die mich sehr bewegt. Sie dreht und wendet Worte und Sätze so lange, bis sie eine ganz neue Bedeutung bekommen, die einem zuvor verborgen war. Besonders hervorheben möchte ich auch ihr Buch Abenteuer der deutschen Grammatik. Die Texte bringen einen zum Nachdenken und bereiten einfach große Lesefreude.
Drei Bücher
Mareice Kaiser: Das Unwohlsein der modernen Mutter
Das Unwohlsein der modernen Mutter von Mareice Kaiser ist ein Buch, von dem ich mir wünschen würde, dass es jede Person liest, denn dann würde unsere Welt viel besser aussehen. Mareice Kaiser beschreibt darin mit vielen Beispielen, wie ungerecht unsere Gesellschaft ist und welche Menschen darin nicht gesehen werden. Beim Lesen habe ich mir immer wieder Sätze unterstrichen und wollte sie am liebsten teilweise lachend, teilweise weinend laut in die Welt hinausrufen.
Angela Lehner: Vater unser
Vater unser von Angela Lehner liest sich in einem unterhaltsamen Rutsch. Dann denkt man darüber nach und muss es noch einmal lesen und merkt, was für eine unglaubliche Tiefe und Themenvielfalt dieses Buch besitzt. Selten habe ich eine so unzuverlässige und zugleich sympathische Erzählerin begleitet, die einen immer wieder verwirrt und glauben lässt, es wäre doch alles in Ordnung. Grandios erzählt! Ich freue mich schon jetzt auf Angela Lehners zweiten Roman im Herbst 2001.
Esther Becker: Wie die Gorillas
Der Verbrecher Verlag publiziert so viele tolle Bücher von wunderbaren Autorinnen, daher möchte ich nur ein Buch stellvertretend nennen: den Debütroman Wie die Gorillas von Esther Becker. Darin beschäftigt sie sich mit dem gesellschaftlichen Druck, der auf jungen Frauenkörpern lastet. Ich habe mich – wie, glaube ich, sehr viele Frauen – darin wiedererkannt. Dieser schmale Grat zwischen, was mache ich, weil ich es will, und was mache ich, weil es die Gesellschaft von mir verlangt. Dies beleuchtet Esther Becker in kurzen Momentaufnahmen von drei Freundinnen vom Teenageralter bis zum Ende des Studiums. Trotz der Drastik des Erzählten schafft Esther Becker es, eine*n immer wieder zum Lachen zu bringen.
14. Mai 2021 um 11:57
Liebe Sara, danke für Deine besonderen Lesetipps!
Von Tove Jansson habe ich mir über die Onleihe gleich “Die Tochter des Bildhauers” ausgeliehen. Angela Lehner hätten wir mit “Vater Unser” (super Buch) als Vorbereitungsgruppe bei unserm Hamburger LiteraturBrunch 2020 gern dabei gehabt, aber sie konnte leider nicht. Vielleicht klappt’s ja 2022 mit “2001”. Herzlichen Gruß nach Berlin – Maren
14. Mai 2021 um 13:16
Liebe Sara,”Vater unser” ist wirklich ein empfehlenswertes Buch, deinem Kommentar ist nichts hinzuzufügen, schwere Empfehlung!
Das gleiche gilt für den Verbrecherverlag!
Liebe Grüße aus Österreich
Edi