Podiumsgespräch anlässlich des Gastlandauftritts der Philippinen auf der Frankfurter Buchmesse 2025
Ein Beitrag von Veronika Licher

Podiumsdiskussion © Foto: Veronika Licher
„BücherFrauen verbinden Welten“ – das gilt auch dieses Jahr wieder! Dem diesjährigen Gastland Philippinen widmete sich am Messe-Donnerstag ein Podiumsgespräch zwischen der Verlegerin Andrea Pasion-Flores (Milflores Publishing), die in vielfältigen Funktionen in den letzten zwanzig Jahren die Entwicklung der philippinischen Verlagsbranche prägte, der Übersetzerin Gabriele Haefs (VdÜ) und der Verlagslektorin Julia Aparicio Vogl (Kröner Verlag). Organisiert und moderiert wurde die Veranstaltung von der Kulturmanagerin und BücherFrau Yvonne de Andrés.
Was wussten Sie im Vorfeld des Gastlandauftritts über die Philippinen? Oder gar über die philippinische Verlagsbranche? Ich muss für mich gestehen – nicht viel! Überdies hieß es immer wieder: Auch wenn Sie Asien gut kennen – die Philippinen sind anders! Zum Glück hatte ich schon auf der letztjährigen Buchmesse das eine oder andere Gespräch mit kompetenten philippinischen Verlegerinnen führen können, was mein Interesse geweckt hatte.
In ihrem ersten Statement ermöglichte denn auch Andrea Pasion-Flores einen pointierten Einblick in die Besonderheiten dieses sich aus Tausenden von Inseln zusammenfügenden Landes mit mehr als 180 Sprachen oder Dialekten, dem nach 300 Jahren spanischer Kolonialherrschaft und anschließender US-amerikanischer Einflusssphäre die eine oder andere „Hinterlassenschaft“ aus dieser Zeit geblieben ist. Etwa schreiben viele philippinische Autor:innen auf Englisch, das als zweite Amtssprache neben Filipino gilt. Ein von den USA verhängtes Handelsgesetz, das noch vor der Unabhängigkeit des Landes in Kraft trat, definierte zudem den philippinischen Buchmarkt sozusagen als Erweiterung des US-Marktes, was noch heute dazu führt, dass importierte Titel in den Buchhandlungen gegenüber einheimischen stark überwiegen und es philippinische Autor:innen schwer haben, ihren Titeln Sichtbarkeit zu verschaffen.
Eine Weltbankstudie, durchgeführt nach dem massiven Covid-Lockdown – möglicherweise dem längsten weltweit –, brachte zudem zutage, dass es einem Großteil der Kinder schwerfällt, einen gelesenen Text zu verstehen – selbst wenn sie formal lesen können. Und Bücher sind immer noch ein teures Gut.

Milflores Publishing
© Foto: Veronika Licher
Insofern unterstützt Andrea Pasion-Flores die Initiativen des Bildungsministeriums, das für die nächsten drei Jahre erhebliche Investitionen im Bildungsbereich zugesagt hat, was für diesen Zeitraum den Buchmarkt sicherlich stärken und nach ihrer Einschätzung verdoppeln wird. Öffentliche Institutionen werden dann nach diesen drei Jahren die Tests wiederholen, um aktuelle Ergebnisse zu evaluieren.
In Anbetracht des bereits erwähnten und nach wie vor existierenden Übergewichts der US-Distribution im Lande hält Andrea Pasion-Flores es zudem für sinnvoll, den philippinischen Buchmarkt stärker als Teil des größeren südostasiatischen Buchmarkts zu verstehen, mit den Playern Indonesien, Malaysia, Thailand, Singapur und Vietnam. Zumal die Vereinigung der Asian Book Publishers sehr kooperativ und aktiv sei. Außerdem sei der Rechtehandel innerhalb dieser Gruppe schon ganz praktisch sehr viel einfacher – es sei schließlich kein großes Ding, mal eben von Manila nach Djakarta zu fliegen …, anstatt die enormen Entfernungen in die USA zu überbrücken.
Wenn man sich allein die berufliche Entwicklung der letzten zwanzig Jahre von Andrea Pasion-Flores ansieht, versteht man, warum die Verlegerin hier ihre Schwerpunkte setzt: Nach dem Abschluss in Jura 2004 führte sie ihr Weg über vielfältige Positionen, u. a. als Autorin, Lektorin und Literaturagentin, als Geschäftsführerin des Anvil-Verlags und als Direktorin des National Book Development Board. Hier werden die Weichen für die politischen Entwicklungen in der Buchbranche gestellt. 2020 übernahm sie dann den Milflores Verlag in Manila, den der Schriftsteller Antonio Hidalgo 1999 mit der Vision gegründet hatte, über Bücher den Filipinos mehr Bildung und Wissen zugängig zu machen.

„Überreste“ von Daryll Delgado
Eine weitere Größe in der philippinischen Buchlandschaft ist die auch in der NGO-Bewegung engagierte Schriftstellerin Daryll Delgado. Nach mehr journalistischen Texten und Kurzgeschichten ist 2019 bei Ateneo de Naga University Press ihr erster Roman „Remains“ erschienen, der die Klimaproblematik mit literarischen Mitteln ausleuchtet. „Überreste“, so der deutsche Titel, ist in der Übersetzung von Gabriele Haefs in diesem Jahr im Alfred Kröner Verlag erschienen.
Anlässlich des angekündigten Gastlandauftritts und der dafür bereitgestellten Übersetzungsförderung hatte Litprom e. V.[1], der damals noch bestehende Verein zur Förderung der Literaturen der Welt, diesen Titel im Katalog präsentiert – wo Julia Aparicio Vogl, die im Kröner Verlag u. a. für Rechte und Lizenzen zuständig ist, auf ihn aufmerksam wurde. Sie las – und war fasziniert. Umgehend schrieb sie an die erfahrene Übersetzerin Gabriele Haefs, mit der sie bereits mehrere erfolgreiche Projekte durchgeführt hatte, bat um deren Einschätzung und kontaktierte anschließend Kristian S. Cordere bei Naga University Press. (Dieser ist übrigens ebenfalls ein bekannter philippinischer Schriftsteller, der für seine kreativen Beiträge auf der Frankfurter Buchmesse begeisterte Resonanz vom Publikum bekam.) Dass es Unterstützung u. a. durch das National Book Development Board gab und die Übersetzung aus dem Englischen/Waray von Litprom zusammen mit dem Goethe-Institut gefördert wurde, war natürlich auch wesentlich für einen kleineren, inhabergeführten Verlag wie Kröner aus Stuttgart, der mit der Reihe „Literatur von Welt“ „hochwertige Erst- und Neuübersetzungen von größtenteils noch unentdeckten großen belletristischen Werken vorwiegend aus kleinen Sprachen, an die sich bisher niemand gewagt hat“, für den deutschsprachigen Raum zugänglich macht (so der Verlag).

Translated Titels © Foto: Veronika Licher
Gabriele Haefs hatte aus den Philippinen bis dato nur einen Titel von José Rizal gelesen, dem Nationalhelden, der vielfältig übersetzt wurde, sowie Kinderbücher, die in den Philippinen spielten. Insofern war es für sie überraschend, dass in dem auf Englisch geschriebenen Manuskript von Daryll Delgado doch sehr viel Spanisch zu finden war.
Was die im Manuskript enthaltenen Sätze auf Waray betreffe, sei immer die Frage, wie damit umgehen. Manchmal verstehe man sie direkt, manchmal nicht. Sie stünden jedoch häufig in einem Kontext, der dann im Glossar erklärt werde. Das Deutsche zeichne sich dadurch aus, dass es sehr flexibel sei und durch die Verwendung anderer Sprachelemente nicht „infiziert“ werde.
Für Julia Aparicio Vogl und den deutschen Verlag stellte sich auch die Frage, wie dieser Titel zu vermarkten sei – als „Klimafiktion“ sei er nicht leicht zu verkaufen und dies sei auch nicht der wichtigste Aspekt, zumal so viel mehr darin enthalten sei: die „Seele“ der Philippinen, die Ära Marcos, das spanische Kolonialreich, das Aufwachsen in einer Diktatur, wo man nicht einmal gewusst habe, ob die Eltern vielleicht lügen …, die Rolle von Mythen und Geschichten, Korruption und vieles mehr. Ein Label wie „Klimafiktion“ habe insofern seine guten und auch seine weniger hilfreichen Seiten – es kreiert eine gewisse Erwartungshaltung, funktioniert dann aber vielleicht doch nicht entsprechend.
Keine Seite des Buches sei pathetisch oder sentimental, auch nicht romantisierend. Gleichwohl sei die Sprache gleichzeitig wunderschön und brutal und verbindend.
Während der Buchmesse sei das Buch des Öfteren in der Presse erwähnt worden, eine große Resonanz habe der Verlag aber bisher nicht gespürt. Dass ein Titel zum Gastlandauftritt promotet wird, heißt erfahrungsgemäß allerdings auch nicht, dass er auf jeden Fall zahlreich gekauft wird.
Yvonne de Andrés ergänzt, das Buch sei eines der ersten auf dem deutschen Markt gewesen. Deshalb habe sie es sofort gelesen und sei beeindruckt gewesen von den vielfältigen Dimensionen, die dieser Titel eröffnet. Aus Spanien kommend, habe sie zuvor eine sehr traditionelle Sicht auf die Philippinen gehabt. Insofern war es für sie wesentlich, dass der deutschen Fassung ein Glossar beigefügt wurde, an dem die Autorin auch mitwirkte.
Sie erzählt weiter, Delgado habe, als sie über ihr Buch sprach, von all den Jobs berichtet, die sie übernommen habe, um sich das Schreiben leisten zu können. Und auch Julia Aparicio Vogl bestätigt, dass die meisten ihrer Autor:innen nicht vom Schreiben leben können.
Auch Andrea Pasion-Flores sieht sich nicht in der Lage, bei einem Ganztagsjob parallel noch zu schreiben – allenfalls kleine Zeitfenster zum Schreiben freizuschaufeln. Günstiger wäre sicherlich eine Position als Literaturprofessorin, zumal man da tief in die Thematik eintauchen könne und eher Zeit zum Schreiben fände.
Eine Romance-Autorin, die sie kenne, arbeite allerdings in einer Bank und schaffe es dennoch, regelmäßig Romane zu veröffentlichen. Es sei sicherlich auch von Belang, was für eine Art von Büchern man schreiben wolle.
Yvonne de Andrés resümiert, dass es für die Gastlandauftritte und die beteiligten Länder jeweils sehr wichtig ist, dass ihre Titel promotet werden UND es eine finanzielle Förderung gibt. Für sie sei es immer wieder spannend, auf diese Weise neue Narrative, neue Rollen, neue Welten kennenzulernen – die Geschichten seien sehr häufig ganz andere als die, die wir normalerweise in Deutschland lesen. Beispielsweise bei den brasilianischen Geschichten sei oft eine ganz andere Dramaturgie hinterlegt, als wir sie gewohnt sind. Insofern sei es einfach wunderbar, dass wir dieses Gastland-Programm haben!
Dem kann ich mich nur anschließen – ich freue mich darüber, jedes Jahr in ein neues Land und seine Kultur eintauchen zu können. Und ich hoffe, Sie haben ein bisschen davon mitgenommen durch diesen Beitrag! Viel Freude jedenfalls beim weiteren Stöbern in philippinischen Titeln!
Veronika Licher
Die Danksagung: Der Frankfurter Buchmesse ein großes Dankeschön, dass sie diesen Gastlandauftritt ermöglicht hat, und natürlich Yvonne de Andrés, die für die BücherFrauen durchs Programm geführt hat!
Links zur Organisatorin:
https://www.linkedin.com/in/yvonne-de-andr%C3%A9s-45b09b3/
Links zum Podiumsgespräch:
www.kroener-verlag.de/books.html
https://verzeichnis.literaturuebersetzer.de/personen/haefs-gabriele/
Weiterführende Links:
https://blog.buecherfrauen.de/die-philippinen-im-fokus-der-buchmesse/
Veronika Licher, Dipl.-Inform., begleitet seit vielen Jahren schreibend die internationale Buchbranche, lektoriert u. a. Übersetzungen und ist in vielfältiger Weise beteiligt an Buchproduktionen zum Beispiel im Bereich Psychotherapie und Coaching. 2009 organisierte sie für die BücherFrauen das Podiumsgespräch mit chinesischen Verlegerinnen anlässlich des Gastlandauftritts der VR China.
https://www.lektoren.de/profil/dipl-inform-veronika-licher
www.linkedin.com/in/veronika-licher
[1] Der Verein wurde mangels weiterer institutioneller Förderung zum Jahresende 2024 aufgelöst. Die laufenden Projekte werden von der Frankfurter Buchmesse weitergeführt. Ein neu gegründeter Litprom-Freundeskreis ist für Interessent:innen offen: https://www.litprom.de/
28. Oktober 2025 um 10:44
Danke liebe Veronika Licher! Du schaffst es wunderbar, die Vielschichtigkeit der philippinischen Literaturszene und die engagierte Arbeit ihrer Akteurinnen sichtbar zu machen. Besonders beeindruckend fand ich die Verbindung zwischen kulturpolitischen Rahmenbedingungen, Verlagsarbeit und den individuellen Lebenswegen der Autorinnen. Der Einblick in die Übersetzungsarbeit und die Herausforderungen kleiner Verlage ist zudem äußerst spannend – ein schöner Beleg dafür, wie „BücherFrauen Welten verbinden“. Vielen Dank für diesen bereichernden Blick über den literarischen Tellerrand!