BücherFrauen

Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Christine de Pizan, die Namensgeberin des neuen BücherFrauen-Literaturpreises

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In diesem Herbst wird zum ersten Mal der BücherFrauen-Literaturpreis vergeben, der nach Christine de Pizan benannt wurde. Es ist großartig, dass die BücherFrauen ihrem ureigensten Anliegen, Frauen in der Buchbranche sichtbar zu machen, einen weiteren wichtigen Meilenstein hinzufügen.

Die Namensgeberin des BücherFrauen-Literaturpreises Christine ist die außergewöhnliche mittelalterliche Schriftstellerin, Gelehrte und Humanistin Christine de Pizan (1364–1429). Außergewöhnlich sind der rein quantitative Umfang und das Themenspektrum ihres Werkes. Sie hinterließ sehr persönlich geprägte Balladen und Gedichte im höfischen Stil. Ihre didaktisch-pädagogischen und politischen Schriften, zum Teil im Stil der damals üblichen Gattung Fürstenspiegel, sind vom humanistischen Geist getragen. Sie trat offen den frauenfeindlichen Tendenzen in der Literatur entgegen, als sie sich z. B. in Épître au Dieu d’Amour (Sendbrief an den Gott der Liebe) gegen die Fortsetzung des Rosenromans durch Jean de Meung starkmachte. Der Rosenroman war ein im 13. Jahrhundert verfasster Versroman zum Thema Liebe. Begonnen hatte ihn Guillaume de Lorris. Der zweite Teil von Jean de Meung (1280) löste den ersten Literat:innenstreit Frankreichs aus. Christine de Pizan schrieb gegen die misogynen Tendenzen des Klerikers de Meung an – und fand zahlreiche Unterstützung.

Foto: Doris Hermanns

Mit ihrem heute bekanntesten Werk Le Livre de la Cité des Dames (Das Buch von der Stadt der Frauen) verfasste sie 1405 das erste feministische Werk mit noch heute gültigen Thesen. Und in ihrem Werk Le Livre de la Paix (Das Buch vom Frieden), verfasst unter dem Eindruck der blutigen Wirren des Bürgerkriegs in Frankreich Anfang des 15. Jahrhunderts, verleiht sie ihren pazifistischen Gedanken Ausdruck. Und das ist nur eine sehr verknappte Werkschau.

Sehr gewöhnlich ist der Umgang mit dem Werk Christine de Pizans. Anhand der Überlieferung kann man wunderbar ablesen, wie „Rausschreiben“ aus den Reihen einflussreicher Schriftsteller, Staatsrechtler und Gelehrten funktioniert – die weibliche Form muss ich in diesem Zusammenhang nicht bemühen: Es gibt kaum Übersetzungen der Schriften Christine de Pizans, nur einige lieferbare Werke, viele Texte sind noch gar nicht ediert und nur wenige Menschen kennen ihren Namen, obwohl ihre Arbeiten schon in Zeiten vor dem Buchdruck vielfältig abgeschrieben und verbreitet wurden. An der großen Anzahl noch heute erhaltener Abschriften sowie der Resonanz, die ihre Schriften zur damaligen Zeit hatten, und nicht zuletzt an den fürstlichen Adressat:innen kann man ablesen, wie groß und nachhaltig ihr Einfluss auf die Geistesgeschichte war.

Beachtet wurde Christine de Pizan über die Jahrhunderte immer weniger, vergessen wurde sie nie, wie der Literaturpreis der BücherFrauen Christine beweist! Explizites Anliegen des Preises ist es, Autorinnen und Übersetzerinnen auszuzeichnen, die mit ihrem Schreiben zur Gleichstellung der Geschlechter und zur Stärkung von Frauen und Mädchen beitragen. Für mich ist es eine wunderbare Gelegenheit, mich wieder einmal mit dem Werk der französisch-italienischen Humanistin zu befassen. Vor allem mit meinem erklärten Lieblingsbuch, dem Livre de la Paix. Dieses Werk ist mir gleich nach Das Buch von der Stadt der Frauen ins Auge gesprungen, als ich vor mehr als zehn Jahren auf ihre Arbeiten gestoßen bin. Vor meinem inneren Auge zog damals die Assoziationskette vorbei, die sich in guter de Pizan’scher Tripartition[1] so auf den Punkt bringen lässt: Gelehrte, Humanistin, Pazifistin.

Foto: Britta Jürgs

Und man muss nicht des Mittelfranzösischen mächtig sein, um diese Schrift einsehen zu können. Das Buch ist ediert und liegt in englischer Übersetzung auf dem Server einer Online-Bibliothek, immerhin. Le livre de la Paix ist keine Unterhaltungslektüre. Entstanden sind die drei Bücher zwischen 1410 und 1414, die Zeit der Eskalation des Krieges zwischen den Vettern Orleans und Burgund. Christine ergreift keine Partei. Sie spricht im Namen des Friedens![2] Adressiert ist dieser didaktisch-pädagogische Leitfaden an den jungen Dauphin Ludwig von Guyenne. Sie greift die damals viel diskutierte Frage auf, „ob Frieden ein Resultat von politischem Handeln sei“.[3] Und fordert eine Justizreform im Sinne der Stärkung der Legislative. Wobei mit dieser Forderung keine Abschaffung des Königtums einhergeht.

Das Livre de la Paix gehört neben dem Livre du Corps de Policie für den heutigen Rezipienten zu den am schwersten leserlichen Werken der Autorin“, durch seine langen, verschachtelten Konstruktionen und die schier unendlich wirkende Aufzählung lehrreicher Exempla.[4]

In diesem Sommer dann bin ich den Spuren Christine de Pizans nicht nur auf Buchseiten gefolgt, sondern auch vor Ort in Venedig und Paris.

Geboren am 11.9.1364 in Venedig, verließ sie ihre Geburtsstadt schon als Kind. Doch ihr Geist wirkt dort noch heute. Ein „Bündnis Christine de Pizan für die freien Frauen von Venedig“ hat sich zusammengefunden und reflektiert ihre Heimatstadt und die Welt ganz im Stile der Schriftstellerin. Sie treffen sich zum Geburtstag Christine de Pizans am 11.9. auf dem Campo de San Stefano und zitieren ihre Werke. Konkrete Orte, die an die Gelehrte erinnern – gerne werden ja Geburtshäuser zumindest mit einer Gedenktafel versehen – sind leider eine Fehlanzeige.

Foto: Barbara Fischer

In Paris hat sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht, bis sie sich 1418 zurückzog, wahrscheinlich ins Kloster bei Poissy, wo sie 1429 starb. Dort, in Paris, finden sich immerhin eine Straße und eine Grundschule, die nach Christine de Pizan benannt sind.

Ich machte mich auf zur Christine de Pizan-Straße. Es gibt gleich mehrere Straßenschilder. Aber: Auf dem Schild etwa zu vermerken, dass es sich um eine bedeutende mittelalterliche Gelehrte handelt, ist dann offensichtlich doch zu viel verlangt. Während gleich in der Parallelstraße bei einem ehemaligen Anführer der Fremdenlegion die halbe Biografie auf engstem Raum Platz findet.

Kein Wohnhaus, kein Museum. Auch meine Pariser Vermieterin, eine Malerin mit feministischem Hintergrund, hatte von Christine de Pizan noch nie etwas gehört.

Es gibt Handlungsbedarf. Die BücherFrauen sind ganz vorne dabei, wenn es darum geht, Lücken zu schließen. Im nächsten Herbst erscheint eine überarbeitete Neuauflage von Das Buch von der Stadt der Frauen im AvivA Verlag von BücherFrau Britta Jürgs, zusammen mit bislang unübersetzten autobiografischen Texten Christine de Pizans, in der Übersetzung und mit einem Vorwort der de Pizan-Expertin Margarete Zimmermann.

Also dann: „Lass uns, ohne noch mehr Zeit zu verlieren, hinaus aufs Feld der Literatur gehen: dort soll die Frauenstadt auf einem fetten und fruchtbaren Boden errichtet werden, dort, wo alle Früchte wachsen, sanfte Flüsse fließen und die Erde überreich ist an guten Dingen jeglicher Art.“[5]

Diese Stadt steht bereits. Mit dem BücherFrauen-Literaturpreis Christine wird ein weiteres schönes Gebäude darin errichtet. Die erste Bewohnerin wird am 21.10.2021 auf der Buchmesse bekannt gegeben. Verliehen wird der Preis im Rahmen der Jahresversammlung der BücherFrauen am ersten Novemberwochenende 2021.

 

 

[1] Fee-Isabelle Rautert (2005), Christine de Pizan zwischen Krieg und Frieden. Die politischen Schriften 1402–1429, Verlag D. Kovac 2005, S. 289.

[2] Ebd., S. 289.

[3] Ebd., S. 295.

[4] Ebd., S. 296f.

[5] Christine de Pizan, Das Buch von der Stadt der Frauen, dtv Verlag 1995, S. 48.

Autor: Barbara Fischer

Barbara Fischer hat sich der feministischen Fantasy verschrieben. Ihr künstlerischer Werdegang begann in der späten DDR. Dort schrieb sie Kurzgeschichten, Fragmente und Flugblätter. In Köln studierte sie Literaturwissenschaft, Ethnologie und Malaiologie. Sie suchte und fand die Fußstapfen zahlreicher großer Frauen. Als geistige Mentorin betrachtet sie bis heute Christine de Pizan und arbeitet mit deren Konzept der „Antiphrase“: Sie entfernt die Hinterlassenschaften der patriarchalen Überlieferungstraditionen und findet im Ursprung der Geschichte die großartigsten Frauen. Vor allem Mythologien haben es ihr angetan. Seit 2019 erscheint die Fantasyreihe "Baumweltensaga" im Berliner Verlag periplaneta. Protagonistinnen der bislang drei Teile sind: Lilith, Freyja und Frigg. www.baumweltensaga.de. Barbara Fischer ist BücherFrau seit 2020 und engagiert sich auch im Haus der Frauengeschichte in Bonn.

9 Kommentare

  1. Vielen Dank, liebe Barbara, für Deinen erhellenden schönen Text zu Christine de Pizan. »Gelehrte, Humanistin, Pazifistin« – das will ich mir merken. Herzliche Grüße, Maren

  2. Welch interessanter Einblick und kluger Beitrag. Ich möchte Christine de Pizan nun kennenlernen und werde mir entsprechende Literatur besorgen!

  3. Spannender Text, wunderbar geschrieben. Unglaublich, wie viele Schätze noch zu bergen sind. Ich hatte noch nie etwas von Christine de Pizan gehört und bin begeistert, von dieser großartigen Frau zu lesen. Toll, dass sie Namensgeberin für den neuen Literaturpreis ist. Danke.

  4. Wie schön, dass Christine de Pizan trotz ihrer Kritik am System das religiös fanatische Patriarchat in dieser finsteren Zeit überlebt hat. Ich kannte sie auch nicht und will was von ihr lesen.
    Toll geschrieben, Barbara
    Gruß Gerda

  5. Danke, liebe Barbara, „Das Buch von der Stadt der Frauen“ gehört nach Deinem erhellenden Beitrag nun zu meiner Pflichtlektüre 🙂
    Ich werde dafür sorgen, dass es auch anderen Frauen so geht!

  6. “Das Buch von der Stadt der Frauen” wurde meines Wissens bereits Mitte der achtziger Jahre vom Orlanda Frauenverlag wiederentdeckt und veröffentlicht. Ein großes Verdienst, das nicht unter den Tisch fallen sollte. Schön, dass Aviva nun eine Neuauflage plant.

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