BücherFrauen-Engagement – das muss nicht nur für Bücher sein. Wo und wie BücherFrauen aktiv werden (können), um aktuell in der sogenannten Flüchtlingskrise zu helfen, wollen wir auch im Blog vorstellen. Den Auftakt macht Heike Herrberg, BücherFrau aus Bielefeld (im Gespräch mit Vera Seehausen).
Heike, du bist seit vielen Jahren BücherFrau, seit langer Zeit Teil des BF-Akademie-Orgateams und Finanzfrau der Regionalgruppe Bielefeld/OWL – aber du bist nicht nur in unserem Netzwerk ehrenamtlich aktiv. Wie kam es, dass du dich jetzt für Asylsuchende einsetzt?
Schon seit längerem wollte ich angesichts der Flüchtlingssituation mehr machen als immer nur Geld spenden oder Kleidung abgeben. Als ich hörte, dass der AK Asyl hier in Bielefeld Sprachkurse organisiert, habe ich mich gemeldet, und seit Anfang des Jahres gebe ich jetzt Deutschunterricht für Geflüchtete.
Der AK engagiert sich vor allem für Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, die oft kein Anrecht auf einen Sprachkurs haben – inzwischen hat sich die Rechtslage allerdings ein wenig geändert –, sodass in unseren Kursen vor allem Teilnehmer_innen sind, die eher „durchs Raster der institutionellen Versorgung fallen“ und vom Arbeitskreis besonders betreut werden.
Hattest du Unterstützung beim Einstieg in den Unterricht?
Ich habe Deutsch als Fremdsprache studiert und in dem Bereich auch ein paar Jahre gearbeitet. Das ist zwar lange her und die Zielgruppen waren damals andere, aber eine gewisse Vorerfahrung habe ich dadurch. Meine beiden Mitstreiter_innen – wir sind zu dritt in dem Lehrteam – kommen aus ganz anderen Bereichen. Aber eine Art Schulung gab es letztes Jahr noch nicht; evtl. hat sich das bei dem enorm gestiegenen Bedarf inzwischen geändert.
Wie läuft der Unterricht konkret ab?
Wir arbeiten in Lehrteams – meins besteht aus drei Leuten – und jede_r übernimmt eine Stunde pro Woche, dazu kommen dann Vor- und Nachbereitung. Wir tauschen uns via Web-Portal darüber aus, wie die Stunde gelaufen ist, ob es Hausaufgaben gibt oder irgendwelche Besonderheiten. Wir hatten das große Glück, dass eine Freundin von mir, die Lehrbuchautorin ist, uns mit einem Klassensatz Lehrbücher und Zusatzmaterialien ausstatten konnte. Nicht selten erhalten Geflüchtete die Lernmittel nur leihweise oder müssen sie selbst kaufen und bekommen die Kosten dann ggf. erstattet.
Unser Konzept, wenn man davon so sprechen kann, ist es, von den aktuellen Erfahrungen der Leute auszugehen – etwa: Was habt ihr in den letzten Tagen erlebt? – und anhand dessen, was erzählt wird, bauen wir die Stunde auf, können z.B. Vokabelarbeit anknüpfen oder Grammatikübungen entwickeln. Und so kommt auch der Alltag der Teilnehmer_innen viel mehr zur Sprache. Ich lerne dadurch einiges über ihre Kultur und ihr Alltagsleben, bis hin zu interessanten Kochrezepten.
Es geht also oft darum, Sprechanlässe zu schaffen, denn mit dem freien Sprechen haben viele die meisten Probleme (das kennen wir ja auch vom eigenen Fremdsprachenlernen). Wir waren auch mal in der Stadtbibliothek, haben dort den Teilnehmer_innen die verschiedenen Abteilungen gezeigt und die Ausleihbedingungen erklärt. Auf dem Plan stehen noch ein Stadtrundgang und ein Besuch im Museum. Die Unterhaltung läuft auf Deutsch. Und wenn das mal zu schwierig wird, wechseln wir mit denen, die es verstehen, auch ins Englische, um dann wieder auf die deutschen Begriffe zu kommen.
Dein Engagement nimmt also etwa eine Wochenstunde Unterricht plus Vorbereitung in Anspruch?
Im Prinzip ja, allerdings ergeben sich über den Sprachkurs hinaus noch weitere Aktivitäten. So unterrichte ich jetzt auch die Kinder von zwei Kursteilnehmer_innen und wir kümmern uns manchmal auch um andere Dinge wie z.B. die Besorgung von Möbeln für die erste eigene Wohnung eines Geflüchteten. Für eine Familie mit zwei Kindern konnten wir vier Fahrräder organisieren – diese Art der Fortbewegung bietet sich in Bielefeld einfach an.
Wie sieht eure Gruppenzusammensetzung aus?
Unser Kurs besteht zurzeit aus fünf Männern und einer Frau im Alter zwischen 20 und 50 Jahre, die aus Aserbaidschan, Armenien, Syrien und Guinea kommen. Sie können sich teilweise gegenseitig unterstützen über die Gemeinsamkeit einer Sprache, z.B. Russisch oder Türkisch. Schwierig ist teilweise der unterschiedliche Lernhintergrund resp. Die Lernfähigkeit. Manche sind es gewohnt, Sprachen zu lernen, sind auch mehrsprachig, andere weniger oder überhaupt nicht. Das ist tatsächlich ein Balanceakt, aber auch eine spannende Herausforderung.
Und der Frauenanteil?
Um den ist es schlecht bestellt. Vor allem besuchen Männer die Kurse, unseren Kurs überwiegend Familienväter, und die Frauen bleiben zu Hause, haben angeblich kein Interesse bzw. keine Zeit. Mein Anliegen ist es, auch ihnen den Zugang zur deutschen Sprache zu vermitteln und ich suche gerade nach Möglichkeiten, einen Kurs nur für Frauen einzurichten.
Erfahrt ihr etwas über die Lebensumstände der Teilnehmer_innen?
Über das Alltagsleben durchaus, aber Fluchtgeschichten werden nur vereinzelt mal erzählt. Der Fokus liegt auf der Zukunft hier in Deutschland: nach vorne gucken, sich hier orientieren und Fuß fassen.
Bei manchen ist eine traumatische Erfahrung zu spüren oder zu erahnen, z.B. bei einem jungen Mann aus Westafrika ohne Familie, der immer sehr, sehr ernst ist und nur darauf ausgerichtet, hier allein klarzukommen.
Was lernst du dabei?
Das Schöne an dieser Arbeit ist der unmittelbare Erfolg, wenn Fortschritte sichtbar sind – eine Sinnhaftigkeit, die in meiner Arbeit sonst meist nicht so unmittelbar durch ein Gegenüber erfahrbar ist. Das Feedback funktioniert in diesem Unterricht auf viel direkterem Weg. Außerdem wird mir mal wieder sehr bewusst, wie schwer die deutsche Sprache ist, unsere Satzstellung, die drei Artikel, die Tempi … Das schärft den Blick für die Besonderheiten des Deutschen.
Ich lerne zudem Leute kennen, denen ich sonst vermutlich nie begegnen würde, erfahre etwas über Gegenden und Konflikte in der Welt, die mir bisher unbekannt waren, wie etwa die Auseinandersetzungen zwischen Aserbaidschan und Armenien. Man kriegt viel zurück – spannende und anregende Erfahrungen.
Und dein weiteres Ziel?
Ein Ziel wäre die Einrichtung von Kursen speziell für Frauen. Darüber hinaus würde ich sehr gern – vielleicht gemeinsam mit den Bielefelder BücherFrauen – Fluchtgeschichten von Frauen sammeln, aufschreiben und der Öffentlichkeit in irgendeiner Form zugänglich machen. Denn ich denke, dass solche persönlichen Geschichten eine Brücke sein können für eine bessere Verständigung zwischen Einheimischen und Geflüchteten.
Heike Herrberg arbeitet als Redakteurin, Lektorin und Autorin für Verlage, Stiftungen und Agenturen. Aktuelle Publikation: Wiener Melange – Frauen zwischen Salon und Kaffeehaus (Neuausgabe, Berlin 2014), www.heikeherrberg.de.