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Drei Autorinnen – drei Bücher: Alexandra Legath

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In diesem Monat geht es Richtung Süden: Die Agentin für Kinder- und Jugendliteratur Alexandra Legath stellt unter anderem einige italienische Autorinnen und ihre Werke vor. Bei den BücherFrauen organisiert sie unter anderem das Mentoringprogramm mit.

Das Porträt zeigt Alexandra Legath.

© Sabine Klem

Alexandra Legath ist Agentin für Kinder- und Jugendliteratur bei Silke Weniger. Bei den BücherFrauen hat sie über viele Jahre den Literaturbrunch in München mitgestaltet.

Drei Autorinnen

Dacia Maraini (geb. 1936)

Zum ersten Mal stolperte ich über den Namen der 1936 geborenen Schriftstellerin während meines Studiums, als ich eine Hausarbeit über Alberto Moravia schrieb. Sie war über zwanzig Jahre seine Lebensgefährtin und stand völlig zu Unrecht in seinem Schatten. Sie war Mitglied der Gruppe 63, der neoavantgardistischen Literaturbewegung und in den 1970er Jahren des Movimento Femminile und der Rivolta femminile.

Die Autorin setzt sich in ihren Essays und Romanen immer wieder auf beeindruckende Weise nicht nur mit der Rolle der Frau, sondern auch mit den Themen Vergewaltigung, Gewalt, Inzest, Kindheitstraumata und lesbischer Liebe auseinander. Auch in ihren späteren Lebensjahren setzt sie sich für Frauenrechte und Gleichberechtigung ein. In der FAZ wird ihr bescheinigt, dass auch ihr 2017 erschienener Roman Drei Frauen – immerhin im Alter von 82 Jahren geschrieben – ihren anderen Werken in nichts nachsteht. Ich hatte das große Vergnügen, sie auf der Frankfurter Buchmesse 2015 kurz kennenzulernen, als sie auf die Einladung von Silke Weniger das damals gerade bei edition fünf erschienene Buch Geraubte Liebe (übersetzt von Gudrun Jäger) signierte. Eine Grande Dame und Vorbild – nicht nur der Literatur.

Erst Jahre nach meinem Studium las ich drei von ihren Romanen – immer wieder mit großen Pausen: Die stumme Herzogin (übersetzt von Sabina Kienlechner), Stimmen (übersetzt von Eva-Maria Wagner und Viktoria von Schirach), Drei Frauen (übersetzt von Ingrid Ickler) und schließlich Geraubte Liebe.

(DH: Auch die beiden Bücher Die stumme Herzogin und Drei Frauen sind noch neu lieferbar, konnten aber leider nicht verlinkt werden, da es ein Problem mit der Website des Folio Verlags gibt)

Alle vier Werke haben mich stark beeindruckt und spiegeln die Bandbreite der Erzählkunst Marainis wider. In dem Roman Die stumme Herzogin erzählt sie die Geschichte der taubstummen Herzogin Marianna auf Sizilien im 18. Jahrhundert. Das junge Mädchen wird bereits mit 13 Jahren mit ihrem über dreißig Jahre älteren Onkel verheiratet und von diesem alles andere als gut behandelt.

Ganz anders liest sich der Kriminalroman Stimmen, in dem die Journalistin Michela Canova durch den gewaltsamen Tod ihrer Nachbarin in einen Mordfall verwickelt wird. Unbedingt will sie dieses Verbrechen aufklären, was ihr schließlich auch gelingt.

In Drei Frauen leben drei Generationen unter einem Dach: die Großmutter  Gesuina, die Tochter Maria und die Enkelin Lori. Gesuina ist nach wie vor voller Lebenslust und Neugier, Maria hingegen lebt in ihrer Welt der Literatur und den Briefen an den fernen geliebten Mann. Das Mädchen Lori begehrt gegen Mutter und Großmutter und deren Weltbild auf und will sich ihren eigenen Platz erkämpfen.

Ganz anders ist Geraubte Liebe, verstörend und berührend sind die acht Geschichten von Frauen, die Dacia Maraini nach Interviews mit ihnen aufgeschrieben hat. Einfühlsam und sachlich erzählt die Autorin von Frauen, die von ihren Geliebten terrorisiert werden, die von Vätern missbraucht oder zum Kindermodel abgerichtet werden oder von ihren Männern zu Tode geprügelt. Keine leichte, aber wichtige Lektüre vor dem Hintergrund, dass es nicht nur in Italien eine viel zu große Anzahl an Gewalttaten an Frauen in der Familie gab und gibt.

 

Francesca Melandri (geb. 1964)

Auf Francesca Melandri wurde ich über mein Faible für Südtirol aufmerksam. Die Autorin ist 1964 in Rom geboren und erstellte zunächst eine Vielzahl von Drehbüchern. 2010 veröffentlichte sie ihren ersten Roman Eva dorme bei Mondadori, mit dem sie auch in Deutschland bekannt wurde. 2018 wurde sie mit dem Großen Verdienstorden des Landes Südtirol ausgezeichnet, ein Jahr später mit dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln.

In Eva schläft, in der schönen Übersetzung von Bruno Henzler, erzählt die Autorin mitreißend anhand der Lebensgeschichte von Eva und ihrer Mutter Gerda die Geschichte Südtirols, hin- und hergerissen zwischen dem deutschsprachigen Mutterland Österreich und der erzwungenen Zugehörigkeit zu Italien, und der Familie Huber zwischen 1919 und der Gegenwart.

Eva hat nach der Trennung ihrer Eltern lange nichts von ihrem Vater Vito gehört. Erst nach dreißig Jahren meldet er sich wieder und teilt ihr mit, dass er schwer krank ist. Er bittet sie um ein Wiedersehen und Eva kommt dieser Bitte umgehend nach. Ihre Mutter ist bereits gestorben. Sie fährt mit dem Zug von Südtirol nach Kalabrien und lässt ihr Leben Revue passieren.

Ihr großer Roman Sangue giusto, in der deutschen Übersetzung Alle, außer mir erschien 2018 bei Wagenbach, hervorragend übersetzt von Esther Hansen. Er erreichte bereits im September des gleichen Jahres Platz 1 der Top 25 der monatlich erscheinenden Independent-Bestsellerliste Belletristik des Börsenblatt des deutschen Buchhandels und wurde zum Lieblingsbuch der Unabhängigen Buchhandlungen gewählt.

Erzählt wird zum einen eine Vater-Tochter-Geschichte – von Ilaria und ihrem Vater Attilio Profeti –, zum anderen die Geschichte der italienischen Kolonie in Äthiopien. Ilaria ist Mittvierzigerin, Lehrerin und hat sich mit ihrem Leben in Rom arrangiert. Glück bedeutet etwas anderes. Eines Tages, nachdem sie mal wieder eine kleine Ewigkeit nach einem Parkplatz gesucht hat, begegnet sie in ihrem  Treppenhaus einem Schwarzen. Er behauptet, mit ihr verwandt zu sein und zeigt ihr als Beweis seinen Pass, der tatsächlich ihren Nachnamen Profeti trägt. Ihren Vater kann Ilaria nicht mehr fragen, ob der junge Mann wirklich ihr Bruder ist, wie er behauptet, da der alte Mann dement ist und im Sterben liegt. Rückblickend wird/werden die Familiengeschichte(n) erzählt – es sind mehr als nur eine! – und ein Stück italienischer Geschichte, das mir nicht bekannt war. Eindrucksvoll und spannend!

Beide Romane sind mehr als empfehlenswert, auch für nicht-italophile Menschen und Nicht-Südtirolfans! In passender Umgebung lesen sie sich natürlich noch besser.

 

Lotte Kinskofer (geb. 1959)

Lotte bzw. Lieselotte Kinskofer habe ich bei einer Veranstaltung der Münchner BücherFrauen kennengelernt. Wir hatten denselben Heimweg und beim Abschied erzählte sie mir beiläufig, dass sie auch Kinderbücher schreibt und bis dato noch keine Agentin hatte. Das haben wir rasch geändert. Dr. Lieselotte Kinskofer ist 1959 in Langquaid in Niederbayern geboren, hat Germanistik studiert, über Brentano promoviert und als Journalistin gearbeitet, bevor sie sich den Büchern (Dreh-und andere) zuwandte.

Inzwischen hat sie in vielen Bereichen veröffentlicht. Bilderbücher, z. B.  Der Tag, an dem Marie ein Ungeheuer war, Gemeinsam sind wir stark und Kinderbücher, den – leider nicht mehr lieferbaren – Klavierling und Wie der Klavierling sich verliebte. Auch im Jugendbuch ist sie u. a. mit Wach auf und schrei, Schwarzer Schnee und SMS – Sarah mag Sam erfolgreich.

Im Krimibereich können wir durch sie Kommissar Reitinger in und um Regensburg begleiten in Heimvorteil, Wirtshaussterben, Grabenkämpfe und Reitinger kehrt zurück.

Näher eingehen möchte ich hier auf ihren neuesten Roman Zum Sterben zu viel, der im Frühjahr 2021 bei ars vivendi erschienen ist. Er spielt in den 1920er Jahren in München-Pasing. Ein Heimatdichter wird ermordet, ein junger Schreiner wird der Tat verdächtigt und muss ins Gefängnis. Seine Frau Agnes tut alles, um die Unschuld ihres Mannes zu beweisen, denn schließlich gibt es weder Indizien noch Beweise. Ein zweiter Mord geschieht, das Opfer scheint auf die gleiche Weise zu Tode gekommen zu sein wie der Dichter. Der ermittelnde Kommissar Benedikt Wurzer steht zunächst vor einem Rätsel und unter großem Druck von seinem Chef. Er ahnt, dass ein weiterer Mord bevorsteht, den er unbedingt verhindern will.

Sorgfältig recherchiert, einfühlsam und gut geschrieben versetzt dieser Roman jede Leserin und jeden Leser in die 1920er Jahre in den Münchner Westen. Ein reines Vergnügen!

 

Drei Bücher

Margaret Mazzantini: Das schönste Wort der Welt

Margaret Mazzantini erzählt in diesem Roman rückblickend die Geschichte einer großen Liebe unter schwierigsten Bedingungen, der Zeit des jugoslawischen Bürgerkrieges. Der Roman beginnt in Rom. Die Protagonistin Gemma will ihrem Sohn Pietro seinen Geburtsort zeigen, wo sie die Liebe ihres Lebens und seinen Vater kennen gelernt hat, der nicht mehr lebt. Sie fliegen gemeinsam nach Sarajevo, wo sie während der olympischen Winterspiele 1984 den Fotografen Diego zum ersten Mal traf und lieben lernte. Aktueller Anlass für diese Reise ist eine Fotoausstellung Diegos zur Erinnerung an den Bürgerkrieg. Erwartet werden Mutter und Sohn von dem langjährigen Freund Goijko, der ihr damals noch zu friedlichen Zeiten den ungewöhnlichen Fotografen vorstellte.

Gemma wird von ihren Erinnerungen vehement eingeholt und lässt die Geschichte dieser Liebe von 1982 bis 1992, als Pietro geboren wird, in all ihren Facetten Revue passieren.

Das schönste Wort der Welt ist fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite, voller Gefühle und doch nicht kitschig. Das Buch erzählt vom Zusammenhalten, Freundschaft und Güte und öffnet der Leserin und dem Leser in bisweilen drastischen Schilderungen die Augen über die Realität des Bosnienkrieges.

Dieser Roman gehört zu den von mir am meisten verschenkten in den 2010er Jahren.

Nicht nur, wer wissen möchte, was das schönste Wort der Welt ist, sollte alle 700 Seiten in der sehr gelungenen Übersetzung von Karin Krieger lesen.

Der Roman wurde 2012 unter dem Titel Twice Born u. a. mit Penelope Cruz verfilmt, kam aber leider nie in die deutschen Kinos.

 

Asta Scheib: Jeder Mensch ist ein Kunstwerk. Begegnungen

In Jeder Mensch ist ein Kunstwerk. Begegnungen porträtiert Asta Scheib 20 unterschiedlichste Persönlichkeiten, Autorinnen und Autoren, Filmemacher und Schauspielerinnen. Sehr persönlich erzählt sie von ihren Erlebnissen mit den Männern und Frauen, denen sie in den Jahren von 1975 bis 1993 begegnet ist, u. a. Thomas Bernhard, Rainer Werner Fassbinder, Cornelia Froboess, Patricia Highsmith, Wolfgang Koeppen, Brigitte Kronauer, Hermann Lenz, Udo Lindenberg, Eva Mattes, Milva, Johannes Mario Simmel, Friedrich Torberg, Franziska Walser, Martin Walser, Wim Wenders, Anna Wimschneider.

„Es waren die Siebziger, Achtziger, ich war Zeitschriftenredakteurin, arbeitete später frei für Tageszeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Man hatte noch Zeit, seine Texte sorgfältig zu planen, ausgiebig zu recherchieren. Alle Persönlichkeiten, über die ich geschrieben habe, konnte ich aufsuchen, Stunden oder Tage mit ihnen verbringen …“, schreibt sie zu diesen Porträts. Jedem von ihr porträtierten Menschen begegnet Asta Scheib mit respektvoller Neugier. So entstehen sehr lebendige Darstellungen und einige der bereits verstorbenen Künstler*innen scheinen wieder aufzuerstehen. Leserin und Leser können bei der Lektüre durchaus das Gefühl entwickeln, bei den Interviews und Begegnungen mit dabei zu sein.

Zsuzsa Bánk: Die hellen Tage

Der Roman beginnt in den 1960er Jahren und erzählt über drei Jahrzehnte die Geschichte von drei Familien. ProtagonistInnen sind die Kinder Seri, Aja und Karl, die in einer süddeutschen Kleinstadt die hellen Tage ihrer Kindheit erleben. Objektiv betrachtet sind diese Tage jedoch alles andere als hell: Aja lebt mit ihrer Mutter in einer Baracke am Rande der Stadt. Der Vater ist Trapezkünstler im Zirkus und kommt nur einmal im Jahr für längere Zeit vorbei. Seris Vater ist kurz nach ihrer Geburt gestorben und Karls Bruder eines Tages spurlos verschwunden. Über die Kinder freunden sich zunächst zögerlich, aber dann sehr innig auch die Mütter an. Gemeinsam bringen sie den Mädchen und Karl bei, welche Schönheiten das Leben birgt und wie wichtig es ist, keine Angst zu haben. Die drei jungen Menschen gehen Jahre später auch gemeinsam zum Studium nach Rom, wo ihre Leben sich in ganz andere Richtungen entwickeln.

Den Zugang zu diesem Roman habe ich erst beim zweiten Anlauf und auf dringende Empfehlung einer guten Freundin gefunden. Voraussetzung für die Lektüre ist Ruhe und Muße, um sich auf die Sprache und die langsame Entwicklung der Handlung einlassen zu können. Aber dann gibt es kein Halten mehr!

 

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

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