In diesem Monat geht es weiter mit der Reihe Interviews mit Verlegerinnen aus unabhängigen Verlagen, diesmal mit Ursula I. Meyer vom ein-FACH-verlag in Aachen, einem philosophischen Fach- und Sachbuchverlag.
Doris Hermanns: Ursula, du bist Verlegerin beim ein-FACH-verlag. Seit wann gibt es ihn und was für ein Verlag ist das? Was macht ihr für Bücher?
Ursula I. Meyer: Uns gibt es seit 1989, kommt einer wie eine halbe Ewigkeit vor. Wir, das heißt, mein Mann und ich, haben den Verlag relativ kurz nach unserem Studium gegründet. Und das Philosophiestudium war auch der Auslöser dafür, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen hatten wir uns bei einem Forschungsprojekt kennengelernt, bei dem es um die Edition von Briefen eines verstorbenen Philosophen ging, insofern schon mal Verlagsluft geschnuppert. Zum anderen habe ich mich im Studium, bei Hausarbeiten und anderen Recherchen oft darüber geärgert, dass die Sekundärliteratur zu philosophischen Themen oder über einzelne Philosophen oft komplizierter geschrieben war als die Primärtexte. Und so entstand der Plan, einführende Literatur zu schreiben und zu verlegen, die verständlicher geschrieben ist, und so nicht nur für ein Fachpublikum, sondern auch für Laien zugänglich. Das erklärt auch den Namen ein-FACH-verlag.
Ich beschreibe uns gerne als philosophischen Fach- und Sachbuchverlag, darin ist eben der Anspruch der Verstehbarkeit enthalten. Und das erklärt auch gleich, welche Bücher wir machen. Allerdings hat sich im Laufe der Arbeit noch ein zweiter Schwerpunkt herauskristallisiert, nämlich die Philosophinnen.
DH: Wie kam es, dass du dich für die Spezialisierung auf Philosophie entschieden hast?
UIM: Meine Liebe zur Philosophie habe ich in meinem ersten Studium, einem Ingenieurstudium an einer FH, entdeckt. Sie kam über Umwege, denn ich bin von Science-Fiction-Literatur zu Staatsutopien und dann zum platonischen Staat gekommen. Und gerade Platons Texte, vielleicht auch wegen der Dialogform, haben mich besonders angesprochen. Um mich näher damit zu befassen, bin ich nach dem FH-Diplom an die Uni gegangen und habe Philosophie studiert.
DH: Welche Schwerpunkte oder Reihen hat der Verlag?
UIM: Wir haben einige einführende Texte zu verschiedenen Philosophen oder auch zu außereuropäischen Philosophien im Programm, dann habe ich vor einigen Jahren eine Serie begonnen, Der philosophische Blick auf … Darunter sind bereits zehn Titel erschienen. Inhaltlich reichen sie von Arbeit, Wirtschaft, Technik oder Kultur bis zum letzten, Der philosophische Blick auf die Menschenrechte.
Das ist die Linie der einführenden Texte. Inzwischen liegt unser Schwerpunkt aber auf den Philosophinnen. Das ist unsere wichtigste und umfangreichste Reihe.
DH: Es wird ja gerne behauptet, dass es keine Frauen in der Philosophie gäbe – dein Verlag zeigt das Gegenteil mit bis jetzt bereits über 40 Bänden zu Philosophinnen. Einige sind ja zumindest denen bekannt, die sich mit historischen Frauen beschäftigen, wie beispielsweise Charlotte Perkins Gilman und Mary Wollstonecraft. Wie spürst du diese Frauen auf? Und wie kommt es, dass diese hauptsächlich aus dem englischsprachigen Raum kommen?
UIM: Die Behauptung, die du erwähnst, war für mich ein wichtiger Anstoß, mich mit dem Thema zu befassen. Ich habe nämlich im Philosophiestudium, als es nur um Aristoteles, Kant und andere Altvorderen ging, den Dozenten gefragt, warum keine Frauen auftauchen. Und die Antwort war, es gäbe keine. Das konnte ich mir nicht vorstellen, zumal ich damals aktiv im Frauenzentrum in Würzburg war, wo wir auch über Bücher diskutierten und Simone de Beauvoir kannte ich nun auf jeden Fall.
Nachdem wir den Verlag gegründet hatten, fing ich an, mich auf die Suche zu machen, stellte allerdings schnell fest, dass es keinen zusammenfassenden Überblick über die modernen Philosophinnen gab, daraufhin habe ich die Einführung in die feministische Philosophie geschrieben. Danach kam relativ schnell das Philosophinnen-Lexikon, dafür war natürlich schon eine ausführliche Recherche nötig. Unterstützt hat mich dabei meine Mitherausgeberin Heidi Bennent-Vahle. Über meine Mitgliedschaft in der IAPh, der Internationalen Assoziation von Philosophinnen e. V. konnte ich dann eine ganze Reihe von Autorinnen für das Projekt gewinnen, und uns ist gemeinsam ein wichtiges Standardwerk geglückt, das wir inzwischen um ganz viele neu entdeckte Philosophinnen ergänzen könnten.
Der Eindruck, dass so viele Philosophinnen aus dem englischsprachigen Raum kommen, hat wahrscheinlich vor allem mit der besseren Forschungslage zu tun. Da in den USA an vielen Universitäten Women Studies angeboten werden und viel mehr veröffentlicht wird, kommen unheimlich viele Aufarbeitungen der Frauengeschichte von dort.
DH: Du bist nicht nur Verlegerin, sondern auch Autorin und veröffentlichst deine Bücher in deinem Verlag. Wie lässt sich das kombinieren?
UIM: Reibungsfrei geht das nicht. Das größte Problem ist die Zeit. Das Schreiben ist eine Leidenschaft von mir, die aber oft in den Hintergrund treten muss, um Texte zu redigieren oder Marketing zu machen.
DH: Wie unterscheidet sich dein Verlag als einer der unabhängigen von den Konzernverlagen? Warum sind die Indie-Verlage für dich wichtig?
UIM: Ein wichtiger Unterschied im Alltag ist sicherlich, dass ich praktisch alles selbst mache oder können will. In einem größeren Verlag wären einige Arbeitsbereiche bestimmt ausgelagert und würden zentral erledigt. Aber du spielst mit deiner Frage sicher nicht auf die Arbeitsabläufe, sondern auf die Inhalte an. Ich finde es immer besonders deutlich, wenn ich in Frankfurt auf die Buchmesse gehe. Dort teilen sich manchmal nur ein paar Mega-Stände eine ganze Halle und es wird einer erst bewusst, wer alles zu Bertelsmann oder Random House gehört. Denn eigentlich firmieren die abhängigen Konzernverlage ja noch unter ihrem früheren Namen und dass sie gar nicht mehr eigenständig sind, wird erst klar, wenn ihre Titel auf der Messe unter die großen Player subsumiert werden.
Wie stark sich die Konzern-Zugehörigkeit auf die Programmplanung auswirkt, kann ich nicht aus Erfahrung sagen. In meinem Verlag entscheide ich selbst, oder wir gemeinsam, welche Titel umgesetzt werden. Gehört ein Verlag zu einem Konzern, muss er dessen Leitlinien folgen, die sicherlich auch die Programmplanung betreffen.
Unabhängige Verlage bedeuten eine größere Vielfalt. Das muss nicht heißen, dass ich alles mag, was dort veröffentlicht wird, aber das Programm folgt keinen stromlinienförmigen Trends, sondern eckt auch mal an.
DH: Wie viele seid ihr im Verlag? Gibt es Festangestellte und/oder Honorarkräfte, zum Beispiel für das Lektorat oder Übersetzungen?
UIM: Wir „schmeißen“ den Laden zu zweit. Herstellung und Druck geben wir außer Haus, aber der Rest bleibt für uns. Für die Übersetzungen aus dem Englischen konnte ich eine ganz liebe Autorin gewinnen, Petra Altschuh-Riederer, mit der ich schon seit Jahren sehr gut zusammenarbeite.
DH: Wie sieht euer Programm aktuell aus? Was hat sich im Laufe der Jahre geändert? Was zeichnet es aus?
UIM: Dass sich der Schwerpunkt inzwischen zu den Philosophinnen verschoben hat, habe ich ja schon erwähnt. Das hat sich in den letzten Jahren intensiviert. Wir haben jetzt auch viele Übersetzungen von wichtigen Originaltexten mit aufgenommen.
Mir persönlich ist es immer wichtig, bei Philosophinnen noch mehr als bei Philosophen, das persönliche Umfeld einzubeziehen. Gerade bei den Frauen in der Geschichte, die nicht an einer Universität studieren durften, war ja die Unterstützung von Müttern, Vätern oder Ehemännern eine wichtige Voraussetzung, um überhaupt wissenschaftlich arbeiten zu können. Und solche Einflüsse prägen natürlich auch ihr Denken und sollten auch untersucht werden. Deshalb beleuchte ich in unserer neuen Serie PhilosophinnenLeben wie der Titel schon sagt, das ganze Leben einer Philosophin. Das fängt an mit der Prägung als Kind oder Jugendliche, geht über ihre Lektüre bis zum familiären Einfluss oder dem von Ehemännern. Ich beziehe auch immer Teile des Briefwechsels mit ein, denn gerade die Frauen in den besseren Kreisen haben ja mehrere Briefe täglich verfasst, und an ihnen lassen sich Alltag, aber auch Gemütslage oder philosophische Theorien nachvollziehen. Bezogen auf unseren Verlag kann man daran einen gewissen Wandel von den reinen Fachtexten hin zu einem ganzheitlicheren Bild erkennen.
DH: Was sind die Kriterien, nach denen ihr entscheidet, ob ihr ein Buch macht? Wie kommen die Bücher zu euch?
UIM: Eine wichtige Rolle spielt bei den historischen Titeln die Bekanntheit im deutschsprachigen Raum. Es gibt sehr viele Philosophinnen, die auch Frauenrechtlerinnen waren, die ich gerne mal machen würde, aber da sie in Deutschland kaum eine kennt, wäre der Absatz dieser Bücher schwierig.
Viele Titel kommen durch Anregungen von Autorinnen, die mir vorschlagen, mal dieses oder jenes Thema machen zu wollen. Manchmal rege ich auch selbst etwas an, aber nicht so oft, vor allem, da wir im Höchstfall drei Bücher im Jahr machen können.
DH: Gibt es ein Vetorecht bei euch, wenn eine oder einer ein Buch nicht machen möchte, wenn andere es wollen?
UIM: Meist sind wir uns erschreckend einig. Die Diskussionen über das Programm laufen ja zwischen meinem Mann und mir, und ehrlich gesagt setze ich mich mit meinen Ideen meistens durch. Aber wenn er etwas gar nicht wollte, würde ich wahrscheinlich nachgeben.
DH: Wie wichtig ist Feminismus für dich im Verlag?
UIM: Da ich mich selbst als Feministin bezeichnen würde, ist mir das auch für meine Arbeit wichtig. Inhaltlich bestehe ich bei Autoren nicht zwingend darauf, eine feministische Perspektive einzubeziehen, wir haben ja auch Bücher über indische Philosophie im Programm, darin taucht der Feminismus nicht auf. Bei Autorinnen erwarte ich auf jeden Fall eine Reflexion darauf, auch wenn eine vielleicht keine Feministin ist.
DH: Die Werke welcher Autorinnen waren und sind dir wichtig?
UIM: Für meine persönliche Entwicklung war vor allem Simone de Beauvoir entscheidend. Das andere Geschlecht habe ich verschlungen. Ich habe mich auch selbst mit meinem Titel Die andere Philosophiegeschichte daran angelehnt. Mir haben die französischen oder französischsprachigen Autorinnen immer gut gefallen. Vor allem ihre Art, ihre Theorien in einen Erzählstil zu verpacken und so auch einen niedrigschwelligen Einstieg in den Feminismus zu bieten. Moderne deutsche Philosophinnen sind meist eher akademisch. Das hat für meine Begriffe mit einem gewissen Ringen um Anerkennung zu tun, vielleicht interessiert das die Französinnen nicht.
DH: Was war für dich dein wichtigstes Buch im Verlag? Und warum? Welches hat sich am besten verkauft?
UIM: Das wichtigste Buch war sicherlich die Einführung in die feministische Philosophie. Zum einen für meinen persönlichen feministischen Reifungsprozess und zum anderen hat es den Grundstein für unsere Reihe Philosophinnen gelegt. Es hat sich außerdem am besten verkauft. Ich denke momentan über eine überarbeitete Neuauflage nach.
DH: Welches Buch hättest du gerne gemacht? Das kann ein existierendes sein oder eins, das du zu einer bestimmten Zeit gerne gemacht hättest, was aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht ging.
UIM: Ich hätte mal wieder Spaß an einer richtig ausgiebigen Forschungsarbeit, so wie Safranski mit seinen Texten über Goethe. Sich monatelang nur durch Archive und Briefe wühlen. Amalie Holst oder eine andere deutsche Philosophin würde sich dafür bestimmt gut eignen. Allerdings ist bei mir immer das Zeitproblem im Hintergrund, wenn es um ausgiebige Forschung geht.
DH: Und von welchem Buch findest du, dass es endlich mal eine schreiben sollte? Worüber würdest du gerne lesen?
UIM: Ich würde gerne mehr über die erste Frauenbewegung in Frankreich lesen. Ich habe das Gefühl, es klafft eine riesige Lücke zwischen Olympe de Gouges und Simone de Beauvoir, die würde ich gerne füllen. Leider sind meine eigenen Französischkenntnisse nicht ausreichend, um Originaltexte zu lesen, und es gibt sehr wenig darüber auf Deutsch.
DH: Was würdest du dir für die Zukunft wünschen? Für euren Verlag? Für unabhängige Verlage insgesamt?
UIM: Ich wünsche mir auf jeden Fall wieder mehr unabhängige Verlage, gerne auch ganz kleine wie uns, die sich trauen, ihre eigene Linie zu fahren. Allerdings ist der Druck der großen Verlage enorm, immer häufigere Neuerscheinungen, immer niedrigere Preise, zu denen wir mit niedrigen Auflagen kaum kostendeckend arbeiten können. Die Konzerne bauen einen enormen Wettbewerbsdruck auf, und auch wenn wir uns in einer Nische bewegen, konkurrieren wir ja trotzdem um die Leserinnen.
https://www.ein-fach-verlag.de/
Das Jahresthema der BücherFrauen ist 2021 „Unabhängige Verlage“. Dazu wird es monatlich ein Interview mit einer Verlegerin eines Indie-Verlags geben:
Januar: Ulrike Helmer vom Ulrike Helmer Verlag
Februar: Britta Jürgs vom AvivA Verlag
März: Kristine Listau vom Verbrecher Verlag
April: Silke Weniger von der edition fünf
Mai: Andrea Krug vom Verlag Krug & Schadenberg
August: Zoë Beck vom CulturBooks Verlag