Das Jahresthema der BücherFrauen ist diesmal „unabhängige Verlage“. Dazu wird es monatlich ein Interview mit einer Verlegerin eines Indie-Verlags geben. Den Anfang macht Ulrike Helmer, BücherFrau des Jahres 2009, vom Ulrike Helmer Verlag.
Doris Hermanns: Ulrike, dein Verlag (1987 gegründet) ist inzwischen der älteste noch existierende Frauenbuchverlag in Deutschland. Wie kam es dazu, dass du neben deiner Arbeit im Frauenbuchladen in Frankfurt (1981–1991) auch noch einen Verlag gegründet hast?
Ulrike Helmer: In den Siebzigern erschienen erste Bücher der feministischen Selbstvergewisserung. Frauenverlage wie „Frauenoffensive“ sorgten für Selbsterfahrungsliteratur und weiteten den Blick für Lebensweisen von Frauen; Großverlage witterten Geschäfte und starteten Frauen-Taschenbuchreihen. Damals wurde wirklich ein ganz großes Fass aufgemacht: Frauen gestern und heute, hier und in aller Welt. Für mich als Gesellschaftswissenschaftlerin faszinierend! Aber das Eis war sehr dünn, zu vielen Themen – etwa Frauen in der Geschichte und Literaturgeschichte – gab es kaum ein Buch. Mir fehlte es außerdem an feministischer Theorie, die Kritische Gesellschaftstheorie erweitern konnte. Das brachte mich auf Ideen …
DH: Heute ist viel von den Klassikerinnen die Rede, also von älteren Büchern von Frauen, die in ihrer Zeit bekannt waren, aber inzwischen aus der Literaturgeschichte entfernt wurden und die jetzt nicht gelesen werden können, weil sie nicht mehr lieferbar sind. Du hast aber damals gleich damit angefangen: Was hatte es mit der Edition Klassikerinnen auf sich?
UH: Frauenforschung und „Herstory“ standen Mitte der Achtziger ganz am Anfang, und die Euphorie des Entdeckens führte leider auch zu Verzerrungen oder fragwürdigen Heroisierungen. Als ich die stark gekürzte Lebensgeschichte der Vormärz-Autorin Fanny Lewald las, fragte ich mich, was da wohl alles gestrichen worden war. Also las ich die Originalausgabe – und hey, die Fanny Lewald hinter den Auslassungspunkten war eine ganz andere als die im goldenen Rahmen dieses Taschenbuchs! Sie wurde überhaupt erst in der Gesamtschau zugänglich. Da beschloss ich eine ungekürzte Ausgabe … so startete mein Verlag mit einer kommentierten Neuedition zentraler Werke von Fanny Lewald. Übrigens begann ich im Alleingang, weil niemand mittun wollte, weder andere Frauen noch Verlage, denen ich das Projekt anbot.
DH: Wie hat sich dein Programm im Laufe der Jahre geändert? Und wodurch?
UH: Neben der Edition Klassikerinnen war mir Feministische Theorie sehr wichtig. Schon 1989 kam Differenz und Gleichheit heraus, die Dokumentation einer Konferenz hochkarätiger internationaler Frauenforscherinnen. Über Jahre erschienen bei mir wissenschaftliche Hochschulreihen zur Frauen- und Geschlechterforschung, auch Dissertationen. Mit der Gender-Institutionalisierung fand eine starke Verwissenschaftlichung statt, begleitet von Entpolitisierung. Auch die Universitätenreform ließ unsere wissenschaftliche Publikationslust schrumpfen. Dafür verlegte ich mehr Sachbücher, Biografien und Belletristik, um Frauen in der Vielfalt zu zeigen. In der Folge waren wir vor allem mit unseren Lesbenromanen sehr erfolgreich. Die Edition Klassikerinnen wurde übrigens von der Möglichkeit kostenloser Downloads klassischer Texte ad absurdum geführt und fand so ihr trauriges Ende.
DH: Zu der Zeit, als du mit deinem Verlag angefangen hast, gab es noch mehr als 25 Frauenbuchläden in Deutschland. Heute sind nur noch wenige übrig geblieben. Hat sich dies auf die Verbreitung der Bücher aus deinem Verlag ausgewirkt?
UH: Ich habe dem Verschwinden zum Beispiel des Frauenbuchladens in Frankfurt lange nachgetrauert. Dort gab es eine geballte Kompetenz in Bezug auf viele Themen, dort wurde so manche Dissertation entworfen und es war außerdem immer ein ganz besonderer Ort der Frauen. Andererseits waren Frauenbuchläden oft wirtschaftlich nicht überlebensfähig. Mit dem Internet haben sich zudem auch Recherchemöglichkeiten stark vereinfacht – davor musste ja im Laden noch in dicken, mehrbändigen Katalogen des „Verzeichnisses lieferbarer Bücher“, VLB, und des Zwischenhandels nachgeschlagen werden! Unser Programm wurde nie allein in Frauenbuchläden, sondern auch in vielen anderen Buchhandlungen geführt, die anspruchsvolle und politisch relevante Bücher verkauften. Der Verlag hat mit der klassischen buchhändlerischen Vertriebsstruktur – Auslieferung (erst Sova, dann GVA, inzwischen Prolit), Lieferbarkeit über „Barsortimente“ und Verlagsvertretungen – schon immer jedem Sortiment, wenn es denn unser Programm führen will, professionelle Bezugswege und die üblichen Konditionen bieten können. Insofern in Abteilungen und Filialen von Buchhandelsketten selbst eingekauft wurde, gab es daher auch dort Buchhändler:innen, die Besuchstermine mit unseren Verlagsvertreterinnen vereinbart und eingekauft haben. Mehr Einfluss als das Frauenbuchladensterben auf den Absatz im Buchhandel hatten auf jeden Fall Digitalisierung und Internethandel.
DH: Wie unterscheidet sich dein Verlag als einer der unabhängigen von den Konzernverlagen? Warum sind die Indie-Verlage für dich wichtig?
UH: Unabhängige Verlage machen Bücher aus Überzeugung, Konzernverlage aus geschäftlichem Interesse. Aber das ist kein Scherenschnitt, in diesem Bild mischt sich Schwarz-Weiß! Was mitunter leider ein unschönes Grau ergibt … Sprich: Unabhängige werden wegen des Geldes zu Kompromissen gezwungen, Konzerne verwursten manches schöne und wichtige Buch. Indies leben in Zwischenzonen und beleben Zwischenzonen – sie sind keine reinen „Verwerter“, sondern „kulturtragend“, darum brauchen sie übrigens besondere finanzielle Sicherungen.
DH: Wie arbeitest du? Alleine, mit Festangestellter, mit Honorarkräften zum Beispiel für das Lektorat oder Übersetzungen?
UH: Im Verlag waren wir mal zu fünft, das fand ich anstrengend. Seit Jahren arbeite ich kontinuierlich mit ein oder zwei weiteren Frauen in Festanstellung plus Externen. Das ist natürlich vor allem ein Finanzierungsproblem. Keine Frage: Oft war die Arbeit nur mittels Selbstausbeutung zu stemmen. – Lektorat? Das wird im Helmer Verlag pingelig betrieben, meist von mir oder einer Mitarbeiterin, selten extern. Übersetzungen kamen bisher von wunderbaren freien Übersetzerinnen. Und auch ihre Arbeit wird pingelig lektoriert.
DH: Wie sieht dein Programm heute aus? Was hat sich geändert? Was zeichnet es aus? Was sind die Kriterien, nach denen du entscheidest, ob du ein Buch machst? Wie wichtig ist Feminismus für dich in deinem Verlag?
UH: Was das Programm auszeichnet, ist der Spagat zwischen Belletristik und Wissenschaft. Helmer ist gern theoretisch und gern unterhaltsam und immer feministisch. Die letzte Programmerweiterung hatten wir 2013 mit dem Label CRiMiNA. Und das, obwohl ich nie Krimis verlegen wollte! Aber meine Autor:innen haben mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Inzwischen macht es sogar Spaß, dieses Genre, das ja ganz und gar der Aufklärung verschrieben ist, zu erkunden und seine Grenzen zu testen.
Entscheidungen für Bücher fallen im Team: dann, wenn wir sie einfach machen müssen. Weil sie uns sprachlich, inhaltlich, politisch berühren – und natürlich hat das auch mit Feminismus zu tun bzw. mit einer Definition, die Männer und * nicht ausschließt. Feminismus steht für mehr Menschlichkeit und gegen Sexismus. Sexy kann es aber sein, leider verwechseln das viele.
Entscheidungen fallen für Werke neuer Autorinnen wie z. B. Waltraud Schwab, die ihr Romandebüt Brombeerkind (März 2021) bei uns haben wird, aber auch für neue Werke von Autorinnen, die seit Jahren unser Programm bereichern: etwa Carolin Schairer, Isabel Rohner oder Antje Schrupp. Mir liegt kontinuierliche Kooperation aus Vernunft sehr am Herzen.
DH: Die Werke welcher Autorinnen waren und sind dir wichtig?
UH: Eine Mutter liebt jedes ihrer Kinder :o)) Das gilt auch für „papierne Mädchen“ (Sophie von LaRoche). Im Ernst: Ich liebe den bewegenden Roman Aufzeichnungen eines Krokodils der lesbischen taiwanischen Kultautorin Qiu Miaojin in gewisser Weise ebenso wie Diogena, eine Satire über die Suche nach dem wahren Mann, von der preußisch gestrengen Fanny Lewald.
DH: Was war für dich dein wichtigstes Buch? Welches hat sich am besten verkauft?
UH: Am wichtigsten war nicht das, was sich am besten verkauft hat. Mir sind Bücher, zu denen ich aus Überzeugung stehe, selbst dann wertvoll, wenn sie keine Verkaufserfolge wurden. Wir haben versucht, sie am Markt zu platzieren. Wenn es nicht gelang, ist das traurig, liegt aber auch nicht unbedingt am Buch. Sehr gut verkaufen wir Lesbenromane, beispielsweise Ellen von Carolin Schairer, die zu unseren Erfolgsautorinnen zählt, aber auch Sachbücher der Bloggerin und Journalistin Antje Schrupp, zuletzt ihr Essay Schwangerwerdenkönnen.
DH: Welches Buch hättest du gerne gemacht? (Kann ein existierendes sein oder eins, das du zu einer bestimmten Zeit gerne gemacht hättest, was aber – aus welchen Gründen auch immer – nicht ging.)
UH: Oh, es gibt durchaus ein paar „Geliebte“ in anderen Häusern. Nun ist Käsebier erobert den Kurfürstendamm von Gabriele Tergit wieder lieferbar, das war lange vergriffen. Ich hatte es immer sehr gern im Frauenbuchladen empfohlen – schade, dass ich nicht selbst darauf kam, es neu zu verlegen! – Allen Ernstes habe ich mal einen Roman von Mirjam Müntefering abgelehnt, weil ich fand, er sei für uns zu sehr Jugendbuch. Zum Glück zählt sie längst zu unseren Autorinnen und hat z. B. ihren wunderbaren Roman Anders geht immer bei uns publiziert.
DH: Und von welchem Buch findest du, dass es endlich mal eine schreiben sollte? Worüber würdest du gerne lesen? Welche Themen liegen dir heute am Herzen, zu denen du dir Bücher wünschst?
UH: Schwierige Frage – schließlich bin ich Verlegerin, nicht Autorin. Wobei, auch ich habe ja einen Roman geschrieben und mir damit einen Wunsch erfüllt: Eva Hellers Bestseller Beim nächsten Mann wird alles anders vom Ende der Achtziger weiterzuschreiben. Mein Roman heißt Beim nächsten Mann bleib ich solo und mein Pseudonym Hella Heller. Ansonsten gilt für mich eher: Schreibideen sollen andere haben. Wir prüfen dann die Manuskripte. Erst einmal wünsche ich mir ein Ende von Corona. Dann werden wir uns in eine neue, hoffentlich wieder maskenlose Realität tasten können und die Fantasie darf sich frei bewegen! Und uns überraschen.
DH: Was würdest du dir für die Zukunft wünschen? Für deinen Verlag? Für unabhängige Verlage insgesamt?
UH: Mehr Mut, mehr Neugier. Bei Leser:innen, bei Buchhändler:innen, in Redaktionen. Weniger Schablonendenken. Für meinen Verlag wünsche ich mir und allen, die hier mitarbeiten, dass es weitergehen kann und wir das ein oder andere Projekt wagen können. – Unabhängigen Verlagen wünsche ich, in den gesellschaftlichen Wogen zunehmend individualisierter Wahrnehmung nicht unterzugehen. Es sollte nicht schon im November auf Social-Media-Kanälen und sogar aus Redaktionen tönen: „Hier sind die wichtigsten Bücher fürs Frühjahr“ – obwohl die Programmvorschauen vieler unabhängiger Verlage noch gar nicht verschickt waren.
DH: Vielen Dank für den Einblick in deinen Verlag, liebe Ulrike!
Website des Verlags: https://www.ulrike-helmer-verlag.de/
27. Januar 2021 um 23:13
Sehr schönes Porträt von Ulrike Helmer und ihrem Verlag! Ich habe auch noch Neues erfahren, obwohl ich den Verlag von Anfang an im Blick hatte – ich erinnere mich noch gut daran, wie Ulrike das erste Mal auf der Frankfurter Buchmesse auftrat – sehr professionell und sehr feministisch (was damals nicht zwangsläufig Hand in Hand ging) und alles in einem gewagten Lindgrün: der fein gestylte Stand, die Bücher und die Verlegerin im dazu passenden Outfit. Sehr eindrucksvoll! Und inhaltlich habe ich Ulrikes Mut, mit Fanny Lewald und einer Edition Klassikerinnen zu starten, sehr bewundert. Ich freue mich sehr, dass sie mit dem Ulrike Helmer Verlag nun schon über dreißig Jahre lang erfolgreich ist!