Wo viele gerade die meiste Zeit zu Hause verbringen und oft mehr Lesezeit als sonst haben, können nicht genügend Bücher vorgestellt werden. Heute dann von Anja Lösch, der Leiterin eines Presse & PR-Teams. Bei den BücherFrauen war sie bei der Regionalgruppe Rhein-Neckar zwei Jahre lang Regionalsprecherin (2008-2010) und anschließend bis 2012 überregionale Pressefrau der BücherFrauen.
Anja Lösch:
PR-Beraterin (DUK), Ausbildung zur Buchhändlerin, Studium Volkskunde und Politikwissenschaften in Tübingen und Hamburg, seit 2014 bei Beltz& Gelberg, wo sie das Presse & PR-Team der Verlagsgruppe Beltz in Weinheim leitet.
Einleitung:
Als Leserin bin ich ziemlich wahllos, das heißt, es gibt keine bestimmte Richtung oder Literatur, die ich bevorzuge. Es bedeutet nicht, dass ich alles lese, aber es gibt wenig feststehende Ausschlusskriterien. Ein Ergebnis dieses Wahllosen ist die fehlende Eindeutigkeit, die für solche Listen gebraucht wird. Auch fehlen mir jegliche intellektuelle Kriterien für die Auswahl und Begründung. Aber sei’s drum, hier meine drei Autorinnen und Bücher:
Drei Autorinnen
Maria Barbal (geb. 1949)
Auf Maria Barbal bin ich während eines Urlaubs in Barcelona gestoßen; an einem Buchstand auf der Rambla. Was für ein Klischee…
Nachdem ich mühsam den Klappentext von Pedra de tartera (Wie ein Stein im Geröll) entziffert hatte, entschloss ich mich, das Buch zu kaufen, in der irrigen Annahme, dass der Rest des Textes sich mir auch irgendwie erschließen würde. Mit rudimentären Spanisch-Kenntnissen ein Buch auf catalan lesen zu wollen – was für eine beeindruckende Selbstüberschätzung. Das Experiment ist krachend gescheitert, aber Maria Barbal ist mir geblieben. In der deutschen Version bin ich begeistert in das Leben von Conxa eingetaucht, ihren kargen Alltag im Bergdorf der katalanischen Pyrenäen, in einer von Männern bestimmten Ordnung, die der Bürgerkrieg nicht zum Vorteil der Bewohner_innen nachhaltig zerstört. Diese Verbindung von großen Ereignissen spanischer Geschichte im 20. Jahrhundert mit dem Leben der Menschen ist Barbal, meiner Ansicht nach, einfach großartig gelungen, in all ihren Büchern.
Irgendwann in der Oberstufe spielte ich kurzfristig mit dem Gedanken, Journalistin werden zu wollen. Damals schenkte mit ein Freund die Portraits von Djuna Barnes. Ein gutes Geschenk von einem offensichtlich guten Freund. Jedenfalls war ich sofort begeistert. Nicht nur von den Portraits der Tänzer_innen, Schauspieler_innen, Künstler_innen, sondern von der Art, wie Barnes diese vorstellt. Über ihre journalistischen Arbeiten bin ich auf ihre Erzählungen gestoßen, u. a. Paprika Johnson und andere Stories, und schließlich bei ihrem autobiographischen Roman Ryder gelandet. Eine unfassbar mitreißende Erzählerin mit einem, auch nach heutigen Maßstäben, ungewöhnlichen Lebensweg. Eine Auswahl der Portraits ist übrigens bei Wagenbach Salto unter dem Titel Solange es Frauen gibt, wie sollte da etwas vor die Hunde gehen“ erschienen. Na, bitte.
Mirjam Pressler (1940-2019)
Mirjam Pressler musste ich erst persönlich kennenlernen, bevor ich ihre Bücher gelesen habe; dabei hat sie fast 50 Bücher, vorrangig für Kinder und Jugendliche, geschrieben. Gelesen hatte ich freilich schon vorher Texte von ihr, ihre genialen Übersetzungen nämlich, von Amos Oz oder Zeruya Shalev.
Ihre Übersetzung des Judas von Amos Oz war es schließlich auch, die mir zwei wirklich denkwürdige Messetage bei der Leipziger Buchmesse 2015 bescherte. Mirjam Pressler gewann in diesem Jahr den Preis der Leipziger Buchmesse für diese Leistung, und ich durfte sie zu diversen Interviews, Lesungen und anderen Terminen begleiten. Intensive Tage mit hohem Zeitdruck, den Mirjam mit einer erstaunlichen Ruhe, ebensolchem Humor und zig Zigarettenpausen hinter sich brachte. Sehr lustige Tage auch, an die ich gern zurückdenke. Im Anschluss habe ich mich durch einige ihre Bücher gelesen, angefangen von Shylocks Tochter, über Malka Mai zu Nathan und seine Kinder und natürlich Dunkles Gold – und war gar nicht mehr überrascht, dass diese Jugendbücher eine für jedes Alter passende Lektüre sind.
Drei Bücher
Die Geschichte von Lily Bretts Buch ist schnell erzählt: Ruth, eine erfolgreiche New Yorkerin, Tochter zweier Auschwitz-Überlebender, fährt mit ihrem Vater nach Polen, auf den Spuren der Vergangenheit, um die Familiengeschichte besser kennen zu lernen, vielleicht zu verstehen, dem Vater wieder näher zu kommen. Eine Beschreibung des Inhalts würde länger dauern. Was sich alles hinter der Reise und zwischen den Zeilen verbirgt, ist nicht so einfach in Wort zu fassen.
Zu viele Männer spielt auf die vielen Menschen an, die einfach zugeschaut haben oder die Vernichtung ihrer Nachbarn unterstützt haben, die auch zum Zeitpunkt der Reise noch nicht verstanden haben, was eigentlich an dem bisschen Antisemitismus so schlimm sein soll. Solche Begegnungen lassen nicht nur die Protagonistin sprachlos und vor allem wütend zurück.
Daneben steht die Annäherung von Ruth und ihrem Vater. Die beiden kommen sich auf der Reise tatsächlich wieder näher. Was nicht nur Ruth, sondern auch die Leserin mit einem Hoffnungsfunken zurücklässt.
Sommer 2002 und es regnet! Der Regenroman von Karen Duve ist für mich eng mit diesem Sommer verbunden. Ich lebte seinerzeit auf Wohnungssuche in der Wohnung von Freunden in Bremen-Riensberg. Wer den Stadtteil kennt weiß, dass es dort viele alte Häuser mit riesigen Gärten gibt. Besagte Wohnung war ein kleine Einliegerwohnung in einem schönen Haus, mit einem riesigen Garten, fast schon ein Park. Wenn ich morgens zur Arbeit radelte, regnete es, auf dem Rückweg auch. Der Garten/Park war nass, der Boden schmodderig mit der Zeit, es war kalt – und es regnete. Irgendwann verschmolzen die Handlung und meine Umgebung und Lebenssituation so, dass ich das Buch zur Seite legen musste … Zum Glück habe ich es wenig später fertig gelesen.
Renata Vigano: Agnese geht in den Tod
Die Geschichte von Agnese, der einfachen Wäscherin, die durch den Tod ihres Mannes zur Partisanin wird, ist von der ersten bis zur letzten Seite wundervoll. Ich kann es nicht anders beschreiben. Vigano versteht es ohne Schnickschnack, die Selbstverständlichkeit zu beschreiben, die Agnese zu ihrem Handeln treibt. Sie macht es einfach, auf ihrem klapprigen Rad an den deutschen Wachposten vorbei zu radeln, im Korb Lebensmittel, im Kopf Nachrichten für die Partisanengruppen irgendwo hinter den Deichen. Immer wieder stockt der Atem bei ihren abenteuerlichen Unternehmungen und die Leserin sorgt sich um Agnese, ihr krankes Herz, die Partisanen, für die Agnese fast mütterlich sorgt. Eine Widerstandsgeschichte ohne Helden und große Worte, für alle geschrieben, die sich wie Agnese einfach auf ihr Fahrrad gesetzt haben.
10. Mai 2020 um 12:10
Was für schöne persönliche Empfehlungen, liebe Anja, herzlichen Dank! “Ryder” habe ich grad eben bestellt. “Solange es Frauen gibt, wie sollte da etwas vor die Hunde gehen” – genau!