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Drei Autorinnen – drei Bücher: Barbara Miklaw

| 13 Kommentare

Diesen Monat stellt uns die Verlegerin Barbara Miklaw grenzübergreifend Bücher aus den unterschiedlichsten Bereichen vor: von Kinderbüchern über georgische bis zu brasilianischer Literatur, ergänzt durch Deutschsprachiges.

Foto: privat

Statt Literaturwissenschaft, wie eigentlich gewollt, studierte Barbara Miklaw Wasserbau an der TU Dresden und später berufsbegleitend öffentliches und privates Baurecht. Sie arbeitete als Planerin, Gutachterin und Projektsteurerin, ab 2003 freiberuflich als beratende Ingenieurin und Lektorin für Fachbuchverlage, ab 2009 auch als Lektorin für Belletristik. 2011 gründete sie den unabhängigen Mirabilis Verlag, der Mitglied im Freundeskreis der Kurt Wolff Stiftung ist und jährlich vier bis fünf Bücher herausbringt. Nach Stationen in Meißen, Bautzen, Dresden und Berlin lebt sie in Miltitz bei Meißen. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne.

 

 Drei Autorinnen

Clarice Lispector (1920 – 1977)

Clarice Lispector wurde als dritte Tochter russisch-jüdischer Eltern in der Ukraine geboren. Die Familie flüchtete vor antisemitischen Pogromen über Hamburg nach Brasilien, lebte zunächst in Recife und zog dann später nach Rio de Janeiro. Clarice Lispector studierte Jura, damals in Brasilien ungewöhnlich für eine Frau, und arbeitete anschließend als Lehrerin und Journalistin. Sie heiratete 1943 den Diplomaten und späteren Botschafter Maury Gurgel Valente, mit dem sie zwei Söhne hatte und von dem sie sich 1959 wieder scheiden ließ. Ebenfalls 1943 begann sie, dreiundzwanzigjährig, ihren ersten Roman zu schreiben: Nahe dem wilden Herzen (Übersetzung: Ray-Güde Mertin und Corinna Santa Cruz). Ein Buch, das sofort großes Interesse fand, wegen des ungewöhnlich tiefgründigen und offenen Erzählens der Empfindungen einer Frau, wegen der außergewöhnlichen Sprachkunst. Es folgten weitere Romane und die Veröffentlichung sämtlicher Erzählungen in zwei Bänden: Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau (Übersetzung: Luis Ruby), Aber es wird regnen (Übersetzung: Luis Ruby). Gerade auch die Erzählungen sind faszinierend: das Eintauchen in eine Gedankenwelt, die zutiefst vertraut erscheint und doch überrascht, die nicht mehr loslässt. Geschrieben in einer klaren Sprache, die auch das Komplexe einfach erscheinen lässt.

 

Elizabeth Shaw (1920 – 1992)

Elizabeth Shaw wurde in Belfast geboren und lebte ab 1933 mit ihrer Familie in England, wo sie von 1938 bis 1940 an der Chelsea School of Art in London studierte. Nach dem Kriegsdienst lernte sie den deutschen Bildhauer und Maler René Graetz kennen, heiratete ihn 1944 und zog 1946 mit ihm nach Berlin-Zehlendorf. Das Paar hatte zwei Kinder: Anne und Patrick. In Berlin arbeitete Elizabeth Shaw als Zeichnerin und Illustratorin, zunächst für den „Ulenspiegel“, später für den „Eulenspiegel“ und die Zeitung „Neues Deutschland“. Sie illustrierte Texte von Bertolt Brecht, James Krüss, Mark Twain und vielen anderen Autoren. Und sie schrieb auch eigene Kinderbücher, die sie selbst illustrierte. Das erste, Der kleine Angsthase, erschien 1963 im Kinderbuchverlag Berlin (und als The Timid Rabbit bei O’Brien Press in Dublin). Ein Buch, das mit seiner liebevollen Erzählung und den bezaubernden Zeichnungen sofort die Herzen von Kindern und Erwachsenen eroberte und immer noch erobert. Ich liebte es als Kind, ich las es meinen Kindern vor und meine Enkelkinder werden es sicher einmal ebenso lieben, wie auch die anderen Bücher von Elizabeth Shaw.

 

Eva Strittmatter (1930 – 2011)

Eva Strittmatter wurde in Neuruppin (Brandenburg) geboren, studierte in Berlin Germanistik und arbeitete als Lektorin beim Schriftstellerverband der DDR und dem Kinderbuchverlag Berlin, ebenso als Gutachterin und Literaturkritikerin. Ab 1954 war sie freie Schriftstellerin und verfasste vor allem Prosa. Nach einer ersten, sehr früh geschlossenen Ehe, die nicht lange hielt, heiratete sie 1956 zum zweiten Mal – den in der DDR sehr bekannten und preisgekrönten Schriftsteller Erwin Strittmatter, in dessen Schatten sie lange stand. Die Strittmatters hatten drei gemeinsame Söhne und Evas Sohn Ilja aus erster Ehe. Sie lebten in Schulzenhof bei Gransee (Brandenburg), zwischen Seen und Wäldern mit vielen Tieren auf dem Hof und wurden gern von FreundInnen, SchriftstellerInnen und anderen Kunstschaffenden besucht. Doch diese Idylle hatte viele schmerzliche und aufwühlende Risse, vor allem im Ehe- und Familienleben. Im Gespräch mit der Autorin Irmtraud Gutschke erzählte Eva Strittmatter davon (Eva Strittmatter. Leib und Leben).

Dass Eva Strittmatter auch Gedichte schrieb, erfuhr selbst ihr Mann erst nach mehreren Jahren des gemeinsamen Lebens. Zu ersten Veröffentlichungen kam es 1966 in der Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“, 1973 erschien der erste Lyrikband Ich mach ein Lied aus Stille. Es folgten weitere Lyrikbände, die immer schnell vergriffen waren und ihr zunehmend Aufmerksamkeit brachten. Im ersten Band der Briefe aus Schulzenhof (1977) schreibt Eva Strittmatter, dass sie sich im Gespräch praktisch nie über Gefühle äußere und Worte wie „Liebe“ in ihrem Haus nicht üblich seien. All das, was sie im tiefsten Innern empfand, aber im Alltag nicht aussprach, fließt in und aus ihren Gedichten – zart, feinfühlig, poetisch.

Drei Bücher

Doris Lessing: Das Tagebuch der Jane Somers

Janna ist sehr gepflegt, attraktiv, im mittleren Alter, und sie hat einen Traumjob als stellvertretende Herausgeberin einer bekannten Modezeitschrift. Ihr Leben ist nahezu perfekt. Nur zwei Irritationen gab es bisher darin: die Krankheit ihres Mannes Freddy, über die bis zu seinem Tod nicht gesprochen wird, denn körperliche Gebrechen sind Janna zuwider. Und die Erkrankung ihrer Mutter, bei der Janna sich um etwas mehr Mitgefühl bemüht, was ihr jedoch nur ansatzweise gelingt. Sie fühlt sich deshalb ein bisschen schäbig, doch sie liebt auch ihr schönes, glattes Leben und empfindet Unangenehmes als unfair – ihr gegenüber. Eines Tages trifft sie Maudie Fowler, eine einundneunzigjährige Frau, die säuerlich nach Alter, Armut und fehlender Pflege riecht, die aber eigensinnig, stolz und wütend ist. Janna begleitet sie spontan nach Hause, in eine schmutzige, verwahrloste Wohnung. Sie fühlt sich abgestoßen, aber dennoch ist sie von Maudie eingenommen, die sich beharrlich weigert, ins Krankenhaus oder gar ein Altersheim zu gehen. Sie sehen sich fortan öfter und mit diesen Begegnungen ändert sich Jannas Leben, obwohl sie sich zunächst dagegen sträubt.

Beeindruckend erzählt von der Nobelpreisträgerin Doris Lessing – und nach wie vor aktuell, übersetzt von Barbara Schönberg.

 

Salome Benidze: Die Stadt auf dem Wasser

Der Traum einer namenlosen Erzählerin – ein Traum von Daniel und dem Tod, von der Kühle des Nordens und dem Wasser, das Gabriel zu ihr bringt, der Führer der Karawane. Gabriel, an dessen Schulter sie die Augen schließen und erwachen kann. – Diesem Traum folgen sieben Erzählungen über außergewöhnliche Mädchen und Frauen. Lydia, die auf dem Wasser treiben kann zu André und in deren Familie Schweigen herrscht, weil die Mutter sich verloren hat. Efi, die der Mutter, die sie nie kennengelernt hat, Briefe schreibt. Ilaria, die aus dem Wasser kommt und nach der einen Liebe sucht. Helena, die ein größeres Geheimnis ist als das Geheimnis der Familienrezepte. Katharina, die Architektin werden möchte und Angst vor dem Wasser hat, während der See seine Arme für sie öffnet. Maria, die im Wasser ihre Schönheit findet. Anna-Ulrike, die voller Schmerz ist. Und doch fügt und rundet sich alles mit ihr.

Sieben Erzählungen, die den Duft von Orangen, von Zitronen und Berberitzen, von Pfirsichen und Mandeln in sich tragen, den Silberschein des Mondes und den Zauber des Wassers, das alles verbindet. Die junge georgische Autorin Salome Benidze verwebt mit großem Feingefühl Tradition und Gegenwart, Traum, Märchen, Sagen und Realität zu einem bemerkenswerten Buch, das man nach dem Lesen noch lange in Gedanken behält.

Die Stadt auf dem Wasser wurde von Iunona Guruli ins Deutsche übersetzt und von Tatia Nadareischwili kongenial illustriert.

 

Simone Scharbert: du, alice. eine anrufung

Wer bist du, Alice? Eine überaus kluge und hochsensible Frau, die durch die Konventionen des 19. Jahrhunderts, durch die Familie und durch Krankheit eingeschnürt wird wie durch Krinolinen und Stiefel. Ein wacher und weiter Geist, der versucht, den Begrenzungen zu entkommen und eine für Frauen damals unübliche Bildung zu erlangen. Und während ihren Brüdern Henry und William James Aufmerksamkeit und Anerkennung nicht versagt bleiben, wird Alice James erst 1934 postum durch die Veröffentlichung ihrer Tagebücher bekannt.

„eine anrufung“ nennt Simone Scharbert ihr mitreißendes Buch, das sich sehr einfühlsam, poetisch und stark an Alice James persönlich richtet und die Lesenden von der ersten Zeile an nicht mehr loslässt.

„du liest. schon als kind liest du gern. lernst die buchstaben und fügst sie zu reihen, die dir halt geben, ein geländer, an dem du durch deine tage gehst. aus worten werden sätze, aus sätzen werden fragen. und da du keine antworten erhältst, beginnst du zu schreiben. papier brauchst du dafür keines, du schreibst mit deinem körper, schreibst dich in den raum. wirst selbst zur frage. hörst zu, zeichnest auf. sammelst das wissen um dich, saugst es mit deinem atem ein.“

 

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

13 Kommentare

  1. du, alice

    das will ich lesen!

  2. Herzlichen Dank für alle diese Empfehlungen.

    Sofort notierte ich mir das Buch von Doris Lessing, schon deshalb, weil es so oft gelesen anmutet 😉

    • Es wurde wirklich schon oft gelesen (und auch verliehen). – Eure interessierten Reaktionen finde ich ganz großartig, danke sehr. Viel Freude beim Lesen!!

      • Danke, liebe Barbara! Heute erfuhr ich in der Buchhandlung, dass das Buch im Handel nicht mehr zu haben ist und bestellte es nun mit einem völlig anderen Cover antiquarisch. Wat mut dat mut 🙂

        • Oje … Die Verfügbarkeit im Handel hatte ich nicht recherchiert. Sorry, liebe Evelyn. Aber auch ein antiquarisch bestelltes Exemplar sieht bestimmt frischer aus als meins 🙂 Und das Lesen lohnt sich ohnehin. Ich hoffe, Du magst das Buch auch gern.

    • Liebe Evelyn, Buch kam heute via booklooker und gerade habe ich die ersten 100 Seiten verschlungen. Ein richtig großes Vergnügen, für Dich hoffentlich auch. Herzlich Gabrielle

      • Du hast es echt gut, liebe Gabrielle … Mal schauen, wann der Schweizer Antiquar über buchfreund liefert, wo ich heute das erste Mal aufgeschlagen bin. Doch dann werde ich auch schlingen, denke ich mal 🙂

  3. Immer wieder gibt es bei 3:3 Unbekanntes und Überraschungen – DANKE.
    Mein spontaner Impuls: Doris Lessings Tagebuch der Jane Somers.

  4. Ach Gabrielle, Du hast wie ich spontan die gleiche Wahl getroffen … Zwei Seelen, ein Gedanke 🙂

  5. Wunderbare Empfehlungen! Doris Lessing und du, alice möchte ich demnächst unbedingt lesen.

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