Sommerzeit – Lesezeit! Heute stellt uns die zweite Vorsitzende der BücherFrauen, Brigitte Jetschina, ihre Auswahl vor – eine bunte Mischung: von Fantasy und Science-Fiction über Krimis bis hin zu Literatur. Es ist also für alle etwas dabei.
Brigitte Jetschina ist Referentin für Berufsbildung und Assistentin der Geschäftsführerin beim Börsenverein Baden-Württemberg. Bei den BücherFrauen betreut sie seit Januar 2016 die Social-Media-Kanäle, seit November 2017 ist sie die zweite Vorsitzende.
Drei Autorinnen
Marion Zimmer Bradley (1930–1999)
1982 erschien Die Nebel von Avalon, die Artus-Sage aus der Sicht seiner Schwester Morgaine. Ich war begeistert. Einige Zeit später entdeckte ich den Namen der Autorin auf einem Buch, das ich mir u. a. wegen des Covers sonst nicht gekauft hätte: Gildenhaus Thendara, ein Fantasy-Roman um Frauen, die sich in der streng patriarchalisch geordneten Welt des Planeten Darkover ihren eigenen Freiraum schaffen. Seit diesem Moment war ich Fan der Darkover-Welt. Bis dahin waren Fantasy und Science-Fiction vorwiegend männlich besetzt, Marion Zimmer Bradley schuf starke Heldinnen, mit denen ich mich identifizieren konnte. Der Darkover-Zyklus ist sicherlich keine große Literatur, transportiert aber über spannende Geschichten Themen wie Feminismus und Toleranz und hat außerdem bei mir die Lust an Fantasy-Geschichten geweckt.
Dorothy Leigh Sayers (1893–1957)
Mein Englischlehrer in Klasse acht ist wahrscheinlich schuld an meiner Leidenschaft für Krimis: Dorothy L. Sayers’ Murder must Advertise (deutscher Titel: Mord braucht Reklame) hat mich selbst als Schullektüre fasziniert. Der reiche und kluge Amateurdetektiv Lord Peter Wimsey, der auf Konventionen pfeift, gefiel mir sehr, und zum Glück gab es in der Gemeindebücherei Nachschub. Alle elf Romane waren vorhanden, spannend und unterhaltsam. Als die Schriftstellerin Harriet Vane ins Spiel kam (in Starkes Gift), mochte ich Lord Peter dafür, dass er sich in eine intelligente, unabhängige Frau verliebte, nur noch mehr. Dorothy L. Sayers bekam 1920 als eine der ersten Frauen einen akademischen Grad in Oxford verliehen, fünf Jahre, nachdem sie ihr Examen in mittelalterlicher Literatur dort abgelegt hatte. Im Roman Aufruhr in Oxford lässt sie Harriet Vane an ihren Studienort zurückkehren. Ihre eigenen Erfahrungen mit dem Leben an der Universität sind darin verarbeitet, das Recht von Frauen auf Bildung und eigenständiges Leben ein großes Thema.
Malla Nunn
Malla Nunn habe ich erst vor Kurzem entdeckt. Sie wurde in Swasiland geboren, ihre Familie emigrierte noch während ihrer Kindheit nach Australien, wo sie auch heute lebt. Auch Malla Nunn schreibt Kriminalromane, sie spielen im Südafrika der 50er-Jahre, in den Anfängen der Apartheid. Der englische Detective Emmanuel Cooper und der schwarze Constable Shabalala lösen nicht nur Kriminalfälle. Sie versuchen, in einer Welt voll himmelschreiender Ungerechtigkeit, Korruption, Hass und Gewalt zu überleben und Mensch zu bleiben. Erzählt in einer dichten, großartigen Sprache (wunderbar übersetzt von Laudan & Szelinski bzw. Armin Gontermann), sorgte bei mir jeder der vier bisher erschienen Romane für bittere, hilflose Wut, vor allem mit dem Wissen, dass dieser Zustand in Südafrika jahrzehntelang anhielt. In diesen Büchern fühlt man sich mittendrin im Geschehen und kann sich kaum davon lösen. Trotz aller Wut und Traurigkeit, die sie auslösen, wünsche ich mir Fortsetzungen. Schließlich endet der Debütroman mit dem Satz des geschlagenen Emmanuel Cooper: „Was blieb einem schon anders übrig, als wieder aufzustehen und erneut gegen die ganze Welt anzutreten?“
Drei Bücher
Margaret Forster: Es sind die Töchter, die gefressen werden
Der Titel hat mich in das Buch gezogen, er trifft es ganz konkret: Angela, Mitte 30, Ehefrau, Mutter von vier Kindern, Lehrerin, Tochter. Sie versucht, allen gerecht zu werden, und verzweifelt oft genug daran. Ihre Bemühungen, der pflegebedürftigen Mutter das Leben zu erleichtern, scheitern an deren Märtyrertum und an dem fordernden Vater, der immer alles besser weiß. Die unverheiratete, kinderlose Schwester kritisiert sie bei jedem Treffen. Die pubertierende Tochter, die sie bewusst ohne Pflichten erzogen hat, verhält sich ihr gegenüber aufsässig und ablehnend. Ihre eigenen Bedürfnisse kommen immer zu kurz und sie plagt sich eigentlich ständig mit Schuldgefühlen. Beim Lesen fühlt man einerseits mit ihr mit, andererseits möchte man sie ununterbrochen schütteln (die anderen übrigens auch). Ich habe das Buch mit Mitte 20 gelesen und erst vor einigen Jahren wieder. Beide Male, obwohl in völlig verschiedenen Lebenssituationen, traf zu, was Sybil Gräfin Schönfeldt im Vorwort schreibt: „In ihrem Roman kämpfen drei Frauengenerationen um Freiheit und Liebe, und wer eine Mutter hat oder hatte, wird – zumindest für Augenblicke – sein eigenes Leben wieder erkennen.“ Übersetzt wurde das Buch von Margarete Längsfeld.
Noch eine Mutter-Tochter-Geschichte, diesmal aus Sardinien: Die alte Schneiderin Bonaria Urrai nimmt die sechsjährige Tochter einer armen Witwe zu sich. Für die eigenwillige Maria ist es ein Glück, ihre Pflegemutter legt viel Wert darauf, dass sie zur Schule geht. Aber Bonaria hat Geheimnisse: Manchmal wird sie nachts abgeholt, und am nächsten Tag erfüllt die Totenklage das Dorf: Die Accabadora, wörtlich „Die, die es beendet“, erlöst die Sterbenden auf ihren Wunsch hin von ihren Leiden. Als Maria das Geheimnis entdeckt, verlässt sie die Pflegemutter und das Dorf. Die Begegnung mit der strengen, archaischen Welt des sardischen Dorfes in den 50er- und 60er-Jahren und die Auseinandersetzung mit der Frage nach selbstbestimmten Sterben, erzählt in einer sehr klaren Sprache, hat mich lange beschäftigt. Übersetzt wurde der Roman von Julika Brandestini.
Julie Otsuka: Wovon wir träumten
Ganz zufällig bin ich über das Büchlein gestolpert, das ich beinahe atemlos in einem Zug durchgelesen habe: Anfang des 20. Jahrhunderts verließen viele junge Japanerinnen ihre Heimat, um in Amerika japanische Einwanderer zu heiraten, die sie bis dahin nur von Fotos kannten. Der Roman erzählt eindringlich und berührend von ihren Hoffnungen und ihren Enttäuschungen. Von ihren unterschiedlichen Schicksalen und Erfahrungen in den USA. Und von ihrer Ächtung nach Pearl Harbour. Die unglaubliche Intensität erreicht Julie Otsuka vor allem durch die ungewöhnliche Erzähltechnik und durch wundervolle Sätze, die die Übersetzerin Katja Scholz mit viel Fingerspitzengefühl ins Deutsche übertragen hat.
Fotos: © Brigitte Jetschina