Auch im neuen Jahr geht es weiter mit den Bücher-Empfehlungen und Autorinnen-Tipps, in diesem Monat von der Lektorin und Übersetzerin Britta Fietzke.

alle Fotos: Britta Fietzke
Britta Fietzke hat sich im Herbst 2018 als Lektorin und Übersetzerin im Sach- und Fachbuchbereich selbstständig gemacht: Lektorat Sach|Verstand. Davor war sie im Verlagswesen angestellt. Von 2015 bis 2019 war sie im Vorstand der Jungen Verlagsmenschen tätig, zuletzt als 2. Vorsitzende. Ebenso lange ist sie Mitglied der Bücherfrauen und freut sich über das aktive wie freundschaftliche Netzwerk. Privat liest sie viel Belletristik und bespricht diese sowohl auf ihrem Instagram-Account als auch in dem Bloggerkollektiv We Read Indie.
Ich möchte an dieser Stelle drei Bücher und drei Autorinnen vorstellen, die mich auf die eine oder andere Art und Weise geprägt haben – teils bereits vor vielen Jahren, teils erst 2019. Bei vier der Autorinnen war ich auf Lesungen, bei einer ist es leider lange nicht mehr möglich (auch wenn ich dafür sofort in die Vergangenheit reisen würde), und viele (wie ich beim Schreiben vorhin festgestellt habe) befassen sich mit ähnlichen Themen, auch wenn ich sie in völlig verschiedenen Phasen meines Lebens gelesen habe – für mich sind die Frauen hinter den Büchern also mindestens genauso wichtig wie die Bücher selbst, es sind eben nicht nur gedruckte Werke, sondern sie sind etwas Lebendiges, was jeweils von der Autorin geschaffen wurde und von uns Leserinnen erneut zum Leben erweckt wird, mit unseren eigenen Erfahrungen, eigenen Eindrücken und unserer ganz eigenen Lesart.
3 Autorinnen
Taiye Selasi (geb. 1979)
Ich hatte 2014 die ehrenvolle Aufgabe, als Übersetzerin der jährlich stattfindenden Poetik-Dozentur der Universität Tübingen zu arbeiten. An diesen Tagen lernte ich wahnsinnig inspirierende Menschen kennen, zuvorderst Taiye Selasi, die bereits 2005 den Begriff „Afropolitan“ prägte. Eine Frau, die einen mit ihren gewitzten Aussagen und ihrem Charisma nur so von den Socken haut. In ihrer intelligenten Keynote (ähnlich gut wie ihr TedTalk, den ich hiermit auch wirklich nur jeder ans Herz legen möchte!) sprach sie von dieser neuen Generation WeltenbürgerInnen mit afrikanischen Wurzeln, die ein ganz eigenes Lebensgefühl mitbringen und somit eben auch eine ganz eigene Sicht auf die Welt. Für mich als weiße mittelständische Deutsche an einer süddeutschen Universität war das ein Augenöffner und ich verschlang ihren (bis jetzt leider einzigen) Roman Diese Dinge geschehen nicht einfach so in drei Tagen (übrigens auch wunderbar übersetzt von Adelheid Zöfel).
Siri Hustvedt (geb. 1955)
Letztes Jahr habe ich es endlich geschafft, Siri Hustvedt live lesen und sprechen zu hören: im ausverkauften Schauspielhaus hier in Frankfurt. Und was soll ich sagen? Author crush reloaded. Selten hat eine Begegnung so sehr das eigene Bild bestätigt, denn sie ist wirklich so intelligent und wortgewandt, wie sie schreibt. Ich muss gestehen, auf sie aufmerksam geworden bin ich während meiner Studienzeit auch nur, weil sie nun mal mit Paul Auster verheiratet ist und ich dessen Bücher seit 15 Jahren verschlinge. Seitdem lese ich alles, was ich von ihr in die Finger kriegen kann und vor allem The Shaking Woman (Die zitternde Frau. Eine Geschichte meiner Nerven) und Blazing World (Die gleißende Welt) haben mich geprägt. Einerseits diese Sicht auf den eigenen Körper, dieses Hinterfragen, diese Selbstreflexion in dem einen Buch, dann aber diese völlig ungewohnte Erzählweise bei der Auseinandersetzung mit Kunst in dem anderen. Die Bücher könnten nicht unterschiedlicher sein und doch sind sie aus einer Feder. Und das erstaunt mich immer wieder bei ihr, lässt mich aber auch jedes Mal aufs Neue auf ihr nächstes Werk freuen.
„But now I know the things I know / And do the things I do; / And if you do not like me so, / To hell, my love, with you!“
Was würde ich dafür geben, einmal in die Vergangenheit zu reisen und mich dem Algonquin Round Table anzuschließen oder dort wenigstens Mäuschen zu spielen – diesem Literaturkreis in New York, den Dorothy Parker gründete. Wie spannend müssen diese Diskussionen gewesen sein! Dorothy Parker wurde bekannt als Kolumnistin und Kritikerin der Vanity Fair und des New Yorker. In den Köpfen bleibt sie den meisten Menschen aufgrund ihrer pointierten Einzeiler, aber sie war eine fantastische Literatur-/Theaterkritikerin, eine Dichterin ohne Gleichen, eine Feministin, die kritische Kurzgeschichten, Theaterstücke, Gedichte schrieb. Dieses Buch versammelt alle ihre Texte. Frau kann also wunderbar in diesem Band stöbern, irgendeine Seite aufschlagen und wird immer mit scharfsinnigem Sarkasmus belohnt.
3 Bücher
Brittani Sonnenberg: Home Leave
Auf dieses Buch bin ich bei einer Lesung in meiner Alma Mater Tübingen aufmerksam geworden, während des jährlich stattfindenden großen Lesefestivals, dem Tübinger Bücherfest. Dort las ich im Veranstaltungsprogramm von der so oft umziehenden und nicht so recht sesshaft werden wollenden Autorin Brittani Sonnenberg. Da ich zu diesem Zeitpunkt bereits 16 Umzüge auf dem Buckel hatte und wir einen ähnlichen Vornamen haben, trieb mich die Neugierde in den kleinen Klostergarten am Neckar. Brittani Sonnenberg erzählt die Geschichte von Chris Kriegstein, einem Familienvater, der mit seiner Familie in Nordamerika, in Europa und in Asien wohnt, nicht unähnlich den Stationen der Autorin. Mit ihrer Feinfühligkeit für die Probleme und auch Entdeckungen, die man macht, wenn man so viele Orte entdeckt und sich auf immer wieder neue Mentalitäten einstellen muss, ging mir dieses Buch nah, vor allem zu einem Zeitpunkt, an dem ich langsam das Gefühl bekam, dass Wurzeln vielleicht keine schlechte Idee wären. Naja, drei Jahre später zog ich dann in die nächste Stadt im nächsten Bundesland, in der ich zumindest schon seit vier Jahren in der gleichen Wohnung bin (fast ein Rekord).
Mareike Fallwickl: Das Licht ist hier viel heller
Ich habe lange hin und her überlegt, ob ich dieses Buch hier mit einbringe – schließlich könnte man es fast als Schleichwerbung verstehen, wenn man weiß, dass ich inzwischen mit der Autorin und dem halben Verlag befreundet bin. Aber da es so ein prägendes Buch im letzten Jahr für mich war, musste es dann doch sein. Kennengelernt habe ich Mareike über dieses Internet, diese Sozialen Medien und vor allem dieses Instagram, bei dem ich mich gerade erst recht frisch angemeldet hatte und das mir noch ein wenig suspekt war: alles so bunt, so rosig und irgendwie so viel friedlicher als die „normale“ Welt, so viel Schein statt Sein. Aber dort macht sie die Gegend als Zuckergoscherl mit ihrem scharfen Blick und beißenden Humor unsicher. Und genau diese zwei Charakterzüge machen dieses Buch so gut. Sie hätte ihre Finger sicher nicht näher am Puls der Zeit haben können, erschien es doch mitten in der großen Welle, die #metoo schlug. Sie erzählt die Geschichte von Maximilian Wenger, einem ehemaligen Bestsellerautor, der nun nur noch ein Scherbenhaufen sein Eigen nennen darf: eine Tochter, die ihn nicht recht ernst nimmt, eine Exfrau, die jetzt mit einem Fitnesstrainer zusammen ist, ein Agent, der irgendwie auch nicht mehr wirklich was von ihm erwartet, eine Karriere, die tot ist. Dann tauchen aber Briefe auf, die eigentlich nicht für ihn bestimmt sind, ihm und den Leserinnen des Buches jedoch viel über die (so oft doch nicht vorhandene) Selbstbestimmung der Frau, die Liebe, das Scheitern und das Leben zeigen.
Marisha Pessl: Die alltägliche Physik des Unglücks
Übersetzung: Adelheid Zöfel
Als Jugendliche war dieses Buch für mich eins der liebsten. Ein Buch über Bücher, einfühlsam geschrieben, ein wenig abenteuerlich und eine Findungsgeschichte, was man, wie ich heute weiß, einen Coming-of-Age-Roman nennt. „Blue hat den Blues“ – dieser erste Satz im Klappentext hat mich damals schon für sich eingenommen, das weiß ich noch. Denn Blue muss andauernd mit ihrem Vater, einem Uniprofessor, umziehen, quer durch die Staaten und nie länger als ein Semester an einem Ort bleibend. Blue hat aber auch die Bücher, die sie bei all dem immer wieder begleiten ‒ das fand ich wunderbar nachvollziehbar. Allein die Tatsache, dass jedes Kapitel ein bestimmtes Buch als Titel hat, war faszinierend, und ich nahm mir damals vor, diese auch alle mal zu lesen (naja, hat noch nicht geklappt, wie ich gerade feststellen musste, aber das Anglistikstudium war hilfreich …). Aufgrund dieses Blogeintrags bin ich nun gespannt, wie sich Die alltägliche Physik des Unglücks als Erwachsene liest – denn genau das habe ich mir für dieses Jahr vorgenommen: es über 20 Jahre später noch einmal zu lesen.
14. Januar 2020 um 10:34
Hört sich an, als müsste ich die wirklich alle lesen… Danke würde die wunderbaren Lesetipps, liebe Britta, und Doris für diese Blogserie, Gabriele Kalmbach. PS: Vielleicht schaue ich Insta-Skeptikerin mir jetzt doch mal an, wie man dort Bücher besprechen kann. Und übrigens: Wer TedTalks auf Twitter folgt, lernt noch mehr interessante Frauen kennen.