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Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Drei Autorinnen – drei Bücher: Claudia Breitsprecher

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Die Blätter fallen und die Abende werden wieder länger. Für die dunkler werdenden Abende kann euch die Autorin Claudia Breitsprecher einige ihre Favoritinnen empfehlen. Claudia Breitsprecher ist 1964 in Dülmen/NRW geboren und aufgewachsen in Berlin, wo sie auch heute mit ihrer Frau lebt.  Nach ersten Kurzprosa-Veröffentlichungen in Anthologien Ende der 1990er Jahre schreibt sie heute sowohl literarische als auch Sachtexte. 2002 erfolgte ihr Sachbuchdebüt mit einem Band über Mutter-Tochter-Beziehungen: Das hab ich von dir, gefolgt von Bringen Sie doch Ihre Freundin mit! Gespräche mit lesbischen Lehrerinnen. 2005 erschien ihr erster Roman Vor dem Morgen liegt die Nacht; der zweite schloss sich 2011 mit Auszeit an. Für diesen wurde sie 2012 von der Autorinnen-Vereinigung e.V. als Autorin des Jahres ausgezeichnet. Im Frühjahr 2017 erschien Claudia Breitsprechers dritter Roman unter dem Titel Hinter dem Schein die Wahrheit. Sie ist aktiv bei der Autorinnengruppe Alphabettínen.

3 Autorinnen

Karen Duve (geb. 1961)

Meine erste Begegnung mit Karen Duves Büchern war der Regenroman, und er hat mich schnell den Traum vom Haus am See begraben lassen. Denn es ist sumpfiger Boden, auf dem der Protagonist da sein Domizil erworben hat, das vermeintliche Schnäppchen wird zum Horrortrip und zum Symbol des Scheiterns im Beruf wie im Privatleben. Wasser unterspült den traurigen Helden in jeder Form, feuchte Wände, Schnecken und Frösche, dazu verstörende Beziehungen und die Konfrontation mit Kriminellen aus der eigenen Vergangenheit, unter der auch und vor allem seine Freundin zu leiden hat. Es ist ekelig, es ist hart und kaum zu ertragen, es ist auch komisch und dann wieder wollte mir das Lachen im Halse stecken bleiben. Warum steht das dann nicht unter: Drei Bücher? Weil es immer so ist bei Karen Duve. Sie versteht es, das Geschehen lebendig werden zu lassen und auf eine Art und Weise zu schreiben, die vieles von dem, was sie schildert, unvergesslich werden lässt. Ob es die Darstellung der trostlosen Behörde und des schauderhaften Männerstrips in der Erzählung „Die Miami Dream Men Show“ aus dem Band Keine Ahnung ist, die Taxifahrerin auf der Flucht mit einem Affen im Wagen am Ende von Taxi oder der geniale Sprint durch die Jahrzehnte am Anfang des Romans Dies ist kein Liebeslied. Es ist skurril und oft zum Schmunzeln, aber es steckt vor allem immer ein Stachel im Fleisch ihrer Texte. Karen Duve schreibt Erzählungen, Essays, Romane und Kinderbücher, ist damit sehr vielseitig und mischt sich ein in die Debatten um Fleischkonsum und Tierhaltung, um männliche Dominanz in Spitzenpositionen, um feministische Themen überhaupt. Auch in ihren Essays spitzt sie zu und provoziert, bezieht Stellung, und wenn ich auch nicht alles teile, was sie hier schreibt, finde ich es doch bemerkenswert, wie prophetisch manches auf mich wirkt, was sie schildert, was wohl Ausdruck einer genauen Beobachtung ist. So betrachte ich heute die blühenden Rapsfelder im Frühling nicht mehr nur mit bewunderndem, sondern auch mit nachdenklichem Blick, leuchten und wuchern sie doch in ihrem Zukunftsroman Macht als Sinnbild für Klimawandel und Monokultur aus den Seiten hervor. Für mich ist es daher immer wieder ein Erlebnis, Karen Duve in zu lesen.

Michèle Minelli (geb. 1968)

Ebenso eine Autorin, die in ihrer Arbeit sehr vielseitig ist und sich in keine Schublade pressen und auf kein Genre festlegen lässt. Minelli hat Erzählungen, Sachbücher und Reiseberichte, einen Krimi, eine Familiensaga, Romane für Erwachsene und Jugendliche geschrieben. In der Schweiz bekannter als in Deutschland, widmet sie sich seit langen Jahren häufig den Themen Migration und Austausch der Kulturen einerseits sowie in einem zweiten Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit Gewalt gegen Frauen, insbesondere häuslicher Gewalt und dem Abtreibungsverbot und seinen Folgen für Betroffene. Was auch immer sie schreibt, ist gut recherchiert und feinsinnig erzählt, stimmig und atmosphärisch dicht, wie z.B. in ihrem Roman Die Ruhelosen, in dem sie Menschen auf dem Weg zu einer neuen Heimat mit ihren Sorgen und Hoffnungen über die Jahrhunderte aufleben lässt. Häufig finde ich in ihren Texten Sätze, die mich innehalten und noch einmal lesen und nachspüren lassen. So erzählt sie beispielsweise in Die Verlorene die Geschichte eines authentischen Justizfalles aus dem frühen 20. Jahrhundert, bei dem eine von ihrem Arbeitgeber missbrauchte mittellose Schneiderin ihr Kind aus Armut und Not heraus tötet und in die Mühlen einer Justiz gerät, die sie nicht anhört, die ihre Lebensumstände nicht berücksichtigt und nicht nach ihrer Zwangslage fragt. Ich finde es beeindruckend, wie es Minelli dabei gelingt, den Ton jener Zeit zu treffen. Sie verzichtet auf Effekthascherei, zeichnet vielmehr akribisch eine Bedrängnis nach, die schließlich zu einer Katastrophe führt. Hier wie beispielsweise auch in dem Jugendbuch Passiert es heute? Passiert es jetzt?, das sich auch für Erwachsene gut lesen lässt, geht es ihr nicht um die Darstellung von Gewalt, sondern um die psychologische Aufarbeitung von Ereignissen, die auf dem Boden bestehender Geschlechterrollen überhaupt erst möglich werden. Sie legt den Finger auf die Wunde, in letztgenanntem Buch auf die Tatsache, dass ehemalige Angehörige der Schweizer Armee ihre Waffen nach Abschluss ihrer Dienstzeit behalten und mit nach Hause nehmen können, woraus häufig eine Bedrohung für die ganze Familie erwächst. Ihre Art des Schreibens führt dazu, dass sich Empathie für die realen oder fiktiven Figuren ihrer Texte wie von selbst einstellt. Auf jeden Fall eine Leseempfehlung.

Natalie Knapp (geb. 1970)

Das erste Buch von Natalie Knapp, das ich gelesen habe, war Der Quantensprung des Denkens, in dem die promovierte Philosophin, Literatur- und Religionswissenschaftlerin sich dem Thema Bewusstsein und Wahrnehmung widmet und wie nebenbei mal eben in allgemeinverständlichen Worten die Grundlagen der Quantenphysik verständlich erklärt, eine hochspannende Lektüre, in der sie überdies jede Menge Anregungen zum Weiterdenken liefert. Überhaupt das Denken. Es ist bei Natalie Knapp immer frei von Dogmen und ein eigenes, das wissenschaftliche Erkenntnisse aus Philosophie und Naturwissenschaften auseinandernimmt und neu zusammensetzt, und so las ich von ihr mit Begeisterung auch Kompass neues Denken und Der unendliche Augenblick . Was sie zu sagen hat, finde ich bemerkenswert, aber sie wird meiner Ansicht nach viel zu wenig bemerkt, obwohl die Auseinandersetzung mit derzeit brisanten Veränderungsprozessen Kernziel ihrer Arbeit ist. Die Philosophie ist hierzulande noch immer ein Fachgebiet, das von Männern dominiert wird, es kommt aus einer langen Tradition, wie ich selbst es während meines Studiums erfahren musste und wie es bis heute zu sein scheint. Denn wenn ich etwas von Natalie Knapp lesen oder hören möchte, muss ich akribisch und aktiv danach suchen, sie wird mir nicht allwöchentlich zur besten Talkshowzeit ins Wohnzimmer geliefert, und wenn ich ihren Namen in Gesprächen mit anderen erwähne, blicke ich nahezu immer in fragende Gesichter. Dem Thema Gender könnte sie sich aus meiner Sicht gerne intensiver widmen, aber insgesamt finde ich, sie hat viel zu sagen, und ich würde mir wünschen, dass sie – als wohltuende Alternative zu anderen – öfter als Expertin gehört würde.

3 Bücher

Marlen Haushofer: Die Wand

Eine Frau fährt mit zwei Bekannten in die Berge, bleibt allein im Jagdhaus zurück, schläft abends ein, wacht morgens auf, ist noch immer allein, geht mit dem Hund spazieren und stößt an eine unsichtbare und unüberwindliche Grenze. Sie versucht alles, doch sie kommt nicht mehr fort aus diesem Wald und der Einsamkeit, ist völlig auf sich allein gestellt, die Tage sind erfüllt von der Notwendigkeit, für das eigene Überleben zu kämpfen, die Lebensmittel anzubauen, die Kuh zu versorgen, die sie findet. Es ist Mühsal und manchmal auch Glück, zurückgeworfen auf sich selbst, auf die Natur und die eigenen Gedanken. Die Jahreszeiten wechseln und bestimmen das Dasein jenseits der Zivilisation. So geht es über Jahre, bis plötzlich jemand da ist. Der Eindringling tötet ihre Tiere und sie tötet ihn. Sie ist schockiert, sie versteht nicht, warum das geschehen ist, und beschließt dennoch, dass es weitergehen muss. Der Roman als Bericht über das Unvorstellbare und vielleicht auch als Metapher für die plötzliche Wendung im Leben, womöglich auch für die gläserne Decke, die uns Frauen immer wieder begegnet. Jedes Wort scheint mit Bedacht gewählt und ist gekonnt niedergeschrieben. Dazu ein Plädoyer für die Aufmerksamkeit der Natur und den Jahreszeiten gegenüber, für den bewussten Umgang mit dem Leben ringsumher. Der Erzählton ist ruhig, aber die Botschaften zwischen den Zeilen wühlen auf, der Anfang weckt sofort Interesse, das Ende finde ich geradezu genial.

Ulla Hahn: Das verborgene Wort

Als ich den Roman irgendwann in den frühen 2000er Jahren in die Hand bekam, war es für mich genau das richtige Buch, denn ich befand mich selbst gerade in einer Zeit, in der das Schreiben in meinem Leben einen größeren Raum verlangte. So konnte ich gut mitfühlen mit dieser Protagonistin Hilla Palm, mit ihrer Liebe zur Bildung, zu den Wörtern und zur Literatur, las weiter und immer weiter und legte das Buch nicht mehr aus der Hand. Hervorragend die poetische Sprache, die detailgetreue Schilderung des Milieus – die rheinländische Provinz in der Nachkriegszeit, die Arbeiterfamilie mit ihren materiellen Nöten, der allgegenwärtige Katholizismus -, die durch jede Zeile scheinende Ambivalenz der Gefühle gegenüber der Familie mit der Liebe zum Großvater und der Furcht vor der elterlichen Strenge. Ich konnte das Geschriebene nachempfinden, auch lachen, dann wieder wurde es bitterernst. Die Charaktere – ja auch autobiographisch gefärbt – sind ebenso lebendig wie das gesamte Setting. Einzelne Szenen sind mir bis heute lebendig im Gedächtnis geblieben, weil sie anrühren, weil sie zugespitzt und außergewöhnlich geschrieben sind. Natürlich habe ich auch die Folgebände nach ihrem Erscheinen gelesen, und was ich über den ersten schreibe, gilt in vieler Hinsicht auch für diese, vor allem für den zweiten Band Aufbruch. Das Politische und das Persönliche sind immer untrennbar miteinander verwoben, Seite für Seite wird deutlich, wie der jeweilige Zeitgeist das Schicksal der Protagonistin beeinflusst. Bezeichnend im Fortgang der Tetralogie auch das immer gegenwärtige Frauenbild der jeweiligen Jahre: Brauchen Mädchen Bildung? Hillas Sprachlosigkeit und Isolation im Angesicht von sexueller Gewalt, ihr Verhältnis zum Vater, zu den ersten Partnern usw. Dennoch hebe ich hier den ersten Band als den für mich bedeutendsten hervor, denn wie das häufig eben ist mit den Fortsetzungen – sie sind wie abebbende Wellen, mit jeder nächsten geht ein bisschen Wucht verloren, sie laufen aus, plätschern ein wenig dahin. Auch der Ton der Autorin hat sich über die Zeit in meinen Augen verändert. Der vierte und letzte Band steht daher bei mir noch auf der Warteliste, aber Das verborgene Wort war für mich genau die richtige Lektüre zu einer bestimmten Zeit.

Ruth Ozeki: Geschichte für einen Augenblick 

Ein in meinen Augen in Deutschland viel zu wenig beachtetes Buch, übersetzt von Tobias Schnettler, das 2013 für den Man Booker Prize nominiert war und das mich in vielerlei Hinsicht beeindruckt hat durch die Art des Erzählens, die anschauliche und lebensechte Darstellung der Szenen und vor allem die im Verlauf auftretenden überraschenden Wendungen, also einen intelligent durchdachten Plot:

Die Schriftstellerin Ruth – wohl in mancher Hinsicht das Alter Ego der Autorin – findet einen Beutel, der am Strand von British Columbia angespült wird. Er enthält das an eine unbestimmte andere Person gerichtete Tagebuch der jugendlichen Nao, dazu in japanischer Sprache verfasste Briefe und eine alte Uhr. Ruth beginnt, das Tagebuch zu lesen, und fragt sich, ob Nao noch lebt, ob sie  bei dem Erdbeben und nachfolgenden verheerenden Tsunami 2011 ums Leben gekommen ist oder sich selbst das Leben genommen hat. Denn Nao ist durch die vom beruflichem Scheitern des Vaters ausgehende Rückkehr der Familie aus den USA nach Japan verunsichert, auch durch dessen Suizidversuche und vor allem durch ihre eigene Position in der Schule, wo sie von ihren Mitschüler*innen  auf brutalste Weise gemobbt wird, selbst mit Wut und Abwehr reagiert. Unterstützung sucht und findet Nao bei ihrer den Widrigkeiten des Lebens gegenüber robusten 104-jährigen Urgroßmutter, einer zen-buddhistischen Nonne. Außerdem klammert sie sich an die Vorstellung, dass ihr Großonkel ein vermeintlicher Kriegsheld ist, der sich als Kamikaze-Pilot für sein Land geopfert hat. In ihm sieht sie ein Idol, anders als in ihrem Vater, den sie für einen Versager hält. Die Schriftstellerin in Kanada beginnt, sich für die erwähnten Personen zu interessieren, recherchiert im Internet und stößt auch auf ein geheimes Tagebuch des Großonkels, von dem Nao nichts weiß. Was Ruth herausfindet, macht ihr klar, dass alles ganz anders ist, als Nao es glaubt. Über Raum und Zeit hinweg und mithilfe eine Prise Mystik es gelingt ihr, Nao dieses Wissen um die wahren Zusammenhänge und Geschehnisse zu vermitteln, und so entsteht eine Verbindung zwischen der Jugendlichen und der Frau auf der anderen Seite des Ozeans.
Als Leserin hat mich vor allem die Art und Weise fasziniert, wie Ozeki das vermeintlich Gewisse auf den Kopf stellt,  wie sie philosophische Überlegungen, Elemente des Zen-Buddhismus  und Gesellschaftskritik gleichermaßen und geschickt in eine fiktive Romanhandlung einwebt. Ein wunderbarer Roman!

Fotos © Claudia Breitsprecher

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

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