Für graue und verregente Tage – und alle anderen – gibt es heute vielfältige Literatur-Tipps von der Übersetzerin Eva Schweikart, die zwei Jahre Städtesprecherin der Nürnberger Gruppe der BücherFrauen war.
Eva Schweikart, in Süddeutschland geboren und aufgewachsen, machte sich nach einer Übersetzerausbildung in Heidelberg und anschließenden Verlagsjahren 1997 selbstständig. Seitdem übersetzt sie Literatur aus dem Niederländischen, lektoriert und verfasst Gutachten. Ihr Spektrum ist breit – es reicht von (manchmal gereimten) Bilderbüchern über erzählende Kinder- und Jugendliteratur und Sachbücher bis hin zu historischen und zeitgenössischen Romanen. Diese Mischung macht für sie den Reiz des Berufs aus. Für die Übersetzung eines Kinderbuchs wurde sie 2019 mit dem Christoph-Martin-Wieland-Preis ausgezeichnet. Sie wohnt in Hannover und ist Mitglied beim VdÜ, bei den BücherFrauen und diversen Naturschutzorganisationen.
Drei Autorinnen
Susanne Mischke (geb. 1960)
Früher habe ich gern Kriminalromane gelesen, am liebsten Reihen (etwa von Janwillem van de Wetering, Harry Kemelman und Maj Sjöwall & Per Wahlöö). In letzter Zeit ist die „Krimilandschaft“ sehr ausgeufert und für mich völlig unübersichtlich geworden, sodass ich nur noch selten Krimis lese und wenn, dann auf Empfehlung. Empfohlen wurde mir Susanne Mischke, und nachdem ich eine Lesung von ihr gehört hatte, dachte ich: Ja, das könnte etwas für mich sein. Weil ich – wie die Autorin – in Hannover wohne, lag es nahe, die hier spielende „Bodo-Völxen-Reihe“ auszuprobieren (Bodo Völxen heißt der Hauptkommissar). Und es hat mich tatsächlich gepackt, von Band 1 Der Tote vom Maschsee (2008) bis Band 8 Zärtlich ist der Tod (2019) habe ich alle verschlungen. Susanne Mischke beherrscht ihr schriftstellerisches Handwerk; sie greift interessante und auch gesellschaftlich relevante Themen auf und versteht sich hervorragend auf Figurenzeichnung und Spannungsaufbau. Mein Krimihunger ist jetzt erst einmal gestillt, aber wenn er sich wieder meldet, greife ich erneut zu Büchern dieser Autorin, es gibt da noch etliche …
Luise Rinsers Werke habe ich in den 1980er-Jahren gern gelesen. Einer ihrer Romane hat mich so tief beeindruckt, dass ich ihn später noch mehrfach – und jedes Mal gern – wiedergelesen habe. Der schwarze Esel, erschienen 1974, spielt in einer bayrischen Kleinstadt und hat die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit zum Thema. Vor einiger Zeit kam mir das Buch Luise Rinser: ein Leben in Widersprüchen (2011) in die Hände – und die Lektüre hat mich ziemlich bestürzt. Dass Rinser, die als moralische Instanz galt, ihren Lebenslauf manipuliert hat, indem sie ihre positive Haltung zum Nationalsozialismus beschönigte und sogar leugnete, war schlicht nicht zu mir durchgedrungen, weil meine Rinser-Phase lange zurücklag. Ich glaube auch nicht, dass der Verfasser der Biographie, José Sánchez de Murillo, ihr unrecht tut, denn aus dem Text geht hervor, dass die beiden sich bis zu Rinsers Tod in Freundschaft verbunden waren. Dass es zu meinem Lieblingsbuch einen Vorgängerband gibt – Die Stärkeren, erschienen 1948– habe ich ebenfalls erst kürzlich erfahren. Ich habe mir das Buch gekauft und werde es lesen – auch wenn mein Bild von Luise Rinser Kratzer bekommen hat.
„Denn schreiben will ich!“ Das war Anne Franks Credo und zugleich Ausdruck ihres Überlebenswillens in den vielen Monaten, die sie mit ihrer Familie „untergetaucht“ leben musste. Vom 12. Juni 1942, ihrem 13. Geburtstag, an schrieb sie Tagebuch. Als ihr zu Ohren kam, man möge Briefe und Tagebücher für die Zeit nach der deutschen Besetzung aufbewahren, war das für sie Anlass, ihre Texte zu überarbeiten, um sie später, vielleicht in Romanform, zu veröffentlichen. Dazu ist es nicht gekommen; die Bewohner des Hinterhauses der Amsterdamer Prinsengracht 263 wurden im August 1944 von der Polizei mitgenommen. Zurück blieben Hefte und Blätter, die später – dank der Helferin Miep Gies – in die Hände von Annes Vater gelangten, der als Einziger von der Familie aus dem Konzentrationslager zurückkam. Seitdem sind unterschiedliche Ausgaben von Annes Tagebuch erschienen (in der Forschung als A-, B- und C-Version bezeichnet). Das neueste „Anne-Frank-Buch“ ist 2019 herausgekommen: Anne Frank – Liebe Kitty – ihr Romanentwurf in Briefen. Meinem Empfinden nach gibt es am ehesten einen Eindruck von der Schriftstellerin, die Anne geworden wäre, die sie im Grunde schon damals war. Meine geschätzte Kollegin Waltraud Hüsmert hat den Text übersetzt und das Buch um ein Nachwort ergänzt, aus dem man ersehen kann, mit welcher Sorgfalt und Überlegung sie an ihre Aufgabe herangegangen ist.
Drei Bücher
Olli ist ein weibliches Schaf. Mit ihren Freundinnen Elvira und Gabi lebt sie in einer Herde Deichschafe unter der Obhut des Schäfers Hans, der sie „die drei Grazien“ nennt. Weil Olli ebenso neugierig wie mutig ist, unternimmt sie gern mal einen Alleingang. So auch beim „Grünfest“ – da werden die Deichschafe ins Dorf gekarrt und dürfen den Kirchberg abweiden. Der Alleingang gerät zu einem spannenden Abenteuer (bei dem Olli die Bekanntschaft des Schafbocks Bruno macht), geht aber für alle Beteiligten gut aus. Mir gefällt sehr, dass die tierischen Akteure nicht vermenschlicht werden. Olli drückt auf Schafart aus, was sie will, und Hans versteht es (meistens jedenfalls), weil er sich eben mit Schafen auskennt. Karen Nölle gibt uns einen ziemlich realistischen Einblick in die Erlebenswelt von Schafen. Sie schildert beispielsweise so eindrücklich, was für Probleme eine Vierbeinerin beim Treppensteigen hat, dass man sich als Zweibeinerin richtig einfühlen kann. Ihre Wortschöpfungen sind einfach genial: Quietschwach ist Olli, die Laderampe erklimmt sie lämmerleicht, und auf dem Kirchberg fispelt ein Schmetterling ihr etwas zu. Und die zauberhaften Illustrationen von Kathleen Bernsdorf runden den Lesegenuss ab. Obwohl kein ausgesprochenes Kinderbuch, ist die Geschichte doch gut zum Vorlesen geeignet. Zwischen den Zeilen klingt übrigens an, dass Olli und Bruno sich sehr sympathisch sind. Das lässt auf eine Fortsetzung hoffen, eine Schafsliebesgeschichte mit Hindernissen vielleicht?
Ilka Sokolowski: Wildes Leben in der Stadt
Mein Küchenfenster geht auf den Garten der Nachbarn hinaus. Wenn ich morgens Kaffee aufbrühe, halte ich Ausschau nach den Eichhörnchen. Manchmal sehe ich eines, selten zwei, und ein einziges Mal waren es fünf – eine Mutter mit Kindern vermutlich. Was weiß ich eigentlich über Eichhörnchen?, habe ich mich irgendwann gefragt. Nicht viel, ein paar Klischees: dass sie sehr geschickte Kletterer sind und Nüsse vergraben, die sie hinterher nicht mehr finden. Durch die Lektüre von Ilka Sokolowskis Buch hat sich mein Wissen erweitert, und zwar nicht nur das über Eichhörnchen. Es ist ein wahrer Augenöffner für die eher unauffällige Stadtfauna. In erster Linie für Kinder gedacht, ist es aber auch lohnender Lesestoff für erwachsene Stadtmenschen. Seit ich es kenne, schaue ich unterwegs genauer hin, wenn ich durch die Straßen oder den Stadtwald gehe; ich nehme mir Zeit zum Beobachten von Amsel, Krähe, Spatz und zum Entdecken von anderem, eher scheuem Getier. Die sauber recherchierten und ansprechend formulierten Texte werden von stimmigen Illustrationen (Janna Steimann) ergänzt. Seit Kurzem gibt es auch einen Folgeband: Wildes Leben im Watt. Er steht bereits auf meiner Lese- und Verschenkliste.
Simone van der Vlugt: Rembrandts Geliebte
Rembrandt van Rijn hatte 2019 seinen 350. Todestag, das wurde hierzulande, vor allem aber in den Niederlanden gefeiert. Dort ist ein Roman über seine Liebesbeziehung mit Geertje Dircx erschienen. Geertje kam 1642 nach dem Tod von Rembrandts Ehefrau Saskia als Kindermädchen ins Haus. Ihr Verhältnis mit dem Maler währte acht Jahre, dann wurde er seiner Geliebten überdrüssig und wandte sich der jungen Hendrickje zu. Geertje nahm dieses Ende nicht klaglos hin, sondern stellte sehr selbstbewusst Unterhaltsforderungen. Der erbitterte Rechtsstreit mit Rembrandt (dokumentiert im Amsterdamer Stadtarchiv) führte dazu, dass sie – auf dessen Veranlassung – zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Einer Freundin gelang es, sie nach fünf Jahren freizubekommen. Dass im Zusammenhang mit Rembrandt von Geertje kaum je die Rede ist, führt Simone van der Vlugt darauf zurück, dass die unselige Geschichte ein wenig schönes Licht auf den gefeierten Nationalhelden Rembrandt wirft, und damit hat sie zweifellos recht. Zeit also für eine Rehabilitierung, zumal Geertje ein Musterbeispiel für „Girlpower im 17. Jahrhundert“ ist. Die Autorin hat sich in ihrer Romanbiographie weitgehend an die Fakten gehalten und sehr gründlich recherchiert, das belegt ein umfangreiches Nachwort. Und mir hat es große Freude gemacht, dieses Buch aus dem Niederländischen zu übersetzen.
Das Buch wird im Herbst diesen Jahres erscheinen.
Fotos: Eva Schweikart
11. Februar 2020 um 11:12
Vielen Dank für Deine schönen Buchempfehlungen, liebe Eva. Leider platzt mein Regal aus allen Nähten, aber ich weiß schon, wem ich “Rembrandts Geliebte” schenken werde. Herzlich – Maren