Bevor ihr euch auf Balkonien, in Parks oder doch an einen anderen Ort in den Urlaub zurückzieht, stürmt bitte erst noch die Buchhandlungen. Wenn ihr noch nicht wisst, was ihr gerne lesen möchtet, gibt es heute einige Buchtipps von Kristine Listau vom Verbrecher Verlag.
Kristine Listau ist in der Sowjetunion und im Rheinland aufgewachsen, studierte in Frankfurt am Main und arbeitete dort im Kulturamt, wo sie insbesondere für die Organisation und Öffentlichkeitsarbeit von Literaturfestivals und Stadtjubiläen verantwortlich war. In Berlin leitete sie kurz den Veranstaltungsbereich der Stiftung Stadtmuseum Berlin, bevor sie 2014 zunächst Geschäftsführerin und 2016 zusammen mit Jörg Sundermeier Mitinhaberin und Verlegerin des Verbrecher Verlags wurde. Vier Jahre lang vertrat sie zudem Autor*innen bei der Literaturagentur Antas Bindermann Listau, bis ihr der Verlag so viel Zeit abverlangte, dass sie nicht mehr als Agentin arbeiten konnte.
Ich liebe so viele Autorinnen, es ist so ungerecht, hier nur drei auswählen zu müssen. Ich habe daher diejenigen gewählt, die mir als Erste in den Sinn kamen.
3 Autorinnen
Angelika Schrobsdorff (1927 – 2016)
Antiquariate im Urlaub auf dem Land gehören für mich zum Schönsten, was es gibt. Nirgendwo kann man besser ungestört mit Aufregung, Neugier und Entdeckungsrausch Bücher anschauen. Auf diese Weise fiel mir unweit von Malente Der Geliebte von Angelika Schrobsdorff auf. Der Name klang nach einer Vertrauten, aber wirklich gekannt habe ich die Autorin nicht. Großer Fehler! Was für ein Roman! Was für eine Frau! Schrobsdorff erzählt leicht und gleichzeitig mit einer erzählerischen Dichte, die nur zu fesseln vermag. Dazu kommen großer Sinn für Gerechtigkeit, Spott und eine Schonungslosigkeit allen, allem und auch sich selbst gegenüber. Da erstaunt es nicht, dass sie gleich mit ihrem ersten Roman Die Herren einen Skandal verursacht hatte. Ich empfehle alle ihre klugen, unterhaltsamen, witzigen und sehr eleganten Bücher. Wenn ich schreiben würde, würde ich so schreiben wollen.
Ursula K. Le Guin (1929 – 2018)
Ich liebe den Eskapismus und am schönsten gelingt er mir mit Science-Fiction-Literatur. Eine Berufskrankheit ist leider, beim Lesen zu lektorieren. Ich weiß nicht warum, aber bei diesem Genre mache ich es nicht. Auch deswegen vielleicht liebe ich so sehr die Auseinandersetzungen der zukünftigen Gesellschaften. Wichtig für mich sind die dabei leicht zu gewinnenden Erkenntnisse über das Leben hier und jetzt. Ursula K. Le Guin gilt als Grande Dame der Science-Fiction-Literatur, einem Genre, das bis vor Kurzem als rein männliche Domäne eingeschätzt wurde.
Ich habe als Erstes Freie Geister und Die linke Hand der Dunkelheit verschlungen, empfehle aber sehr mit dem Fantasy-Zyklus Erdsee mit den Kommentaren der Autorin in der FISCHER-Tor-Ausgabe zu beginnen. Da erzählt und erklärt sie u. a. das Dasein als weibliche Autorin, die in einer klar patriarchal gedachten Gesellschaft keine weibliche Protagonistin kreieren konnte, wie sie aber feministische Ansichten immer mehr einwob.
Anke Stelling (geb. 1971)
Vielleicht zeugt es von schlechtem Geschmack, eine eigene Autorin hier zu empfehlen, aber Anke Stelling ist nicht nur eine unfassbar großartige Autorin mit einer derart unverwechselbaren Sprache und Themenwelt, dass es unverzeihlich wäre, sie hier nicht zu nennen. Zudem war sie die erste Autorin, die ich für unser Verbrecher-Programm entdecken durfte.
Horchen war bei mir im Kopf, dieses sehr krasse Buch, als ich mich deswegen sehr gerne an das Manuskript Bodentiefe Fenster setzte. Bereits nach den ersten 40 Seiten war mir klar, dass wir das Buch machen müssen. Diese starke, klare, sehr elegant konstruierte Sprache, die sich nicht schämt, sich als solche zu zeigen. Weil sie es kann. Und weil da kein Schweiß ist, sondern pure Eleganz und eine Schonungslosigkeit, die fast alles der Kunst unterordnet. Einer sehr ernsthaften Kunst. Mit wahnsinnig gutem Humor. Und ich freue mich riesig, dass Anke Stelling für Schäfchen im Trockenen mit so vielen guten Preisen ausgezeichnet wurde. Und ihre Kinderbücher, bitte lest ihre Kinderbücher!
3 Bücher
Christa Wolf: Medea. Stimmen
Christa Wolfs Medea. Stimmen ist für mich als Frau wahrscheinlich das wichtigste Buch, das ich je gelesen habe. Alles, was mich an Senecas Medea, das ich im Lateinunterricht gelesen hatte, gestört hatte, brach bei Wolfs Medea hervor und konnte formuliert werden. Im Spiegel dieses Romans reflektierte ich meine Erfahrungen in der Schule, Kirche, Vereinen, im Bus oder auf der Straße und erkannte Frauenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft. Was Bücher können, habe ich beim Lesen dieses Romans erfahren.
Svenja Leiber: Staub
Was macht für mich ein sehr gutes Buch aus? Als Allererstes die Sprache. Am liebsten ein klare mit einem Tick von poetischem Wahnsinn. Ich verneige mich gern vor guter Arbeit, präziser literarischer Methode und einer guten Geschichte, die Selbstreflexion und Erkenntnisse fordert.
Dies alles findet man in Svenja Leibers Roman Staub. Das Buch ist wie ein wunderschöner Traum, dem man noch lange nachhängt. Es ist unglaublich klug. Die Autorin ist zu jung, um derart weise zu sein. Sie ist es aber.
Helen Wolff: Hintergrund für Liebe
Roman. Herausgegeben und mit einem Essay von Marion Detjen
Zu den richtig guten Sachen des Verlegerinnendaseins gehören Verlagsfreundschaften. Weil … ja, genau, wir tauschen Bücher mit Leuten, die Bücher nicht nur lieben, sondern quasi leben. Barbara Weidle und Stefan Weidle vom Weidle Verlag sind solche und ihre Bücher wunderschön gestaltet, hergestellt und natürlich inhaltlich großartig. Zuletzt durfte ich etwas ganz Besonderes lesen. Den kurzen, sehr leichten, sehr spannenden, wunderschönen Roman Hintergrund für Liebe von Helen Wolff. Über eine selbstständige junge Frau in Südfrankreich, eine frivole, freie und lustige Lebenswelt, ganz das Gegenteil dessen, was zugleich zu Beginn der 1930er Jahre in Deutschland passiert und propagiert wird. Dieser Bruch bewirkt ein wehmütiges Gefühl. Was für eine moderne Welt es doch schon gab, die die deutschen Nazis zerstört haben. Was für ein modernes Frauenbild – für Jahrzehnte vollkommen weg. Was hätte werden können …
Das Nachwort von Marion Detjen ist auch sehr lesenswert. Der Lebensweg von Helen Wolff, die aus sehr armen Verhältnissen stammte, als Kinderfrau, Sekretärin, Übersetzerin, Lektorin arbeitete und schließlich in den USA zu einer großen Verlegerin wurde.