BücherFrauen

Ein Beitrag zur Debattenkultur in der Buchbranche

Drei Autorinnen – drei Bücher: Petra Müller

| Keine Kommentare

Es ist wieder kälter geworden und so brauchen wir noch dringend Lesestoff für die nächste Zeit. Heute gibt es die Tipps der Herausgeberin, Literaturübersetzerin und Lektorin Petra Müller, die bei den BücherFrauen unter anderem das Mentoringprogramm 2012/13 betreut hat.

Petra Müller ist Herausgeberin, Literaturübersetzerin und freie Lektorin. Schon als Grundschülerin verschlang sie die verbotene Krimi-Bibliothek des Vaters und verliebte sich in Philip Marlowe und Kommissar Maigret. Die ausgebildete Bibliothekarin studierte Bibliothekswissenschaft und Italianistik, blieb aber nach Stationen an der Universitätsbibliothek der TU Dresden und einem Ausflug ins Marketing der Italienischen Handelskammer der Buchliebe treu. Seit 2006 ist sie in Berlin mit eigenem Lektorats- und Textbüro selbstständig. Als Herausgeberin hat sie Anthologien und Kalender mit insgesamt mehr als 100.000 verkauften Exemplaren und Büchern in 15. Auflage gemacht, darunter Habt alle ein schönes Fest und einen warmen Ofen! – Weihnachtsbriefe berühmter Frauen und Männer und „Schreiben Sie mir, oder ich sterbe“ – Liebesbriefe berühmter Frauen und Männer (beide gemeinsam mit Rainer Wieland). Liebe und Krimis sind neben zahlreichen Comic-Geschichten für das Lustige Taschenbuch auch ihre Themen als Übersetzerin aus dem Italienischen und Englischen. www.klaretto.de

Petra Müller ist Mitglied im VdÜ und bei den BücherFrauen, wo sie unter anderem das Mentoringprogramm 2012/13 betreute.

 

3 Autorinnen

Margriet de Moor (geb. 1941)

Beim Durchstöbern meines Bücherschrankes stelle ich fest, dass sich dort eine starke niederländische Fraktion gebildet hat. Ganz sicher geht die eine oder andere Inspiration auf meine Schwester Ulrike zurück, die Niederländisch studierte und ebenfalls BücherFrau war. Margriet de Moors allererster Roman: Erst grau dann weiß dann blau hat mich sofort begeistert. Das Buch ist 1993 in der Übersetzung von Heike Baryga bei Hanser erschienen, ihre späteren Werke sind fast alle von Helga van Beuningen ins Deutsche übertragen worden.

Margriet de Moor schreibt über Liebe, Leidenschaft, Verstrickungen, Brüche und Umbrüche. Ihre Protagonistin Magda aus Erst grau dann weiß dann blau verlässt von einem Tag auf den anderen ihren Alltag samt Zuhause und Ehemann. Sie geht ohne jede Erklärung und kehrt zwei Jahre später einfach so zurück – mit der Erkenntnis, „dass sich ganz in der Nähe des Lebens, in dem man zufällig gelandet ist, ein anderes befindet, das man genauso gut hätte führen können.“ Wer könnte diesem Gedankenspiel nicht folgen? Margriet de Moor war in ihrem „ersten Leben“ Musikerin, sie hatte am Konservatorium in Den Haag Klavier und Gesang studiert, aber nie an eine Karriere als Schriftstellerin gedacht. Erst mit sechsundvierzig begann sie zu schreiben. Die Musik bleibt in ihren Roman als Motiv erhalten, etwa in der Der Virtuose, der Kreutzersonate oder Melodie d’amour.

Wenn sich in ihrem Leben etwas ändere, erzählt die Autorin 2014 in einem Interview, schaue sie nicht auf das, was sie hinter sich lasse, sondern auf das Neue. Nach beinahe jedem Buch sei sie in Amsterdam in ein anderes Stadtviertel gezogen, stattet ihre Häuser aber immer wieder mit denselben Möbeln und Farben aus. Denn Farben seien wichtig, sie schafften ein Zuhause, und also sei die Treppe immer wieder blau …

 

Else Lasker-Schüler (1869–1945)

Für Else Lasker-Schüler ist Blau die Farbe der Poesie. In einem ihrer berühmtesten Gedichte steht ihr blaues Klavier „im Dunkel der Kellertür, seitdem die Welt verrohte“. Das Gedicht ist namensgebend für ihr letztes Buch, Mein blaues Klavier, das in Palästina entstanden ist und 1943 veröffentlicht wurde. Ein Jahr später starb die Dichterin in ihrem Zwangsexil, einsam, verarmt und voller Kummer über die verlorene Heimat, in der die Nazis die Macht hatten.

Ein leichtes Leben hatte sie nie. Schon früh starben ihre Mutter, ihr Bruder und ihr Sohn, sie hat oft bittere Not gelitten, sogar auf Parkbänken übernachtet, war eine Außenseiterin und nicht selten in unglücklicher Liebe entbrannt. In schillernden Kostümen ging sie durch die Welt, verbrachte ihre Tage in Cafés, wie dem berühmten Berliner Café des Westens, und sehnte sich „im Sternenmantel“ nach der Liebe. Wer ihr begegnete und gefiel, fand Eingang in ihr hauseigenes Märchenreich: als Herzog, König oder Tiger, als Onit von Wetterwehe (Gerhart Hauptmann), als Dalai Lama (Karl Kraus) oder als Giselheer (Gottfried Benn). Geboren sei sie in Theben, Ägypten, sagt sie in einem biografischen Text, auch wenn sie 1869 in Elberfeld im Rheinland zur Welt gekommen sei. Denn sie selbst ist Jussuf, Prinz von Theben, Tino von Bagdad oder Dichterin von Arabien. „Ich sterbe am Leben und atme im Bild wieder auf“, heißt es in ihrem Gedicht „Schwarze Sterne“. Und sie fand die schönsten Bilder für alle Klangfarben der Liebe. Für mich ist sie eine Zauberin der Poesie.

 

Anna Banti (1895–1985)

Für den deutschen Buchmarkt ist sie eine weitgehend Unbekannte: Unter dem Pseudonym Anna Banti schrieb die italienische Schriftstellerin und Kunsthistorikerin Lucia Lopresti zahlreiche Erzählungen und Romane sowie Abhandlungen und Kritiken zu Kunst, Literatur und Film. Ihr Roman über die Malerin Artemisia Gentileschi trägt ihr in Italien einen ihrer größten Erfolge ein. Er erscheint 1947, nachdem die Autorin ihn ein zweites Mal geschrieben hatte. Die erste Fassung war 1944 bei einem Bombardement von Florenz verloren gegangen. Kaum vorstellbar, wie viel Energie das gekostet haben muss! Unter dem Titel Artemisia. Zum Fürchten schön und tüchtig ist dieses Buch 2001, mit dem Abstand von vierundfünfzig Jahren, auch auf Deutsch erschienen: in der Reihe Rebellische Frauen des Ullstein-Verlages, übersetzt von Sylvia Höfer. Rebellische und eigensinnige Frauen sind auch Thema des Erzählbandes Ich schreibe Ihnen aus einem fernen Land übersetzt von Karin Krieger (List, 1997). Ob Tochter aus gutem Hause, Findelkind oder Äbtissin: Im Mittelpunkt dieser Auswahl an Erzählungen aus Anna Bantis Werk stehen Frauen aus vier Jahrhunderten, die in einer von Männern dominierten Welt ihren Platz behaupten. Die Autorin hat beide Übersetzungen nicht mehr miterlebt, sie ist 1985 in Ronchi di Massa verstorben. 2010 hat Christine Gräbe in der Edition fünf die Autorin noch einmal aus der Vergessenheit geholt und eine der Geschichten in ihre wunderbare Anthologie Heldinnen des Glücks aufgenommen.

 

3 Bücher

Christine Wolter: Die Alleinseglerin

Von einigen Erbstücken einmal abgesehen ist dies eines der ältesten Exemplare in meinem Bücherschrank und eines der wenigen in DDR-Verlagen erschienenen Bücher, das ich bis heute aufgehoben habe: die 1982 erschienene Alleinseglerin der Autorin, Übersetzerin, Aufbau-Lektorin und Herausgeberin Christine Wolter. Das haptische Lesevergnügen kommt zu kurz und das zarte Taschenbuch droht beim erneuten Lesen auseinanderzufallen, aber der Inhalt packt mich über die Distanz von so vielen Jahren hinweg noch einmal ganz genauso. Unverkennbar autobiografisch erzählt die Autorin vom Leben in der DDR, die sie 1978 verlassen hat. Ihr neuer Lebensmittelpunkt ist Mailand, wo sie noch heute lebt. Von dort aus „blickt sie nach Norden“, zurück in die märkische Heimat, zu Kiefernwäldern und Seen und einem Segelboot, das sie von ihrem Vater geerbt hat. Der „Drachen“ ist jedoch kein Boot, mit dem sich leicht und sorglos dahinsegeln ließe. Es muss gründlich überholt werden, fordert Zeit, Kraft und Geld. Zäh und entschlossen stellt sich Christine Wolter dieser Aufgabe, wie sie sich dem Leben überhaupt stellt: unangepasst, eigensinnig und mutig. Sie segelt allein. Und auch sie beschäftigt die Frage nach all den anderen Ichs, die man leben könnte. „Warum also wieder dieses Fortwollen? Will man woanders sein, um anders zu sein?“ Ich wollte nach der Lektüre jedenfalls unbedingt in Italien sein, damals noch unerreichbar weit weg. Dabei beschreibt Christine Wolter Mailand als trist und regengrau, als seelenlos oder unerträglich heiß.

Die Hauptrolle in der gleichnamigen Verfilmung aus dem Jahr 1986 spielte übrigens die Musikerin Christina Powileit, Mitgründerin von „Mona Lisa“, der ersten Frauenband der DDR.

 

Marian Donner: Das kleine Buch der Selbstverwüstung. Warum wir mehr stinken, trinken, bluten, brennen und tanzen sollten

Unser Erfolg, unsere Gesundheit, Schönheit und Gelassenheit – das alles liegt in unserer Hand. Wir müssen es nur wollen und uns richtig anstrengen, um die allerbeste, allerschönste und allerentspannteste Version von uns selbst zu werden. Oder etwa nicht? „Sei positiv, hab Selbstvertrauen, räum deine Wohnung auf, mach morgens dein Bett, raus aus der Komfortzone … und lächle.“ Unüberhörbar laut rattern die Maschinen der Selbstoptimierungsindustrie und hinterlassen Spuren in unserem Denken und auf unseren To-do-Listen. Überall glitzern idealisierte Bilder, locken uns Ratgeber, TED-Talks und Kurse, um an unseren Schwächen zu arbeiten und mehr Perfektion in unser Leben zu holen. Natürlich, wir halten dazu kritische Distanz und durchschauen die Tricks von Werbung und Sozialen Medien. Doch trotzdem können wir uns dem Sog der Selbstoptimierung nicht ganz entziehen. Die niederländische Journalistin Marian Donner fordert mit ihrem Kleinen Buch der Selbstverwüstung zum Umdenken auf: Statt unsere Energien darauf zu verwenden, möglichst ohne Mangel und Makel zu sein, sollten wir lieber „mehr stinken, trinken, bluten, brennen und tanzen“ – wie es im Untertitel heißt. Ich habe mich beim Lesen dieses Manifestes immer wieder ertappt gefühlt, laut gelacht und viel nachgedacht. Marian Donners gedanklicher Ansatz ist nicht neu, aber drastisch auf den Punkt gebracht. Die einzelnen Kapitel sind unterhaltsam verknüpft mit Abstechern in die Literatur, Philosophie und Pop-Kultur. Die deutsche Übersetzung stammt von Sabine Reinhardus.

 

Gemma Correll: Kein Morgen ohne Sorgen. Handbuch für Verzweifelte

Wenn es eine Akademie für schlechte Laune geben würde, hätte ich momentan gute Chancen auf das Amt der Akademiepräsidentin. Ich habe schlechte Laune, wenn das Wetter mies ist oder die Sonne scheint, wenn der Lockdown verlängert oder aufgehoben wird, wenn mein E-Mail-Postfach überläuft oder mir tagelang niemand schreibt, und sowieso bei jedem Blick auf die Nachrichtenseiten. Es gibt aber im Spannungsfeld der Pandemiebekämpfung ein therapeutisches Mittel, das bisher viel zu wenig Beachtung gefunden hat: Cartoons und Comics. Von einer gewissen Gefahr der Abhängigkeit mal abgesehen, sind sie völlig nebenwirkungsfrei! Ich würde sie zusammen mit Schutzmasken, Selbsttests und Impfungen gratis an die Bevölkerung verteilen. Die Kosten trägt natürlich das Bundesgesundheitsministerium, zugunsten von Autor*innen und Zeichner*innen, denen so eine viel sinnvollere „Nothilfe“ zuteilwürde. Gemma Corrells Handbuch für Verzweifelte wäre für eine solche Gesundheitsfürsorgemaßnahme jedenfalls bestens geeignet. Die 1984 in England geborene Autorin behandelt in ihren Comics alle lebenswichtigen Themen, von Problemzonen, Prokrastination, Schlafstörungen, über das Innenleben von Handtaschen bis zum „ewigen Kreislauf kreativer Qual“. All die Fragen, die Marian Donner kritisch durchleuchtet, nimmt Gemma Correll ironisch auf die Schippe. Erschienen ist dieses fabelhafte kleine Buch bei Antje Kunstmann, aus dem Englischen übersetzt von Ruth Keen. Es genügt, irgendeine Seite aufzuschlagen, und das Schlechte-Laune-Monster beginnt sofort zu schrumpfen.

 

Copyright der Fotos: Petra Müller

Autor: Doris Hermanns

Doris Hermanns lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in Utrecht/Niederlande seit 2015 in Berlin, wo sie als Redakteurin, Autorin, Herausgeberin und Übersetzerin tätig ist. Seit 2000 ist sie in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, seit 2012 in der Redaktion des Online-Magazins AVIVA-Berlin. Zahlreiche Porträts von Frauen auf www.FemBio.org. Sie veröffentlichte u. a. die Biografie der Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe sowie deren Feuilletons. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus, an deren Biografie sie arbeitet. Neueste Veröffentlichung: »Und alles ist hier fremd«. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil. Von 2016 bis 2020 war sie Städtesprecherin der BücherFrauen in Berlin. BücherFrau des Jahres 2021.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.