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“Equal Pay 4.0” – Gespräch mit Uta Zech, Präsidentin Business and Professional Women, Germany, zum Equal Pay Day 2022

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Zum diesjährigen Equal Pay Day sprach Yvonne de Andrés mit Uta Zech, Präsidentin Business and Professional Women, Germany über die Kampagne des Equal Pay Day 2022 “Equal Pay 4.0 – gerechte Bezahlung in der digitalen Arbeitswelt”.

Yvonne de Andrés: Was ist der Schwerpunkt des diesjährigen Equal Pay Day?

Uta Zech: Unter dem Motto Equal Pay 4.0 – gerechte Bezahlung in der digitalen Arbeitswelt macht die EPD Kampagne 2022 deutlich, dass die gleiche Bezahlung von Frauen und Männer für gleiche und gleichwertige Arbeit bei den Umstrukturierungen durch die Digitalisierung jetzt vorwärtsgebracht werden muss. Das ist eine großartige Chance!

Im Moment gestalten hauptsächlich Männer die Digitalisierung. 80 Prozent aller Software-Entwickelnden sind männlich und 90 Prozent der Startups im Bereich Digitalisierung werden von Männern gegründet. Frauen entgehen attraktive Jobs im zukunftsträchtigen IT-Sektor und auch auf Frauen als Nutzerinnen wirkt sich dieses Missverhältnis negativ aus.

Künstliche Intelligenzen treffen keine geschlechtsneutralen Entscheidungen, denn solche Systeme sind alles andere als intelligent. Sie werten die Daten aus, mit denen sie gefüttert werden. Aktuell sind das hauptsächlich Daten von weißen Hetero-Männern. Das führt zu diskriminierenden Ergebnissen. Algorithmen, die Frauen aus Bewerbungsprozessen aussortieren, nicht weil sie schlechter sind, sondern Frau im Gegensatz zu Mann kein positives Kriterium ist, eben weil hauptsächlich Mann als Datensatz vorhanden. Kreditvergabe und Gehaltsfestlegungen sind weitere Beispiele.
Besonders anschaulich: Frau Doktor Rössner kommt mit ihrer digitalen Mitgliedskarte nicht in die Damenumkleide, weil der akademische Titel Doktor Männern zugeschrieben wird.Nur diverse Teams in Forschung und Entwicklung können verhindern, dass sich unbewusste Vorurteile der realen Welt in der binären fortsetzen.

Wir brauchen vorurteilsfreie und geschlechterneutrale pädagogische Konzepte in Schule, Hochschule und bei der beruflichen Beratung. Es genügt nicht, eine AG Programmierung anzubieten, an der dann nur Jungs teilnehmen. Es ist wichtig zu fragen: Warum nehmen Mädchen nicht daran teil? Liegt es an der Gestaltung des Raums, liegt es an der Ankündigung, dem Thema, liegt es an tradierten Rollenstereotypen, die in der Klasse, an der Schule, durch das Lehrpersonal bewusst oder unbewusst vermittelt werden?

Weiterbildungsmaßnahmen, Zugänge zu digitaler Ausrüstung in Unternehmen müssen Männern und Frauen zu gleichen Teilen zur Verfügung stehen. Denn Arbeit wird sich wandeln. Bisher vermeintlich einfache Tätigkeiten wie Kassiertätigkeiten oder Bürotätigkeiten, die hauptsächlich von Frauen ausgeübt werden, erfordern im Zuge der Technisierung und Digitalisierung zusätzliche Fähigkeiten und Qualifikationen.
Typische Lebensbiografien von Frauen müssen mitbedacht werden. Teilzeit und Familienauszeiten dürfen bei Weiterbildungsangeboten keine Rolle spielen. Und die höheren Anforderungen müssen sich auch in höherem Entgelt widerspiegeln.

Selbst wenn Frauen in der Digital-Branche arbeiten, sind sie oft mit stereotypen Vorstellungen in einem männlich geprägten Arbeitsumfeld konfrontiert. Mehr als die Hälfte kündigen ihren Job und kaum eine schafft es ins Topmanagement. Das ist auch eine Frage der Arbeits- und Unternehmenskultur in der Digitalbranche. Auch hier gilt: fix the company und nicht: fix the women.

Frauen bringen alle Fähigkeiten mit, die digitale Zukunft der Arbeit mitzugestalten. Denn: Die Computergeschichte ist weiblich. Ada Lovelace hat im 19. Jahrhundert die erste Computersprache entwickelt. Das erste Programm, das Quellcode in Maschinencode übersetzen konnte, stammt von Grace Hopper. An der Programmierung des Apollocomputers, der 1969 die erste Mondlandung ermöglichte, waren hauptsächlich Frauen beteiligt, allen voran Margaret Hamilton.

Die digitale Zukunft muss von allen gestaltet werden. Frauen sind wichtig als Programmierinnen, als Wissenschaftlerinnen, als Datensatz, als Quereinsteigerinnen, als Nutzerinnen.

Es gibt keine technische Lösung für Geschlechtergerechtigkeit. Die Lösung findet sich in der realen Welt. Aber wir können die Digitalisierung nutzen, um equal pay, gleiche Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit, in Deutschland endlich vorwärtszubringen!

Yvonne de Andrés: Gibt es Auswirkungen der Pandemie auf den Equal Pay Day? 

Uta Zech: Die Aktionen verschieben sich von der realen Straße auf die Straße des 21. Jahrhunderts – das Internet. Digitale Veranstaltungsformate oder Aktivitäten in den Sozialen Medien haben stark zugenommen.  Auf unserer Website können Vorlagen heruntergeladen.

Yvonne de Andrés: Wo befinden sich die größten Gaps? 

Uta Zech: Laut Statistischem Bundesamt war der Gender Pay Gap 2020 je nach Branche sehr unterschiedlich. Am stärksten waren die Bereiche Kunst, Unterhaltung und Erholung (31 %), Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen (27 %), gefolgt vom Gesundheits- und Sozialwesen (24 %), den Banken und Versicherungen sowie dem Bereich Information und Kommunikation (jeweils 23 %). Auch im Verarbeitenden Gewerbe (22 %) sowie dem Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kfz (21 %), wo traditionell Männer stärker vertreten sind als Frauen, waren die Verdienstunterschiede relativ hoch.

Yvonne de Andrés: Welche Game Changer konnte der Equal Pay Day neu gewinnen? 

Uta Zech: Alleine wir als Equal Pay Day Kampagne haben über 70 Game Changer aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Medien und Gesellschaft, Prominente und Nicht-Prominente, Frauen und Männer gewinnen können. Doch viele unserer Mitstreitenden haben selbst Game Changer gesucht und gefunden.

Die schönste Geschichte geht so: Eine Leitende Angestellte in einem IT-Unternehmen in Hamburg geht mit dem Journal der Kampagne 2021 Game Changer – Mach dich stark für equal pay! zu Ihrem Geschäftsführer, der daraufhin sein Unternehmen auf Lohndiskriminierung durchforstet und den Gap behebt.

Yvonne de Andrés: Welche sind die wichtigsten Rahmenbedingungen, die sich ändern müssen, damit die Gründe der Entgeltunterschiede zwischen Männern und Frauen in Deutschland verschwinden? 

Das sind zum einen mit geschlechtsneutralen Kriterien Anforderungen und so Bewertungen von Berufen vergleichbar machen wie es der Comparable Worth Index der Hans-Böckler-Stiftung vorschlägt .

Jede Anforderung erhält einen Punkt, gleicher Punktestand ist gleiche Bezahlung.
Danach müsste die Vorschullehrkraft (Beruf mit 84 Prozent Frauen) das Gleiche verdienen wie der:die Elektroingenieur:in (92 Prozent Männer).
Aktuell geht die Vorschullehrkraft mit knapp 18 Euro durchschnittlichem Bruttostundenlohn nach Hause, der:die Elektroingenieru:in – in 92 von hundert Fällen der – mit 30 Euro. So würden die unterbewerteten und unterbezahlten Berufe in Pflege und Erziehung endlich entsprechend ihren Leistungen entlohnt!

Folgende sieben Aspekte möchte ich dabei betonen.

Ehegattensplitting und Kombination aus Steuerklasse III und V abschaffen und in Faktorverfahren IV / IV überführen – steht immerhin im Koalitionsvertrag.

Care-Arbeit wie Familienarbeit und Pflege von Angehörigen partnerschaftlich aufteilen und in die Unternehmen einpreisen. Die Corona-Pandemie hat die Erkenntnis gebracht, dass die Wirtschaft ohne die unentgeltliche Care-Arbeit nicht funktioniert.

Gehaltstransparenz in Betrieben voranbringen, damit Entlohnungskriterien für alle durchschaubar und Lohndiskriminierung aufgedeckt werden kann.

Entgelttransparenzgesetz weiterentwickeln: Betriebe unter 200 Mitarbeitende miteinbeziehen, da hier viele Frauen arbeiten; eindeutige, allgemeingültige, verpflichtende Prüfkriterien einführen und wer seiner Prüfplicht nicht nachkommt, wird sanktioniert; Verbandsklagerecht umsetzen, wie es im Koalitionsvertrag steht; Island macht es vor!

Sich intensiv für Rollenstereotype interessieren! Niemand ist frei davon. Tradierte Rollenstereotype beeinflussen die Berufswahl von Frauen und Männern (Frauen können Technik und Männer Pflege!). Sie sind verantwortlich für Unterbewertung und Unterbezahlung von Berufen, in denen hauptsächlich Frauen arbeiten, und durch unterschiedliche Bewertung von Fähigkeiten (taffe Männer sind zielstrebig, taffe Frauen zickig) verhindern sie Frauen in Führungspositionen. Hier sind auch die Medien gefordert.
.. es beginnt mit neuen Bilderbüchern im Kindergarten: die Ingenieurin, die Forscherin, der Arzthelfer, der Erzieher…

Parität in Gremien, Parlamenten, Jurys!

Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen einführen, um sozialversicherte Beschäftigungsverhältnisse zu fördern. Gleichzeitig werden so die Sozialkassen gefüllt und Transferleistungen zu verringert. Von den mit haushaltsnahen Dienstleistungen erzielten Einkommen und Renten könnten die Beschäftigten endlich leben und wären nicht mehr auf Transferleitungen angewiesen. Auch Personen mit geringem Einkommen müssen sich die Gutscheine leisten können, damit sie die Möglichkeit haben, ihre Arbeitsstunden für die Erwerbstätigkeit zu erhöhen.

Yvonne de Andrés: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Yvonne de Andrés für Power to Transform!

Mehr Informationen zur Kampagne auf equalpayday.de und bei der Kick-off Veranstaltung zur EPD Kampagne 2022 auf YouTube

 

Autor: Susanne Martin

Susanne Martin arbeitete von 1976 - 2018 im Buchhandel. Von 1995 – 2018 war sie die Inhaberin der Schiller Buchhandlung. Ende Februar 2018 schloss sie die Buchhandlung. Eine Buchhandlung zu schließen heißt aber nicht, das Lesen und die Bücher aufzugeben. Deshalb teilt sie ihre Leseerlebnisse in ihrem Blog www.schiller-buch.de. (Foto: Thomas Herrmann)

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