Über 100 Frauen aus aller Welt diskutieren in New York den Gender Pay Gap
Selten habe ich schlechtere Laune, als wenn sich wieder einmal der Equal Pay Day in Deutschland jährt und wir weiterhin unsere komfortable europäische Führungsposition als Land mit einem der höchsten Gender Pay Gaps überhaupt verteidigen. Nicht ausbauen, immerhin. Aber um die 22 Prozent schrien auch dieses Jahr wieder zum Himmel.
Dass ich diesmal keine schlechte Laune hatte, lag daran, dass mich eine Einladung in luftige Höhen erreichte. Henrike von Platen erweiterte mit ihrem „Fair Pay Innovation Lab“ den Diskurs im Heimatland und brachte in New York (im Rahmen der 62. Frauenrechtskommission) internationale Expertinnen und Publikum zusammen. Hier in Chelsea residiert SAP und einer Verbindung dorthin hatten Veranstalterinnen und Besucher*innen die besonderen Räumlichkeiten für das „Equal Pay Global Forum“ zu verdanken. Das 48. Stockwerk ist wegen der Aussicht sehr verlockend.
Henrike von Platen verleiht zur Begrüßung ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Räumlichkeiten unsere Gedanken beflügeln mögen. Den begeisterten Gesichtern der zahlreichen Gäste nach funktioniert es!
Eröffnungsrede von Shauna Olney
Die Eröffnungsrede hält Shauna Olney, bei der „International Labour Organization ILO“ zuständig für Gender, Equality und Diversity. Bei einem kurzen Abriss zum Stand der Dinge lerne ich, dass es neben der leider sattsam bekannten gläsernen Decke, der glass ceiling, auch noch Begriffe fürs Steckenbleiben „sticky floorsand“ und fürs plötzliche Verschwinden von der Arbeitsbildfläche gibt – „leaky pipeline“.
Was das plötzliche Verschwinden von Frauen im Management angeht, gibt es wohl das Problem, dass die Anpassung an die patriarchalen Strukturen in Kombination mit den schlechteren (Verdienst-)Möglichkeiten oft ab einem gewissen Karrierepunkt als nicht mehr sinnstiftend und anstrebenswert empfunden wird und Frauen häufig ihrem bisherigen Beruf komplett der Rücken kehren.
Tatsächlich wird der Gender Pay Gap nicht geringer, sondern höher, je weiter die Frauen die Karriereleiter erklimmen. Und, merkt Henrike von Platen an, die Männer wissen durchaus, dass ihre Management-Kolleginnen oder gar Vorgesetzten weniger verdienen als sie.
Olney stellt außerdem die „Equal Pay International Coalition“, kurz EPIC, vor. EPIC startete 2017 und hat es sich zum Ziel gemacht, den internationalen best practice Austausch in Sachen Lohngerechtigkeit zu fördern. Neben Olneys Organisation beteiligen sich die UN Women und die OECD daran.
Keynote: Anka Wittenberg (SAP)
Anka Wittenberg, Senior Vice President und Leiterin der Abteilung Diversity & Inclusion bei SAP sprach die Keynote zum Thema weshalb Unternehmen eine Schlüsselrolle beim Erreichen der Geschlechtergerechtigkeit zukommt.
Wittenberg berichtete den Zuhörerinnen, wie SAP unternehmensintern anstrebt, die Ziele zu erreichen, denen sie sich überzeugend verschrieben hat: mit der Anpassung der Human Ressources Software, mithilfe von EDGE, dem „Global Business Certification Standard For Gender Equality“ und einem Women in Leadership Programm. Wittenberg schließt den Kreis, indem sie nicht nur interne Strategien vorstellt, sondern auch betont, dass die Innovationskraft von Unternehmen, die sich der Gleichheit und Inklusion verschreiben, signifikant höher ist und die Produkte den Bedürfnissen der Kundschaft auch besser entsprächen.
Das ist nicht das erste Mal, dass ich im Rahmen von Equal Pay von Frauen aus der Wirtschaft höre, dass sie versuchen den Hebel hier anzusetzen und über den besseren wirtschaftlichen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft Gehör zu finden. Das Zahlenmaterial, dass sie dafür zur Verfügung haben, kommt ihnen auch sehr entgegen. Wittenberg zum Beispiel sprach von einer 170 Prozent höheren Innovationsrate bei Firmen, die ‚highly inclusive‘ sind.
Podium mit Sylvie Durrer (Schweiz), Elke Ferner (Deutschland), Linda Scott (UK) und Sandra Vermuyten (Belgien)
Nach Eröffnungsrede und Keynote wurde das Podium eröffnet und stellten vier Expertinnen aus vier Ländern Ergebnisse ihrer Arbeit und den Stand der Dinge in ihren Ländern vor: Sylvie Durrer für die Schweiz, Elke Ferner aus Deutschland, Linda Scott aus England und Sandra Vermuyten aus Belgien.
Sylvie Durrer, Direktorin des „Federal Office for Gender Equality FOGE“, konnte mit einem Kurzfilm aufwarten, der hier im Forum zum ersten Mal gezeigt wurde und sprach über die Erfahrungen mit dem Selbsttest-Tool „Logib“ zur Lohngerechtigkeit, das von immer mehr Firmen genutzt wird. Aktuell liege der Gender Pay Gap in der Schweiz bei sieben Prozent. Durrer nimmt die These, dass „nicht die Gleichheit kostet, sondern die Ungleichheit“ zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit und weist auf den Schaden hin, den die schlechtere Bezahlung bei der Gesundheitsversorgung, dem Familieneinkommen und letztlich der Volkswirtschaft anrichtet.
Elke Ferner, Parlamentarische Staatssekretärin (a.D.) aus dem Familienministerium, erläutert das deutsche Transparenz-Gesetz und räumt ein, dass durch die Politik der Teilzeitjobs ein großes Problem für die Frauen auf dem Arbeitsmarkt entstanden ist.
Linda Scott, Professorin von der Said Business School in Oxford, bekannt geworden durch ihr Konzept der „Double X Economy“, sagt klipp und klar, das Problem seien die patriarchalen Strukturen und wir sollten uns über die „backshots“ der Männer im Klaren sein. Scott setzt einen deutlich feministischen Akzent. Im Nachgang habe ich ihre Website besucht und bin neugierig geworden. Dort gibt es ihr politisches Engagement für die Verbesserung der ökonomischen Situation von Frauen zu entdecken. Wie schön, sie hier live erlebt zu haben.
Leidenschaftliche Belgierin
Mein Zuhörerinnenherz schlägt unwillkürlich höher, als Sandra Vermuyten spricht – die Gewerkschafterin sprüht vor Leidenschaft, hat einen beeindruckenden akademischen Hintergrund und ist Head of Campaigns bei der „Public Services International“. Sie berichtet, dass Belgien innerhalb von zehn Jahren den Gender Pay Gap von 20 auf 10 Prozent reduzieren konnte. Und sie warnte eindrücklich davor, dass mehr und mehr Frauen in prekäre Situationen geraten und nannte die unterschiedlichen Gründe dafür. Vermuyten mahnt, dass es höchste Zeit wäre, die Kräfte zu vereinen.
Abschließend bringt Henrike von Platen dann noch den Aspekt der Verbrauchermacht in die Diskussion ein:
„Dass Gleichstellung und Chancengleichheit auf der Agenda in der Politik als auch in der Wirtschaft nach oben gerückt sind, ist gut – aber auch wer nicht an den Schalthebeln von Macht und Geld sitzt, hat Einflussmöglichkeiten und kann sich erstens zivilgesellschaftlich engagieren, zweitens aber auch bewusster konsumieren: Jede Kaufentscheidung hat Einfluss.“
Das Ziel des Zusammenschlusses EPIC lautet übrigens: Equal Pay bis 2030!